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„Mein Gesicht […] straft mich Wahrheit“. Ein langer Abschied (1987, GW 3, 233) 

Leben oder Leben? 

Irgendwo  
lebt es noch 
bis es stirbt 
und atmet tief aus und ein 
und liebt und spielt und sieht Farben 
und arbeitet und ruht aus 
und ist traurig und lustig und altert 
Irgendwo 
lebt es noch 
bis es stirbt 

 

Aber hier 
in mir 
ist soviel 
Haß gegen das Sterben 
gegen das Sterben  
meiner Großmutter und meines Vaters 
unter den Händen der Mörder 
von gestern 
die noch nicht tot sind 
und gegen mein Sterben 
und gegen 
das Sterben meiner Kinder 
unter den Händen der Mörder 
von morgen 
die heute schon leben 
daß ich nur gegen dieses Sterben 
kämpfe 
und nur dieses Sterben 
fühle und denke 
und daß ich gar nicht mehr lebe 
wie irgendwo noch das 
was lebt 
bis es stirbt 


(1982, GW 2, 634f.) 

Nach einer ersten Krebsoperation im Jahr 1982 fand die Auseinandersetzung mit dem möglichen Tod vermehrt Eingang in die Gedichte, die nun öfter eine dunkle Färbung hatten. Anlässlich der Gedächtnisfeierlichkeiten zur 50. Wiederkehr der Novemberpogrome 1938 hielt sich Fried für einen Fernsehtermin beim Südwestfunk in Baden-Baden auf. Die Krankheit brach wieder aus und auch eine Notoperation konnte seinen Tod nur um Wochen hinauszögern. Am 22. November 1988 starb Erich Fried im Alter von 67 Jahren.

Erich hatte nie aufgehört zu arbeiten, nie aufgehört zu reisen, nur wiederholt Strahlen- und Chemotherapien über sich ergehen lassen und in seinem Arbeitsplan Pausen eingelegt, um sich im Krankenhaus immer noch ein Stück mehr Darm entfernen zu lassen. Er mochte Krankenhäuser.

(Kurz 112) 


1) Geboren in Wien​   2) A star is (almost) born   3) Jüdische Identität vor und nach dem Krieg​   4) Ohne Wurzeln. Neuanfang in der Emigration   5) Nach dem Krieg ist vor dem (Kalten) Krieg   6) (Familien-)Leben in London   7) „So dringend ist es mir wieder nicht.“ Langsame Heimkehr nach Österreich   8) „Mein Gesicht […] straft mich Wahrheit“. Ein langer Abschied

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