Die genaue Untersuchung einer repräsentativen Wandkarte führt zu unerwarteten Details in Bezug auf ihre Gestaltung und Anfertigung.
Autor: Jan Mokre
Einem Akt aus dem Archiv der Fideikommissbibliothek (FKB) des Hauses Habsburg–Lothringen1 in Wien ist zu entnehmen, dass der Buchbinder, Lithograph und Verleger Joseph Franz Kaiser 1833 eine „ganz große“ Landkarte für Seine Majestät Kaiser Franz I. nach Wien geschickt hatte.2 Obwohl bedauerlicherweise nicht genauer beschrieben, handelt es sich dabei sehr wahrscheinlich um die 1832 datierte "Neueste Special Karte des Herzogthums Steyermark sammt Umgebung".3 Die FKB wurde 1921 in ihrer historischen Aufstellung als „Porträtsammlung“ von der Nationalbibliothek4 übernommen. Die Karte befindet sich aufgrund der Abgabe der kartographischen Objekte der Porträtsammlung an die Kartensammlung in den 1930er Jahren heute in dieser Spezialsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.5
Der in Graz geborene gelernte Buchbinder Joseph Franz Xaver Kaiser (1786–1859)6 übernahm 1810 eine Buchbinderwerkstatt in Graz und gründete zusätzlich 1821 eine lithographische Anstalt7 (die erste in Österreich außerhalb Wiens), welche sich erfolgreich entwickelte. In den 1840er Jahren waren dort 38 Personen an fünf Pressen beschäftigt.8 Die Produktion umfasste unterschiedliche lithographische Druckerzeugnisse – neben Kalendern, Ansichten von Städten, Märkten und Schlössern in der Steiermark, Porträts, Notenblättern, Kostümbildern, Tabellen, Visitenkarten und Spielkarten auch Landkarten, Stadtpläne und Seekarten sowie, als ungewöhnlichen, neuen Globustyp, sogenannte Faltgloben9. Es gibt zumindest eine zeitgenössische Quelle, die Kaiser in Bezug auf den lithographischen Druck als Schüler des Wiener Pioniers der Lithographie, Adolf Friedrich Kunike (1777–1838)10, ausweist.11
Die "Neueste Special Karte des Herzogthums Steyermark sammt Umgebung" weist ein Format 154,5 x 210 cm auf. Das Papier ist auf Leinen aufgezogen, die Ränder sind mit grüner Seide eingefasst worden. Am oberen und unteren Kartenrand wurden zwei schwarz politierte Holzstäbe mit einem Durchmesser von 4,5 cm montiert, an deren Enden sich etwas größere vergoldete Holzkugeln befinden; am oberen Stab wurde eine Kordel zum Aufhängen der Wandkarte befestigt.
Das Kartenbild umfasst ein Gebiet, von (auf Städte bezogen) links oben: Ried im Innkreis, rechts oben: Wien, links unten (wegen der dort wiedergegebenen Kartenkartusche nicht sichtbar, jedoch aufgrund des Kartenausschnittes feststellbar) Udine, rechts unten: Agram (Zagreb). Das Kronland Herzogtum Steiermark12 ist farblich hervorgehoben.
Links unten befindet sich die Kartenkartusche und die Kartenlegende mit Symbolen für Kreisstädte, Städte, Märkte, Dörfer mit Pfarre, Dörfer ohne Pfarre, Dekanate, Schlösser, Ruinen, Chausseen, Landwege, Fußwege, Landes- und Kreisgrenzen sowie Poststationen. Die „Gebirgshöhen“ wurden in Klaftern, für den Judenburger Kreis in Fuß, angegeben. Eine Maßstabsleiste gibt das beabsichtigte Verjüngungsverhältnis, 1 Zoll zu 3000 Klafter, an – das entspricht einem numerischen Maßstab von 1 : 216 000.
Um die rechteckige Karte herum befinden sich sechzig gedruckte Ansichten von Örtlichkeiten der Steiermark.
Die Karte ist mit mehreren aus schwarzen Linien sowie mit aus aufgeklebten Goldpapier-Linien gebildeten Rahmen unterteilt.
Bei näherer Betrachtung dieser attraktiven Wandkarte im Hochformat offenbaren sich einige ungewöhnliche Aspekte dieses kartographischen Objektes. So sind das Kartenbild des Herzogtums Steiermark und die Veduten mittels lithographischem Druck hergestellt und auf das Trägerpapier aufgeklebt worden, während das die Steiermark umgebende Gebiet mit der Feder gezeichnet und das Terrain dieses Gebietes mit dem Pinsel laviert dargestellt wurden. Die Kartenkartusche und die Kartenlegende erweisen sich ebenfalls als von Hand geschrieben.
Das Kartenbild der Steiermark wird aus fünf Elementen gebildet. Diese entsprechen der von Joseph Freiherr Gall von Gallenstein13 entworfenen, von Joseph Franz Kaiser gedruckten und herausgegebenen "Neuesten Special Karte des Herzogthums Steyermark".14 Dieses Kartenwerk besteht aus fünf, jeweils mit einem separaten Titel versehenen Inselkarten der Landkreise.15 Diese Kartenbilder wurden ausgeschnitten, zu einer Karte des Herzogtums zusammengefügt und auf das Trägerpapier der Wandkarte aufgeklebt.
Die aus den fünf Kreiskarten bestehende "Neueste Special Karte des Herzogthums Steyermark" wurde bei Joseph Franz Kaiser in mehreren Auflagen gedruckt und herausgegeben. Einem von Kaiser selbst veröffentlichten Zeitungsinserat zufolge erschien die erste Auflage 1829 und die fünfte 1840. Die Zählung der Auflagen – nach den Angaben von Kaiser selbst, in zeitgenössischen Quellen und in der Sekundärliteratur – sind jedoch widersprüchlich.16 Dies ist in Bezug auf unser Thema nicht relevant, da Kaiser für die von ihm gefertigte und mit 1833 datierte Wandkarte zweifelsfrei die Ausgabe von 1832 (lithographischer Vierfarben-Druck; Geländedarstellung mittels Schraffen und Schummerung) verwendet hatte.17
Die zeitgenössische "Österreichische National-Encyklopädie" schrieb, dass die Neueste "Special Karte des Herzogthums Steyermark" auf den Karten des sogenannten "Atlas von Innerösterreich" von Joseph Carl Kindermann (1744–1801)18 beruhen würde und daher [nur] als eine neu bearbeitete und verbesserte Auflage derselben anzusehen wäre.19 Dies ist einerseits nachvollziehbar, da zwischen dem Erscheinen der Kindermann-Karten und dem der "Neuesten Special Karte" keine aktuelleren Vermessungsergebnisse veröffentlicht worden waren. Gall von Gallenstein, der selbst keine topographischen Aufnahmen durchgeführt hatte, musste sich auf bereits vorhandenes Kartenmaterial beziehen. Andererseits sind doch markante Differenzen zwischen diesen beiden Kartenwerken feststellbar. Der Maßstab der Kreiskarten von Gall ist etwas größer und die Terraindarstellung gelungener, der Realität wesentlich näher. Der bedeutendste Unterschied besteht jedoch in der gewählten Reproduktionstechnik: Während die Karten von Kindermann in Kupferstich vervielfältigt wurden, reproduzierte Joseph Franz Kaiser die Karten von Gall in lithographischem Mehrfarbendruck, also in einem für die damalige Zeit sehr modernen Verfahren.20
Die zur Gestaltung der Wandkarte verwendeten, das Kartenbild umrahmenden sechzig topographischen Ansichten, stammen aus dem von Joseph Franz Kaiser gedruckten und herausgegebenen Werk "Lithographirte Ansichten der Steyermärkischen Staedte, Maerkte und Schloesser …" (Graz, o.J. [1825–1835])21, das auch als "Alte Kaiser‘sche Suite" bekannt ist. Die Veduten wurden an ihrem inneren Rand ausgeschnitten und gemeinsam mit den erläuternden Beschriftungen auf das Trägerpapier geklebt. Sie sind anschließend aufwändig von Hand koloriert worden.
Über den Autor: Herr Mag. Jan Mokre ist Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums.
1 Im Folgenden FKB genannt.
2 Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Archiv der FKB: FKBA 17119.
3 Neueste Special Karte des Herzogthums Steyermark sammt Umgebung. Ehrfurchtsvoll dem Hochgebornen Herrn Herrn Mathias Constantin Grafen von Wickenburg k.k. Gubernial vice Praesidenten in Gratz dedicirt vom Joseph Franz Kaiser Inhaber einer lithograph. Anstalt. 1832.
4 Ab 1945: Österreichische Nationalbibliothek. Im Folgenden ÖNB genannt.
5 Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung: Signatur Rolle 102.518. In der FKB war dieser Karte die Signatur 3628 zugeordnet worden. Siehe: [Moritz Alois Becker]: Die Sammlungen der Vereinten Familien- und Privatbibliothek Sr. M. des Kaisers, Dritten Bandes erste Abtheilung (Wien, 1882) 72. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die Karte ursprünglich (um 1833) eine andere Signatur trug und die jetzt aufscheinende später (zwischen 1875 und 1878) vergeben wurde.
6 Kaiser, Josef Franz Xaver, in: Österreichisches Biographisches Lexikon, Band 3 (Wien, 1994) 182-183.
7 Anton Leopold Schuller: Joseph Franz Kaisers „Lithographierte Ansichten der Steyermärkischen Staedte, Maerkte und Schloesser“ Graz 1824–1833 (Graz, 1982), darin, S. 7-12, das Kapitel „Joseph Franz Kaiser und seine Lithographische Anstalt“, bes. S. 10. Schuller berichtigt aufgrund von Archivrecherchen die bis dahin in die Jahre 1817/1818 datierte Gründung der lithographischen Anstalt.
8 Bericht über die dritte allgemeine österreichische Gewerbe-Ausstellung in Wien 1845 (Wien, 1846) 666.
9 Zu diesen speziellen Objekten wird zu einem späteren Zeitpunkt ein separater Beitrag veröffentlicht werden.
10 Kunike, Adolf Friedrich, in: Österreichisches Biographisches Lexikon, Band 4 (Wien, 1968) 351.
11 Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst, 15. Februar 1822, S. 108.
12 Das heißt inklusive der slowenischen (Unter-)Steiermark.
13 Von Joseph Gall von Gallenstein sind keine Lebensdaten bekannt. Er ist Autor zumindest einer weiteren Karte: Neueste Post- Eil und Brancardswagens Karte vom Kaiserthume Oestreich nach den neuesten authorisirten Behülfen bearbeitet … (Graz, J. F. Kaiser, 1830). Auf dieser Karte wird er als „k.k. Oberpostamts Practicant“ bezeichnet.
14 Neueste Special Karte des Herzogthums Steyermark. Nach der letzten Aufnahme gezeichnet und bearbeitet von Jos. Freyherrn Gall von Gallenstein. Unter besonderer Mitwirkung des Herrn Carl Schmutz Verfassers des historisch-topographischen Lexicons v. Steyermark. Ehrfurchtsvoll dem Hochgebornen Herrn Herrn Math. Const. Grafen v. Wickenburg k.k. Gubernial vice Präsidenten in Gratz dedicirt vom Verleger Jos. Fr. Kaiser Inhaber einer lithogr. Anstalt. 1832.
15 Neueste Special Karte des Judenburger Kreises …, Neueste Special Karte des Bruker Kreises …, Neueste Special Karte des Gratzer Kreises …, Neueste Special Karte des Marburger Kreises … und Neueste Special Karte des Cillier Kreises …
16 Grazer Zeitung Nr. 129, 13. August 1840, ohne Paginierung, [4]. Da sich keine Kartenblätter der Edition 1829 nachweisen lassen, kann die Auflage aus dem Jahr 1831 als erste (nachweisbare) – Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung: Signatur aB 168 (2); lithographischer Zweifarbendruck, Terraindarstellung: Schraffen – und jene aus dem Jahr 1832 als zweite (nachweisbare) Auflage – Österreichische Nationalbibliothek, Kartensammlung: Signatur FKB C 41 A (= 3211); lithographischer Vierfarbendruck, Terraindarstellung: Schraffen und Schummerung – bezeichnet werden. 1836 veröffentlichte Kaiser eine weitere Auflage, die er in einer Begleitpublikation als die dritte bezeichnete – siehe: Beylage zur neuesten Specialkarte von Steiermark, Specialkarte von Steiermark, in fünf Blättern, mit der Eintheilung in Bezirke, Zeichnung der Gebirgszüge und Berghöhen; zugleich Strassen-, Post- und Productenkarte, Sr. Excellenz dem Hochgebornen Herrn Herrn Math. Const. Grafen v. Wickenburg, Gouverneur von Steiermark etc., etc., gewidmet vom Verleger Joseph Franz Kaiser. Grätz (zur dritten Auflage) 1836. Die Karten der (dritten) Auflage von 1836 werden in der Steiermärkischen Landesbibliothek in Graz (im Folgenden SLB) unter der Signatur A 103.085 aufbewahrt. Unter der Signatur A 103.086 findet man dort zusätzlich eine (vierte) Auflage mit der Datierung 1838. Weitere einzelne Kartenblätter der Kreiskarten sind im Nominalkatalog der SLB mit 1840 datiert. Die sich teilweise widersprechenden Angaben zur Auflagenzählung konnten von Wien aus nicht überprüft werden.
17 Zur Ausgabe 1832 dieser Karte siehe die zeitgenössische Rezension in: Kritischer Wegweiser im Gebiete der Landkarten-Kunde nebst andern Nachrichten zur Beförderung der mathematisch-physikalischen Geographie und Hydrographie 5 (1833) 9-10.
18 Siehe: Johannnes Dörflinger und Helga Hühnel: Atlantes Austriaci. Kommentierter Katalog der österreichischen Atlanten von 1561 bis 1994, 1. Band, 1. Teilband, S. 63-64. Zur Biographie Kindermanns siehe: Johannes Dörflinger: Kindermann, Joseph Karl, in: Neue Deutsche Biographie 11 (1977) 618-619.
19 Franz Gräffer und Johann Czikann (Hrsg.): Oesterreichische National-Encyklopädie, oder alphabetische Darlegung der wissenswürdigsten Eigenthümlichkeiten des österreichischen Kaiserthumes, … Band 1 (Wien, 1835) 516.
20 Der lithographische Flächenfarbdruck wurde 1825 von Franz von Hauslab (1798–1883) in die Kartographie eingeführt. Siehe dazu zusammenfassend das Kapitel 3.2.4 „Beiträge zur Karto-Lithographie“, in: Jan Mokre: Franz Ritter von Hauslab. Der gelehrte Offizier (Wien 2018) (= Schriften des Heeresgeschichtlichen Museums 25) 182-192.
21 Ingo Nebehay und Robert Wagner: Bibliographie altösterreichischer Ansichtenwerke aus fünf Jahrhunderten …, Band 2 (Graz, 1982) [zu Kaiser: S. 14 bis S. 43]. Siehe auch das Kapitel „Entstehung und Umfang der ‚Alten Kaiser-Suite‘“, in: Anton Leopold Schuller: Joseph Franz Kaisers „Lithographierte Ansichten der Steyermärkischen Staedte, Maerkte und Schloesser“ Graz 1824–1833 (Graz, 1982) S. 12-14.
Anton Durstmüller: 500 Jahre Druck in Österreich. Die Entwicklungsgeschichte der graphischen Gewerbe von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 1 (Wien, o.J. [1982]) [zu Kaiser: S. 358]
Franz Ilwolf: Karl Schmutz. Sein Leben und Wirken. In: Mittheilungen des Historischen Vereines für Steiermark 39 (1891) 166-250
Joseph Franz Kaiser (Hrsg.): Lithographierte Ansichten d. steyermärkischen Städte, Märkte und Schlösser und andere schöne interessante Gebirgsgegenden … (Graz, 1832–1833)
Anton Schlossar: Die Literatur der Steiermark in bezug auf Geschichte, Landes- und Volkskunde. Ein Beitrag zur österreichischen Bibliographie (Graz, zweite Auflage 1914)
Heinrich Schwarz: Die Anfänge der Lithographie in Österreich. Bearbeitet von Elisabeth Herrmann-Fichtenau (Wien, Köln, Graz, 1988)
Constant von Wurzbach: Biographisches Lexicon des Kaiserthums Oesterreich …, Band 10 (Wien, 1863) [zu Kaiser: S. 374-375]
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