Bücher aus der mittelalterlichen Universität Wien und ihrem Umfeld
zusammengestellt von Friedrich Simader, Wien, ab 2007



 

Vorwort
Artistenfakultät | Collegium ducale u. Theologische Fakultät | Medizinische Fakultät
Bibliotheken in Bursen | Lammburse | Lilienburse | Paulusburse | Burse des Leonhard Perching | Bursa Ramung
Rosenburse | Schlesierburse | Schwaigerburse | Die Fabri-Bibliothek | Die Alte Universitätsbibliothek


Bibliotheken in Bursen[1]

Ab der Neugründung der Wiener Universität im Jahr 1384 entstanden in der Nachbarschaft des von Herzog Albrecht III. gestifteten Collegium ducale, dem damaligen Hauptgebäude, eigens eingerichtete Studentenhäuser, die sogenannten Bursen - benannt nach der 'bursa', dem wöchentlich zu entrichtenden Geldbetrag für Kost und Logis. Der Großteil der Studenten wohnte in diesen von der Universität kontrollierten Heimen. Ausnahmen gab es für sozial Höhergestellte, die sich mit Erlaubnis des Rektors in Privatquartieren einmieten konnten, und für mittellose Studenten, die in den sogenannten Kodereien, den Armenhäusern, Unterkunft fanden.
Betreiber der Bursen als Konventor oder Bursenrektor waren in der Regel Magister der Universität, die zur Aufbesserung ihres Einkommens Häuser oder einzelne Wohnungen anmieteten und freie Plätze mit Aushängen an den Toren des Collegium ducale kundmachten. Neben diesen Unternehmerbursen wurden im 15. Jahrhundert nach und nach auch gestiftete Bursen eingerichtet, in denen Studenten die 'bursa' als Stipendium erhielten. Stifter waren überwiegend ehemalige Angehörige der Universität, die Kapital für den Erwerb eines Hauses und für eine bestimmte Anzahl von Stipendiaten zur Verfügung stellten; für die Auswahl der Studenten und Dauer der Stipendien wurden in den Stiftungsbriefen unterschiedliche Kriterien festgelegt. Die Stiftung wurde dann von sogenannten Superintendenten betreut, die unter anderem auch den Bursenleiter bestellten. Wie bei den Unternehmerbursen mußte dieser beim Dekan der Artistenfakultät um Erlaubnis ansuchen, einer Burse vorstehen zu dürfen.

Neben der Verwaltung des Heimes und der Beschaffung der Nahrungsmittel war der Leiter von Unternehmerbursen auch für den Unterricht in der Burse zuständig. Er mußte bei den Mahlzeiten anwesend sein und die in Latein geführten Gespräche leiten; vor allem aber hatte er in der Burse Übungen und Wiederholungen von Lehrstoff aus den Vorlesungen abzuhalten, für die die Studenten extra bezahlen mußten[2].
Bei gestifteten Bursen ist nicht eindeutig zu bestimmen, welche Rolle der Konventor für den Unterricht spielte, da er in den beispielgebenden Statuten der Rosenburse nicht weiter erwähnt wird - seine Lehrtätigkeit wird offenbar stillschweigend vorausgesetzt[3]. Einen ganz wesentlichen Anteil am alltäglichen Studium im Studentenheim hatte der aus dem Kreis der Stipendiaten ausgewählte sogenannte Provisor: An jedem Abend eines Wochentages, auf den kein besonderer Heiliger fällt, mußte er nach dem Abendessen ein Exercitium zu einem allgemein verständlichen Thema abhalten; war er durch Verpflichtungen an der Universität verhindert, übernahm der älteste Stipendiat den Unterricht. Von Magistern und Licentiaten sollten Themen der Moralphilosophie oder der Naturwissenschaften behandelt werden, während sich die im Studium noch nicht soweit fortgeschrittenen Scholaren und Baccalaren mit Grundlehrstoff wie Mathematik, Grammatik etc. zu beschäftigen hatten. Die Statuten der Rosenburse enthalten auch konkrete Hinweise auf Bücher, die verwendet werden sollten: Als Lektüre, die an Feiertagen nach dem Mittag- oder Abendessen von einem Stipendiaten auszugsweise vorgelesen werden sollte, werden neben historischen Werken und Heiligenlegenden u. a. Boethius mit 'De consolatione philosophiae', Cicero, Alanus, Vegetius und Valerius Maximus genannt[4]. In den 1484 verfaßten Statuten der Paulus-Burse ist mit Enea Silvio de Piccolomini auch ein moderner Autor vertreten[5].

Nach dem Niedergang der Universität in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts durch Konfessionsstreit, Türkenbelagerung und andere Faktoren dienten die Bursen vornehmlich als Grundschulen. Das im Jahr 1533 unter Ferdinand I. erlassene 'Erste Reformgesetz' verteilte den Lehrstoff zunächst auf vier Studentenhäuser: die griechische Sprache sollte in der Rosenburse gelehrt werden, lateinische Grammatik in der Lammburse, Astronomie und Geographie in der Lilienburse und schließlich Arithmetik, Geometrie und Algorithmus in der Paulusburse. Diese Aufteilung hielt nicht lange. 1554 wurde verfügt, in den Bursen Klassen für Junge und Schwache einzurichten, die durch Unterricht in Grammatik, Dialektik und Rhetorik auf den Besuch der öffentlichen Vorlesungen vorbereiten sollten. Einbezogen waren neben Stipendiaten auch jene Studenten, die für Unterkunft und Kost selbst zu zahlen hatten. Verwaltung und Unterricht oblagen dem Konventor und dem Provisor als dessen Gehilfen; beide Ämter sollten von Magistern der Artistenfakultät bekleidet werden[6].


Schreibervermerk des Conradus de Burgkunstat in Cod. 5112, fol. 180v

Für die kommerziell geführten Bursen sind keine Hausordnungen überliefert, und deshalb gibt es kaum Hinweise auf deren Buchwesen. Wegen der Kurzlebigkeit der Einrichtungen werden keine dauerhaften Bestände vorhanden gewesen sein. Vielleicht durften die Studenten aber unter anderem die Bücher des Bursenleiters benutzen, der, wie das Beispiel des Bero Magni de Ludosia mit rund 140 Büchern zeigt, über stattliche Privatbibliotheken verfügen konnte[7]. Da Schreibarbeiten eine wichtige Einkommensquelle für die Studenten darstellten, ist auf jeden Fall mit den dafür notwendigen Vorlagen zu rechnen. Ganz vereinzelt gibt es in Handschriften auch entsprechende Hinweise. So wurde der erste Text in Cod. 5112 von dem Studenten Conradus de Burgkunstat im Jahr 1414 in der Wiener Burse eines Johannes Gartner geschrieben; der Eintrag auf fol. 180v ist gleichzeitig der bislang einzige bekannte Beleg für dieses Studentenhaus. Bei zwei weiteren Handschriften besteht durch Notizen zumindest eine lose Verbindung zu Unternehmerbursen: Nicolaus Megenwart aus Windsheim vermerkte auf fol. 192v in Cod. 5005, dass er im Jahr 1446 an die Universität gekommen ist und gemeinsam mit Oswald aus Vöcklabruck die 'depositio', den Aufnahmeritus[8], in der Burse des Mag. Leonard von Perching[9] absolviert hat - vermutlich hat er diese Handschrift in der Burse benutzt, vielleicht sogar geschrieben, denn der erste Text wird dem Bursenrektor zugeordnet. Mit der bislang zwischen 1466 und 1498 nachweisbaren Schwaigerburse[10] hängt vielleicht Cod. 5481 zusammen: Im Vorderdeckel ist ein einst loser Zettel eingeklebt, der die Namen von drei Magistern und zwei Bakkalaren 'in bursa Swaiger', also offenbar Angehörige der Burse aus der Zeit um 1460[11], trägt; auch hier ist der Gebrauch im Studentenheim immerhin möglich.


Zettel mit Insassen der Schwaigerburse im Vorderdeckel von Cod. 5481

Bei gestifteten Studentenhäusern ist sowohl die Quellenlage als auch die Überlieferung von Büchern meist wesentlich günstiger. Laut den Statuten der Rosenburse, denen auch jene von Lilienburse, Paulus-Burse und Lammburse weitgehend folgen[12], war der bereits erwähnte Provisor für die Verwaltung der Bücher zuständig. Bei ihm konnten Angehörige des Heimes gegen einen Leihschein, auf dem neben dem Zeitpunkt des Erhalts auch der Zustand des Buches vermerkt war, entlehnen; Außenstehende hatten ein dem Wert des Buches entsprechendes Pfand zu hinterlegen[13].
Über den Buchbestand selbst informieren Verzeichnisse in den Stiftungsbriefen (Paulusburse, Bursa Ramung), Schenkungslisten (Rosenburse) und Kataloge (Paulusburse, Lilienburse). Diesen schriftlichen Nachrichten steht die Zahl der überlieferten bzw. zuweisbaren Bücher gegenüber, wodurch sich ein nur schwer zu beurteilendes Bild ergibt: So besaß die Paulus-Burse im Jahr 1527 326 Bücher, die Lilienburse laut einem Katalog aus dem Jahr 1569 sogar 475 - ermittelt werden konnte davon bislang jeweils nur ein gutes Dutzend. Der Rosenburse lassen sich hingegen rund 120 Bände zuordnen - wie groß aber einst der tatsächliche Bestand war, ist mangels einschlägiger Quellen ungewiß. Im Dunkeln bleiben die Bestände von Schlesierburse und Lammburse, von denen nur einzelne Stücke benannt werden können.

Über die Unterbringung der Bibliotheken ist nichts bekannt. Die Rosenburse besaß, wie die Spuren von Beschlägen an den Hinterdeckeln zeigen, offenbar als einziges Studentenheim eine Kettenbibliothek; die erhaltenen Bücher erforderten mindestens 6 oder 7 Laufmeter Stellfläche, und deshalb ist ein eigener Raum zu ihrer Verwahrung anzunehmen. Vielleicht befanden sie sich in den Räumlichkeiten des Provisors, dem laut einer Beschreibung aus dem Jahr 1563 eine Stube, eine Kammer und eine Küche zur Verfügung standen[14].

Die von Ferdinand II. im Jahr 1623 erlassene 'Pragmatische Sanktion', mit der der Jesuitenorden in den Universitätsbetrieb eingegliedert wurde, bedeutete das Ende der Bursen und ihrer Buchbestände. Wie die meisten anderen alten Universitätsgebäude wurden sie den Jesuiten übergeben[15]; die Bücher vereinigte man mit jenen aus dem Collegium ducale und der Artistischen bzw. Philosophischen Fakultät. Damit entstand die Alte Universitätsbibliothek, die nun ebenfalls vom Orden geleitet wurde.



[1] Grundlegende Literatur zum Bursenwesen in Wien: K. Schrauf, Zur Geschichte der Studentenhäuser an der Wiener Universität während des ersten Jahrhunderts ihres Bestehens, in: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte V 3 (1895), 1-74 - K. Schrauf, Die Wiener Universität im Mittelalter. Separatabdruck aus Band II der Geschichte der Stadt Wien, herausgegeben vom Alterthumsvereine zu Wien. Wien 1904. - R. Perger, Universitätsgebäude und Bursen vor 1623, in: Das Alte Universitätsviertel in Wien, 1385-1985 (Schriftenreihe des Universitätsarchivs 2). Wien 1985, 75-102. - K. Mühlberger, Wiener Studentenbursen und Kodreien im Wandel vom 15. zum 16. Jahrhundert, in: Aspekte der Bildungs- und Universitätsgeschichte. 16. bis 19. Jahrhundert (Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien 7). Wien 1993, 129-190.

[2] Schrauf, Universität, 1904, 38.

[3] Vgl. die Edition der Statuten bei Schrauf, Studentenhäuser, 1895, 52-74; der Conventor wird nur im 2. Kapitel der Statuten genannt. - Siehe dazu auch Mühlberger, Wiener Studentenbursen, 1993, 164, Anm. 122.

[4] Schrauf, Studentenhäuser, 1895, 46f. bzw. 61f.

[5] Ebenda, 62.

[6] Mühlberger, Wiener Studentenbursen, 1993, 162-166.

[7] Bero Magni de Ludosia leitete 1439 eine Burse - siehe Schrauf, Studentenhäuser, 1895, 14; er vermachte der Domkirche von Skara in Südwestschweden 138 Bücher - siehe P. UIBLEIN, Die Universität Wien im Mittelalter. Beiträge und Forschungen (Schriftenreihe des Universitätsarchivs, Universität Wien, Bd. 11). Wien 1999, 474.

[8] '... deposui beamum beamum [!] ...' - Auf die richtige Deutung dieser Verschreibung hat mich Franz LACKNER (Wien) hingewiesen. - Zur Depositio siehe MÜHLBERGER, Wiener Studentenbursen, 1993, 161f. Beide bereiteten sich offenbar in der Burse auf das Studium vor, das sie dann laut Matrikel im Jahr 1447 begannen.

[9] Diese Burse ist bereits 1439 nachweisbar - siehe Schrauf, Studentenhäuser, 1895, 13f.

[10] Ebenda, 33f., und PERGER, Universitätsgebäude, 1985, 99.

[11] Martin Prunner aus Rackendorff und Mag. Nicolaus Ortner de Czlawingsi waren ab 1459 Magistri, Leonardus Angrer de Pewrbach ab 1460. Paulus Hiiczhofer de Ingolstat war ab 1459 Bakkalar, Johannes de Ardacker ab 1460 - beide Bakkalare scheinen dann in den AFA nicht mehr auf - zu den Personendaten siehe: "Wiener Artistenregister" 1447 bis 1471. Acta Facultatis Artium III (UAW Cod. Ph 8), Teil 1: 1447 bis 1471. Personen-Nennungen im Zusammenhang mit Prüfung, Graduierung und Verteilung der Vorlesungsthemen Nr. 9263 bis 16527. Bearbeitung: Th. MAISEL, I. MATSCHINEGG, Texterfassung: A. BRACHER. Wien 2007 - PDF-Datei, Archiv der Universität Wien [URL: http://www.ub.univie.ac.at/archiv/artistenregister.html].

[12] Schrauf, Studentenhäuser, 1895, 38 und 52ff.

[13] Ebenda, 45 und 48.

[14] Siehe Mühlberger, Wiener Studentenbursen, 1993, 178f.

[15] Dazu zuletzt K. MÜHLBERGER, Universität und Jesuitenkolleg in Wien. Von der Berufung des Ordens bis zum Bau des Akademischen Kollegs, in: H. KARNER / W. TELESKO (Hrsg.), Die Jesuiten in Wien. Zur Kunst- und Kulturgeschichte der österreichischen Ordensprovinz der 'Gesellschaft Jesu' im 17. und 18. Jahrhundert (Veröffentlichungen der Kommission für Kunstgeschichte 5). Wien 2003, 26ff.


Zum Seitenanfang  Zur Startseite