Die linkshändige Frau

Notizbuch, 56 Seiten, ??.11.1975 bis ??.01.1976

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Dieses Notizbuch mit einem Umfang von 56 Seiten enthält einer von Peter Handke nachträglich am Buchumschlag vorgenommenen Datierung zufolge Aufzeichnungen aus dem Zeitraum zwischen November 1975 und Jänner 1976. Die meisten Notizen beschäftigten sich thematisch mit der Filmerzählung Die linkshändige Frau. Das Notizbuch wurde von Handke dementsprechend am vorderen Vorsatz (der Innenseite des Umschlags) dem Schreibprojekt zugeordnet, wobei er die erste Titelidee »Die Linkshänderin« (S. I) strich und durch den bekannten Titel ersetzte. Es ist die erste in öffentlichen Archiven vorhandene Quelle zu seiner Filmerzählung und enthält etliche Skizzen zu Figuren und vor allem zu zentralen Stellen des Plots wie etwa zum Wunsch der Frau, verlassen zu werden (S. 1, 28; DF 22), zum Besuch des Vaters (S. 1, 2; DF 88ff.), zur Erinnerung der Frau an die Ausstellung von Barnett Newman (S. 4; DF 106ff.), zum Aufsatz des Kindes über das schöne Leben (S. 9-10; DF 8ff.) oder zur Frau, die ihren Mann verfolgt und ihm dann einen Pullover kauft (S. 28; DF 108f.). Es kommen noch keine Figurennamen vor.

Die Notizen sind oftmals nur Stichwörter wie zum Beispiel: »Der Vater [/] Waldspaziergang, Abenddämmerung an einem Weiher« (S. 1) und »Der Vater kommt zu Besuch« (S. 2; vgl. DF 88), »Radio in der Küche, im Badezimmer« (S. 9; vgl. DF 70) oder »starkes Glockengebimmel an den Kassen des Warenhauses« (S. 16; vgl. DF 41). In anderen Notizen werden Dialogpassagen skizziert: »"Du hast ja deine Haare geschnitten?" – "Ja, aber schon vor 2 Wochen." – "Und hast du bemerkt, daß ich den Bart abrasiert habe." – "Ach ja, jetzt seh ich das erst." – "Ist das Sofa hier neu?" "Das letzte Mal war es doch noch ein anderes?" – "Nein, wie kommst du darauf, es ist das alte." (S. 16; vgl. DF 77) Manche Notizen waren vermutlich zuerst gar nicht für die Filmerzählung gedacht, wurden aber von Handke später eingearbeitet wie etwa der Eintrag: »Der Interviewer sagt zum Einsamen: "Erzählen Sie mir eine Geschichte von der Einsamkeit!" Der Befragte schweigt.« (S. 33; DF 44) Ein langes, eine ganze Notizbuchseite füllendes Lektürezitat Handkes, das bisher noch keiner Quelle zugeordnet werden konnte, beinhaltet den Text, den die Frau in der Filmerzählung übersetzen soll: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis […]« (S. 7; DF 56ff.)

Das Notizbuch enthält nur zwei Datierungen, weshalb eine genaue zeitliche Einordnung der Notizen nicht möglich ist. Die Einträge sind aber noch vor der Arbeit an der ersten Textfassung, dem zwischen 9. und 25. Jänner 1976 geschriebenen Filmdrehbuch, entstanden; sie wurden nach ihrer Einarbeitung in den Text mit rotem Kugelschreiber abgehakt.

Obwohl Die linkshändige Frau als Filmdrehbuch konzipiert wurde, kommen keine Details zu Kameraeinstellungen oder Schauplätzen vor. Die Notizen zu Filmen von Jean-Luc Godard, François Truffaut, Louis Malle, Claude Lelouch oder Jean Renoir zeigen aber eine intensive Beschäftigung mit Filmästhetik der französischen Nouvelle Vague. (kp)

Tabellarische Daten

Titel, Datum und Ort

Eingetragene Werktitel (laut Vorlage): 

Die Linkshänderin [S. I]; Die linkshändige Frau [S. I]

Beteiligte Personen:  Amina Handke
Entstehungsdatum (laut Vorlage):  Nov 75-Jan 76; 21.11.1975 [S. 24]; 30.11.75 [S. 26]
Datum normiert:  ??.11.1975 bis ??.01.1976
Entstehungsorte (laut Vorlage): 

Bd. Montmorency [Paris, S. 19]; Sèvres-Lecourbe [Métrostation in Paris, S. 27]

Materialart und Besitz

Besitz:  Deutsches Literaturarchiv Marbach
Art, Umfang, Anzahl: 

1 türkises Notizbuch, I, 56 Seiten unpag., I*; von Handke auf vorderen Umschlag geklebter Papierstreifen mit Datierung »Nov 75-Jan 76«

Format:  9,6 x 14,7 cm
Schreibstoff:  Kugelschreiber (blau, rot), Fineliner (schwarz), Bleistift

Nachweisbare Lektüren

  • über Franz Kafka (S. 20)
  • Johann Wolfgang von Goethe: Maximen und Reflexionen (Zitat: S. 27)
  • Lili Brik über Wladimir Majakowski (Zitat: S. 29)
  • Unbekannte Quelle des Zitats: »J’attends d’un homme qu’il m’aime pour ce que je suis et pour ce que je deviendrai. J’attends qu’il me rendre forte, pas qu’il m’affaiblisse. […]« (S. 7)
  • Unbekannte Quelle des Zitats: »das Bewußtsein der Toten rollt mit den Kieseln im Bach« (S. 17) 
  • Die unbekannte Geliebte (S. 31; evt. ist Vincente Minnellis Film Der unbekannte Geliebte gemeint)

Filme:

  • Vergleich der Filmästhetik von Jean-Luc Godard und François Truffaut mit Szenennotizen zu den Filmen L'Histoire d'Adèle H. (Truffaut) und Numéro Deux (Godard) (S. 42-47; vgl. Peter Handkes Aufsatz: »Mr. Curtiz lebt nicht mehr hier«, in: Spiegel, 27.10.1975; auch in: DEF 83ff.)
  • über Filme von Louis Malle und Claude Lelouch (S. 45)
  • Erwähnung von Jean Renoir: La Régle du jeu im Vergleich zu Jean-Luc Godard: Numéro deux (S. 52)

Musik:

  • Gustav Mahler, als Filmmusik (S. 45)
  • Paul Simon: Duncan (S. 56)

Malerei:

  • Barnett Newman (S. 4)

Ergänzende Bemerkungen

Illustrationen: 

mehrere Kinderzeichnungen von Amina Handke: ein Boot und ein Fisch  mit einer Sprechblase im Wasser (S. 32), Fische und eine Ente im Wasser mit Sprechblasen ohne Inhalt (S. 33); weitere kleinere Zeichnungen (S. 38, 40, 41, 54, 55)

Sprache:  Deutsch, Französisch
Bemerkungen: 

 

  • enthält Eintragungen fremder Hand (S. 12) und kleine Geschichten von Amina Handke (S. 36, 37, 38, 39, 53)
  • Seite 35 ist leer
  • viele Einträge in Stenografiekürzeln (z.B.: S. 5, 8, 9, 13, 45-48, 51, 52)
  • ganze Passagen (v.a. Zitate) sind in französischer Sprache (z.B: S. 7, 30, 46, 48, 50)
  • im Original wurden von Peter Handke vier Blätter bis auf einen schmalen Streifen herausgerissen, die für das Digitalisat nicht mitgescannt wurden; das Original umfasst somit genaugenommen 64 Seiten