Only Shakespeare is the limit!
Wann beginnen eure Proben? Wann kriege ich eines eurer Rollenbücher? Soll die Veröffentlichung die Szenenangaben der Cambridge University Press-Ausgabe von Quiller-Couch und Dover Wilson enthalten? Wann soll die Premiere stattfinden?
(1963, Briefe 41)
1963 bedeutet für Erich Fried unter mehreren Gesichtspunkten einen Wendepunkt in seiner schriftstellerischen Karriere. Er wurde nicht nur zum Treffen der „Gruppe 47“ im Oktober eingeladen, er arbeitete auch an seiner ersten Übersetzung des berühmtesten englischen Dramatikers William Shakespeare. Am 9. Mai hatte „Ein Sommernachtstraum“ im Theater der Freien Hansestadt Bremen unter der Regie von Peter Zadek Premiere. In der „ZEIT“ schrieb K. Hohe: „Doch Frieds Übersetzung zeichnet sich nicht nur durch große Genauigkeit aus, geht nicht nur geschickt auf Shakespeares Wortspiele ein, sondern sie ist vor allem die poetischere im Vergleich zu den anderen. Fried hat gar nicht versucht, ‚modern‘ zu übersetzen, sondern, so sagt er selbst, ‚wie es ein Mann zu Schlegels Zeit, aber mehr mit Goethes als mit Schlegels Sprachbegabung ... so ungefähr getan hätte‘." (Hohe)
Seine Frau Catherine Boswell Fried erinnerte sich später eindrücklich an die akribische Arbeit, die Erich Fried jeder neuen Übersetzung widmete. Die Unterstützung einer Sekretärin, Disziplin und ein raffiniertes System von Markierungen waren notwendig, um der Herausforderung gewachsen zu sein. Insgesamt fertigte Fried 27 Shakespeare-Übersetzungen an.
Der Arden-Shakespeare, der Cambridge-Shakespeare, der Penguin-Shakespeare, dazu diverse, auch alte Wörterbücher und noch weitere Ausgaben in einer Reihe auf Erichs Schreibtisch, gleich rechts von meiner Staffelei und einen Farbspritzer entfernt von meinem Pinsel. Hinter ihm, Rücken an Rücken, Greta Hornung, seine Sekretärin, wir drei in sein vollgestopftes und überquellendes Arbeitszimmer zwischen all die Stapel gezwängt. Sie arbeiteten an Heinrich V., Erichs zweiter Shakespeare-Übersetzung, ich malte sein Porträt.
(Kurz 71)
Er hatte sich kleine Hilfsmittel gebastelt, damit er seine Stellen nicht verlor: dreizackige Lesezeichen, die er aus Joghurtbechern ausgeschnitten und in jeder seiner Ausgaben an den Seitenrand gesteckt hatte, zwei Zacken dahinter und die mittlere mit der schwarzen Markierung an der Spitze vorn. […] Da Greta an der Schreibmaschine saß, hatte er die Hände frei, um die Lesezeichen mit den schwarzen Spitzen simultan auf den Seiten aller Ausgaben hinabzuschieben. Ich beobachtete, wie seine Froschaugen von Band zu Band glitten und schon die nächste Zeile aufnahmen, während er noch die Übersetzung der vorigen diktierte.
(Kurz 72)
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1) Von ersten Fingerübungen zum anerkannten Übersetzer 2) Bloß keine politischen AutorInnen! 3) Only Shakespeare is the limit! 4) Erkenntnisse
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