Die Faltgloben des Joseph Franz Xaver Kaiser.
Autor: Jan Mokre
Herstellung und Verbreitung von Globen unterlagen im 19. Jahrhundert bedeutenden Veränderungen. Kommerzielle Serienproduktion durch größere Unternehmen und technische Innovationen führten dazu, dass sich Globen von handwerklich gefertigten Objekten zu standardisierten, industriellen Massenprodukten entwickelten.
Da die traditionelle Globenfertigung aufgrund ihrer Komplexität kostenintensiv war, wurden ab dem frühen 19. Jahrhundert mehrere neue Globustypen entwickelt und erzeugt, die – unter Verzicht auf die aufwändige Kugelherstellung – als Modelle der Erde und der scheinbaren Himmelskugel dienten. Insbesondere für die Unterrichtung von Kindern und Jugendlichen auf der Grundlage moderner Lehrmethoden, die Erkenntnisgewinnung durch Anschauung und entdeckendes Lernen beförderten, wurden preiswerte Materialien für den Geografieunterricht benötigt. Bei diesen neuen Globustypen handelte es sich um 1) aus Kartonsegmenten zusammensetzbare Globen, 2) Puzzle-Globen, 3) Ballongloben, 4) aufspannbare Globen und 5) Faltgloben. Diese einfachen, globenartigen Lehrmittel wurden jeweils mit einer erklärenden Broschüre verkauft. Der Lernprozess erfolgte durch die Kombination der Lektüre (beziehungsweise dem Vortrag) des Textes und der Beschäftigung mit den Modellen.
Im Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek sind mehrere dieser ungewöhnlichen Objekte ausgestellt, unter anderem zwei sogenannte Faltgloben. Diese bestehen aus jeweils sechs, aus schwerem Papier beziehungsweise dünnem, biegsamem Karton gefertigten, mit bedrucktem Papier (dem Kartenbild) beklebten sphärischen Zweiecken. Mit Hilfe von an dünnen Fäden befestigten rohrförmigen Ösen können sie gestaucht und gebogen werden, so dass ein entfernt an eine Kugel erinnernder Körper entsteht.
Ab den 1820er Jahren bis zur Mitte des Jahrhunderts wurden derartige Objekte gleichzeitig in Amsterdam, Den Haag, Graz, Karlsruhe, London, Madrid, Mailand, Moskau, Nürnberg, Paris, St. Petersburg, Stuttgart und Wien hergestellt.
Die beiden im Globenmuseum präsentierten Faltgloben stammen von dem Grazer Buchbinder, Lithographen und Verleger, Joseph Franz Xaver Kaiser (1786–1859)1, von dem in diesem Forum bereits einmal berichtet wurde.2
Kaisers Druckerzeugnisse wurden in Graz von ihm selbst vertrieben, darüber hinaus waren sie „in allen Buch- und Kunsthandlungen der ganzen österreichischen Monarchie zu haben“.3
Das Kartenbild der beiden Faltgloben ist mittels Lithographie gedruckt, einer zum Zeitpunkt der Herstellung noch jungen, innovativen und gegenüber den bisher in der Globenfertigung angewendeten Reproduktionsverfahren wesentlich preisgünstigeren Methode.
Joseph Franz Kaiser nutzte zwischen 1824 und 1858 vor allem Zeitungsinserate, um seine Produkte überregional zu bewerben. Da die Faltgloben nicht datiert sind, können diese Jahresangaben als Zeitraum der Herstellung angenommen werden. Zumindest beim Erdglobus lässt sich durch eine Veränderung des Kartenbildes eine zweite Auflage (nach 1840) belegen.
Den Erdglobus bewarb Kaiser unter anderem mit folgendem Text:
„Derselbe unterscheidet sich vortheilhaft durch Deutlichkeit, Richtigkeit und Reinheit der Schrift, wie nicht minder durch Wohlfeilheit, vor allen früher bestehenden Globen; überdieß ist solcher den theuren unzerlegbaren größeren Erdgloben weit vorzuziehen; welch leztere nicht selten durch Abspringung der Pappe, oder durch andere Unfälle der Unbrauchbarkeit unterliegen.“4
Das mittels Lithographie gedruckte Kartenbild des Erdglobus5 ist sehr einfach gestaltet. Der Nullmeridian verläuft durch die Insel Ferro; Äquator, Ekliptik, Wende- und Polarkreise sowie Koluren sind eingezeichnet. Die Gewässer und Siedlungen der Landmassen sind erkennbar; die Terraindarstellung ist rudimentär und willkürlich. Die Beschriftung erfolgte in deutscher Sprache. Von Hand aufgetragenes Grenzkolorit dient zur Kennzeichnung der Umrisslinien der Kontinente. Südlich von Australien und Neuseeland ist zwischen dem Polarkreis und dem Südpol eine Landmasse eingezeichnet und mit „Antarctic Contin[ent]. 1840“ beschriftet. Dies setzt die Kenntnis von der United States Exploring Expedition (1838 bis 1842) voraus. Im Zuge dieser auch nach ihrem Kommandeur, Leutnant Charles Wilkes (1798–1877), benannten Expedition war die Antarktis zwar nicht „entdeckt“ worden – englische und amerikanische Robbenfänger waren bereits in den 1820er Jahren bis zur antarktischen Halbinsel vorgestoßen –, doch mit der Vermessung eines 1.500 Meilen langen Küstenstreifens hatte Wilkes als Erster die kontinentalen Proportionen des Landes im Süden ermittelt.
In der Wiener Zeitung wurde bereits im August 1840 und in der Grazer Zeitung im Januar 18416 von einem antarktischen Kontinent berichtet und 1841 erschien in einem im Geographischen Institut in Weimar veröffentlichten Atlas die erste Karte mit der Einzeichnung einer südpolaren Landmasse.7 Die vorliegende Ausgabe des Faltglobus von Kaiser ist daher jedenfalls nach 1840 gedruckt worden.
Der Himmelsglobus8 wurde mittels Zweifarben-Lithographie vervielfältigt (Beschriftungen, Sternpositionen, Milchstraße und astronomische Kreise: schwarz, Umrisslinien der Sternbilder: rot).
„Man findet auf dieser Abbildung nicht nur die wichtigsten Linien und Punkte, welche zur Bestimmung der Lage der Himmelskörper dienen, sondern auch die 100 Sternbilder, in welche die am Himmelsgewölbe befindlichen Sterne gebracht sind.“9
Das Kartenbild basiert auf dem äquatorialen Koordinatensystem. Die Himmelskreise, Äquator, Ekliptik, Koluren, Wende- und Polarkreise, sind wiedergegeben, die Sternbilder10 wurden (etwas ungelenk) mittels Umrisslinien dargestellt. 18 Sterne erster Größe sind eingetragen; eine Legende der scheinbaren Sterngrößen (fünf Kategorien) sowie „Nebel-Fleke“ [sic] vervollständigt das Kartenbild.
Sowohl der Erdglobus, als auch der Himmelsglobus verfügen jeweils über ein gedrucktes Begleitheft.11 Dabei handelt es sich nicht um Gebrauchsanweisungen, sondern um einführende Texte in die Geografie beziehungsweise Astronomie, welche die pädagogischen Aspekte dieser einfachen Lehr- und Anschauungsmittel betonen und ihre Verwendung unterstützen sollten. Die Faltgloben und die erläuternden Begleitpublikationen befinden sich jeweils in einer bedruckten Hülle (Schuber) aus Karton.
Das Verfahren, die flachen Karton-Segmente zu einem kugelähnlichen Körper zu formen, wird in den Begleitheften folgendermaßen erläutert:
„Die obere und untere Kapsel um die Schnüre wird bis an den Knopf geschoben, die sechs Blätter dann auseinander in einem Kreise herumgestellt, und nach diesem dieselbe Kapsel wieder herunter gezogen, die andere Kapsel wird während dieses Verfahrens nur etwas weniges auch weggezogen, dann wieder hinan geschoben, und so werden sich diese sechs Kugel-Segmente in die Rundung aneinander fügen. Mehrere solche Blätter würden freilich eine einer Kugel sich mehr nähernde Gestalt hervorbringen, aber auch dadurch der Gegenstand schon zu viel combinirt erscheinen, und die Hauptabsicht des Gebrauches darum doch nicht viel mehr gewinnen.“12
In den bereits erwähnten Zeitungsinseraten adressierte der Hersteller seine Faltgloben als „nothwendiges unentbehrliches Mittel zur Selbstbelehrung über Kenntniß unserer Weltplaneten“ sowie „zum bequemen Gebrauche, nebst einer kurzen Beschreibung, die Gestirne kennen zu lernen“ einerseits an die Familien, und andererseits an „die Herren Schulvorsteher und Lehrer“ „zum bequemen Gebrauche beym Unterrichte“.13
Die Verwendung von Modellen in Schulen war Anfang des 19. Jahrhunderts keinesfalls üblich. Die im naturwissenschaftlichen Unterricht angewandten Lehrverfahren entbehrten bis dahin jeder Anschaulichkeit; das Verständnis von Naturzusammenhängen sollte allein vom Wort her aufgebaut werden. Nur langsam setzte sich die Auffassung durch, dass Veranschaulichung durch Skizzen, Abbildungen und „künstliche Apparate“ ein besseres Verständnis für naturkundliche Erscheinungen und Zusammenhänge beförderte. Modelle, wie zum Beispiel die Faltgloben, spielten – neben Bilderbüchern (Anschauungsbüchern), Schullesebüchern und enzyklopädischen Handbüchern – bei dieser neuen Lehr- und Lernmethode eine wesentliche Rolle.
Die Verwendung didaktischer Medien im Schulunterricht, die 1657 mit dem Orbis sensualium pictus von Johann Amos Comenius begann und die über John Locke, Jean-Jacques Rousseau, August Hermann Francke, Friedrich Eberhard von Rochow, Johann Bernhard Basedow, Johann Heinrich Pestalozzi sowie Johann Friedrich Herbart weiterverfolgt werden kann, fand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit Adolph Diesterweg, einem Vorläufer der Reformpädagogik, ihren Höhepunkt. Als Anhänger Pestalozzis vertrat Diesterweg Anschauung und Selbsttätigkeit als didaktische Grundsätze und propagierte den konsequenten Einsatz von Lehr- und Lernmitteln. Dem Einfluss seiner theoretischen Schriften zur Pädagogik ist es zu verdanken, dass Anschaulichkeit zum methodischen Grundprinzip des neuen Schulunterrichts wurde, insbesondere in den naturkundlichen Fächern.
In Österreich fand diese Entwicklung zum Anschauungsunterricht ihren offiziellen Niederschlag 1870 in der „Schul- und Unterrichtsordnung für die allgemeinen Volksschulen“. Dort wurde im Abschnitt X (Von den Lehr- und Lernmitteln) im § 70 bestimmt: „Jede Schule soll mit den erforderlichen Lehr- und Lernmitteln vollständig versehen sein.“ und im § 71 wurde speziell für den Geografieunterricht festgelegt, dass in jeder (Volks-)Schule ein Globus sowie mehrere Wandkarten vorhanden sein müssen.14
Über den Autor: Herr Mag. Jan Mokre ist Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Kaiser, Josef Franz Xaver, in: Österreichisches Biographisches Lexikon, Band 3 (Wien, 1994) S. 182-183.
2 Jan Mokre: Eine außergewöhnliche Karte der Steiermark aus dem Jahr 1832. Forschungsblog der ÖNB, 12.01.2024; https://www.onb.ac.at/mehr/blogs/detail/eine-aussergewoehnliche-karte-der-steiermark-aus-dem-jahr-1832.
3 Wiener Allgemeine Theaterzeitung, Conversationsblatt Nr. 158, 14. Juli 1854, S. 660.
4 Wiener Zeitung, 27. Juli 1824, S. 122.
5 [Erdglobus] (Graz, J. F. Kaiser, o.J. [gedruckt 1824–1858, unser Exemplar nach 1840]), Lithographie, von Hand koloriert, Durchmesser: ungefähr 13 cm. Österreichische Nationalbibliothek, Globenmuseum, Signatur: Gl. 379.
6 Wiener Zeitung, 7. August 1840, S. 1510: „Ueber die Entdeckung des antarktischen Continents“; Wiener Zeitung, 28. August 1840, S. 1652: „Bestätigung der Existenz eines großen antarctischen Continents“; Grätzer Zeitung, 12. Jänner 1841, ohne Paginierung, [S. 3]: „Leutnant Wilkes stellt als Resultat seiner Reise folgende Behauptungen auf: 1. Ein Land (welches er Antarctic Continent nennt) muss sich 70 Grad von O[st]. nach W[est]. ausdehnen.“
7 Vgl. William Herbert Hobbs: The Discovery of Wilkes Land, Antarctica, in: Proceedings of the American Philosophical Society 82 (1940) S. 561-582, bes. S. 566-567, dort: „Südlicher Continent / Wilkes Land“.
8 [Himmelsglobus] (Graz, J. F. Kaiser, o.J. [gedruckt 1824–1858]), Lithographie, schwarz und rot gedruckt, Durchmesser: ungefähr 13 cm. Österreichische Nationalbibliothek, Globenmuseum, Signatur: Gl. 201.
9 Künstliche Mechanische Darstellung des gestirnten Himmels. Durch Zusammensetzung in einer Kugel ähnliche Gestalt, zum bequemen Gebrauche die Gestirne kennen zu lernen (Graz, J. F. Kaiser, o.J. [1824–1858]); 10 Seiten; Österreichische Nationalbibliothek, Globenmuseum, Signatur: Gl. 201, Begleitheft, S. 1; und Wiener Zeitung, 30. Juni 1824, S. 1042.
10 Im Begleitheft (Anm. 9) sowie in Zeitungsannoncen (Anm. 9) werden 100 Sternbilder angeführt. Wawrik zählte 1994 nur 98 Konstellationen; Franz Wawrik und Helga Hühnel: Das Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, in Der Globusfreund 42 (1994) S. 3-188, bes. S. 104-105.
11 Umschlagtitel: Mechanischer Welt Globus zum Gebrauche des kleinen Geographen. Innentitel: Der künstliche Globus (Graz, J. F. Kaiser, o. J. [1824–1858]), 11 Seiten; Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung, Signatur: 834.526-B.Kar und Künstliche Mechanische Darstellung des gestirnten Himmels (Anm. 9).
12 Mechanischer Welt Globus zum Gebrauche des kleinen Geographen (Anm. 11), S. 11, und Künstliche Mechanische Darstellung des gestirnten Himmels (Anm. 9), S. 10.
13 Wiener Zeitung, 27. Juli 1824, S. 122 und Wiener Zeitung, 25. Mai 1830, S. 834.
14 Verordnung des Ministers für Kultus und Unterricht vom 20. August 1870 (…) womit eine Schul- und Unterrichtsordnung für die allgemeinen Volksschulen erlassen wird (= R.G.Bl. XLII, Stück, Nr. 105), Abschnitt X, § 70 und § 71. Die 1872 in Preußen erlassenen Bestimmungen enthalten im Abschnitt 9 (Die unentbehrlichen Lehrmittel) eine dem § 71 entsprechende Formulierung; Allgemeine Bestimmungen des Königl. Preuß. Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten vom 15. October 1872 betreffend des Volksschul-, Präparanden- und Seminarwesen. In: Centralblatt für die gesammte Unterrichts-Verwaltung in Preußen No. 10, Berlin, den 31. October 1872, S. 585-608, S. 587.
Johannes Dörflinger: Printed Austrian Globes (18th to early 20th centuries), in: Der Globusfreund 35-37 (1987) S. 191-210, bes. S. 194 und 201
Klaus Wolf Döring: Lehr- und Lernmittel. Zur Geschichte und Theorie unter besonderer Berücksichtigung der Arbeitsmittel (Weinheim, Berlin, Basel, 1969)
Siglinde Hohenstein: Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) – bewundert, beneidet, umstritten. Übersetzer mit Verdiensten, Dichter ohne Talent, in Weimar kluger Verwalter der fürstlichen Privatschatulle, erfolgreicher Herausgeber und Verleger, Freund Goethes, ein Kapitalist und Philanthrop der Aufklärung (Berlin u.a., 1989)
G[eorg] Juritsch: Die Verwendung der Anschauungsmittel beim geographischen Unterrichte. Seperatabdruck aus der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien (Wien, 1900)
Katalog der Ausstellung von alten Globen aus fünf österreichischen Privatsammlungen (Wien, 1977) (= Der Globusfreund 24) S. 28
Jan Mokre: Le développement de nouveaux types de globes terrestres au XIXe et au début du XXe siècle, in: Cartes & Géomatique: Revue du Comité français de cartographie (CFC) 243/244 (Mars/Juin 2021) S. 157-169
Johann Papouschek: Die geographischen Lehrmittel und ihre Anwendung beim Unterrichte (Wien, 1885)
Werner Schöler: Geschichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts im 17. bis 19. Jahrhundert (Berlin, 1970)
Hartmut Schröder: Lehr- und Lernmittel in historischer Perspektive. Erscheinungs- und Darstellungsformen anhand des Bildbestands der Pictura Paedagogica Online (Bad Heilbrun, 2008)
Richard Trampler: Der geographische Anschauungsunterricht und das geographische Schulcabinet, in: Einundzwanzigster Jahresbericht der k.k. zweiten Staatsrealschule im II. Gemeindebezirke in Wien (Wien, 1896) S. 3-29
Hans Trunk: Die Anschaulichkeit des Geographischen Unterrichtes. Ein Beitrag zur Methodik dieses Gegenstandes, 4. gänzlich umgearbeitete Auflage (Wien und Leipzig, 1902)
Heide Wohlschläger: Die Globensammlung Rudolf Schmidt, in: Der Globusfreund. Wissenschaftliche Zeitschrift für Globen- und Instrumentenkunde 42 (1994) S. 189-362, bes. S. 235-236
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