1.12.-31.12.1951
Tagebuch
Klarer Dezembertag. Sonne scheinte grell; blau und weiss. Morgen fahre ich nach Mödling;
Geordnet. Publikationen zusammengestellt oder daran versucht ...
Vielleicht wird es Brigitte Kahr?
1 12 51Im Radio hörte ich den Schlager "Ach du liebe Zeit", der sehr modern ist, sonst wenig neue Unterhaltung.
Trank Wein, ohne mich gesteigert zu finden. Wahrscheinlich wollte ich mich nicht so steigern.
Erlebtheit. Ohne dass sich das Erleben und sein Ausdruck auf zu fertige andere Ausdrücke stützt. Also immer wieder Neufinden, frischer Ausdruck, Erlösung für hier und nun.
Anderseits: : Ohne dass die Flucht vor dem Klischee Methoden über den Erlebensinhalt stellt.
Alle Leute mit dem Empfinden für Schalheit sind mir sympathisch. Wichtiger als jene, die Sh calheit bloss konstatieren, sind mir natürlich jene, die eine Therapie dagegen kennen.
gewisse Gruppen von Selbstmördern, Verbrechern; Souveräne auf dem Gebiet der freiwilligen Geisteskrankheit; aber allem Mädchen, die auf jemand Unliebenden loslieben; Leute, die das unüberschreibarste Gebrüll mit einer Mäuschenstimme erledigen; am liebsten sind mir jene, denen alle gewaltsamen Reaktionen und alle Posen so schal vorkommen, dass sie - unraffiniert, getrieben - nichts anderes zu tun wissen als gut sein, helfen, dennoch-lieben; und hier wären wir unbegrenzt, während alle Pose wo ein sehr beschämendes Ende hat.
DialogNach einer Weile müssen doch die Funksprüche aufhören? /Niemand hört sie im Niemandland./
Sag, was ist zu tun? Die Antenne einziehen?
Weiter senden.
26 11 51
In der Stadt hässlich vernebelt.
Früh hatte ich Briggi gesehn. Nur gesehn.
Korrespondenzen. /Ebner, Schreiber , Brigitte Kahr/.
Lindner unerwartet nach Triest. Hercég geflüchtet, Leitner der nächste.
Zu Weihnachten werde ich wahrscheinlich aussertourlich l0 Tage frei bekommen.
Hatte neulich von einer Briggi geträumt, in einer Gesandtschaft in Zürich, die aber die Züge der Diem trug. Ein sonderbares Mädchen, und ein sonderbares Beisammensein dort.
Abends kam Artmann zu mir. Er brachte mir die Uebersetzungen. Post war eingelangt.
Früh ein klarer Vorwintertag. Manifestation .....
Geringe Verspätung im Büro.
Unser Kompensationspartner Dr. Pompe wegen Devisenvergehens vor Gericht.
Wieder Wolken über unserer Firma . Mittags literarisch gearbeitet. Am Abend noch gerechnet, und ein Fernschreiben kam.
Im rauhen Wetter heimgefahren. Angenehmer Abend daheim.
Ich freute mich am guten Essen ...
Post war wieder eingelangt.
Ich habe neulich Brigitte Kahr geschrieben.
Früh einige Gedankenzüge,
Ich Man muß vermeiden,
Die Niederschrift ist so illusorisch geworden, die Potenzen sind natürlich nicht abgeschnitten.
Sehr bewegter Vormittag.
Ich überleg mir jedes Wort dreihundertmal, eh ich's aussprech.
Ich denke aber, daß die Worte, die die 400ste Überlegung durchhalten würden, noch besser wären.
Ich ruhe mich momentan aus. Und es ist so leicht, alles egal zu finden. Wer meine Sätze nicht versteht, wird freilich meine Liebe nicht verstehen, aber auch die sprech' ich ja anderswohin.
Ich ruhe mich aus von aller Gemeinschaft - für mehrere Minuten.
Heute 20h Karl Kraus-Abend bei den Leuten in der Museumstraße . Ich werde Artmann treffen und Wiesflecker und vielleicht Polakovics.
Gestern erreichten mich die Ankündigungen des "College"; ich werde auch dort gelegentlich hingehen.
Mehrere Fernschreiben nachmittags. Ich muß ehrlich sagen, daß ich die Tage mit Briggi als
- Wie froh bin ich, daß ich jene Tage mit Briggi erlebt habe.
Angenehmer Abend zuhaus. Dann wieder ausgefahren, in den "Kreis". Ein ganz lehrreicher /sonst wenig/ Kraus-Vortrag. Nur Artmann war von unsern Leuten hingekommen.
Angenehmer Abend zu Hause, dann wieder ausgefahren in den „Kreis“. Ganz lehrreicher (sonst wenig) Vortrag. Nur Artmann von unseren Leuten hingekommen.
Null Grad-Morgen.
Briggi fuhr nicht mit meiner Straßenbahn.
Ich freue mich (unter den Büchern, die ich bestellt habe) auf Ernst Jüngers "Inselfrühling".
Statistik wird immer ärmer:
Nur mehr einen Krampus mit einem Nikolo gesehen gestern abends.
In einem beinah Londoner Nebel (es mischen sich immer die Redensarten ein)
Briggi abends getroffen, nachdem Straßenbahnstörungen waren.
Ich hatte die Leute vom Art Club getroffen, die nächsten Samstag
Mit Briggi wie in früheren Zeiten gesprochen; sie ist jetzt sehr außerhalb Ruhe, will rauchen anfangen.
Gestern Abschlussarbeiten an den publikationen. In nächster Zeit beginnt das Matrizenschreiben.
Vormittag: Briggi nicht getroffen.
Viel Arbeit im Büro.
Lindners Chauffeur informierte uns, es ist so weit, dass Lindner flüchten wird.
"Kleine Manifestation" endgültig gefasst.
Es ist ein jämmerlicher Selbstbetrug zu glauben, wir könnten heute nicht mehr losgelöst also uneingedenk der Maschinen , der Arbeitslosigkeit und des Krieges - lieben, denken empfinden.
Dem Liebenden (ohne Maschinenhintergrund) aus dem Herzen zu sprechen ist mindestens ebenso gemeinschaftsfreundlich wie mit ihm über die Kohlenpreise zu klagen.
Bekam die Weihnachtsremuneration von S 1770.-- ausgezahlt.
Viel Arbeit wieder im Büro.
Mit Tante herausgefahren. Trafen Dr. Uiberrack. Mit dem über Glaschemie fachgesimpelt.
Nachmittag kam Ernst Kein.
Die publikationen mit ihm durchgesiebt noch, dann sehr anregend über Gedichte auseinandergesetzt. Versuchten zu negativen "Kriterien" zu finden; stimmen jedenfalls überein, dass das Dez.-Heft der NW unter aller Kritik ist.
Die "publikationen" nr. 4 werden wahrscheinlich besser sein als die zwei vergangenen Nummern.
Abends versuchte ich, von Briggi Falkinger loszukommen.
Ich trank Rum und beschäftigte mich teilweise mit der nächsten Zukunft.
Die Katze wächst heran und ist ein sehr liebes Tier.
Verbrachte den Tag daheim, erledigte Korrespondenzen, Nachmittag kam Artmann nicht sonderlich gut gelaunt, arbeiteten über die "publikationen", ich begleitete ihn dann (minus 4 Grad) ein Stück auf seinem Heimweg.
Ich finde es gerade komisch, wie ich wieder existiere.
Mit Arbeit jetzt eingedeckt, im Büro und privat, wo ist das Mädchen hin?
(Nur kann mir noch rasch übel werden, wenn ich ein bisschen fester hindenke.)
abends, wir waren beide verhältnismässig aktiver, mit Briggi zusammengetroffen.
Sie kommt mittwoch nicht in die "Schmutzigen Hände" im "Kreis", will aber Samstag zur Eröffnung des Artclubs. Ich weiss nicht ob ich hingehn werde.
Sie sagte mir keine schönen Sachen von Brigitte Kahr.
/Wir sprechen so, wie ich schreibe, und zwar, wie ich jetzt schreibe, und weniger wie ich letzte Wochen geschrieben habe, und damals haben wir auch anders gesprochen als jetzt; und wenn wir wollten, könnten wir auch jetzt noch so sprechen, aber wozu, wenn wir wissen, wie es weitergeht, und jetzt genügt jedem ein Hintreiben.
In der nächsten Sekunde muss ich notieren: es wäre wunderschön, wenn man mindestens mitsammen hintriebe./
Abends lag daheim ein Brief von B. Kahr und eine Karte von Matejka. Mittags hatte ich Polakovics angerufen. Seine Frau ist jetzt dauernd krank. Die beiden sind mir sehr lieb.
Dann noch abends schrieb ich einen Brief an B. Kahr. Und noch später machte ich Ordnungen und wurde im Niederschreiben wieder sehr ruhig.
Liebe Brigitte Kahr,
ich danke Ihnen für Ihren Brief und die Tatsache der Zusendung.
Es ist mir hingegen vollkommen unmöglich, Ihre Arbeit in den "publikationen" zu bringen. Glauben Sie mir, absolut nicht wegen des Themas, das uns - wie Sie wahrscheinlich geisseln werden - "zu wenig schöngeistig" sei; über das Thema hätten wir gern was gebracht, nur hat bisher noch niemand in unserer Einfluss-Sphäre darüber schreiben können; Sie nun und hier auch nicht.
Ich rechne mit allem, auch dass Sie - nunmehr endgültig - beleidigt sind und nicht mehr schreiben werden, aber es geht nicht, dass ich aus blosser Sympathie und akonto Ihrer wirklich überzeugenden Stücke eine nicht gelungene Arbeit bringe.
Halten Sie das, was Sie hier - traurigmachend er als in den Feuilletons, die ja nicht mehr sein wollen und müssen als sie sind - schreiben, für einen "Realismus"? Keine Spur. Wo ist eine von der Wirklichkeit durchwehte Zeile drinnen? Sie haben natürlich recht, mit Ihren Sätzen über Verurteilung und Hoffnung. Aber wie Sie es bringen, kann es in jeder Eröffnungsrede drinnenstehen.
Der schwarze Himmel - ist ein literarisches Symbol. Der Stern ein Symbol. Die Hände sind hier keine konkreten Hände /wie anders die Hände in "Der Brücke", die "die Erde berührten, auf der Maria lebte"/. Die faltenlosen Gesichter, die Sie beschwören wollen, sind nicht: ein Gesicht das Sie da gekannt haben oder in das Sie sich dort eingelebt haben. Sie haben die Wirklichkeit vollkommen preisgegeben und sind auf die Literatur gekommen.
Ich hoffe, es wird in Wirklichkeit nicht so arg sein, wie ich in meiner ersten Enttäuschung darüber schreibe: Sie können doch nicht x über abstrakten Betrachtungen alles vergessen haben, was Sie - wahrscheinlich durch konkretes Erleben - gewonnen hatten.
Oder glauben Sie wirklich, Sie dienen Ihren Zielen eher, wenn Sie gedruckte Programme reden, als wenn Sie, einmal an einer kleinen zerbrochenen Brücke oder das andere Mal an dem ersten Frühjahr eines Judenknaben wo, allen Wahnsinn des politischen Hasses aufzeigen?
Oder Sie leiten Hände eher dadurch ineinander, dass Sie dazu in einem eleganten Satz auffordern, als dass Sie - gerade bei Ihrer Darstellungskraft - zwei überzeugende Menschen hinstellen? /Die sich fassen oder sich nicht mehr fassen oder sich einmal auch halten wollten./
Wenn ich das Recht dazu hätte, würde ich in Ihr Leben hineinschauen wollen. Gibt es dort nichts als die humanistische Begeisterung mehr? Ist das Filter so dicht, das alles zu schönen literarischen Sätzen filtriert? Kommen Sie nie in die Lage, dass Ihnen der Stil egal wird? Ich fordere Sie zu nichts auf, am wenigsten zu Selbstanalyse oder gar Selbstzerfleischung. Ich kann Ihnen nichts als Illustration hinstellen, am allerwenigsten einen sehr neutralen Dahinlebenden wie mich. Aber ich möchte Sie wieder anders als momentan sehen können: ich bin - und weiss nicht wieso - so hoffnungslos optimistisch, dass ich glaube, wie Sie sich tief geäussert haben, sind Sie wirklicher.
/"Es könnte sein, dass sie ihr Licht wiederfände." Sie ist licht./ Aber ich möchte mit diesem Brief zu nichts beigetragen haben als, wie gesagt, zu einer Klärung ein menschlicher literarischer Vorurteile.
Mit vielen lieben Grüssen
Ihr
Erster Schnee lag, wenn auch spärlich.
Sehr viel Arbeit im Büro.
Abends getrunken.
Nun liegt wieder nichts in der Zukunft. - Briggi hat das Andere überdauert.
minus 3 1/2 Grad früh.
Früh ziemlich haltlos vom Konsum gerannt.
Im Büro weniger Arbeit, ich tat hässliche Korrespondenz ab. /Ebner./
Weihnachten liegt irgendwie in der Luft.
Nm. war Huber unausstehlich. Bauer windet sich unter ihr hässlich.
Mehr habe ich momentan nicht aufzuschreiben.
Zu Matejka. Dort sehr freundliches Gespräch, auch Muschik kam dazu. Mein Gedicht gefiel sehr und kommt, wahrscheinlich zusammen mit einer Originalphotographie der Ruinensprengung, ins "TB".
"Schmutzige Hände" angesehen. Mit Wittmann die Herstellung der nächsten "publ." abgemacht.
Gerädert heim.
Vm. Wege /"Uni"/.
Meine Matrizen besorgt.
Etwas später ins Büro.
7 Matrizen geschrieben.
Abends mit Polakovics "Wozzek" angesehen /Film/. Pol wieder sehr nahe gewesen.
Maja wünscht sehr /in ihrer Krankheit/, unsere Katze zu sehen.
Fr. Schik-Karli getroffen, Briggi nur gesehen.
Care Paket von der Aktion "Künstler helfen Künstlern" bekommen.
Abends ziemlich kalte Heimfahrt. Briggi kam noch zu mir, schlug mir vor, morgen mit ihr zur ArtClub-Eröffnung zu gehen.
Dr. Schmellers Einladung war nicht gekommen.
Nicht in den Art Club. Briggi /hörte ich Sonntag/ war dortgewesen und bis zuletzt /dreiviertel eins/ geblieben. Artmann war auch gekommen.
Ich ging gegen Abend um die Steinhofer Mauer und trank dann.
Pol kam.
In Freundschaft den Vormittag verbracht.
Halb drei zu Pol:
Maja in Floridsdorf besucht, die Katze ihr ausgeborgt.
/Maja ist sehr krank./
Ich erzählte Pol. von Briggi F.
Nie Endgültiges ?
Wieder Gedicht. Letzte Woche vor Weihnachten.
Von gestern an den Wintermantel genommen.
Lebte wieder in Gedanken an Briggi.
Früh traf ich sie.
Wirtschaftspolizei und wahnsinnige Arbeit in meinem Büro. Joli - angezeigt.
Für Donnerstag mit Artmmann Treffpunkt ArtClub vereinbart.
Viel auch für mich gearbeitet.
Dr. Pawlicki gestorben.
Früh Briggi nur gesehn.
Lebte wieder so in Gedanken.
Dr. Machwitz längere Zeit vm. nicht im Büro, ich matrizierte weiter.
Irgendwie vorweihnachtliche Stimmung.
Aufgelockerter Betrieb im Büro. Für mich gearbeitet.
Mittags rief Pol an: Majas Abortus.
Abends in den Art Club.
Angenehmes Lokal im Souterrain der Kärntnerbar. Artmann dort angetroffen, mit Trrr diskutiert. Wir dürften für die Extremisten des ArtClubs eine Art Wald- und Wiesenlyriker darstellen.
Sehr bereitwillig, aber reserviert dem ArtClub gegenübergestanden.
Mir können die Stösse von aussen nichts mehr anhaben.
Nach der gestrigen Nacht müder Morgen, im Büro Aergernisse nacheinander.
Drei Tage vor Weihnachten verbringe ich einen nebligen Tag.
Das Bekenntnis zum Realismus ist mir gar keine Frage mehr.
Abends kamen die Stimmen der Gegenwart 1952, die unvergleichlich besser als das Buch 1951 sind.
Schon weihnachtliches, wenn auch schneefreies Wetter. Letzter Bürotag, auch die Stimmung ist schon danach.
Am Vormittag wurde noch sehr viel gearbeitet.
Schwer bepackt heim. Ordnete nm. meine Korrespondenz, las, verbrachte den Tag ruhig, uneingedenk.
Frei. Vorweihnachtliche Stimmung. Am kalten Nachmittag eine Prosa "Nebel über einem Gebiet" zu schreiben versucht.
Früh ein Gedicht, das sich seltsam einfand; aus einer ganz unaktuellen Jahreszeit, aus einem jetzt unerreichbaren Leben.
Mittags überraschend noch Post. Gratulation einer Kohlenfirma, ein eitle Zusendung von Weigel /seine Kurzgeschichte "Tod des Demosthenes", abgezogen und seinen Freunden zu Weihnachten gewidmet,/ und - nach sieben Monaten Pause - ein Brief von Hilde Schinko, ohne dramatischere Erklärung ihres Schweigens, lieb wie seinerzeit, eindeutiger anbahnend als damals.
So kam ich Nachmittag teils in diffuse unweihnachtliche Gedanken.
Im ganzen, wenn auch leicht erkrankt, ganz wohl gefühlt, abends mit jedem einzelnen Geschenkstück zufrieden. An Büchern: Immensee, eine ungewunschene "Mignon" von Gerhart Hauptmann und endlich in meinem Besitz Trakls "Dichtungen".
Nachts über Hilde gesprochen.
Lieber Andreas!
Ich -
Sehen Sie, sagen könnte ich es Ihnen besser als schreiben. Oder vielleicht doch nicht, vielleicht noch schlechter - ich weiß nicht. Ich habe schon lange das Gefühl, daß ich nicht eimmal mehr im Schreiben sagen kann, was ich sagen sollte.
Lieber Andreas, ich sollte, ich müßte Ihnen nicht erklären, was ich sollte und nicht kann. Ich wollte, ich hätte einen Grund dafür, denn hätte ich ihn, müßte ich mir nicht selber den Kopf zermartern um eine Erklärung oder Entschuldigung. Sehen Sie, anderen erklärt man, vor sich selber entschuldigt man sich.
Aber ich habe keine Entschuldigung.
Das weiß ich umso besser, als ich es Ihnen jetzt schreibe und eine Entschuldigung haben möchte.
Verstehen werden Sie mich trotzdem. Ich weiß es.
Ich habe das Gefühl, nichts leisten zu können. Nichts mehr. Leerlauf, verstehen Sie. Geistiger Leerlauf. Und erzwingen will ich nichts. Ich könnte es. Erzwingen. Aber was nicht von selber kommen will, grabe ich nicht mit den Nägeln aus sämtlichen Poren heraus. Was ich nicht schreiben muß, schreibe ich nicht. Und ich muß nicht! Nicht mehr.
Sie glauben, man müßte darum kämpfen? Ich nicht. Damit, schon, o ja, aber darum nicht. Es wäre dasselbe, wie um die Liebe eines Menschen zu kämpfen, der keine Liebe für einen hat. Um Arbeit zu betteln, wo keine für Dich ist. Das tu' ich nicht. Das sehen Sie ein? Möglich, daß es ein Übergang ist. Möglich, daß es ein Dauerzustand ist. Ich werde warten. Ich werde bereit sein. Aber erzwingen will ich nichts.
Was das mit den Briefen zu tun hat? Viel, viel. Wenn ich nicht dadurch mit Ihnen verbunden wäre, daß auch Sie, sagen wir, dieselbe Handschrift schreiben, daß Sie ein Bruder im Tun sind, wenn Sie irgendwann mit mir zur Schule gegangen wären oder irgeine Bekanntschaft wären, hätte das keinen Einfluß darauf gehabt. Dann nicht. Weil ich aber in jedem Brief, auf jeder Zeile, mit jeder Seite daran erinnert worden wäre, daß ich hier bin und Sie - nicht, drum hab' ich es immer wieder verschoben und weggeschoben, endlich ein Kuvert zu nehmen und meine ganzen Zweifel und meine ganzen Bedenken hineinzustekken. Ich habe es nicht gekonnt. Konnte nicht. Sie wissen nicht - oder wissen es vielleicht doch - wie stark ich meinen Gefühlen unterworfen bin. Daß ich immer nach meinem Gefühl handle und nachher erst denke. Wie immer. So jetzt.
Verdenken Sie es mir nicht. Schütteln Sie den Kopf. Wundern Sie sich. Aber: schreiben Sie mir. Bitte. Sehen Sie: Ich bitte Sie darum.
Vielleicht verstehen Sie mich, weil Sie innerlich nicht allzuweit entfernt sind von solchen Zuständen. Und wenn nicht, versuchen Sie mich zu verstehen aus der Mitmenschlichkeit, die man - immerhin - den anderen gibt. Mehr - hätte ich nicht zu sagen.
Ich möchte -
Sie werden sagen, es ist unbescheiden. Sie haben Recht. Aber ich frage Sie trotzdem.
Sind Sie allein? Sie wohnen doch allein, nicht wahr? Sie sind doch so jung - und ganz allein. Das, wenn ich daran denke, bringt mich Ihnen so nahe, wie es nur die entweder einseitige oder beiderseitige Verlassenheit schaffen kann. Seien Sie nicht böse deshalb. Ziehen Sie sich nicht zurück, weil meine Fühler Ihre berührt haben. Nein? Sagen Sie mir etwas. Sprechen Sie. Von Ihnen, von Ihnen. Wenn ich schon nicht selbst zum Schreiben finde, will ich wenigstens Sie dabei sehen. Und - wenn ich Ihnen ein kleines, kleines Bißchen helfen oder Ihre Zunge lösen könnte, würden Sie mir ungleich mehr geben als womit ich Ihnen kommen könnte.
Das ist ein Verlangen, das, umso ungerechtfertigter, umso dringender ist, und zurückgewiesen, wohl schweigen würde, aber immer noch wünschen.
Daß ich alles, alles verstehen würde, müssen Sie wohl erst glauben lernen. Daß ich Sie aber jetzt schon verstehe, daß ich weiß, wie schwer es ist, den ersten Schritt zu tun, ersehen Sie daraus, daß ich ihn selber tue.
Was ich noch an Äußerlichem zu sagen hätte, ist nicht viel: Ich bin im 4. Jg. angelangt, habe aber noch 1 1/2 Jahre vor mir, zwar einen Bruchteil des Gewesenen, aber immerhin noch lange genug. Schule - warum nicht, aber nur Schule, ist zu wenig, wenn man Klarheit haben will. Schule und Leben, ja, aber wann ist die Schule Leben?
Und nebenher kommen vier kleine Mädchen zu mir lernen, zwei von 12 Jahren, eine von 11, eine von acht. Also gar nicht mehr so klein. Nicht wahr? Ich hab' sie ganz gerne, sie sind sehr lieb und wiegen den Ärger auf, ich - trotzdem - manchmal mit habe.
Und um noch etwas wollte ich Sie bitten: Wir bekommen in der Schule so wenig Exemplare der "Neuen Wege", daß sie, kaum erschienen, schon vergriffen sind. Könnten Sie mir ein Abonnement davon verschaffen oder sehen, daß, wenn das nicht möglich ist, ich sonst auf irgendeine Weise ein Heft erhalte? Sie haben doch sicher Einblick. Ich bin aber gar nicht (möglich,) böse, wenn es nicht möglich ist.
Und berichten Sie mir auch, was aus den Zusammenkünften im Grillparzersaal geworden ist. Ich wollte es gerne wissen.
Jetzt, lieber Andreas, bitte ich Sie nochmals, mir - im Sinn der Weihnachten - nichts nachzutragen und wünsche Ihnen alles, alles Beste für das nächste Jahr.
Ihre
Liebe Hilde,
ich will Dir nur ein paar Gedichte schicken, die ich in letzter Zeit geschrieben hab. Vielleicht kannst Du was daraus entnehmen, wenn Du mich verstehst, oder vielleicht - was mir wichtiger wäre - ist was damit für Dich getan.
Hilde, wie Du vom Alleinsein schreibst, ist so traurig. Bist du sehr allein? Bist du vielleicht ohne jemand, den Du früher gekannt hast, der Dich erstmals zur Frau gemacht hat? Willst Du zu ihm zurückfinden (Ich weiß, es geht mich nichts an.)
Was mich betrifft, bin ich nicht so allein, daß sich mir die Welt dadurch verzerrt (ich habe meine Mutter und habe Freunde um mich, die mir immer wieder lieb sind), aber genug allein, um immer wieder zu wünschen.
Glaub mir, Hilde, wie wert Du mir bist, Dein Vorhandensein - ob Du jetzt schreibst oder nicht - (auch an meiner Person ist mir nicht das Wichtigste, ob sie schreibt sondern ob sie sich bewährt in ihrem Sehnen, einmal jemand alles Glück erschließen zu können).
Wenn Du mit mir einmal beisammen sein wolltest und kannst, schreib mir bitte, ob Du in die Räume des "Art Club" (einer modernen Gruppe) kommen kannst, in der Kärntnerstraße 10, im Untergeschoß, wo wir (es ist ungefähr wie in einem Lesezimmer und mit wenigen Leuten, die alle für sich beschäftigt sind) uns treffen könnten und etwas mehr sprechen als im Grillparzesaal damals, oder uns schön ausschweigen. Es ist der neutralste und unstädtischeste Ort den ich weiß. Schreib mir bitte bald; ich warte unterdessen auf Dich.
Nachträge zu Deinen Fragen:
ein Abonnement der "Neuen Wege" werde ich Dir vermitteln; die Arbeit meiner Freunde vom Arbeitskreis ist : wir sind aus den "N. W." ausgetreten, weil die in letzter Zeit sich dem Unterrichtsministerium haben unterordnen müssen und nichts sogenanntes Verrücktes mehr bringen dürfen. Jetzt gilt unsere ganze Arbeit den "publikationen". Darf ich Dir Nummer 3 (Oktober) und die bald erscheinende Nummer 4 zusenden und überhaupt?
Laß bitte Dein Schreiben nicht Deine erste Sorge sein, sondern leg Deine Kraft und Deine Innigkeit in Dein Leben; wenn Du schreiben mußt, wirst Du es ohnehin wieder. Dein naher Brief ist mir Dein echtestes Gedicht. Dein Andreas
Morgens nach längerer Zeit einmal die Kirche besucht.
Vormittags kamen Tante und Paul.
Versuchten den Nachmittag gemütlich zu machen. Viellei cht wirklich gemütlicher als Christtage vergangener Jahre, die ich in Erinnerung habe.
Nachmittag wieder gedacht, gedacht, Hilde geschrieben /also fing ich hier an/, und ohne Hingebung gelesen.
Daheim ausgeruht. Ich sichtete meine Mappen und sonderte aus letzter Zeit einiges aus.
Ich habe Sehnsucht und weiss nun nicht mehr, wohin sie geht.
Briggi vergessen können, der ich nichts erfülle.
Nm. gelesen, ausgespannt.
Mehr können diese Tage nicht bringen.
Morgen habe ich wieder Büro.
Wegen dringender Arbeiten in Stellvertretung Dr. Machwitz' musste ich ins Büro kommen /entgegen früheren Hoffnungen/. Dort viel aber frei gearbeitet, finde niemand und nichts unsympathisch.
In der Früh Briggi getroffen, sehr hergerichtet, freundlich. Sie war gestern im Art Club, erzählte mir, dass meine Interessentenliste schon lebhaft ausgefüllt werde. Unlängst war der Inder bei Briggi in der Wohnung, zu einem gemütlichen Abend daheim.
Brief nach Oberlaa ist heute abgegangen. Aber ich komme von Briggi nicht mehr los. Jetzt muss ich ganz allein damit gehen.
Am Abend daheim versuchte ich von allem auszuruhen. Es sind immer schöne Abende.
Weihnacht war Rauhreif, heute 0°.
Neulich Dada-Versuche, zu denen viel Ehrlichkeit gehört.
Dr. Pavlicki wurde heute begraben.
Gestern Abend: Brigitte Kahr hat mir geschrieben. Sie dürfte in einer misslichen Lage sein. Heute morgen schrieb ich ihr einen Brief.
Wieder ins Büro gefahren.
Es war weniger zu tun als gestern. Nächste Tage sind frei.
Abends: Art Club. Produktive Zusammentreffen. Lesungstermin mit Dr. Schmeller festgesetzt, mit Artmann besprochen.
Notiz aus dem Büro:
Meine einzige sinnvolle Tätigkeit ist jetzt: Zeit verstreichen lassen.
"publ." nr. 4 auf dem Bierhäuselberg abgezogen. Diesmal mit dem Autobus hinaufgefahren. Tag mit mehreren Eindrücken.
Dialogstelle:
"Wie fühlt man sich als Hure?" "Eng. Als Liebende war man umfassender."
Vormittag kam Kein, mit dem ich auch angenehm plauderte, nachmittag Artmann. Wir stellten die neue Nummer fertig. Nächsten Sonntag Besprechung des Leseabends.
Vormittag sonnige Gegend mit leichtem Frost. Letzte Besorgungen.
Mittags wurde es trüber, ich holte Wein und bereitete den Versand meiner Zeitschrift vor.
Nach längerer Zeit versuchte ich, das ätherische Oel von Mandarinen auszuziehen, um den Duft konzentriert zu erhalten. Dabei bemerkte ich traurig, dass ich keine Probiergläser mehr habe.
Gestern machte ich mich über die Greguerias her und liess mich von Artmann ein wenig in Spanisch unterweisen.
Mir sind Neujahr-Vorsätze recht zuwider, ich möchte auch auf den Rückblick heuer verzichten und mich nur am Silvesterabend einfach freuen. Das vergangene Jahr hat mir den Broterwerb, die Befreiung von den Existenzsorgen, die Staatsbürgerschaft von hier, die "publikationen", mehrere gute Bekanntschaften aus dem Kulturellen gebracht.
In die Bahn des Mädchens vermochte ich nicht zu finden.
Zu einer missglückten Prosa, 31 12 51 abends:
... Das Schwere daran ist, unpersönlich zu schreiben /denn ich könnte nicht Zeilen lang hinschreiben: B., ich lieb dich, und immer noch .../, unpersönlich zu schreiben und gemässigt; man kann Kunst nicht kurzschliessen, und wenn der gesunde Instinkt für die Indirektheit versagt, ist es sehr schwer zu arbeiten, auch wenn die Intensität drängt ...
Einen angenehmen Nachmittag verbracht.
Abends bei guter Speise und Wein hemmungslos zu schreiben begonnen.
1.12.-31.12.1951
Tagebuch
Klarer Dezembertag. Sonne scheinte grell;
blau und weiss. Morgen fahre ich nach
Mödling;
Geordnet. Publikationen zusammengestellt
oder daran versucht ...
Vielleicht wird es Brigitte Kahr?
1 12 51Im Radio hörte ich den
Schlager "Ach du liebe Zeit",
der sehr akt modern ist,
sonst wenig neue Unterhaltung.
Trank Wein, ohne mich gesteigert
zu finden. Wahrscheinlich
wollte ich mich nicht so steigern.
Erlebtheit. Ohne dass sich das Erleben und sein Ausdruck auf
zu fertige andere Ausdrücke stützt. Also immer wieder Neufinden,
frischer Ausdruck, Erlösung für hier und nun.
Anderseits:
Erlebtheit
.: Ohne dass die Flucht vor dem Klischee Methoden
über dasen Erlebensinhalt stellt.
Alle Leute mit dem Empfinden für Schalheit sind mir sympathisch.
Wichtiger als die blossen jene, die Sh
calheit bloss konstatieren,
sind mir natürlich jene, die eine Therapie dagegen kennen.
AlsoVielleicht noch gewisse Gruppen von Selbstmördern, Verbrechern; Souveräne
auf dem Gebiet der freiwilligen Geisteskrankheit; aber auchvor
allem Mädchen, die auf jemand Unge Unliebenden loslieben; Leute, die
das unüberschreibarste Gebrüll mit einer Mäuschenstimme
erledigen; am liebsten sind mir, die jene, die denen alle
gewalrtsamen Reaktionen, und alle Posen so schal sind, vorkommen,
dass sie - unraffiniert, getrieben - nichts anderes zu tun wissen
als gut sein, helfen, dennoch-lieben; und hier wären wir unbegrenzt,
während alle Pose wo ein sehr beschämendes Ende hat.
Nach einer Weile müssen doch die Funksprüche aufhören?
/Niemand hört sie im Niemandland./
Sag, was ist zu tun? Die Antenne einziehen?
Weiter senden.
26 11 51
In der Stadt hässlich vernebelt.
Früh hatte ich Briggi gesehn.
Nur gesehn.
Korrespondenzen. /Ebner,
Schreiber
,
Brigitte Kahr/.
Lindner unerwartet nach Triest.
Hercég geflüchtet, Leitner der
nächste.
Zu Weihnachten werde ich wahr-
scheinlich aussertourlich l0 Tage
frei bekommen.
Hatte neulich von einer Briggi
geträumt, in einer Gesandtschaft
in Zürich, die aber die Züge der
Diem trug. Ein sonderbares Mädchen,
und ein sonderbares Beisammensein
dort.
Abends kam Artmann zu mir. Er
brachte mir die Uebersetzungen.
Post war eingelangt.
Früh ein klarer Vorwintertag.
Manifestation .....
Geringe Verspätung im Büro.
Unser Kompensationspartner
Dr. Pompe wegen Devisenvergehens
vor Gericht.
Wieder Wolken über unserer Firma
-.
Mittags literarisch gear beitet.
Am A bend noch gerechnet, und ein
Fernschreiben kam.
Im rauhen Wetter heimgefahren.
Angenehmer Abend daheim.
Ich freute mich am guten Essen ...
Post war wieder eingelangt.
Ich habe neulich Brigitte Kahr
geschrieben.
Mir Früh einige Gedankenzüge,
Ich Man muß vermeiden,
Die Niederschrift warist so illusorisch
geworden, die Potenzen sind
natürlich nicht abgeschnitten.
Sehr bewegter Vormittag.
Ich überleg mir jedes Wort
dreihundertmal, eh ich's aussprech.
Ich denke aber, daß die Worte,
die die 400ste Überlegung
durchhalten würden, noch besser sind
wären.
Ich ruhe mich momentan aus.
Und es ist so leicht, alles egal
zu finden. Wer meine Sätze
nicht versteht, wird freilich meine Liebe
freilich
nicht verstehen, aber auch die sprech'
ich ja auch anderswohin.
Ich ruhe mich aus von aller
neutralen
Sozietät
Gemeinschaft - für mehrere Minuten.
Heute 20h
Abends
Karl Kraus-Abend bei den
Leuten in der Museumstraße
. Ich
werde Artmann treffen und Wiesflecker
und vielleicht Polakovics.
Gestern erreichten mich die Ankündigungen
des "College"; ich werde auch dort
gelegentlich hingehen.
Mehrere Fernschreiben nachmittags.
Ich muß ehrlich sagen, daß ich
die Stunden Tage mit Briggi
schön und in tiefer Freude
registriert habe. festhalte.
als
- Wie froh bin ich, da daß ich die jene
Tage mit Briggi erlebt habe.
Angenehmer Abend zuhaus. Dann
wieder ausgefahren, in den "Kreis".
Ein ganz lehrreicher /sonst wenig/
Kraus-Vortrag. Nur Artmann war
von unsern Leuten hingekommen.
Angenehmer Abend zu Hause, dann wieder ausgefahren in den „Kreis“.
Ganz lehrreicher (sonst wenig) Vortrag. Nur Artmann von unseren Leuten hingekommen.
Null Grad-Morgen.
Briggi fuhr nicht mit meiner
Straßenbahn.
Ich freue mich auf (unter den
Büchern, die ich bestellt
habe) auf Ernst Jüngers
"Inselfrühling".
Statistik wird immer ärmer:
Nur mehr einen Krampus mit
einem Nikolo gesehen gestern abends.
In einem beinah Londoner Nebel
(es mischen sich immer die Redens-
arten ein)
Briggi abends getroffen, nachdem
Straßenbahnstörungen waren.
Ich hatte die Leute vom Art Club
getroffen, die nächsten Samstag
Mit Briggi wie in früheren Zeiten
gesprochen; sie ist jetzt sehr
außerhalb Ruhe, will rauchen
anfangen.
Gestern Abschlussarbeiten an den
publikationen. In nächster Zeit
beginnt das Matrizenschreiben.
Vormittag: Briggi nicht getroffen.
Viel Arbeit im Büro.
Lindners Chauffeur informierte
uns, es ist so weit, dass Lindner
flüchten wird.
"Kleine Manifestation" endgültig
gefasst.
Es ist eine jämmerlicher LügeSelbstbetrug zu
glauben, wir könnten heute im
nicht vielmehr losgelöst also Teilauszüge wären
unmöglich
ohne uneingedenk
der Maschinen und, der
Arbeitslosigkeit und
des Krieges - lieben, denken
und
über-
haupt
leben.
empfinden.
Dem Liebenden (ohne Maschinen-
hintergrund) aus dem Herzen
zu sprechen, ist mindestens ebenso
gemeinschaftsfreundlich wie
mit ihm über die Kohlenpreise zu
klagen.
(
Mindestens.
)
Bekam die Weihnachtsremuneration
von S 1770.-- ausgezahlt.
Viel Arbeit wieder im Büro.
Mit Tante herausgefahren. Trafen
Dr. Uiberrack. Mit dem über Glas-
chemie fachgesimpelt.
Nachmittag kam Ernst Kein.
Die publikationen mit ihm durch-
gesiebt noch, dann sehr anregend
über Gedichte auseinandergesetzt.
Versuchten zu negativen "Kriterien"
zu finden; stimmen jedenfalls
überein, dass das Dez.-Heft der NW
unter aller Kritik ist.
Die "publikationen" nr. 4 werden
wahrscheinlich besser sein als
die zwei vergangenen Nummern.
Abends versuchte ich, von Briggi
Falkinger loszukommen.
Ich trank Rum und beschäftigte
mich teilweise mit der nächsten
Zukunft.
Die Katze wächst heran und ist
ein sehr liebes Tier.
Verbrachte den Tag
daheim, erledigte
Korrespondenzen,
Nachmittag kam
Artmann
nicht sonderlich
gut gelaunt,
arbeiteten über die
"publikatione n",
ich begleitete ihn dann
(minus 4 Grad) zu ein
Stück auf seinem
Heimweg.
Ich finde es gerade
komisch, wie ich
wieder existiere.
Mit Arbeit jetzt
eingedeckt,
im Büro und privat,
wo ist das Mädchen
hin?
(Nur kann mir noch rasch
übel werden, wenn
ich ein bisschen fester
hindenke.)
abends, wir waren beide verhältnismässig
aktiver, mit Briggi zusammengetroffen.
Sie kommt mittwoch nicht in die "Schmutzigen
Hände" im "Kreis", will aber Samstag zur
Eröffnung des Artclubs. Ich weiss nicht ob
ich hingehn werde.
Sie sagte mir keine schönen Sachen von
Brigitte Kahr.
/Wir sprechen so, wie ich schreibe, und zwar,
wie ich jetzt schreibe, und weniger wie ich
letzte Wochen geschrieben habe, und damals
hab en wir auch anders gesprochen als jetzt;
und wenn wir wollten, könnten wir auch jetzt
noch so sprechen, aber wozu, wenn wir wissen,
wie es weitergeht, und jetzt genügt jedem ein
Hintreiben.
In der nächsten Sekunde muss ich notieren:
es wäre wunsderschön, wenn man mindestens mit-
sammen hintriebe./
Abends lag daheim ein Brief von B. Kahr und
eine Karte von Matejka. Mittags hatte ich
Polakovics angerufen. Seine Frau ist jetzt
dauernd krank. Die beiden sind mir sehr lieb.
Dann noch abends schrieb ich einen Brief an
B. Kahr. Und noch später machte ich Ordnungen
und wurde im Niederschreiben wieder sehr ruhig.
Liebe Brigitte Kahr,
ich danke Ihnen für Ihren Brief und die Tatsache der
Zusendung.
Es ist mir hingegen vollkommen unmöglich, Ihre Arbeit in
den "publikationen" zu bringen. Glauben Sie mir, absolut nicht
wegen des Themas, das uns - wie Sie wahrscheinlich geisseln
werden - "zu wenig schöngeistig" sei; sondern über das Thema hätten
wir gern was gebracht, nur hat bisher noch niemand in unserer
Einfluss-Sphäre darbüber schreiben können; Sie nun und hier
auch nicht.
Ich rechne mit allem, auch dass Sie - nunmehr endgültig -
beleidigt sind und nicht mehr schreiben werden, aber es ist
geht nicht, dass ich aus blosser Sympathie und auf akonto
Ihrer wirklich überzeugenden Stücke eine nicht gelungene Arbeit
bringe.
Halten Sie das, was Sie hier - schreiben traurigmachend
er als in den
Feuilletons, die ja nicht mehr sein wollen und müssen
als sie sind - schreiben, für einen "Realismus"? Keine Spur.
Wo ist eine starke von der Wirklichkeit durchwehte Zeile drinnen?
Sie haben natürlich recht, mit Ihren Sätzen über Verurteilung
und Hoffnung. Aber das wir wie sSie es bringen, kann es in jeder
Eröffnungsrede drinnenstehen.
Der schwarze Himmel - ist ein literarisches Symbol. Der Stern
ein Symbol. Die Hände sind hier keine konkreten Hände /wie anders
die Hände in "Der Brücke", die "die Erde berühreten, auf der Maria
lebte"/. Die faltenlosen Gesichter, die Armesünderbänke, Sie
beschwören wollen, sind niemande nicht: dasein Gesicht das Sie da
gekannt haben oder in das Sie sich dort eingelebt haben.
Sie haben die Wirklichkeit vollkommen preisgegeben und sind
auf die Literatur gekommen.
Ich hoffe, es wird in Wirklichkeit nicht so arg sein, wie ich
in meiner ersten Enttäuschung darüber schreibe: Sie können
doch nicht
x
über abstrakten Betrachtungen alles vergessen haben, was Sie - wahrscheinlich
durch konkretes Erleben - gewonnen hatten.
Oder glauben Sie wirklich, Sie dienen Ihren Zielen eher, wenn
Sie P
fertig gedruckte Programme reden, als wenn Sie, einmal
an einer kleinen zerbrochenen Brücke oder das andere Mal an denm
ersten Früjh-
jahr
sschicksal
schlag eines Judenknaben wo, allen
HässlichkeitWahnsinn des politischen
Hasses aufzeigen? vom Leben her
wirklich
restlos festhalten.
zeigen
Oder Sie leiten Hände eher dadurch ineinander, dass Sie dazu
in einem eleganten Satz auffordern, als dass Sie - gerade bei
Ihrer Darstellungskraft - zwei überzeugende Menschen hinstellen? /Die sich
fassen oder sich nicht mehr fassen oder sich einmal auch halten
wollten./
Wenn ich das Recht dazu hätte, würde ich in Ihr Privatleben Leben
hineinschauen wollen. Gibt es dort nichts als die humanistische
Begeisterung mehr? Ist das Filter so dicht, das über alles zu
schönen literarischen Sätzen filtriert? Kommen Sie nie in die
Lage, dass Ihnen der Stil egal wird? Ich fordere Sie zu nichts
auf, am wenigsten zu Selbstanalyse oder gar Selbstzerfleischung.
Ich kann Ihnen nichts als Illustration hinstellen, am allerwenigsten
einen sehr neutralen Dahinlebenden wie mich. Aber ich möchte
Sie wieder anders als momentan sehen könneNn: ich bin in letzter - und
weiss nicht wieso - so hoffnungslos optimistisch, dass ich glaube,
wie Sie sich tief geäussert haben, sind Sie wirklicher.
/" Es könnte sein, dass sie ihr Licht wiederfände." Sjie ist licht./
Aber ich möchte mit diesem Brief zu nichts beigetragen haben
als, zu einer wie gesagt, zu einer Klärung ein menschlicher
literarischer Vorurteile.
Mit vielen lieben Grüssen
Ihr
Erster Schnee lag, wenn auch
spärlich.
Sehr viel Arbeit im Büro.
Abends getrunken.
Nun liegt wieder nichts in der
Zukunft. - Briggi hat das
Andere überdauert.
minus 3 1/2 Grad früh.
Früh ziemlich haltlos vom Konsum
gerannt.
Im Büro weniger Arbeit, ich tat
hässliche Korrespondenz ab. /Ebner./
Weihnachten liegt irgendwie in der
KLuft.
Nm. war Huber unausstehlich. Bauer
windet sich unter ihr hässlich.
Mehr habe ich momentan nicht aufzu-
schreiben.
Zu Matejka. Dort sehr freundliches
Gespräch, auch Muschik kam dazu.
Mein Gedicht gefiel sehr und kommt,
wahrscheinlich zusammen mit einer
Originalphotographie der Ruinen-
sprengung, ins "TB".
"Schmutzige Hände" angesehen.
Mit Wittmann die Herstellung
der nächsten "publ." abgemacht.
Gerädert heim.
Vm. Wege /"Uni"/.
Meine Matrizen besorgt.
Etwas später ins Büro.
7 Matrizen geschrieben.
Abends mit Polakovics "Wozzek"
angesehen / Film/. Pol wieder
sehr nahe gewesen.
Maja wünscht shehr /in ihrer
Krankheit/, unsere Katze zu sehen.
Fr. Schik-Karli getroffen,
Briggi nur gesehen.
Care Paket von der Aktion
"Künstler helfen Künstlern"
bekommen.
Abends ziemlich kalte Heimfahrt.
Briggi kam noch zu mir, schlug
mir vor, morgen mit ihr zur
ArtClub-Eröffnung zu gehen.
Dr. Schmellers Einladung war
nicht gekommen.
Nicht in den Art Club.
Briggi /hörte ich Sonntag/ war
dortgewesen und bis zuletzt
/dreiviertel eins/ geblieben.
Artmann war auch gekommen.
Ich ging gegen Abend um die Steinhofer Mauer und trank dann.
Pol kam.
In Freundschaft den Vormittag
verbracht.
Halb drei zu Pol:
Maja in Floridsdorf besucht, die
Katze ihr ausgeborgt.
/Maja ist sehr krank./
Ich erzählte Pol. von Briggi F.
Nie Endgültiges ?
Wieder Gedicht. Letzte Woche
vor Weihnachten.
Von gestern an den Wintermantel
genommen.
Lebte wieder in Gedanken an
Briggi.
Früh traf ich sie.
Wirtschaftspolizei und wahn-
sinnige Arbeit in meinem Büro.
Joli - angezeigt.
Für Donnerstag mit Artnmmann
Treffpunkt ArtClub vereinbart.
Viel auch für mich gearbeitet.
Dr. Pawlicki gesrtorben.
Früh Briggi nur gesehn.
Lebte wieder so in Gedanken.
Dr. Machwitz längere Zeit
vm. nicht im Büro, ich matri-
zierte weiter.
Irgendwie vorweihnachtliche
Stimmung.
Aufgelockerter Betrieb im Büro.
Für mich gearbeitet.
Mittags rief Pol an: Majas
Abortus.
Abends in den Art Club.
Angenehmes Lokal im Souterrain
der Kärntnerbar. Artmann dort
angetroffen, mit Trrr diskutiert.
Wir dürften für die Extremisten
des ArtClubs
eine Art Wald- und
Wiesenlyriker darstellen.
Sehr bereitwillig, aber reserviert
dem ArtClub gegenübergestanden.
Mir können die Stösse von aussen
nichts mehr anhaben.
Nach der gestrigen Nacht müder
Morgen, im Büro Aergernisse
nacheinander.
Drei Tage vor Weihnachten ver-
bringe ich einen nebligen Tag.
Das Bekenntnis zum Realismus
ist mir gar keine Frage mehr.
Abends kamen die Stimmen der
Gegenwart
1952, die unvergleichlich
besser als das Buch
1951 sind.
Schon weihnachtliches, wenn auch
schneefreies Wetter. Letzter
Bürotag, auch die Stimmung ist
schon danach.
Am Vormittag wurde noch sehr viel
gearbeitet.
Schwer bepackt heim. Ordnete
nm. meine Korrespondenz, las,
verbrachte den Tag ruhig, unein-
gedenk.
Frei. Vorweihnachtliche Stimmung.
Am kalten Nachmittag eine Prosa
"Nebel über einem Gebiet" zu
schreiben versucht.
Früh ein Gedicht, das sich seltsam
einfand; aus einer ganz unaktuellen
Jahreszeit, aus einem ganz jetzt un-
erreichbaren Leben.
Mittags überraschend noch Post.
Gratulation einer Kohlenfirma,
ein eitle Zusendung von
Weigel /seine Kurzgeschichte "Tod
des Demosthenes", abgezogen und
seinen Freunden zu Weihnachten
gewidmet,/ und - nach sieben
Monaten Pause - ein Brief von
Hilde Schinko, ohne dramatischere
Erklärung ihres Schweigens, lieb
wie seinerzeit, eindeutiger anbahnend
als damals.
So kam ich Nachmittag teils in
diffuse unweihnachtliche Gedanken.
Im ganzen, wenn auch leicht erkrankt,
ganz wohl gefühlt, abends mit hjedem
einzelnen Geschenkstück zufrieden.
An Büchern: Immensee, eine unge-
wunschene "Mignon" von Gerhart
Hauptmann und endlich in meinem
Besitz Trakls "Dichtungen".
Nachts über Hilde gesprochen.
Lieber Andreas!
Ich -
Sehen Sie, sagen könnte ich es Ihnen besser
als schreiben. Oder vielleicht doch nicht,
vielleicht noch schlechter - ich weiß nicht.
Ich habe schon lange das Gefühl, daß
ich nicht eimmal mehr im Schreiben sagen
kann, was ich sagen sollte.
Lieber Andreas, ich sollte, ich müßte
Ihnen nicht erklären, was ich sollte und
nicht kann. Ich wollte, ich hätte einen
Grund dafür, denn hätte ich ihn, müßte
ich mir nicht selber den Kopf zermar-
tern um eine Erklärung oder Entschul-
digung. Sehen Sie, anderen erklärt man,
vor sich selber entschuldigt man sich.
Aber ich habe keine Entschuldigung.
Das weiß ich umso besser, als ich es Ihnen
jetzt schreibe und eine Entschuldigung haben
möchte.
Verstehen werden Sie mich trotzdem. Ich
weiß es.
Ich habe das Gefühl, nichts leisten zu können.
Nichts mehr. Leerlauf, verstehen Sie. Geistiger
Leerlauf. Und erzwingen will ich nichts.
Ich könnte es. Erzwingen. Aber was nicht von
selber kommen will, grabe ich nicht mit
den Nägeln aus sämtlichen Poren heraus.
Was ich nicht schreiben muß, schreibe ich
nicht. Und ich muß nicht! Nicht mehr.
Sie glauben, man müßte darum
kämpfen? Ich nicht. Damit, schon,
o ja, aber darum nicht. Es wäre
dasselbe, wie um die Liebe eines Menschen
zu kämpfen, der keine Liebe für einen
hat. Um Arbeit zu betteln, wo keine
für Dich ist. Das tu' ich nicht. Das sehen
Sie ein? Möglich, daß es ein Übergang ist.
Möglich, daß es ein Dauerzustand ist. Ich
werde warten. Ich werde bereit sein. Aber
erzwingen will ich nichts.
Was das mit den Briefen zu tun hat?
Viel, viel. Wenn ich nicht dadurch mit
Ihnen verbunden wäre, daß auch Sie, sagen
wir, dieselbe Handschrift schreiben, daß
Sie ein Bruder im Tun sind, wenn
Sie irgendwann mit mir zur Schule ge-
gangen wären oder irgeine Bekanntschaft
wären, hätte das keinen Einfluß darauf
gehabt. Dann nicht. Weil ich aber
in jedem Brief, auf jeder Zeile, mit
jeder Seite daran erinnert w orden wäre,
daß ich hier bin und Sie - nicht,
drum hab' ich es immer wieder ver-
schoben und weggeschoben, endlich ein Kuvert
zu nehmen und meine ganzen Zweifel
und meine ganzen Bedenken hineinzustek-
ken. Ich habe es nicht gekonnt. Konnte
nicht. Sie wissen nicht - oder wissen es
vielleicht doch - wie stark ich meinen Gefüh-
len unterworfen bin. Daß ich immer nach
meinem Gefühl handle und nachher
erst denke. Wie immer. So jetzt.
Verdenken Sie es mir nicht. Schütteln
Sie den Kopf. Wundern Sie sich. Aber:
schreiben Sie mir. Bitte. Sehen Sie:
Ich bitte Sie darum.
Vielleicht verstehen Sie mich, weil Sie
innerlich nicht allzuweit entfernt sind
von solchen Zuständen. Und wenn
nicht, versuchen Sie mich zu verstehen
aus der Mitmenschlich keit, die man -
immerhin - den anderen gibt. Mehr -
hätte ich nicht zu sagen.
Ich möchte -
Sie werden sagen, es ist unbescheiden. Sie haben
Recht. Aber ich frage Sie trotzdem.
Sind Sie allein? Sie wohnen doch allein,
nicht wahr? Sie sind doch so jung - und
ganz allein. Das, wenn ich daran
denke, bringt mich Ihnen so nahe, wie
es nur die entweder einseitige oder beider-
seitige Verlassenheit schaffen kann. Seien
Sie nicht böse deshalb. Ziehen Sie sich
nicht zurück, weil meine Fühler Ihre
berührt haben. Nein? Sagen Sie mir
etwas. Sprechen Sie. Von Ihnen, von
Ihnen. Wenn ich schon nicht selbst
zum Schreiben finde, will ich wenigstens Sie
dabei sehen. Und - wenn ich Ihnen
ein kleines, kleines Bißchen helfen oder
Ihre Zunge lösen könnte, würden Sie mir
ungleich mehr geben als womit ich Ihnen
kommen könnte.
Das ist ein Verlangen, das, umso
ungerechtfertigter, umso dringender ist,
und zurückgewiesen, wohl schweigen würde,
aber immer noch wünschen.
Daß ich alles, alles verstehen würde,
müssen Sie wohl erst glauben lernen. Daß
ich Sie aber jetzt schon verstehe, daß
ich weiß, wie schwer es ist, den ersten
Schritt zu tun, ersehen Sie daraus,
daß ich ihn selber tue.
Was ich noch an Äußerlichem zu
sagen hätte, ist nicht viel: Ich bin
im 4. Jg. angelangt, habe aber
noch 1 1/2 Jahre vor mir, zwar einen
Bruchteil des Gewesenen, aber immerhin
noch lange genug. Schule - warum nicht,
aber nur Schule, ist zu wenig, wenn
man Klarheit haben will. Schule und
Leben, ja, aber wann ist die Schule
Leben?
Und nebenher kommen vier kleine
Mädchen zu mir lernen, zwei von
12 Jahren, eine von 11, eine von
acht. Also gar nicht mehr so klein.
Nicht wahr? Ich hab' sie ganz gerne, sie
sind sehr lieb und wiegen den Ärger auf,
ich - trotzdem - manchmal mit
habe.
Und um noch etwas wollte ich Sie
bitten: Wir bekommen in der Schule
so wenig Exemplare der "Neuen Wege",
daß sie, kaum erschienen, schon
vergriffen sind. Könnten Sie mir ein
Abonnement davon verschaffen oder
sehen, daß, wenn das nicht möglich ist,
ich sonst auf irgendeine Weise ein
Heft erhalte? Sie haben doch sicher
Einblick. Ich bin aber gar nicht (möglich,)
böse, wenn es nicht möglich ist.
Und berichten Sie mir
auch, was aus den Zusammen-
künften im Grillparzersaal geworden ist.
Ich wollte es gerne wissen.
Jetzt, lieber Andreas, bitte ich Sie noch-
mals, mir - im Sinn der Weihnachten -
nichts nachzutragen und wünsche Ihnen
alles, alles Beste für das nächste
Jahr.
Ihre
Liebe Hilde,
ich will Dir nur ein paar Gedichte
schicken, die ich in letzter Zeit
geschrieben hab. Vielleicht kannst
Du was daraus entnehmen, wenn Du
mich verstehst, oder vielleicht -
was mir wichtiger wäre - ist
was damit für Dich getan.
Hilde, wie Du vom Alleinsein schreibst,
ist so traurig. Bist du sehr allein?
Bist du vielleicht ohne jemand,
den Du früher gekannt hast,
der Dich erstmals zur Frau gemacht
hat? Willst Du zu ihm zurückfinden
(Ich weiß, es geht mich nichts
an.)
Was mich betrifft, bin ich nicht so
allein, daß sich mir die Welt dadurch
verzerrt (ich habe meine Mutter und
habe Freunde um mich, die mir immer
wieder lieb sind), aber genug allein,
um immer wieder zu wünschen.
Glaub mir, Hilde, wie wert Du mir
bist, Dein Vorhandensein - ob Du
jetzt schreibst oder nicht - (auch an
meiner Person ist mir nicht das
Wichtigste, ob sie schreibt sondern
ob sie sich bewährt in ihrem
Sehnen, einmal jemand alles Glück
erschließen zu können).
Wenn Du mit mir einmal beisammen
sein wolltest und kannst, schreib
mir bitte, ob Du in die Räume
des "Art Club" (einer modernen Gruppe)
kommen kannst, in der Kärntnerstraße
10, im Untergeschoß, wo wir
(es ist ungefähr wie in einem
Lesezimmer und mit wenigen Leuten,
die alle für sich beschäftigt sind)
uns treffen könnten und etwas
mehr sprechen als im Grillparze
saal damals, oder uns schön
ausschweigen. Es ist der
neutralste und unstädtischeste
Ort den ich weiß. Schreib
mir bitte bald; ich warte
unterdessen auf Dich.
Nachträge zu Deinen Fragen:
ein Abonnement der "Neuen Wege"
werde ich Dir vermitteln; die
Arbeit meiner Freunde vom Arbeitskreis
ist : wir sind aus den "N. W."
ausgetreten, weil die in letzter Zeit
sich dem Unterrichtsministerium
haben unterordnen müssen und
nichts sogenanntes Verrücktes mehr
bringen dürfen. Jetzt gilt unsere
ganze Arbeit den "publikationen".
Darf ich Dir Nummer 3 (Oktober)
und die bald erscheinende Nummer
4 zusenden und überhaupt?
Laß bitte Dein Schreiben nicht Deine
erste Sorge sein, sondern leg
Deine Kraft und Deine Innigkeit
in Dein Leben; wenn Du schreiben
mußt, wirst Du es ohnehin wieder.
Dein naher Brief ist mir Dein
echtestes Gedicht. Dein Andreas
Morgens nach längerer Zeit
einmal die Kirche besucht.
Vormittags kamen Tante und Paul.
Versuchten den Naxchmittag
gemütlich zu machen. Viellei
cht
wirklich gemütlicher als Christ-
tage vergangener Jahre, die ich
in Erinnerung habe.
Nachmittag wieder gedacht,
gedacht, Hilde geschrieben
/also fing ich hier an/, und
ohne Hingebung gelesen.
Daheim ausgeruht. Ich sichtete
meine Mappen und sonderte aus
letzter Zeit einiges aus.
Ich habe Sehnsucht und wieeiss
nun nicht mehr, wohin sie geht.
Briggi vergessen können, der ich
nichts erfülle.
Nm. gelesen, ausgespannt.
Mehr können diese Tage nicht
bringen.
Morgen habe ich wieder Büro.
Wegen dringender Arbeiten in
Stellvertretung Dr. Machwitz'
musste ich ins Büro kommen
/entgegen früheren Hoffnungen/.
Dort viel aber frei gearbeitet,
finde niemand und nichts un-
sympathisch.
In der Früh Briggi getroffen,
sehr hergerichtet, freundlich.
Sie war gestern im Art Club,
erzählte mir, dass meine Inter-
essentenlisten schon lebhaft
ausgefüllt werde. Unlängst war
der Inder bei Briggi in der
Wohnung, zu einem gemütlichen
Abend daheim.
Brief nach Oberlaa ist heute
abgegangen. Aber ich komme von
Briggi nicht mehr los. Jetzt
muss ich ganz
yallein damit
gehen.
Am Abend daheim versuchte ich
von allem auszuruhen. Es sind
immer schöne Abende.
Weihnacht war Rauhreif, heute 0°.
Neulich Dada-Versuche, zu denen viel
Ehrlichkeit gehört.
Dr. Pavlicki wurde heute begraben.
Gestern Abend: Brigitte Kahr
hat mir geschrieben. Sie dürfte
in einer misslichen Lage sein.
Heute morgen schrieb ich ihr
einen Brief.
Wieder ins Büro gefahren.
Es war weniger zu tun als gestern.
Nächste Tage sind frei.
Abends: Art Club. Produktive
Zusammentreffen. Lesungstermin
mit Dr. Schmeller festgesetzt,
mit Artmann besprochen.
Notiz aus dem Büro:
Meine einzige sinnvolle Tätigkeit
ist jetzt: Zeit verstreichen lassen.
"publ." nr. 4 auf dem Bierhäusel-
berg abgezogen. Diesmal mit dem
Autobus hinaufgefahren. Tag mit
mehreren Eindrücken.
Dialogstelle:
"Wie fühlt man sich als Hure?"
"Eng. Als Liebende war man um-
fassender."
Vormittag kam Kein, mit dem ich
auch angenehm plauderte, nach-
mittag Artmann. Wir stellten die
neue Nummer fertig. Nächsten
Sonntag Besprechung ders Leseabends.
Vormittag sonnige Gegend mit
leichtem Frost. Letzte Be-
sorgungen.
Mittags wurde es trüber, ich
holte Wein und bereitete den
Versand meiner Zeitschrift
vor.
Nach längerer Zeit versuchte
ich, das ätherische Oel von
Mandarinen auszu-
ziehen, um den Duft konzentriert
zu erhalten. Dabei bemerkte ich
traurig, dass ich keine Probier-
gläser mehr habe.
Gestern machte ich mich über
die Greguerias her und liess
mich von Artmann ein wenig in
Spanisch unterweisen.
Mir sind Neujahr-Vorsätze recht
zuwider, ich möchte auch auf den
Rückblick heuer verzichten und
mich nur am Silvesterabend ein-
fach freuen. Das vergangene Jahr
hat mir den Broterwerb, die
Befreiung von den Existenzsorgen,
die Staatsbürgerschaft
von hier, die "publikationen",
mehrere gute Bekanntschaften
aus dem Kulturellen gebracht.
In die Bahn des Mädchens ver-
mochte ich nicht zu finden.
Zu einer missglückten Prosa, 31 12 51 abends:
... Das Schwere daran ist, unpersönlich zu schreiben
/denn ich könnte nicht Zeilen lang hinschreiben:
B., ich lieb dich, und immer noch .../, unpersönlich
zu schreiben und gemässigt; man kann Kunst nicht
kurzschliesysen, und wenn der gesunde Instinkt für
die Indirektheit versagt, ist es sehr schwer zu
arbeiten, auch wenn die Intensität drängt ...
Einen angenehmen Nachmittag
verbracht.
Abends bei guter Speise und
Wein hemmungslos zu schreiben
begonnen.
1.12.-31.12.1951
Tagebuch
Klarer Dezembertag. Sonne scheinte grell; blau und weiss. Morgen fahre ich nach Mödling;
Geordnet. Publikationen zusammengestellt oder daran versucht ...
Vielleicht wird es Brigitte Kahr?
1 12 51Im Radio hörte ich den Schlager "Ach du liebe Zeit", der sehr modern ist, sonst wenig neue Unterhaltung.
Trank Wein, ohne mich gesteigert zu finden. Wahrscheinlich wollte ich mich nicht so steigern.
Erlebtheit. Ohne dass sich das Erleben und sein Ausdruck auf zu fertige andere Ausdrücke stützt. Also immer wieder Neufinden, frischer Ausdruck, Erlösung für hier und nun.
Anderseits: : Ohne dass die Flucht vor dem Klischee Methoden über den Erlebensinhalt stellt.
Alle Leute mit dem Empfinden für Schalheit sind mir sympathisch. Wichtiger als jene, die Sh calheit bloss konstatieren, sind mir natürlich jene, die eine Therapie dagegen kennen.
gewisse Gruppen von Selbstmördern, Verbrechern; Souveräne auf dem Gebiet der freiwilligen Geisteskrankheit; aber allem Mädchen, die auf jemand Unliebenden loslieben; Leute, die das unüberschreibarste Gebrüll mit einer Mäuschenstimme erledigen; am liebsten sind mir jene, denen alle gewaltsamen Reaktionen und alle Posen so schal vorkommen, dass sie - unraffiniert, getrieben - nichts anderes zu tun wissen als gut sein, helfen, dennoch-lieben; und hier wären wir unbegrenzt, während alle Pose wo ein sehr beschämendes Ende hat.
DialogNach einer Weile müssen doch die Funksprüche aufhören? /Niemand hört sie im Niemandland./
Sag, was ist zu tun? Die Antenne einziehen?
Weiter senden.
26 11 51
In der Stadt hässlich vernebelt.
Früh hatte ich Briggi gesehn. Nur gesehn.
Korrespondenzen. /Ebner, Schreiber , Brigitte Kahr/.
Lindner unerwartet nach Triest. Hercég geflüchtet, Leitner der nächste.
Zu Weihnachten werde ich wahrscheinlich aussertourlich l0 Tage frei bekommen.
Hatte neulich von einer Briggi geträumt, in einer Gesandtschaft in Zürich, die aber die Züge der Diem trug. Ein sonderbares Mädchen, und ein sonderbares Beisammensein dort.
Abends kam Artmann zu mir. Er brachte mir die Uebersetzungen. Post war eingelangt.
Früh ein klarer Vorwintertag. Manifestation .....
Geringe Verspätung im Büro.
Unser Kompensationspartner Dr. Pompe wegen Devisenvergehens vor Gericht.
Wieder Wolken über unserer Firma . Mittags literarisch gearbeitet. Am Abend noch gerechnet, und ein Fernschreiben kam.
Im rauhen Wetter heimgefahren. Angenehmer Abend daheim.
Ich freute mich am guten Essen ...
Post war wieder eingelangt.
Ich habe neulich Brigitte Kahr geschrieben.
Früh einige Gedankenzüge,
Ich Man muß vermeiden,
Die Niederschrift ist so illusorisch geworden, die Potenzen sind natürlich nicht abgeschnitten.
Sehr bewegter Vormittag.
Ich überleg mir jedes Wort dreihundertmal, eh ich's aussprech.
Ich denke aber, daß die Worte, die die 400ste Überlegung durchhalten würden, noch besser wären.
Ich ruhe mich momentan aus. Und es ist so leicht, alles egal zu finden. Wer meine Sätze nicht versteht, wird freilich meine Liebe nicht verstehen, aber auch die sprech' ich ja anderswohin.
Ich ruhe mich aus von aller Gemeinschaft - für mehrere Minuten.
Heute 20h Karl Kraus-Abend bei den Leuten in der Museumstraße . Ich werde Artmann treffen und Wiesflecker und vielleicht Polakovics.
Gestern erreichten mich die Ankündigungen des "College"; ich werde auch dort gelegentlich hingehen.
Mehrere Fernschreiben nachmittags. Ich muß ehrlich sagen, daß ich die Tage mit Briggi als
- Wie froh bin ich, daß ich jene Tage mit Briggi erlebt habe.
Angenehmer Abend zuhaus. Dann wieder ausgefahren, in den "Kreis". Ein ganz lehrreicher /sonst wenig/ Kraus-Vortrag. Nur Artmann war von unsern Leuten hingekommen.
Angenehmer Abend zu Hause, dann wieder ausgefahren in den „Kreis“. Ganz lehrreicher (sonst wenig) Vortrag. Nur Artmann von unseren Leuten hingekommen.
Null Grad-Morgen.
Briggi fuhr nicht mit meiner Straßenbahn.
Ich freue mich (unter den Büchern, die ich bestellt habe) auf Ernst Jüngers "Inselfrühling".
Statistik wird immer ärmer:
Nur mehr einen Krampus mit einem Nikolo gesehen gestern abends.
In einem beinah Londoner Nebel (es mischen sich immer die Redensarten ein)
Briggi abends getroffen, nachdem Straßenbahnstörungen waren.
Ich hatte die Leute vom Art Club getroffen, die nächsten Samstag
Mit Briggi wie in früheren Zeiten gesprochen; sie ist jetzt sehr außerhalb Ruhe, will rauchen anfangen.
Gestern Abschlussarbeiten an den publikationen. In nächster Zeit beginnt das Matrizenschreiben.
Vormittag: Briggi nicht getroffen.
Viel Arbeit im Büro.
Lindners Chauffeur informierte uns, es ist so weit, dass Lindner flüchten wird.
"Kleine Manifestation" endgültig gefasst.
Es ist ein jämmerlicher Selbstbetrug zu glauben, wir könnten heute nicht mehr losgelöst also uneingedenk der Maschinen , der Arbeitslosigkeit und des Krieges - lieben, denken empfinden.
Dem Liebenden (ohne Maschinenhintergrund) aus dem Herzen zu sprechen ist mindestens ebenso gemeinschaftsfreundlich wie mit ihm über die Kohlenpreise zu klagen.
Bekam die Weihnachtsremuneration von S 1770.-- ausgezahlt.
Viel Arbeit wieder im Büro.
Mit Tante herausgefahren. Trafen Dr. Uiberrack. Mit dem über Glaschemie fachgesimpelt.
Nachmittag kam Ernst Kein.
Die publikationen mit ihm durchgesiebt noch, dann sehr anregend über Gedichte auseinandergesetzt. Versuchten zu negativen "Kriterien" zu finden; stimmen jedenfalls überein, dass das Dez.-Heft der NW unter aller Kritik ist.
Die "publikationen" nr. 4 werden wahrscheinlich besser sein als die zwei vergangenen Nummern.
Abends versuchte ich, von Briggi Falkinger loszukommen.
Ich trank Rum und beschäftigte mich teilweise mit der nächsten Zukunft.
Die Katze wächst heran und ist ein sehr liebes Tier.
Verbrachte den Tag daheim, erledigte Korrespondenzen, Nachmittag kam Artmann nicht sonderlich gut gelaunt, arbeiteten über die "publikationen", ich begleitete ihn dann (minus 4 Grad) ein Stück auf seinem Heimweg.
Ich finde es gerade komisch, wie ich wieder existiere.
Mit Arbeit jetzt eingedeckt, im Büro und privat, wo ist das Mädchen hin?
(Nur kann mir noch rasch übel werden, wenn ich ein bisschen fester hindenke.)
abends, wir waren beide verhältnismässig aktiver, mit Briggi zusammengetroffen.
Sie kommt mittwoch nicht in die "Schmutzigen Hände" im "Kreis", will aber Samstag zur Eröffnung des Artclubs. Ich weiss nicht ob ich hingehn werde.
Sie sagte mir keine schönen Sachen von Brigitte Kahr.
/Wir sprechen so, wie ich schreibe, und zwar, wie ich jetzt schreibe, und weniger wie ich letzte Wochen geschrieben habe, und damals haben wir auch anders gesprochen als jetzt; und wenn wir wollten, könnten wir auch jetzt noch so sprechen, aber wozu, wenn wir wissen, wie es weitergeht, und jetzt genügt jedem ein Hintreiben.
In der nächsten Sekunde muss ich notieren: es wäre wunderschön, wenn man mindestens mitsammen hintriebe./
Abends lag daheim ein Brief von B. Kahr und eine Karte von Matejka. Mittags hatte ich Polakovics angerufen. Seine Frau ist jetzt dauernd krank. Die beiden sind mir sehr lieb.
Dann noch abends schrieb ich einen Brief an B. Kahr. Und noch später machte ich Ordnungen und wurde im Niederschreiben wieder sehr ruhig.
Liebe Brigitte Kahr,
ich danke Ihnen für Ihren Brief und die Tatsache der Zusendung.
Es ist mir hingegen vollkommen unmöglich, Ihre Arbeit in den "publikationen" zu bringen. Glauben Sie mir, absolut nicht wegen des Themas, das uns - wie Sie wahrscheinlich geisseln werden - "zu wenig schöngeistig" sei; über das Thema hätten wir gern was gebracht, nur hat bisher noch niemand in unserer Einfluss-Sphäre darüber schreiben können; Sie nun und hier auch nicht.
Ich rechne mit allem, auch dass Sie - nunmehr endgültig - beleidigt sind und nicht mehr schreiben werden, aber es geht nicht, dass ich aus blosser Sympathie und akonto Ihrer wirklich überzeugenden Stücke eine nicht gelungene Arbeit bringe.
Halten Sie das, was Sie hier - traurigmachend er als in den Feuilletons, die ja nicht mehr sein wollen und müssen als sie sind - schreiben, für einen "Realismus"? Keine Spur. Wo ist eine von der Wirklichkeit durchwehte Zeile drinnen? Sie haben natürlich recht, mit Ihren Sätzen über Verurteilung und Hoffnung. Aber wie Sie es bringen, kann es in jeder Eröffnungsrede drinnenstehen.
Der schwarze Himmel - ist ein literarisches Symbol. Der Stern ein Symbol. Die Hände sind hier keine konkreten Hände /wie anders die Hände in "Der Brücke", die "die Erde berührten, auf der Maria lebte"/. Die faltenlosen Gesichter, die Sie beschwören wollen, sind nicht: ein Gesicht das Sie da gekannt haben oder in das Sie sich dort eingelebt haben. Sie haben die Wirklichkeit vollkommen preisgegeben und sind auf die Literatur gekommen.
Ich hoffe, es wird in Wirklichkeit nicht so arg sein, wie ich in meiner ersten Enttäuschung darüber schreibe: Sie können doch nicht x über abstrakten Betrachtungen alles vergessen haben, was Sie - wahrscheinlich durch konkretes Erleben - gewonnen hatten.
Oder glauben Sie wirklich, Sie dienen Ihren Zielen eher, wenn Sie gedruckte Programme reden, als wenn Sie, einmal an einer kleinen zerbrochenen Brücke oder das andere Mal an dem ersten Frühjahr eines Judenknaben wo, allen Wahnsinn des politischen Hasses aufzeigen?
Oder Sie leiten Hände eher dadurch ineinander, dass Sie dazu in einem eleganten Satz auffordern, als dass Sie - gerade bei Ihrer Darstellungskraft - zwei überzeugende Menschen hinstellen? /Die sich fassen oder sich nicht mehr fassen oder sich einmal auch halten wollten./
Wenn ich das Recht dazu hätte, würde ich in Ihr Leben hineinschauen wollen. Gibt es dort nichts als die humanistische Begeisterung mehr? Ist das Filter so dicht, das alles zu schönen literarischen Sätzen filtriert? Kommen Sie nie in die Lage, dass Ihnen der Stil egal wird? Ich fordere Sie zu nichts auf, am wenigsten zu Selbstanalyse oder gar Selbstzerfleischung. Ich kann Ihnen nichts als Illustration hinstellen, am allerwenigsten einen sehr neutralen Dahinlebenden wie mich. Aber ich möchte Sie wieder anders als momentan sehen können: ich bin - und weiss nicht wieso - so hoffnungslos optimistisch, dass ich glaube, wie Sie sich tief geäussert haben, sind Sie wirklicher.
/"Es könnte sein, dass sie ihr Licht wiederfände." Sie ist licht./ Aber ich möchte mit diesem Brief zu nichts beigetragen haben als, wie gesagt, zu einer Klärung ein menschlicher literarischer Vorurteile.
Mit vielen lieben Grüssen
Ihr
Erster Schnee lag, wenn auch spärlich.
Sehr viel Arbeit im Büro.
Abends getrunken.
Nun liegt wieder nichts in der Zukunft. - Briggi hat das Andere überdauert.
minus 3 1/2 Grad früh.
Früh ziemlich haltlos vom Konsum gerannt.
Im Büro weniger Arbeit, ich tat hässliche Korrespondenz ab. /Ebner./
Weihnachten liegt irgendwie in der Luft.
Nm. war Huber unausstehlich. Bauer windet sich unter ihr hässlich.
Mehr habe ich momentan nicht aufzuschreiben.
Zu Matejka. Dort sehr freundliches Gespräch, auch Muschik kam dazu. Mein Gedicht gefiel sehr und kommt, wahrscheinlich zusammen mit einer Originalphotographie der Ruinensprengung, ins "TB".
"Schmutzige Hände" angesehen. Mit Wittmann die Herstellung der nächsten "publ." abgemacht.
Gerädert heim.
Vm. Wege /"Uni"/.
Meine Matrizen besorgt.
Etwas später ins Büro.
7 Matrizen geschrieben.
Abends mit Polakovics "Wozzek" angesehen /Film/. Pol wieder sehr nahe gewesen.
Maja wünscht sehr /in ihrer Krankheit/, unsere Katze zu sehen.
Fr. Schik-Karli getroffen, Briggi nur gesehen.
Care Paket von der Aktion "Künstler helfen Künstlern" bekommen.
Abends ziemlich kalte Heimfahrt. Briggi kam noch zu mir, schlug mir vor, morgen mit ihr zur ArtClub-Eröffnung zu gehen.
Dr. Schmellers Einladung war nicht gekommen.
Nicht in den Art Club. Briggi /hörte ich Sonntag/ war dortgewesen und bis zuletzt /dreiviertel eins/ geblieben. Artmann war auch gekommen.
Ich ging gegen Abend um die Steinhofer Mauer und trank dann.
Pol kam.
In Freundschaft den Vormittag verbracht.
Halb drei zu Pol:
Maja in Floridsdorf besucht, die Katze ihr ausgeborgt.
/Maja ist sehr krank./
Ich erzählte Pol. von Briggi F.
Nie Endgültiges ?
Wieder Gedicht. Letzte Woche vor Weihnachten.
Von gestern an den Wintermantel genommen.
Lebte wieder in Gedanken an Briggi.
Früh traf ich sie.
Wirtschaftspolizei und wahnsinnige Arbeit in meinem Büro. Joli - angezeigt.
Für Donnerstag mit Artmmann Treffpunkt ArtClub vereinbart.
Viel auch für mich gearbeitet.
Dr. Pawlicki gestorben.
Früh Briggi nur gesehn.
Lebte wieder so in Gedanken.
Dr. Machwitz längere Zeit vm. nicht im Büro, ich matrizierte weiter.
Irgendwie vorweihnachtliche Stimmung.
Aufgelockerter Betrieb im Büro. Für mich gearbeitet.
Mittags rief Pol an: Majas Abortus.
Abends in den Art Club.
Angenehmes Lokal im Souterrain der Kärntnerbar. Artmann dort angetroffen, mit Trrr diskutiert. Wir dürften für die Extremisten des ArtClubs eine Art Wald- und Wiesenlyriker darstellen.
Sehr bereitwillig, aber reserviert dem ArtClub gegenübergestanden.
Mir können die Stösse von aussen nichts mehr anhaben.
Nach der gestrigen Nacht müder Morgen, im Büro Aergernisse nacheinander.
Drei Tage vor Weihnachten verbringe ich einen nebligen Tag.
Das Bekenntnis zum Realismus ist mir gar keine Frage mehr.
Abends kamen die Stimmen der Gegenwart 1952, die unvergleichlich besser als das Buch 1951 sind.
Schon weihnachtliches, wenn auch schneefreies Wetter. Letzter Bürotag, auch die Stimmung ist schon danach.
Am Vormittag wurde noch sehr viel gearbeitet.
Schwer bepackt heim. Ordnete nm. meine Korrespondenz, las, verbrachte den Tag ruhig, uneingedenk.
Frei. Vorweihnachtliche Stimmung. Am kalten Nachmittag eine Prosa "Nebel über einem Gebiet" zu schreiben versucht.
Früh ein Gedicht, das sich seltsam einfand; aus einer ganz unaktuellen Jahreszeit, aus einem jetzt unerreichbaren Leben.
Mittags überraschend noch Post. Gratulation einer Kohlenfirma, ein eitle Zusendung von Weigel /seine Kurzgeschichte "Tod des Demosthenes", abgezogen und seinen Freunden zu Weihnachten gewidmet,/ und - nach sieben Monaten Pause - ein Brief von Hilde Schinko, ohne dramatischere Erklärung ihres Schweigens, lieb wie seinerzeit, eindeutiger anbahnend als damals.
So kam ich Nachmittag teils in diffuse unweihnachtliche Gedanken.
Im ganzen, wenn auch leicht erkrankt, ganz wohl gefühlt, abends mit jedem einzelnen Geschenkstück zufrieden. An Büchern: Immensee, eine ungewunschene "Mignon" von Gerhart Hauptmann und endlich in meinem Besitz Trakls "Dichtungen".
Nachts über Hilde gesprochen.
Lieber Andreas!
Ich -
Sehen Sie, sagen könnte ich es Ihnen besser als schreiben. Oder vielleicht doch nicht, vielleicht noch schlechter - ich weiß nicht. Ich habe schon lange das Gefühl, daß ich nicht eimmal mehr im Schreiben sagen kann, was ich sagen sollte.
Lieber Andreas, ich sollte, ich müßte Ihnen nicht erklären, was ich sollte und nicht kann. Ich wollte, ich hätte einen Grund dafür, denn hätte ich ihn, müßte ich mir nicht selber den Kopf zermartern um eine Erklärung oder Entschuldigung. Sehen Sie, anderen erklärt man, vor sich selber entschuldigt man sich.
Aber ich habe keine Entschuldigung.
Das weiß ich umso besser, als ich es Ihnen jetzt schreibe und eine Entschuldigung haben möchte.
Verstehen werden Sie mich trotzdem. Ich weiß es.
Ich habe das Gefühl, nichts leisten zu können. Nichts mehr. Leerlauf, verstehen Sie. Geistiger Leerlauf. Und erzwingen will ich nichts. Ich könnte es. Erzwingen. Aber was nicht von selber kommen will, grabe ich nicht mit den Nägeln aus sämtlichen Poren heraus. Was ich nicht schreiben muß, schreibe ich nicht. Und ich muß nicht! Nicht mehr.
Sie glauben, man müßte darum kämpfen? Ich nicht. Damit, schon, o ja, aber darum nicht. Es wäre dasselbe, wie um die Liebe eines Menschen zu kämpfen, der keine Liebe für einen hat. Um Arbeit zu betteln, wo keine für Dich ist. Das tu' ich nicht. Das sehen Sie ein? Möglich, daß es ein Übergang ist. Möglich, daß es ein Dauerzustand ist. Ich werde warten. Ich werde bereit sein. Aber erzwingen will ich nichts.
Was das mit den Briefen zu tun hat? Viel, viel. Wenn ich nicht dadurch mit Ihnen verbunden wäre, daß auch Sie, sagen wir, dieselbe Handschrift schreiben, daß Sie ein Bruder im Tun sind, wenn Sie irgendwann mit mir zur Schule gegangen wären oder irgeine Bekanntschaft wären, hätte das keinen Einfluß darauf gehabt. Dann nicht. Weil ich aber in jedem Brief, auf jeder Zeile, mit jeder Seite daran erinnert worden wäre, daß ich hier bin und Sie - nicht, drum hab' ich es immer wieder verschoben und weggeschoben, endlich ein Kuvert zu nehmen und meine ganzen Zweifel und meine ganzen Bedenken hineinzustekken. Ich habe es nicht gekonnt. Konnte nicht. Sie wissen nicht - oder wissen es vielleicht doch - wie stark ich meinen Gefühlen unterworfen bin. Daß ich immer nach meinem Gefühl handle und nachher erst denke. Wie immer. So jetzt.
Verdenken Sie es mir nicht. Schütteln Sie den Kopf. Wundern Sie sich. Aber: schreiben Sie mir. Bitte. Sehen Sie: Ich bitte Sie darum.
Vielleicht verstehen Sie mich, weil Sie innerlich nicht allzuweit entfernt sind von solchen Zuständen. Und wenn nicht, versuchen Sie mich zu verstehen aus der Mitmenschlichkeit, die man - immerhin - den anderen gibt. Mehr - hätte ich nicht zu sagen.
Ich möchte -
Sie werden sagen, es ist unbescheiden. Sie haben Recht. Aber ich frage Sie trotzdem.
Sind Sie allein? Sie wohnen doch allein, nicht wahr? Sie sind doch so jung - und ganz allein. Das, wenn ich daran denke, bringt mich Ihnen so nahe, wie es nur die entweder einseitige oder beiderseitige Verlassenheit schaffen kann. Seien Sie nicht böse deshalb. Ziehen Sie sich nicht zurück, weil meine Fühler Ihre berührt haben. Nein? Sagen Sie mir etwas. Sprechen Sie. Von Ihnen, von Ihnen. Wenn ich schon nicht selbst zum Schreiben finde, will ich wenigstens Sie dabei sehen. Und - wenn ich Ihnen ein kleines, kleines Bißchen helfen oder Ihre Zunge lösen könnte, würden Sie mir ungleich mehr geben als womit ich Ihnen kommen könnte.
Das ist ein Verlangen, das, umso ungerechtfertigter, umso dringender ist, und zurückgewiesen, wohl schweigen würde, aber immer noch wünschen.
Daß ich alles, alles verstehen würde, müssen Sie wohl erst glauben lernen. Daß ich Sie aber jetzt schon verstehe, daß ich weiß, wie schwer es ist, den ersten Schritt zu tun, ersehen Sie daraus, daß ich ihn selber tue.
Was ich noch an Äußerlichem zu sagen hätte, ist nicht viel: Ich bin im 4. Jg. angelangt, habe aber noch 1 1/2 Jahre vor mir, zwar einen Bruchteil des Gewesenen, aber immerhin noch lange genug. Schule - warum nicht, aber nur Schule, ist zu wenig, wenn man Klarheit haben will. Schule und Leben, ja, aber wann ist die Schule Leben?
Und nebenher kommen vier kleine Mädchen zu mir lernen, zwei von 12 Jahren, eine von 11, eine von acht. Also gar nicht mehr so klein. Nicht wahr? Ich hab' sie ganz gerne, sie sind sehr lieb und wiegen den Ärger auf, ich - trotzdem - manchmal mit habe.
Und um noch etwas wollte ich Sie bitten: Wir bekommen in der Schule so wenig Exemplare der "Neuen Wege", daß sie, kaum erschienen, schon vergriffen sind. Könnten Sie mir ein Abonnement davon verschaffen oder sehen, daß, wenn das nicht möglich ist, ich sonst auf irgendeine Weise ein Heft erhalte? Sie haben doch sicher Einblick. Ich bin aber gar nicht (möglich,) böse, wenn es nicht möglich ist.
Und berichten Sie mir auch, was aus den Zusammenkünften im Grillparzersaal geworden ist. Ich wollte es gerne wissen.
Jetzt, lieber Andreas, bitte ich Sie nochmals, mir - im Sinn der Weihnachten - nichts nachzutragen und wünsche Ihnen alles, alles Beste für das nächste Jahr.
Ihre
Liebe Hilde,
ich will Dir nur ein paar Gedichte schicken, die ich in letzter Zeit geschrieben hab. Vielleicht kannst Du was daraus entnehmen, wenn Du mich verstehst, oder vielleicht - was mir wichtiger wäre - ist was damit für Dich getan.
Hilde, wie Du vom Alleinsein schreibst, ist so traurig. Bist du sehr allein? Bist du vielleicht ohne jemand, den Du früher gekannt hast, der Dich erstmals zur Frau gemacht hat? Willst Du zu ihm zurückfinden (Ich weiß, es geht mich nichts an.)
Was mich betrifft, bin ich nicht so allein, daß sich mir die Welt dadurch verzerrt (ich habe meine Mutter und habe Freunde um mich, die mir immer wieder lieb sind), aber genug allein, um immer wieder zu wünschen.
Glaub mir, Hilde, wie wert Du mir bist, Dein Vorhandensein - ob Du jetzt schreibst oder nicht - (auch an meiner Person ist mir nicht das Wichtigste, ob sie schreibt sondern ob sie sich bewährt in ihrem Sehnen, einmal jemand alles Glück erschließen zu können).
Wenn Du mit mir einmal beisammen sein wolltest und kannst, schreib mir bitte, ob Du in die Räume des "Art Club" (einer modernen Gruppe) kommen kannst, in der Kärntnerstraße 10, im Untergeschoß, wo wir (es ist ungefähr wie in einem Lesezimmer und mit wenigen Leuten, die alle für sich beschäftigt sind) uns treffen könnten und etwas mehr sprechen als im Grillparzesaal damals, oder uns schön ausschweigen. Es ist der neutralste und unstädtischeste Ort den ich weiß. Schreib mir bitte bald; ich warte unterdessen auf Dich.
Nachträge zu Deinen Fragen:
ein Abonnement der "Neuen Wege" werde ich Dir vermitteln; die Arbeit meiner Freunde vom Arbeitskreis ist : wir sind aus den "N. W." ausgetreten, weil die in letzter Zeit sich dem Unterrichtsministerium haben unterordnen müssen und nichts sogenanntes Verrücktes mehr bringen dürfen. Jetzt gilt unsere ganze Arbeit den "publikationen". Darf ich Dir Nummer 3 (Oktober) und die bald erscheinende Nummer 4 zusenden und überhaupt?
Laß bitte Dein Schreiben nicht Deine erste Sorge sein, sondern leg Deine Kraft und Deine Innigkeit in Dein Leben; wenn Du schreiben mußt, wirst Du es ohnehin wieder. Dein naher Brief ist mir Dein echtestes Gedicht. Dein Andreas
Morgens nach längerer Zeit einmal die Kirche besucht.
Vormittags kamen Tante und Paul.
Versuchten den Nachmittag gemütlich zu machen. Viellei cht wirklich gemütlicher als Christtage vergangener Jahre, die ich in Erinnerung habe.
Nachmittag wieder gedacht, gedacht, Hilde geschrieben /also fing ich hier an/, und ohne Hingebung gelesen.
Daheim ausgeruht. Ich sichtete meine Mappen und sonderte aus letzter Zeit einiges aus.
Ich habe Sehnsucht und weiss nun nicht mehr, wohin sie geht.
Briggi vergessen können, der ich nichts erfülle.
Nm. gelesen, ausgespannt.
Mehr können diese Tage nicht bringen.
Morgen habe ich wieder Büro.
Wegen dringender Arbeiten in Stellvertretung Dr. Machwitz' musste ich ins Büro kommen /entgegen früheren Hoffnungen/. Dort viel aber frei gearbeitet, finde niemand und nichts unsympathisch.
In der Früh Briggi getroffen, sehr hergerichtet, freundlich. Sie war gestern im Art Club, erzählte mir, dass meine Interessentenliste schon lebhaft ausgefüllt werde. Unlängst war der Inder bei Briggi in der Wohnung, zu einem gemütlichen Abend daheim.
Brief nach Oberlaa ist heute abgegangen. Aber ich komme von Briggi nicht mehr los. Jetzt muss ich ganz allein damit gehen.
Am Abend daheim versuchte ich von allem auszuruhen. Es sind immer schöne Abende.
Weihnacht war Rauhreif, heute 0°.
Neulich Dada-Versuche, zu denen viel Ehrlichkeit gehört.
Dr. Pavlicki wurde heute begraben.
Gestern Abend: Brigitte Kahr hat mir geschrieben. Sie dürfte in einer misslichen Lage sein. Heute morgen schrieb ich ihr einen Brief.
Wieder ins Büro gefahren.
Es war weniger zu tun als gestern. Nächste Tage sind frei.
Abends: Art Club. Produktive Zusammentreffen. Lesungstermin mit Dr. Schmeller festgesetzt, mit Artmann besprochen.
Notiz aus dem Büro:
Meine einzige sinnvolle Tätigkeit ist jetzt: Zeit verstreichen lassen.
"publ." nr. 4 auf dem Bierhäuselberg abgezogen. Diesmal mit dem Autobus hinaufgefahren. Tag mit mehreren Eindrücken.
Dialogstelle:
"Wie fühlt man sich als Hure?" "Eng. Als Liebende war man umfassender."
Vormittag kam Kein, mit dem ich auch angenehm plauderte, nachmittag Artmann. Wir stellten die neue Nummer fertig. Nächsten Sonntag Besprechung des Leseabends.
Vormittag sonnige Gegend mit leichtem Frost. Letzte Besorgungen.
Mittags wurde es trüber, ich holte Wein und bereitete den Versand meiner Zeitschrift vor.
Nach längerer Zeit versuchte ich, das ätherische Oel von Mandarinen auszuziehen, um den Duft konzentriert zu erhalten. Dabei bemerkte ich traurig, dass ich keine Probiergläser mehr habe.
Gestern machte ich mich über die Greguerias her und liess mich von Artmann ein wenig in Spanisch unterweisen.
Mir sind Neujahr-Vorsätze recht zuwider, ich möchte auch auf den Rückblick heuer verzichten und mich nur am Silvesterabend einfach freuen. Das vergangene Jahr hat mir den Broterwerb, die Befreiung von den Existenzsorgen, die Staatsbürgerschaft von hier, die "publikationen", mehrere gute Bekanntschaften aus dem Kulturellen gebracht.
In die Bahn des Mädchens vermochte ich nicht zu finden.
Zu einer missglückten Prosa, 31 12 51 abends:
... Das Schwere daran ist, unpersönlich zu schreiben /denn ich könnte nicht Zeilen lang hinschreiben: B., ich lieb dich, und immer noch .../, unpersönlich zu schreiben und gemässigt; man kann Kunst nicht kurzschliessen, und wenn der gesunde Instinkt für die Indirektheit versagt, ist es sehr schwer zu arbeiten, auch wenn die Intensität drängt ...
Einen angenehmen Nachmittag verbracht.
Abends bei guter Speise und Wein hemmungslos zu schreiben begonnen.
1.12.-31.12.1951
Tagebuch
Klarer Dezembertag. Sonne scheinte grell;
blau und weiss. Morgen fahre ich nach
Mödling;
Geordnet. Publikationen zusammengestellt
oder daran versucht ...
Vielleicht wird es Brigitte Kahr?
1 12 51Im Radio hörte ich den
Schlager "Ach du liebe Zeit",
der sehr akt modern ist,
sonst wenig neue Unterhaltung.
Trank Wein, ohne mich gesteigert
zu finden. Wahrscheinlich
wollte ich mich nicht so steigern.
Erlebtheit. Ohne dass sich das Erleben und sein Ausdruck auf
zu fertige andere Ausdrücke stützt. Also immer wieder Neufinden,
frischer Ausdruck, Erlösung für hier und nun.
Anderseits:
Erlebtheit
.: Ohne dass die Flucht vor dem Klischee Methoden
über dasen Erlebensinhalt stellt.
Alle Leute mit dem Empfinden für Schalheit sind mir sympathisch.
Wichtiger als die blossen jene, die Sh
calheit bloss konstatieren,
sind mir natürlich jene, die eine Therapie dagegen kennen.
AlsoVielleicht noch gewisse Gruppen von Selbstmördern, Verbrechern; Souveräne
auf dem Gebiet der freiwilligen Geisteskrankheit; aber auchvor
allem Mädchen, die auf jemand Unge Unliebenden loslieben; Leute, die
das unüberschreibarste Gebrüll mit einer Mäuschenstimme
erledigen; am liebsten sind mir, die jene, die denen alle
gewalrtsamen Reaktionen, und alle Posen so schal sind, vorkommen,
dass sie - unraffiniert, getrieben - nichts anderes zu tun wissen
als gut sein, helfen, dennoch-lieben; und hier wären wir unbegrenzt,
während alle Pose wo ein sehr beschämendes Ende hat.
Nach einer Weile müssen doch die Funksprüche aufhören?
/Niemand hört sie im Niemandland./
Sag, was ist zu tun? Die Antenne einziehen?
Weiter senden.
26 11 51
In der Stadt hässlich vernebelt.
Früh hatte ich Briggi gesehn.
Nur gesehn.
Korrespondenzen. /Ebner,
Schreiber
,
Brigitte Kahr/.
Lindner unerwartet nach Triest.
Hercég geflüchtet, Leitner der
nächste.
Zu Weihnachten werde ich wahr-
scheinlich aussertourlich l0 Tage
frei bekommen.
Hatte neulich von einer Briggi
geträumt, in einer Gesandtschaft
in Zürich, die aber die Züge der
Diem trug. Ein sonderbares Mädchen,
und ein sonderbares Beisammensein
dort.
Abends kam Artmann zu mir. Er
brachte mir die Uebersetzungen.
Post war eingelangt.
Früh ein klarer Vorwintertag.
Manifestation .....
Geringe Verspätung im Büro.
Unser Kompensationspartner
Dr. Pompe wegen Devisenvergehens
vor Gericht.
Wieder Wolken über unserer Firma
-.
Mittags literarisch gear beitet.
Am A bend noch gerechnet, und ein
Fernschreiben kam.
Im rauhen Wetter heimgefahren.
Angenehmer Abend daheim.
Ich freute mich am guten Essen ...
Post war wieder eingelangt.
Ich habe neulich Brigitte Kahr
geschrieben.
Mir Früh einige Gedankenzüge,
Ich Man muß vermeiden,
Die Niederschrift warist so illusorisch
geworden, die Potenzen sind
natürlich nicht abgeschnitten.
Sehr bewegter Vormittag.
Ich überleg mir jedes Wort
dreihundertmal, eh ich's aussprech.
Ich denke aber, daß die Worte,
die die 400ste Überlegung
durchhalten würden, noch besser sind
wären.
Ich ruhe mich momentan aus.
Und es ist so leicht, alles egal
zu finden. Wer meine Sätze
nicht versteht, wird freilich meine Liebe
freilich
nicht verstehen, aber auch die sprech'
ich ja auch anderswohin.
Ich ruhe mich aus von aller
neutralen
Sozietät
Gemeinschaft - für mehrere Minuten.
Heute 20h
Abends
Karl Kraus-Abend bei den
Leuten in der Museumstraße
. Ich
werde Artmann treffen und Wiesflecker
und vielleicht Polakovics.
Gestern erreichten mich die Ankündigungen
des "College"; ich werde auch dort
gelegentlich hingehen.
Mehrere Fernschreiben nachmittags.
Ich muß ehrlich sagen, daß ich
die Stunden Tage mit Briggi
schön und in tiefer Freude
registriert habe. festhalte.
als
- Wie froh bin ich, da daß ich die jene
Tage mit Briggi erlebt habe.
Angenehmer Abend zuhaus. Dann
wieder ausgefahren, in den "Kreis".
Ein ganz lehrreicher /sonst wenig/
Kraus-Vortrag. Nur Artmann war
von unsern Leuten hingekommen.
Angenehmer Abend zu Hause, dann wieder ausgefahren in den „Kreis“.
Ganz lehrreicher (sonst wenig) Vortrag. Nur Artmann von unseren Leuten hingekommen.
Null Grad-Morgen.
Briggi fuhr nicht mit meiner
Straßenbahn.
Ich freue mich auf (unter den
Büchern, die ich bestellt
habe) auf Ernst Jüngers
"Inselfrühling".
Statistik wird immer ärmer:
Nur mehr einen Krampus mit
einem Nikolo gesehen gestern abends.
In einem beinah Londoner Nebel
(es mischen sich immer die Redens-
arten ein)
Briggi abends getroffen, nachdem
Straßenbahnstörungen waren.
Ich hatte die Leute vom Art Club
getroffen, die nächsten Samstag
Mit Briggi wie in früheren Zeiten
gesprochen; sie ist jetzt sehr
außerhalb Ruhe, will rauchen
anfangen.
Gestern Abschlussarbeiten an den
publikationen. In nächster Zeit
beginnt das Matrizenschreiben.
Vormittag: Briggi nicht getroffen.
Viel Arbeit im Büro.
Lindners Chauffeur informierte
uns, es ist so weit, dass Lindner
flüchten wird.
"Kleine Manifestation" endgültig
gefasst.
Es ist eine jämmerlicher LügeSelbstbetrug zu
glauben, wir könnten heute im
nicht vielmehr losgelöst also Teilauszüge wären
unmöglich
ohne uneingedenk
der Maschinen und, der
Arbeitslosigkeit und
des Krieges - lieben, denken
und
über-
haupt
leben.
empfinden.
Dem Liebenden (ohne Maschinen-
hintergrund) aus dem Herzen
zu sprechen, ist mindestens ebenso
gemeinschaftsfreundlich wie
mit ihm über die Kohlenpreise zu
klagen.
(
Mindestens.
)
Bekam die Weihnachtsremuneration
von S 1770.-- ausgezahlt.
Viel Arbeit wieder im Büro.
Mit Tante herausgefahren. Trafen
Dr. Uiberrack. Mit dem über Glas-
chemie fachgesimpelt.
Nachmittag kam Ernst Kein.
Die publikationen mit ihm durch-
gesiebt noch, dann sehr anregend
über Gedichte auseinandergesetzt.
Versuchten zu negativen "Kriterien"
zu finden; stimmen jedenfalls
überein, dass das Dez.-Heft der NW
unter aller Kritik ist.
Die "publikationen" nr. 4 werden
wahrscheinlich besser sein als
die zwei vergangenen Nummern.
Abends versuchte ich, von Briggi
Falkinger loszukommen.
Ich trank Rum und beschäftigte
mich teilweise mit der nächsten
Zukunft.
Die Katze wächst heran und ist
ein sehr liebes Tier.
Verbrachte den Tag
daheim, erledigte
Korrespondenzen,
Nachmittag kam
Artmann
nicht sonderlich
gut gelaunt,
arbeiteten über die
"publikatione n",
ich begleitete ihn dann
(minus 4 Grad) zu ein
Stück auf seinem
Heimweg.
Ich finde es gerade
komisch, wie ich
wieder existiere.
Mit Arbeit jetzt
eingedeckt,
im Büro und privat,
wo ist das Mädchen
hin?
(Nur kann mir noch rasch
übel werden, wenn
ich ein bisschen fester
hindenke.)
abends, wir waren beide verhältnismässig
aktiver, mit Briggi zusammengetroffen.
Sie kommt mittwoch nicht in die "Schmutzigen
Hände" im "Kreis", will aber Samstag zur
Eröffnung des Artclubs. Ich weiss nicht ob
ich hingehn werde.
Sie sagte mir keine schönen Sachen von
Brigitte Kahr.
/Wir sprechen so, wie ich schreibe, und zwar,
wie ich jetzt schreibe, und weniger wie ich
letzte Wochen geschrieben habe, und damals
hab en wir auch anders gesprochen als jetzt;
und wenn wir wollten, könnten wir auch jetzt
noch so sprechen, aber wozu, wenn wir wissen,
wie es weitergeht, und jetzt genügt jedem ein
Hintreiben.
In der nächsten Sekunde muss ich notieren:
es wäre wunsderschön, wenn man mindestens mit-
sammen hintriebe./
Abends lag daheim ein Brief von B. Kahr und
eine Karte von Matejka. Mittags hatte ich
Polakovics angerufen. Seine Frau ist jetzt
dauernd krank. Die beiden sind mir sehr lieb.
Dann noch abends schrieb ich einen Brief an
B. Kahr. Und noch später machte ich Ordnungen
und wurde im Niederschreiben wieder sehr ruhig.
Liebe Brigitte Kahr,
ich danke Ihnen für Ihren Brief und die Tatsache der
Zusendung.
Es ist mir hingegen vollkommen unmöglich, Ihre Arbeit in
den "publikationen" zu bringen. Glauben Sie mir, absolut nicht
wegen des Themas, das uns - wie Sie wahrscheinlich geisseln
werden - "zu wenig schöngeistig" sei; sondern über das Thema hätten
wir gern was gebracht, nur hat bisher noch niemand in unserer
Einfluss-Sphäre darbüber schreiben können; Sie nun und hier
auch nicht.
Ich rechne mit allem, auch dass Sie - nunmehr endgültig -
beleidigt sind und nicht mehr schreiben werden, aber es ist
geht nicht, dass ich aus blosser Sympathie und auf akonto
Ihrer wirklich überzeugenden Stücke eine nicht gelungene Arbeit
bringe.
Halten Sie das, was Sie hier - schreiben traurigmachend
er als in den
Feuilletons, die ja nicht mehr sein wollen und müssen
als sie sind - schreiben, für einen "Realismus"? Keine Spur.
Wo ist eine starke von der Wirklichkeit durchwehte Zeile drinnen?
Sie haben natürlich recht, mit Ihren Sätzen über Verurteilung
und Hoffnung. Aber das wir wie sSie es bringen, kann es in jeder
Eröffnungsrede drinnenstehen.
Der schwarze Himmel - ist ein literarisches Symbol. Der Stern
ein Symbol. Die Hände sind hier keine konkreten Hände /wie anders
die Hände in "Der Brücke", die "die Erde berühreten, auf der Maria
lebte"/. Die faltenlosen Gesichter, die Armesünderbänke, Sie
beschwören wollen, sind niemande nicht: dasein Gesicht das Sie da
gekannt haben oder in das Sie sich dort eingelebt haben.
Sie haben die Wirklichkeit vollkommen preisgegeben und sind
auf die Literatur gekommen.
Ich hoffe, es wird in Wirklichkeit nicht so arg sein, wie ich
in meiner ersten Enttäuschung darüber schreibe: Sie können
doch nicht
x
über abstrakten Betrachtungen alles vergessen haben, was Sie - wahrscheinlich
durch konkretes Erleben - gewonnen hatten.
Oder glauben Sie wirklich, Sie dienen Ihren Zielen eher, wenn
Sie P
fertig gedruckte Programme reden, als wenn Sie, einmal
an einer kleinen zerbrochenen Brücke oder das andere Mal an denm
ersten Früjh-
jahr
sschicksal
schlag eines Judenknaben wo, allen
HässlichkeitWahnsinn des politischen
Hasses aufzeigen? vom Leben her
wirklich
restlos festhalten.
zeigen
Oder Sie leiten Hände eher dadurch ineinander, dass Sie dazu
in einem eleganten Satz auffordern, als dass Sie - gerade bei
Ihrer Darstellungskraft - zwei überzeugende Menschen hinstellen? /Die sich
fassen oder sich nicht mehr fassen oder sich einmal auch halten
wollten./
Wenn ich das Recht dazu hätte, würde ich in Ihr Privatleben Leben
hineinschauen wollen. Gibt es dort nichts als die humanistische
Begeisterung mehr? Ist das Filter so dicht, das über alles zu
schönen literarischen Sätzen filtriert? Kommen Sie nie in die
Lage, dass Ihnen der Stil egal wird? Ich fordere Sie zu nichts
auf, am wenigsten zu Selbstanalyse oder gar Selbstzerfleischung.
Ich kann Ihnen nichts als Illustration hinstellen, am allerwenigsten
einen sehr neutralen Dahinlebenden wie mich. Aber ich möchte
Sie wieder anders als momentan sehen könneNn: ich bin in letzter - und
weiss nicht wieso - so hoffnungslos optimistisch, dass ich glaube,
wie Sie sich tief geäussert haben, sind Sie wirklicher.
/" Es könnte sein, dass sie ihr Licht wiederfände." Sjie ist licht./
Aber ich möchte mit diesem Brief zu nichts beigetragen haben
als, zu einer wie gesagt, zu einer Klärung ein menschlicher
literarischer Vorurteile.
Mit vielen lieben Grüssen
Ihr
Erster Schnee lag, wenn auch
spärlich.
Sehr viel Arbeit im Büro.
Abends getrunken.
Nun liegt wieder nichts in der
Zukunft. - Briggi hat das
Andere überdauert.
minus 3 1/2 Grad früh.
Früh ziemlich haltlos vom Konsum
gerannt.
Im Büro weniger Arbeit, ich tat
hässliche Korrespondenz ab. /Ebner./
Weihnachten liegt irgendwie in der
KLuft.
Nm. war Huber unausstehlich. Bauer
windet sich unter ihr hässlich.
Mehr habe ich momentan nicht aufzu-
schreiben.
Zu Matejka. Dort sehr freundliches
Gespräch, auch Muschik kam dazu.
Mein Gedicht gefiel sehr und kommt,
wahrscheinlich zusammen mit einer
Originalphotographie der Ruinen-
sprengung, ins "TB".
"Schmutzige Hände" angesehen.
Mit Wittmann die Herstellung
der nächsten "publ." abgemacht.
Gerädert heim.
Vm. Wege /"Uni"/.
Meine Matrizen besorgt.
Etwas später ins Büro.
7 Matrizen geschrieben.
Abends mit Polakovics "Wozzek"
angesehen / Film/. Pol wieder
sehr nahe gewesen.
Maja wünscht shehr /in ihrer
Krankheit/, unsere Katze zu sehen.
Fr. Schik-Karli getroffen,
Briggi nur gesehen.
Care Paket von der Aktion
"Künstler helfen Künstlern"
bekommen.
Abends ziemlich kalte Heimfahrt.
Briggi kam noch zu mir, schlug
mir vor, morgen mit ihr zur
ArtClub-Eröffnung zu gehen.
Dr. Schmellers Einladung war
nicht gekommen.
Nicht in den Art Club.
Briggi /hörte ich Sonntag/ war
dortgewesen und bis zuletzt
/dreiviertel eins/ geblieben.
Artmann war auch gekommen.
Ich ging gegen Abend um die Steinhofer Mauer und trank dann.
Pol kam.
In Freundschaft den Vormittag
verbracht.
Halb drei zu Pol:
Maja in Floridsdorf besucht, die
Katze ihr ausgeborgt.
/Maja ist sehr krank./
Ich erzählte Pol. von Briggi F.
Nie Endgültiges ?
Wieder Gedicht. Letzte Woche
vor Weihnachten.
Von gestern an den Wintermantel
genommen.
Lebte wieder in Gedanken an
Briggi.
Früh traf ich sie.
Wirtschaftspolizei und wahn-
sinnige Arbeit in meinem Büro.
Joli - angezeigt.
Für Donnerstag mit Artnmmann
Treffpunkt ArtClub vereinbart.
Viel auch für mich gearbeitet.
Dr. Pawlicki gesrtorben.
Früh Briggi nur gesehn.
Lebte wieder so in Gedanken.
Dr. Machwitz längere Zeit
vm. nicht im Büro, ich matri-
zierte weiter.
Irgendwie vorweihnachtliche
Stimmung.
Aufgelockerter Betrieb im Büro.
Für mich gearbeitet.
Mittags rief Pol an: Majas
Abortus.
Abends in den Art Club.
Angenehmes Lokal im Souterrain
der Kärntnerbar. Artmann dort
angetroffen, mit Trrr diskutiert.
Wir dürften für die Extremisten
des ArtClubs
eine Art Wald- und
Wiesenlyriker darstellen.
Sehr bereitwillig, aber reserviert
dem ArtClub gegenübergestanden.
Mir können die Stösse von aussen
nichts mehr anhaben.
Nach der gestrigen Nacht müder
Morgen, im Büro Aergernisse
nacheinander.
Drei Tage vor Weihnachten ver-
bringe ich einen nebligen Tag.
Das Bekenntnis zum Realismus
ist mir gar keine Frage mehr.
Abends kamen die Stimmen der
Gegenwart
1952, die unvergleichlich
besser als das Buch
1951 sind.
Schon weihnachtliches, wenn auch
schneefreies Wetter. Letzter
Bürotag, auch die Stimmung ist
schon danach.
Am Vormittag wurde noch sehr viel
gearbeitet.
Schwer bepackt heim. Ordnete
nm. meine Korrespondenz, las,
verbrachte den Tag ruhig, unein-
gedenk.
Frei. Vorweihnachtliche Stimmung.
Am kalten Nachmittag eine Prosa
"Nebel über einem Gebiet" zu
schreiben versucht.
Früh ein Gedicht, das sich seltsam
einfand; aus einer ganz unaktuellen
Jahreszeit, aus einem ganz jetzt un-
erreichbaren Leben.
Mittags überraschend noch Post.
Gratulation einer Kohlenfirma,
ein eitle Zusendung von
Weigel /seine Kurzgeschichte "Tod
des Demosthenes", abgezogen und
seinen Freunden zu Weihnachten
gewidmet,/ und - nach sieben
Monaten Pause - ein Brief von
Hilde Schinko, ohne dramatischere
Erklärung ihres Schweigens, lieb
wie seinerzeit, eindeutiger anbahnend
als damals.
So kam ich Nachmittag teils in
diffuse unweihnachtliche Gedanken.
Im ganzen, wenn auch leicht erkrankt,
ganz wohl gefühlt, abends mit hjedem
einzelnen Geschenkstück zufrieden.
An Büchern: Immensee, eine unge-
wunschene "Mignon" von Gerhart
Hauptmann und endlich in meinem
Besitz Trakls "Dichtungen".
Nachts über Hilde gesprochen.
Lieber Andreas!
Ich -
Sehen Sie, sagen könnte ich es Ihnen besser
als schreiben. Oder vielleicht doch nicht,
vielleicht noch schlechter - ich weiß nicht.
Ich habe schon lange das Gefühl, daß
ich nicht eimmal mehr im Schreiben sagen
kann, was ich sagen sollte.
Lieber Andreas, ich sollte, ich müßte
Ihnen nicht erklären, was ich sollte und
nicht kann. Ich wollte, ich hätte einen
Grund dafür, denn hätte ich ihn, müßte
ich mir nicht selber den Kopf zermar-
tern um eine Erklärung oder Entschul-
digung. Sehen Sie, anderen erklärt man,
vor sich selber entschuldigt man sich.
Aber ich habe keine Entschuldigung.
Das weiß ich umso besser, als ich es Ihnen
jetzt schreibe und eine Entschuldigung haben
möchte.
Verstehen werden Sie mich trotzdem. Ich
weiß es.
Ich habe das Gefühl, nichts leisten zu können.
Nichts mehr. Leerlauf, verstehen Sie. Geistiger
Leerlauf. Und erzwingen will ich nichts.
Ich könnte es. Erzwingen. Aber was nicht von
selber kommen will, grabe ich nicht mit
den Nägeln aus sämtlichen Poren heraus.
Was ich nicht schreiben muß, schreibe ich
nicht. Und ich muß nicht! Nicht mehr.
Sie glauben, man müßte darum
kämpfen? Ich nicht. Damit, schon,
o ja, aber darum nicht. Es wäre
dasselbe, wie um die Liebe eines Menschen
zu kämpfen, der keine Liebe für einen
hat. Um Arbeit zu betteln, wo keine
für Dich ist. Das tu' ich nicht. Das sehen
Sie ein? Möglich, daß es ein Übergang ist.
Möglich, daß es ein Dauerzustand ist. Ich
werde warten. Ich werde bereit sein. Aber
erzwingen will ich nichts.
Was das mit den Briefen zu tun hat?
Viel, viel. Wenn ich nicht dadurch mit
Ihnen verbunden wäre, daß auch Sie, sagen
wir, dieselbe Handschrift schreiben, daß
Sie ein Bruder im Tun sind, wenn
Sie irgendwann mit mir zur Schule ge-
gangen wären oder irgeine Bekanntschaft
wären, hätte das keinen Einfluß darauf
gehabt. Dann nicht. Weil ich aber
in jedem Brief, auf jeder Zeile, mit
jeder Seite daran erinnert w orden wäre,
daß ich hier bin und Sie - nicht,
drum hab' ich es immer wieder ver-
schoben und weggeschoben, endlich ein Kuvert
zu nehmen und meine ganzen Zweifel
und meine ganzen Bedenken hineinzustek-
ken. Ich habe es nicht gekonnt. Konnte
nicht. Sie wissen nicht - oder wissen es
vielleicht doch - wie stark ich meinen Gefüh-
len unterworfen bin. Daß ich immer nach
meinem Gefühl handle und nachher
erst denke. Wie immer. So jetzt.
Verdenken Sie es mir nicht. Schütteln
Sie den Kopf. Wundern Sie sich. Aber:
schreiben Sie mir. Bitte. Sehen Sie:
Ich bitte Sie darum.
Vielleicht verstehen Sie mich, weil Sie
innerlich nicht allzuweit entfernt sind
von solchen Zuständen. Und wenn
nicht, versuchen Sie mich zu verstehen
aus der Mitmenschlich keit, die man -
immerhin - den anderen gibt. Mehr -
hätte ich nicht zu sagen.
Ich möchte -
Sie werden sagen, es ist unbescheiden. Sie haben
Recht. Aber ich frage Sie trotzdem.
Sind Sie allein? Sie wohnen doch allein,
nicht wahr? Sie sind doch so jung - und
ganz allein. Das, wenn ich daran
denke, bringt mich Ihnen so nahe, wie
es nur die entweder einseitige oder beider-
seitige Verlassenheit schaffen kann. Seien
Sie nicht böse deshalb. Ziehen Sie sich
nicht zurück, weil meine Fühler Ihre
berührt haben. Nein? Sagen Sie mir
etwas. Sprechen Sie. Von Ihnen, von
Ihnen. Wenn ich schon nicht selbst
zum Schreiben finde, will ich wenigstens Sie
dabei sehen. Und - wenn ich Ihnen
ein kleines, kleines Bißchen helfen oder
Ihre Zunge lösen könnte, würden Sie mir
ungleich mehr geben als womit ich Ihnen
kommen könnte.
Das ist ein Verlangen, das, umso
ungerechtfertigter, umso dringender ist,
und zurückgewiesen, wohl schweigen würde,
aber immer noch wünschen.
Daß ich alles, alles verstehen würde,
müssen Sie wohl erst glauben lernen. Daß
ich Sie aber jetzt schon verstehe, daß
ich weiß, wie schwer es ist, den ersten
Schritt zu tun, ersehen Sie daraus,
daß ich ihn selber tue.
Was ich noch an Äußerlichem zu
sagen hätte, ist nicht viel: Ich bin
im 4. Jg. angelangt, habe aber
noch 1 1/2 Jahre vor mir, zwar einen
Bruchteil des Gewesenen, aber immerhin
noch lange genug. Schule - warum nicht,
aber nur Schule, ist zu wenig, wenn
man Klarheit haben will. Schule und
Leben, ja, aber wann ist die Schule
Leben?
Und nebenher kommen vier kleine
Mädchen zu mir lernen, zwei von
12 Jahren, eine von 11, eine von
acht. Also gar nicht mehr so klein.
Nicht wahr? Ich hab' sie ganz gerne, sie
sind sehr lieb und wiegen den Ärger auf,
ich - trotzdem - manchmal mit
habe.
Und um noch etwas wollte ich Sie
bitten: Wir bekommen in der Schule
so wenig Exemplare der "Neuen Wege",
daß sie, kaum erschienen, schon
vergriffen sind. Könnten Sie mir ein
Abonnement davon verschaffen oder
sehen, daß, wenn das nicht möglich ist,
ich sonst auf irgendeine Weise ein
Heft erhalte? Sie haben doch sicher
Einblick. Ich bin aber gar nicht (möglich,)
böse, wenn es nicht möglich ist.
Und berichten Sie mir
auch, was aus den Zusammen-
künften im Grillparzersaal geworden ist.
Ich wollte es gerne wissen.
Jetzt, lieber Andreas, bitte ich Sie noch-
mals, mir - im Sinn der Weihnachten -
nichts nachzutragen und wünsche Ihnen
alles, alles Beste für das nächste
Jahr.
Ihre
Liebe Hilde,
ich will Dir nur ein paar Gedichte
schicken, die ich in letzter Zeit
geschrieben hab. Vielleicht kannst
Du was daraus entnehmen, wenn Du
mich verstehst, oder vielleicht -
was mir wichtiger wäre - ist
was damit für Dich getan.
Hilde, wie Du vom Alleinsein schreibst,
ist so traurig. Bist du sehr allein?
Bist du vielleicht ohne jemand,
den Du früher gekannt hast,
der Dich erstmals zur Frau gemacht
hat? Willst Du zu ihm zurückfinden
(Ich weiß, es geht mich nichts
an.)
Was mich betrifft, bin ich nicht so
allein, daß sich mir die Welt dadurch
verzerrt (ich habe meine Mutter und
habe Freunde um mich, die mir immer
wieder lieb sind), aber genug allein,
um immer wieder zu wünschen.
Glaub mir, Hilde, wie wert Du mir
bist, Dein Vorhandensein - ob Du
jetzt schreibst oder nicht - (auch an
meiner Person ist mir nicht das
Wichtigste, ob sie schreibt sondern
ob sie sich bewährt in ihrem
Sehnen, einmal jemand alles Glück
erschließen zu können).
Wenn Du mit mir einmal beisammen
sein wolltest und kannst, schreib
mir bitte, ob Du in die Räume
des "Art Club" (einer modernen Gruppe)
kommen kannst, in der Kärntnerstraße
10, im Untergeschoß, wo wir
(es ist ungefähr wie in einem
Lesezimmer und mit wenigen Leuten,
die alle für sich beschäftigt sind)
uns treffen könnten und etwas
mehr sprechen als im Grillparze
saal damals, oder uns schön
ausschweigen. Es ist der
neutralste und unstädtischeste
Ort den ich weiß. Schreib
mir bitte bald; ich warte
unterdessen auf Dich.
Nachträge zu Deinen Fragen:
ein Abonnement der "Neuen Wege"
werde ich Dir vermitteln; die
Arbeit meiner Freunde vom Arbeitskreis
ist : wir sind aus den "N. W."
ausgetreten, weil die in letzter Zeit
sich dem Unterrichtsministerium
haben unterordnen müssen und
nichts sogenanntes Verrücktes mehr
bringen dürfen. Jetzt gilt unsere
ganze Arbeit den "publikationen".
Darf ich Dir Nummer 3 (Oktober)
und die bald erscheinende Nummer
4 zusenden und überhaupt?
Laß bitte Dein Schreiben nicht Deine
erste Sorge sein, sondern leg
Deine Kraft und Deine Innigkeit
in Dein Leben; wenn Du schreiben
mußt, wirst Du es ohnehin wieder.
Dein naher Brief ist mir Dein
echtestes Gedicht. Dein Andreas
Morgens nach längerer Zeit
einmal die Kirche besucht.
Vormittags kamen Tante und Paul.
Versuchten den Naxchmittag
gemütlich zu machen. Viellei
cht
wirklich gemütlicher als Christ-
tage vergangener Jahre, die ich
in Erinnerung habe.
Nachmittag wieder gedacht,
gedacht, Hilde geschrieben
/also fing ich hier an/, und
ohne Hingebung gelesen.
Daheim ausgeruht. Ich sichtete
meine Mappen und sonderte aus
letzter Zeit einiges aus.
Ich habe Sehnsucht und wieeiss
nun nicht mehr, wohin sie geht.
Briggi vergessen können, der ich
nichts erfülle.
Nm. gelesen, ausgespannt.
Mehr können diese Tage nicht
bringen.
Morgen habe ich wieder Büro.
Wegen dringender Arbeiten in
Stellvertretung Dr. Machwitz'
musste ich ins Büro kommen
/entgegen früheren Hoffnungen/.
Dort viel aber frei gearbeitet,
finde niemand und nichts un-
sympathisch.
In der Früh Briggi getroffen,
sehr hergerichtet, freundlich.
Sie war gestern im Art Club,
erzählte mir, dass meine Inter-
essentenlisten schon lebhaft
ausgefüllt werde. Unlängst war
der Inder bei Briggi in der
Wohnung, zu einem gemütlichen
Abend daheim.
Brief nach Oberlaa ist heute
abgegangen. Aber ich komme von
Briggi nicht mehr los. Jetzt
muss ich ganz
yallein damit
gehen.
Am Abend daheim versuchte ich
von allem auszuruhen. Es sind
immer schöne Abende.
Weihnacht war Rauhreif, heute 0°.
Neulich Dada-Versuche, zu denen viel
Ehrlichkeit gehört.
Dr. Pavlicki wurde heute begraben.
Gestern Abend: Brigitte Kahr
hat mir geschrieben. Sie dürfte
in einer misslichen Lage sein.
Heute morgen schrieb ich ihr
einen Brief.
Wieder ins Büro gefahren.
Es war weniger zu tun als gestern.
Nächste Tage sind frei.
Abends: Art Club. Produktive
Zusammentreffen. Lesungstermin
mit Dr. Schmeller festgesetzt,
mit Artmann besprochen.
Notiz aus dem Büro:
Meine einzige sinnvolle Tätigkeit
ist jetzt: Zeit verstreichen lassen.
"publ." nr. 4 auf dem Bierhäusel-
berg abgezogen. Diesmal mit dem
Autobus hinaufgefahren. Tag mit
mehreren Eindrücken.
Dialogstelle:
"Wie fühlt man sich als Hure?"
"Eng. Als Liebende war man um-
fassender."
Vormittag kam Kein, mit dem ich
auch angenehm plauderte, nach-
mittag Artmann. Wir stellten die
neue Nummer fertig. Nächsten
Sonntag Besprechung ders Leseabends.
Vormittag sonnige Gegend mit
leichtem Frost. Letzte Be-
sorgungen.
Mittags wurde es trüber, ich
holte Wein und bereitete den
Versand meiner Zeitschrift
vor.
Nach längerer Zeit versuchte
ich, das ätherische Oel von
Mandarinen auszu-
ziehen, um den Duft konzentriert
zu erhalten. Dabei bemerkte ich
traurig, dass ich keine Probier-
gläser mehr habe.
Gestern machte ich mich über
die Greguerias her und liess
mich von Artmann ein wenig in
Spanisch unterweisen.
Mir sind Neujahr-Vorsätze recht
zuwider, ich möchte auch auf den
Rückblick heuer verzichten und
mich nur am Silvesterabend ein-
fach freuen. Das vergangene Jahr
hat mir den Broterwerb, die
Befreiung von den Existenzsorgen,
die Staatsbürgerschaft
von hier, die "publikationen",
mehrere gute Bekanntschaften
aus dem Kulturellen gebracht.
In die Bahn des Mädchens ver-
mochte ich nicht zu finden.
Zu einer missglückten Prosa, 31 12 51 abends:
... Das Schwere daran ist, unpersönlich zu schreiben
/denn ich könnte nicht Zeilen lang hinschreiben:
B., ich lieb dich, und immer noch .../, unpersönlich
zu schreiben und gemässigt; man kann Kunst nicht
kurzschliesysen, und wenn der gesunde Instinkt für
die Indirektheit versagt, ist es sehr schwer zu
arbeiten, auch wenn die Intensität drängt ...
Einen angenehmen Nachmittag
verbracht.
Abends bei guter Speise und
Wein hemmungslos zu schreiben
begonnen.
Okopenko, Andreas: Tagebuch 01.12.1951–31.12.1951. Digitale Edition, hrsg. von Roland
Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno
Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische
Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1,
15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/
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