Ein Meisterwerk aus Florenz
26.11.2020 ForschungsblogDas Stundenbuch Cod. 1849 der Österreichischen Nationalbibliothek verbindet in prachtvoller Weise die mittelalterliche Andachtspraxis mit der Rückbesinnung auf die Antike in der italienischen Renaissance. Ein virtueller Expertenvortrag zum aktuellen "besonderen Objekt“.
AutorInnen: Katharina Kaska und Samuel Nussbaum
Stundenbücher, d.h. Gebetsbücher für die private Andacht, waren im Spätmittelalter beliebte Luxusobjekte. Mehr Kunstwerke als Gebrauchsgegenstände, begeistern sie noch heute mit ihrer oft prachtvollen Ausstattung. Ganzseitige Miniaturen, reiche Initialen und aufwendigen Bordüren machen auch das hier vorgestellte Stundenbuch zu einem Meisterwerk der Buchmalerei.
» ÖNB Cod. 1849, fol. 13v und fol. 14r
Ein spanischer Auftraggeber
Über den Auftraggeber der Handschrift geben aufwendige Wappendarstellungen Auskunft. Ein sogenanntes Allianzwappen, d.h. eine Darstellung zweier Wappen, deren Träger durch eine Allianz wie etwa eine Heirat verbunden sind, findet sich gleich zweifach auf der ersten illuminierten Doppelseite. Das schräggevierte Wappen mit den Worten Ave Maria und Gratia (plena)auf Goldgrund und den roten Schrägbalken mit Goldleisten auf grünem Grund ist der Familie Mendoza de la Vega zuzuweisen. Träger des zweiten Wappens ist die Familie Guzman. Hauptelement ist ein gold und rot geflochtener Henkelkorb mit silbernen Schildchen, auf dem goldene Schlangen liegen. Welchem Mitglied dieser Familien die Handschrift tatsächlich gehörte, konnte bisher noch nicht festgestellt werden.
Ausgeführt wurden die Wappen ebenso wie das Hauptbild und die Bordüren dieser Doppelseite um 1500 in der Werkstatt der Brüder del Fora in Florenz. Gherardo (1446–1497) und Monte (1448–1529) di Giovanni del Fora gehören zu den bedeutendsten Buchmalern ihrer Zeit und erhielten Aufträge von berühmten Sammlern wie Matthias Corvinus (» ÖNB Cod. 930) und den Familien Medici und Strozzi.
Im Zentrum der ersten Bildseite steht die Verkündigung Mariens. Die Szene ist in den Hof eines Palastes verlegt. Der Erzengel tritt auf die demütig nach unten blickende Maria zu, die vor ihrem Schlafgemach steht. In der Hand hält er die Lilien, das Symbol der Jungfräulichkeit, während der Heilige Geist in Form einer Taube über ihm schwebt; darüber Gott-Vater. Auf der gegenüberliegenden Textseite beginnt das Marienoffizium mit dem Ave Maria, dessen Initiale zur Darstellung der Geburt Christi und damit zur Erfüllung der Verkündigung genutzt wird. Beide Seiten sind von reichen Bordüren umgeben, in denen mit Medaillons auf Prophetien zur Geburt Christi referenziert wird. Dargestellt sind sowohl die alttestamentarischen Propheten Jesaja, Daniel und Noah als auch die antike Sybillen, die im christlichen Verständnis ebenfalls von der Ankunft des Erlösers kündeten. Diese Darstellungen wechseln sich mit Medaillons in der Art antiker Gemmen und Münzen ab, die von für diese Zeit typischen Putti und antikisierenden Vasen getragen werden.
Rückgriff auf die Antike
Darstellungen von Gemmen und Münzen prägen auch die Bordüren weiterer illuminierter Seiten der Handschrift und machen den besonderen Reiz dieses Stundenbuchs aus. Schon im späten 18. Jahrhundert wies der bedeutende Bibliothekar der Wiener Hofbibliothek, Michael Denis, auf diese Besonderheit hin und empfahl das Buch den Liebhabern antiker Kunst: Artis antiquae amatoribus grate fortassis sint picturae… e numis, gemmisque depromptae1.
Die Tradition, Texte mit Münzbildern zu illustrieren, kam mit antiquarischen Studien auf, denen sich Humanisten seit dem frühen 14. Jh. widmeten. Mit wissenschaftlichem Ehrgeiz strebten sie danach, antike Objekte mit den Inhalten der Klassikertexte in Verbindung zu bringen, etwa indem sie Berichten über bedeutende Persönlichkeiten überlieferte Abbildungen zuordneten. Nicht selten lieferten Münzportraits das Anschauungsmaterial dafür.
Im 15. Jahrhundert war das Sammeln von Münzen zur Liebhaberei von Fürsten und Gelehrten geworden. Das numismatische Hauptinteresse lag auf der Ikonografie und diese entfaltete eine Ausstrahlung in weitere Felder der Kunst hinein. So boten Münzbilder der römischen Kaiserzeit Referenzen für Werke der Malerei, der Bildhauerei, des Medaillenschnitts und nicht zuletzt für die Buchillumination. Während seit der Mitte des 15. Jahrhunderts die ersten Studien einer wissenschaftlichen Numismatik entstanden, reproduzierten Miniaturmaler die Münzbilder in künstlerischen Kontexten, meist als dekorative Elemente. Es existieren mehrere Handschriften, in welchen gemalte Münzabbildungen – mitunter ohne inhaltlichen Zusammenhang –, die Seiten zieren. Miniaturmaler griffen auf die originalen Vorlagen zurück, stützen sich aber gleichsam auf Mustersammlungen solcher Bilder oder schöpften aus der eigenen Fantasie.
Das Horarium zeigt dekorative Münzdarstellungen, an denen sich sowohl handwerkliche Vorlagentreue als auch künstlerischer Spielraum belegen lässt: Recht präzise abgebildet ist die Münze des Kaisers Vespasian auf fol. 24r. Es dürfte sich um die Darstellung der Vorderseiten eines Sesterzes handeln. Die Legende ist sowohl inhaltlich als auch stilistisch adäquat wiedergegeben und die Darstellung des Portraits korrespondiert sehr gut mit » überlieferten Prägungen.
Auf derselben Seite findet sich eine Münzdarstellung, die freier gestaltet ist. Die auf einem Panzer sitzende Roma mit Schwert und Victoria existiert auf » Münzen des Nero und der flavischen Kaiser. Die Sitzrichtung und die Körperhaltung stimmen präzise überein, der Baum und die Flöte im Hintergrund sind für dieses Motiv hingegen nicht überliefert. Hier hat der Künstler die Umgebung ergänzt.
Eine künstlerische Umdeutung belegen auch zwei als Gemmen präsentierte Bilder der Faustina auf fol. 47v. Die Legende AETERNITAS SC lässt vermuten, dass es sich bei der Vorlage um eine Münze handelte. Die Buchstaben SC finden sich auf römischen Prägungen unedlen Metalls und bedeuten, dass diese senatus consulto, also auf Senatsbeschluss in Umlauf gesetzt worden waren. Unter » Antoninus Pius wurde nun ein Sesterz mit den Legenden DIVA FAVSTINA auf der Vorderseite und AETERNITAS SC auf der Rückseite geprägt, die der Darstellung im Horarium entsprechen. Möglicherweise wurden die Vorder- und Rückseitentypen dieser Münze vom Künstler in zwei Gemmendarstellungen umgedeutet.
Das Gemmenprogramm in den Bordüren nimmt ebenfalls antike Darstellungen auf, deren Herkunft jedoch noch nicht geklärt ist und die keine Beziehung zum Hauptbild erkennen lassen. So wird die Darstellung der Krönung Mariens auf fol. 55r von Verteidigern der römischen Republik umgeben, wie sie häufig auch in Freskenprogrammen der Zeit zu finden sind (so etwa in der Sala dei Gigli des Palazzo Vecchio in Florenz). Die Caesarmörder Brutus und Cassius bilden den Fokuspunkt des rechten Blattrandes, während die untere Bordüre zwei Helden der mythischen Vorzeit gewidmet ist. Zentral, in einer vergrößerten Gemmendarstellung mit Goldrand, wird Marcus Curtius dargestellt. Gemäß einer Legende, die auch Livius berichtet, tat sich nach einem Erdbeben am Forum in Rom ein Spalt auf, der nur durch das Opfer desjenigen Guts geschlossen werden konnte, das Rom die größte Stärke verlieh. Für den Soldaten Marcus Curtius war dies der römische Soldatenstand, als dessen Vertreter er sich mit seinem Pferd in die Bodenöffnung stürzte. Die Stelle seines Opfers wurde danach als Lacus Curtius bezeichnet und ist heute noch auf dem Forum lokalisierbar. Im Medaillon wird der voll gerüstete Soldat mit Lanze in dem Augenblick gezeigt, als er mit seinem Pferd in das klaffende Loch im Boden springt. Diese Ikonographie lässt sich seit der Antike nachweisen und wird auch in der berühmten » Weltchronik Hartmann Schedels verwendet, wo Marcus Curtius jedoch eine mittelalterliche statt antike Rüstung trägt.
Marcus Curtius in Cod. 1849 (fol. 55r, Ausschnitt) und in der Schedelschen Weltchronik (Nürnberg: Koberger, 1493, fol. LXX, » ÖNB Ink 30-50)
Französische Buchkunst in Italien
Neben diesen Werken florentinischer Buchmalerei wurden der Handschrift auch drei Miniaturen eines französisch geschulten (?) Meisters beigegeben. Von ihm stammt z.B. die Pfingstdarstellung auf fol. 133v. Umgeben von den Aposteln sitzt Maria auf einem Thronsessel, über dem die Taube des Heiligen Geistes schwebt, darüber, in der oberen Bordüre, Gott-Vater. Die Bordüre dieses Blattes mit einer Darstellung eines Affen, der wohl als „Vertreter“ der heidnischen Gegenwelt zu deuten ist, stammt von einem italienischen Maler.
Spanische Zensur
Nach Spanien muss das Stundenbuch spätestens 1573 gekommen sein, als es der Bücherzensur der Spanischen Inquisition vorgelegt wurde. Seit 1478 war die Spanische Inquisition für die Erhaltung der Glaubensreinheit der Konvertiten von Judentum und Islam zuständig. Mit der Zunahme des Buchdrucks und -handels und der Verbreitung protestantischer Literatur im 16. Jahrhundert wurde auch dieses Themenfeld verstärkt in den Blick genommen. In Spanien sicherte sich der Staat die Kontrolle der Druckgenehmigungen, während die Inquisition vor allem den Buchmarkt kontrollierte. Ihre Aufgabe war es dabei auch, neu ins Land gelangende Bände zu prüfen und allenfalls zu konfiszieren oder partiell zu schwärzen. Auf diesem Weg wurde wahrscheinlich auch das Stundenbuch den Zensoren vorgelegt. Ein gewissen Doktor Heredia, der sich auch in anderen Büchern der 1570 bis 1580er Jahre nachweisen lässt2, prüfte es, fand jedoch nichts zu beanstanden: Vistas y aprobadas en Madrid. Octub. 20. 1573. El doctor Heredia.
"Ein Meisterwerk aus Florenz" ist Teil der Reihe "Das besondere Objekt". Das Original mit der aufgeschlagenen Doppelseite zu Verkündigung und Geburt Christi ist nach dem Ende des derzeitigen Lockdowns bis einschließlich Sonntag, 10. Jänner 2021 im Prunksaal zu sehen.
Über die AutorInnen: Dr. Katharina Kaska ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung von Handschriften und Alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek. Mag. Samuel Nussbaum absolviert im Rahmen seiner Bibliothekarsausbildung an der Zentrabibliothek Zürich ein Praktikum in der Sammlung von Handschriften und Alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek.
Literatur
Mariano Delgado, „Am besten mit allen zum Fenster hinaus in den Hof“? Spanische Inquisition und Buchzensur, in: Verbotene Bücher. Zur Geschichte des Index im 18. Und 19. Jahrhundert, hg. von Hubert Wolf (Paderborn et al., 2008) 244–273.
Otto Pächt – Dagmar Thoss, Französische Schule II (Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Österreichischen Nationalbibliothek 2, Wien 1977) 154f.
Elisabeth Schröter, Eine unveröffentlichte Sueton-Handschrift in Göttingen aus dem Atelier des Bartolomeo Sanvito. Zur Sueton-Illustration des 15. Jahrhunderts in Padua und Rom, in: Jahrbuch der Berliner Museen 29–30 (1987–1988) 71–121.
Dagmar Thoss, Französische Gotik und Renaissance in Meisterwerken der Buchmalerei. Ausstellung d. Handschriften- u. Inkunabelsammlung d. Österr. Nationalbibliothek. Prunksaal, 16. Juni-7. Okt. 1978 (Wien 1978) Kat. Nr. 55
Roberto Weiss, The study of ancient numismatics during the Renaissance (1313–1517), in: The Numismatic Chronicle. Seventh Series. Bd. 8 (1986) 177–187.
[1] Den Liebhaber der antiken Kunst sind vielleicht die Bilder willkommen, die antiken Gemmen und Münzen entnommen sind. Michael Denis, Codices manuscripti bibliothecae palatinae Vindobonensis Latini… Vol. I, Pars III (Wien 1795) » 3113.
[2] Ein gedruckter Zensurvermerk Miguel de Aniñón, » Tractatus de unitate ovilis et pastoris (1578), handschriftlicher Vermerk in einem Exemplar von Lilio Gergorio Giraldi, » De deis gentium libri sive Syntagmata XVII (Lyon 1565).
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