Bücher aus der mittelalterlichen Universität Wien und ihrem Umfeld
zusammengestellt von Friedrich Simader, Wien, ab 2007

Vorwort
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Die Bibliothek der Paulusburse [1]
(Bursa Pauli - Bursa Haidenheim - Bursa doctoris gentium)

Paulus Wann aus Kemnat[2] in der Oberpfalz studierte seit 1441 an der Wiener Universität und lehrte später an der theologischen Fakultät. 1460 wurde er als Prediger nach Passau berufen, wo er 1477 auch eine Kanonikerstelle erhielt. Wann gab deshalb seine Lehrtätigkeit in Wien auf, stiftete aber im Jahr 1484 Stipendien für drei Studenten: Vorschlagsrecht für einen Stipendiaten hatte die Stadt Passau, die beiden anderen sollten aus der Verwandtschaft des Stifters ausgewählt werden. Im Jahr 1489 wurde ein Haus im Bereich der heutigen Bäckerstraße Nr. 18 gekauft, wo die Burse spätestens 1491 eingerichtet war. Eine Stiftung des Wiener Neustädter Mediziners Georg Taler erweiterte die Zahl der Stipendien 1513 auf fünf. 1519 wechselte man in ein im Bereich von Bäckerstraße Nr. 20 gelegenes Haus, in dem sich bisher die Haidenheim-Burse befunden hatte, deren Name nun auf den neuen Inhaber überging.

Paulus Wann besaß eine relativ große, wohl weit über 60 Bücher umfassende Bibliothek[3], denn allein um die 20 Stücke aus seinem Besitz, die er verschiedenen Klöstern in Bayern und Österreich vermachte, sind heute noch nachweisbar. Im Stiftungsbrief[4] für die Burse, ausgestellt in Passau am 30. Jänner 1484, sind rund 40 Bücher aufgelistet. Es muß danach aber eine Erweiterung der Stiftung stattgefunden zu haben, da mit Cod. 4003, 4717, 4843 und 4851 weitere Bücher Wanns vorhanden sind, die nicht im Stiftungsbrief angeführt und dennoch in einem jüngeren Verzeichnis auffindbar sind (siehe unten). Von den im Stiftungsbrief aufgelisteten Bänden hat sich mit Cod. 4426 zumindest eine Handschrift erhalten.

Der Gründungsbestand vergrößerte sich in der Folge rasch - im Jahr 1527 besaß die Burse, wie ein entsprechender Katalog zeigt, bereits 326 Bücher. Das Verzeichnis (Wien, Universitätsarchiv, Ladula 4, n. 20)[5] ist in zwei Fassungen überliefert. Fassung A enthält, von späterer Hand durchnumeriert, 216 Einträge, davon am Schluß 3 Nachträge aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Fassung B ist von gleicher Hand wie A geschrieben und offenbar die Reinschrift von A, da auch gleichzeitige Nachträge am Rand nun berücksichtigt sind; aufgelistet sind hier insgesamt 326 Bücher. Der Katalog scheint zum Teil auf älteren Listen zu beruhen, denn bei dem an erster Stelle genannten Band der Glossa ordinaria ist vermerkt, daß er bei dem Stadtbrand von 1525 verloren gegangen sei. Das erklärt auch die Ordnung der Bücher nach zuerst inhaltlichen, dann - allerdings nicht ganz konsequent - nach äußeren Kriterien wie Format und Beschreibstoff. Bei Handschriften (siehe ab Nr. 285) werden immer wieder Signaturen mit einem Ordnungsbuchstaben und lateinischen oder arabischen Zahlen genannt, was auch darauf hindeutet, daß schon um oder vor 1500 ein Katalog erstellt worden ist. Auf einigen Handschriften haben sich entsprechende Schilder aus Pergament oder Papier auf dem Vorderdeckel erhalten; sie sind mit roter Farbe beschriftet, die heute ohne technische Hilfsmittel kaum mehr lesbar ist.

Diese Schilder sind das einzige äußere Kennzeichen für die Zugehörigkeit zur Bibliothek des Studentenhauses. Auffallend ist, daß in den ersten Jahrzehnten trotz mehrmaliger Inventarisierung offenbar keine Besitzvermerke in die Bücher eingetragen wurden. Das mag zumindest zum Teil Ursache dafür sein, daß sich nur einige wenige Stücke einwandfrei zuordnen lassen.
Auch der bedeutendste Zuwachs des Bestandes ist nur anhand von Quellen nachzuvollziehen. In der Burse waren bis zum Jahr 1513 die beiden Stipendiaten der um 1500 aktivierten Stiftung des Johannes Ramung mitsamt dessen Bibliothek eingemietet[6]. Daraus ergaben sich nicht näher bezeichnete Streitigkeiten, die am 15. Juni 1513 in einem Vertrag zwischen den Superintendenten beider Stiftungen - Dr. med. Wilhelm Puelinger, Dr. iur. Ulrich Kaufman und der Lic. sacrae paginae Hanns Hegkman für die Paulusburse sowie Mag. Wolfgang Zoyß für die Bursa Ramung - beigelegt wurden[7]. Kernstück der Übereinkunft ist die fast vollständige Übergabe der im Besitz der Bursa Ramung befindlichen Bücher an die Paulusburse: '... Erstlich das die hundert Gulden reinisch so Doctor Bricci als Superintendent Hannses Raming sambt allen Puechern etwan Ramings gewesen oder in seinem Namen darzu erkaufft Doctor Pauln Wann Superintendentn ubergeantwert bey der Stifft Doctor Pauln Wann und für Nutz derselbs Stifft zu ewigen Zeitten beleiben sollen ausgenemen summam Alexandri de Ales chlosam ordinariam und Nicolaum de Lira über die Bibl die yetz bemelten Puecher sollen Hannsen Raming Stifft nachvolgn ...'. Den Stipendiaten der Bursa Ramung wird im Gegenzug die freie Wahl ihrer Unterkunft und ihre Unabhängigkeit von den Superintendenten der Paulusburse zugesichert. Aus dem Vergleich des Katalogs von 1527 mit der Liste im Stiftungsbrief des Johannes Ramung ergibt sich, daß mindestens um die hundert Bücher, der Großteil davon Inkunabeln, an die Paulusburse gingen. Bei der Auswahl nahm man vielleicht Rücksicht auf allfällige Dubletten, denn die jeweils vierbändigen Ausgaben der Summa von Alexander de Hales, der Glossa ordinaria und des Bibelkommentars von Nikolaus de Lyra, die der Bursa Ramung verblieben, waren in der Paulusburse bereits vorhanden.
Zwei Handschriften aus der Gründungszeit sind dafür 1527 nicht mehr nachweisbar: Allegaciones domini Lapi advocati Florentini et summam collacionum Zalensis[8] sowie ein Kopertband mit theologischen Abhandlungen (Duos libros flavei coloris cum posicionibus theologicalibus et sermonibus ad clerum).[9] Erst nach 1527 kam Ink. 11.D.16 mit dem Rosarium sermonum von Bernardinus de Busti in die Burse.

Eine weitere kleine Bücherliste der Burse aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts findet sich auf einem beidseitig beschriebenen Blatt Papier, das dem Katalog von 1527 beiliegt (Wien, Universitätsarchiv, Ladula 4, n. 20). Darauf wurde zuerst nur der Inhalt vermerkt, dann wurden das Format und die Beschaffenheit des Einbands nachgetragen. Die meisten der genannten Bücher waren in Halblederbände über Holzdeckeln gebunden ('... in Brettel halb überzogen'); vereinzelt ist auch der schlechte Zustand ungebundener Bände vermerkt ('... ohn Brettel schlecht'). Insgesamt sind rund zwei Dutzend Bücher genannt, die im Katalog des Jahres 1527 noch nicht angeführt sind.