Die linkshändige Frau
Notizbuch, 56 Seiten, ??.11.1975 bis ??.01.1976
Beschreibung
Dieses türkisfarbene Notizbuch mit dem Projekttitel »Die linkshändige Frau« umfasst 56 karierte Seiten, die bis auf die leer gebliebene Seite 35 von Peter Handke mit blauem Kugelschreiber, schwarzem Fineliner und Bleistift beidseitig beschrieben wurden. Einzelne Stellen wurden mit rotem Kugelschreiber seitlich durch Striche markiert, abgehakt oder durchgestrichen. Die Angabe des Seitenumfangs beruht auf der Sichtung des Notizbuchdigitalisats am Deutschen Literaturarchiv Marbach. Vier im Original vorhandene, teilweise nur mehr aus einem schmalen Streifen bestehende, unbeschriebene Blattreste, die miteingerechnet eine Seitenanzahl von 64 ergeben würden, wurden nicht mitgescannt. Die Seiten sind unpaginiert, die folgenden Quellenangaben beziehen sich auf die am Digitalisat vorgenommene Seitenzählung von 1-56.
Entstehungsort
Handke vermerkte in diesem Notizbuch keine Reisen. Verglichen mit spätern Notizbüchern, in denen Orte eine wichtige Rolle spielen, zeigte er hier für die Beschreibung und Nennung von Orten kaum Interesse. Nur zwei Orte wurden namentlich erwähnt, die als Entstehungsort der Notizen Paris vermuten lassen: sein Wohnort »Bd. Montmorency« (S. 19) im 16. Arrondissement in Paris und die Métrostation »Sèvres-Lecourbe« (S. 27) am Bd. Garibaldi zwischen 7. und 15. Arrondissement.
Datierung
Auch wenn Handke etliche Einträge aus diesem Notizbuch in sein veröffentlichtes Journal Das Gewicht der Welt übernommen hat (DGW 14-22), wurde es von ihm noch nicht journalartig geführt. Es steht mit dem Folgenotizbuch (ÖLA SPH/LW/W9) am Übergang zwischen einem am Schreibprojekt orientierten Notieren, für das Datierungen nicht notwendig waren, und einem zweckfreien Mitschreiben von Bewusstseinseindrücken. In den Aufzeichnungen findet man nur die zwei Datumseinträge »21.11.1975« (S. 24) und »30.11.75« (S. 26), die restlichen Notizen sind undatiert. Die beiden Daten unterstreichen die Besonderheit der notierten Erlebnisse, sie wurden auch in Das Gewicht der Welt mit der Datierung übernommen. Sie kennzeichnen dementsprechend zweckfreie Notizen, die lauten: »Lust auf andere Orte und eine andre Zeit zu haben, überhaupt, wieder denken zu können, das empfinde ich fast als eine Art Gnade (nach dem 21.11.1975)« (S. 24; vgl. DGW 19) und »30.11.75 [/] Das Ich empfand ich heute abend als eine (von Natur) unzuverlässige Maschine zum In-Gang-Setzen der Welt: als ob gleichsam erst das Ich sich in Gang setzen muß \wie ein Kraftwerk/, damit die Welt sich beleuchtet \wird/ (\sich/ erleuchtet)« (S. 26; vgl. DGW 20).
Eine grobe zeitliche Zuordnung des Notizbuchs nahm Handke erst im Nachhinein vor, durch einen auf den Buchumschlag geklebten Papierstreifen mit der Aufschrift »Nov 75-Jan 76«. Im Journal Das Gewicht der Welt, das mit November 1975 beginnt, wurden die Notizen dieses Notizbuchs Monaten zugeteilt. Da die chronologische Reihenfolge der Notate für die Veröffentlichung aber etwas verändert wurde, kann diese zeitliche Zuordnung nur mit Vorbehalt als Datierungsrichtlinie für das Notizbuch herangezogen werden. Die unter »Dezember« (DGW 20ff.) gereihten Notizen vermischen sich zudem mit Einträgen aus dem vorhergehenden Notizbuch (ÖLA SPH/LW/W70). Unter »Jänner« (DGW 23 ff.) findet man im Journal keine Notate aus diesem Notizbuch.
Beschreibung der Notizen
Der Großteil der Notizen ist in deutscher Sprache geschrieben, einige Einträge – vor allem Zitate aus Lektüren oder Filmen französischer Autoren bzw. Regisseure wurden auch auf Französisch wiedergegeben (z.B: S. 7, 30, 46, 48, 50). Einzelne Wörter oder Satzteile notierte Handke in Stenografiekürzeln (z.B.: S. 5, 8-9, 13, 45-48, 51-52), was die Lesbarkeit des Einträge erschwert.
Die ersten beiden Drittel der Aufzeichnungen (S. 1-34) bestehen aus Notizen zu den zwei Schreibprojekten Die linkshändige Frau und dem Gedicht Das Ende des Flanierens sowie zu Augenblickswahrnehmungen und Lektüren; letztere wurden später in das Journal übernommen. Das Hauptinteresse der Notizen kreist aber um die Filmerzählung Die linkshändige Frau, der Handke das Notizbuch am vorderen Vorsatz (der Innenseite des Umschlags) zuordnete. Ab der Mitte des Notizbuchs sind die Einträge mit Zeichnungen (S. 32, 33, 38, 40-41, 54, 55) und kleinen Geschichten (S. 36-39, 53) seiner damals sechseinhalb Jahre alten Tochter Amina durchmischt. Das dritte Drittel des Notizbuchs (S. 42-52) besteht aus Notizen zu Filmen. Auf der letzten Seite notierte Handke die ersten drei Zeilen aus Paul Simons Song Duncan (S. 56) und zwei Adressen.
Lektüre
Im Notizbuch finden sich nur wenige nachweisbare Lektüren: Das Zitat »"Auf ihrem höchsten Gipfel wird die Poesie ganz äußerlich sein" (Goethe)« (S. 27) aus Maximen und Reflexionen, zeigt, dass Handke seine Goethe-Lektüre nach Falsche Bewegung weiter fortgesetzt hat. In einem in Die Zeit am 2. Jänner 1976 veröffentlichten Briefwechsel mit Dieter E. Zimmer weist Handke auf diesen von ihm gerade gelesenen Satz bei Goethe hin, der »wie eine freundschaftliche Erleuchtung einer Schreibhaltung [war], die auch mir für das, was ich schreibe, als die Herrlichkeit auf Erden vorschwebt«.
Weiters notierte er sich den Kommentar »Nach Kafka: Es ist auch eine Anstrengung auf ein niedriges Niveau herunterzukommen – was so nötig ist!« (S. 20) und eine Aussage (auf Französisch) von Lili Brik über den Selbstmord ihres Geliebten, des russischen Dichters Wladimir Majakowski (S. 29), wobei die Herkunft des Zitats nicht eruiert werden konnte. Eine Notiz, die bei Handke über die Jahre immer wieder auftaucht (z.B.: DGB 102f.), deren Quelle aber bislang unbekannt ist, findet man hier erstmals notiert: »das Bewußtsein der Toten rollt mit den Kieseln im Bach« (S. 17). Ein langes, eine ganze Notizbuchseite füllendes Lektürezitat Handkes, das ebenfalls noch keiner Quelle zugeordnet werden konnte, beinhaltet den Text, den die Frau in Die linkshändige Frau übersetzen soll: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis […]« (S. 7; DF 56ff.)
Filmnotizen
Den Übergang zu den Filmnotizen im letzten Drittel des Notizbuchs bildet eine Auflistung von Eckdaten zu Aminas Schikurs in »Morzine [/] St. Gervais/ Chamonix« von 8. bis 31. Jänner 1976 (S. 43), die Handke kurz vor ihrer Abreise Ende Dezember / Anfang Jänner notiert haben könnte. In einem Brief an Hermann Lenz vom 12. Februar 1976 erwähnt er, dass er im Jänner während der dreiwöchigen Abwesenheit der Tochter allein in Paris war und das Filmdrehbuch geschrieben hat (Handke / Lenz 2006, S. 94). Die Filmnotizen könnten somit Jänner 1976 im Kontext seiner Arbeit am Filmdrehbuch zu Die linkshändige Frau entstanden sein; sie wurden bis auf eine zu Jean-Luc Godard und François Truffaut (S. 44; vgl. DGW 22) nicht in Das Gewicht der Welt übernommen.
Die Notizen beschäftigen sich mit den beiden Filmen L’Histoire d’Adèle H. von Truffaut und Numéro Deux von Godard. Im ersten Teil der Filmnotizen vergleicht Handke die Filmästhetik der beiden französischen Regisseure der Nouvelle Vague (S. 42-45): »T: sieht, was man sieht [/] G: zeigt, was man sieht und wie man es sieht« (S. 42); »Godard: Erfahrung + Erwartung, [/] Truffaut: weder Erwartung noch Erfahrung« (S. 42); »Die Frau im Film Godards wird nie ohnmächtig, sie masturbiert (La poste!) Das Ohnmächtigwerden bei Truffaut« (S. 44; DGW 22) oder: Godards »Film aus Fetzen« im Gegensatz zu Truffauts »Film als Fetzen« (S. 47). Truffaut unterstellt er zudem »Wohlfeilheit« (S. 47). Im Zuge des Vergleichs erwähnte Handke auch Filme von anderen Regisseuren: »[Louis] Malle & [Claude] Lelouch: Filme aus Plastik, die glänzend vor sich hin verrotten« (S. 45) oder Jean Renoirs La Régle du jeu (S. 52).
Während sich die Seite 45 vorrangig auf Truffauts L’Histoire d’Adèle H. bezieht, zu dem er eine Aussage des Filmkritikers Helmut Färber notierte: »der Film existiert nicht (Helmut F.) [/] Existierende und nicht existierende Filme« (S. 45), folgen Handkes Aufzeichnungen der Seiten 46-53 den verschiedenen Szenen von Numéro Deux, springen aber in der Chronologie des Films. Es könnte sich dabei um eine Art Mitschrift handeln, da Handke auch Dialogteile notierte, dabei zwischen Deutsch und Französich wechselt und etliches mit Stenographiekürzeln festhält. Die Aufzeichnungen machen auch graphisch den Eindruck, als hätte Handke sie während der Kinovorstellung angefertigt: die Notizen sind schwer leserlich, großzügig ohne auf die Zeilenvorgabe zu achten über die Seiten geschrieben, während seine Notizen in den ersten zwei Drittel des Notizbuchs sehr gleichmäßig und gerade geschrieben die Seiten füllen.
Die beiden Filme und ihre Regisseure verglich Handke bereits in seinem Aufsatz »Mr. Curtiz lebt nicht mehr hier«, der am 27. Oktober 1975 in der Zeitschrift Spiegel erschienen war und 1980 im Sammelband Das Ende des Flanierens (DEF 83ff.) wiederabgedruckt wurde. Handke musste sich somit nach Erscheinen des Aufsatzes erneut mit den beiden Filmen beschäftigt haben, vermutlich für seine Arbeit an der Filmerzählung Die linkshändige Frau. (kp)
Werkbezüge
Tabellarische Daten
Titel, Datum und Ort
Die Linkshänderin [S. I]; Die linkshändige Frau [S. I]
Bd. Montmorency [Paris, S. 19]; Sèvres-Lecourbe [Métrostation in Paris, S. 27]
Materialart und Besitz
1 türkises Notizbuch, I, 56 Seiten unpag., I*; von Handke auf vorderen Umschlag geklebter Papierstreifen mit Datierung »Nov 75-Jan 76«
Nachweisbare Lektüren
- über Franz Kafka (S. 20)
- Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen (Zitat: S. 27)
- Lili Brik über Wladimir Majakowski (Zitat: S. 29)
- Unbekannte Quelle des Zitats: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis et pour ce que je deviendrai. J’attends qu’il me rendre forte, pas qu’il m’affaiblisse. […]« (S. 7)
- Unbekannte Quelle des Zitats: »das Bewußtsein der Toten rollt mit den Kieseln im Bach« (S. 17)
- Die unbekannte Geliebte (S. 31; evt. ist Vincente Minnellis Film Der unbekannte Geliebte gemeint)
Filme:
- Vergleich der Filmästhetik von Jean-Luc Godard und François Truffaut mit Szenennotizen zu den Filmen L'Histoire d'Adèle H. (Truffaut) und Numéro Deux (Godard) (S. 42-47; vgl. Peter Handkes Aufsatz: »Mr. Curtiz lebt nicht mehr hier«, in: Spiegel, 27.10.1975; auch in: DEF 83ff.)
- über Filme von Louis Malle und Claude Lelouch (S. 45)
- Erwähnung von Jean Renoir: La Régle du jeu im Vergleich zu Jean-Luc Godard: Numéro deux (S. 52)
Musik:
- Gustav Mahler, als Filmmusik (S. 45)
- Paul Simon: Duncan (S. 56)
Malerei:
- Barnett Newman (S. 4)
Ergänzende Bemerkungen
mehrere Kinderzeichnungen von Amina Handke: ein Boot und ein Fisch mit einer Sprechblase im Wasser (S. 32), Fische und eine Ente im Wasser mit Sprechblasen ohne Inhalt (S. 33); weitere kleinere Zeichnungen (S. 38, 40, 41, 54, 55)
- enthält Eintragungen fremder Hand (S. 12) und kleine Geschichten von Amina Handke (S. 36, 37, 38, 39, 53)
- Seite 35 ist leer
- viele Einträge in Stenografiekürzeln (z.B.: S. 5, 8, 9, 13, 45-48, 51, 52)
- ganze Passagen (v.a. Zitate) sind in französischer Sprache (z.B: S. 7, 30, 46, 48, 50)
- im Original wurden von Peter Handke vier Blätter bis auf einen schmalen Streifen herausgerissen, die für das Digitalisat nicht mitgescannt wurden; das Original umfasst somit genaugenommen 64 Seiten
Notizbücher 1972
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Taschenkalender 1972
Notizbuch, 344 Seiten, ohne Datum [??.??.1972 bis ??.??.1973] -
Die Unvernünftigen sterben aus
Notizbuch, 256 Seiten, ohne Datum [??.12.1972 bis ??.02.1973]
Notizbücher 1975
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Der Staat & der Tod
Notizbuch, 40 Seiten, ohne Datum [??.??.1975] -
Schulfrei; Erste Bilder
Notizbuch, 58 Seiten, ohne Datum [??.??.1975] -
Die linkshändige Frau
Notizbuch, 56 Seiten, ??.11.1975 bis ??.01.1976
Notizbücher 1976
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Die linkshändige Frau
Notizbuch, 88 Seiten, 17.01.1976 bis 22.02.1976 -
Eine Woche im März
Notizbuch, 92 Seiten, 05.03.1976 bis 15.03.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 170 Seiten, 15.03.1976 bis 16.04.1976 -
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Notizbuch, 96 Seiten, 16.04.1976 bis 08.05.1976 -
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Notizblock, 96 Seiten, 13.06.1976 bis 04.07.1976 -
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Notizblock, 82 Seiten, 21.07.1976 bis 06.09.1976 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 88 Seiten, 09.08.1976 bis 15.09.1976 -
Phantasien der Ziellosigkeit
Notizbuch, 178 Seiten, 16.09.1976 bis 03.11.1976 -
Phantasien der Ziellosigkeit; Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 100 Seiten, 12.11.1976 bis 10.01.1977 -
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Notizbuch, 90 Seiten [davon 22 beschrieben], 17.12.1976 bis 28.02.1977 -
Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 128 Seiten, 30.12.1976 bis ??.03.1977
Notizbücher 1977
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Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 190 Seiten, 24.05.1977 bis 14.10.1977 -
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Notizbuch, 280 Seiten, 14.10.1977 bis 23.12.1977
Notizbücher 1978
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Notizbuch, 176 Seiten, 08.01.1978 bis 24.04.1978 -
Die Zeit und die Räume
Notizbuch, 180 Seiten, 24.04.1978 bis 26.08.1978 -
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Notizbuch, [126 Seiten], 31.08.1978 bis 18.10.1978 -
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Notizbuch, 96 Seiten, 18.10.1978 bis 27.11.1978 -
Die Vorzeitformen
Notizbuch, 144 Seiten, 27.11.1978 bis 11.02.1979
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Das Zeitalter des Verschweigens; Die Wiederholung; Ins tiefe Österreich
Notizbuch, 118 Seiten, 12.02.1979 bis 24.04.1979 -
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Notizbuch, 138 Seiten, 26.04.1979 bis 08.07.1979 -
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Die Wiederholung; Kindergeschichte; Dramatisches Gedicht; Die Lehre der Ste Victoire; Über die Dörfer
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Slowenisch I
Notizheft, 80 Seiten, 19.11.[1979] bis 31.01.[1980]