Ich habe eben beim Heimkommen Ihre Sendung erhalten, ich danke Ihnen sehr und ich wundere mich gar nicht über Ihren nicht einmal so zarten Rippenstoß.
Es ist nur natürlich, daß Sie von meinem Verhalten sich befremdet fühlen, wir wollen hoffen, daß in Europa und auch anderswo nicht allzuviele solcher mißhelliger Fälle auftauchen, aber mit Entschuldigungen kann ich nicht aufwarten. Ich kann Ihnen nur erklären.
Und auch das ist nicht ganz leicht. Anfangen muß ich damit, daß sich seit damals im Winter, seit meinem Besuch bei Ihnen im Grillparzersaal , nichts geändert hat. Es war entschieden zu früh, daß ich mich entschlossen zu habe, es zu tun. Sehen Sie, dieses eine Mal hat mir soviel Mut genommen, daß ich mich immer erst überreden muß, etwas zu schreiben anzufangen. Was daran schuld ist? Das kann ich Ihnen sagen. Nicht Sie und nicht einer oder der andere, sondern Ihre damals so offensichtlich gewordene (ist) Überlegenheit, die vielleicht nur Routine und Technik, aber immerhin vorhanden ist.
Es wäre eigentlich nicht nötig, aber jedenfalls ist es so gekommen, ich wurde immer von irgendetwas komischen Innerlichen abgehalten, sogar in die "Neuen Wege" zu sehen, ich hatte leise Angst, Ihre Briefe zu öffnen und noch mehr, sie zu beantworten. Ich war so abgesperrt von Ihnen, von Ihren Gedichten und sogar von meinen, und ich hatte so wenig Mut, dieses Stadium zu überwinden, daß ich sogar eine solche Unhöflichkeit begehen konnte, Ihre Briefe nicht zu beantworten.
Und wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen, daß ich diesen Zustand noch nicht ganz überwunden habe. Woraus dieser Zustand eigentlich besteht? Aus zu hoch Hinaufsteigen und zu tief Herunterfallen, wissen Sie.
So kommt es, daß ich, obwohl ich es sehr gerne tun würde, nichts habe, was sich für Ihre Ausgabe eignen würde. Sie sehen, ich bin we-sentlich strenger mit mir geworden. Ich schicke Ihnen nicht mehr jeden Erguß in die Hände.
Es ist ja wahr. Gearbeitet hab' ich noch nie. Das war alles nur Spielerei. Und jetzt brauch' ich Zeit.
Vielleicht wollen Sie mir schreiben, wie lange ich Zeit haben würde. Ich meine, wann Sie die Sachen brauchen würden.
Aber in Ihre Abende, glaube ich, ist es besser, wenn ich nicht komme. Um meines Selbstbewußtseins willen. Nein, nur vorläufig. Bis ich wirklich sehe, es ist nicht alles um-sonst. Ist es Ihnen recht?
Und bitte schreiben Sie mir, was Sie meinen und den Zeitpunkt, den Zeitpunkt.
Dann möchte ich Ihnen nochmals für das Heft danken, ich werde es sehr genau durchlesen, und ich danke Ihnen auch dafür, daß Sie mich nicht schon längst als verlorenes Schäflein verworfen haben.
Ich bin neugierig, was Sie mir zu sagen haben. Eigentlich seltsam, wieviel ich auf Sie und auf Ihr Urteil halte.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe Geb. 1
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Liebes, liebes Fräulein Schinko,
wie experimentieren Sie in die ohnehin Einsamkeit hinein. Was tun Sie da, halb traurig halb stolz, Sie geben sich auf, Ihre Gefühle, mich, uns - Sie verwerfen und wollen dabei die Genugtuung, verworfen zu sein.
Wie hart urteilen Sie uns ab, "Techniker”, "Routiniers" - sind die Jahre, in denen wir reden wollten und nur bellten, nichts? Sind wir also nur noch kalte Ingenieure, und sollte die Jugend und was wir da wollten, vergessen sein?
Sie haben sich die Freude gemacht, die Trennungslinie zu ziehen: bei Ihnen das Gefühl, bei uns die "Routine" und die "Technik". Das ist einfach, aber das kann nicht so festgehalten bleiben.
Liebes Fräulein Schinko, wissen Sie, wie wir dachten, als Sie uns so ein für allemal verließen? Ich kann nur, was ich annehmen mußte, sagen: "Fräulein Schinko ist enttäuscht, wir sind offenbar zu grün und sie hat sich gesellschaftlich erfahrene (gerissene) Großstadtliteraten erwartet."
Sie selbst machten ja einen recht großstädtischen Eindruck, im Gegensatz zu uns meist auch innerlich Vorstädtern. Ich merkte so wenig an diesem Abend von Ihrer Innigkeit und der Bereitschaft, mit jungen unerfahrenen Leuten überhaupt zu reden - so kam's mir vor. Daß wir die turmhoch Prominenten sein sollten, schwante uns nicht.
So auch faßte ich Ihr Schweigen auf (Sie können sich vorstellen, daß das einen nicht zuviel von Freunden Umhegten kaum froh stimmen konnte). Nun möchte ich Sie festhalten, wenn ich nur wüßte, wie innig Sie sind.
Sie arbeiten jetzt an sich. Ist das aber ein Nachteil? Polakovics schweigt ein Jahr schon, Kein ein halbes, ich experimentiere nur, und alle mitsammen sind wir klein. Freilich nicht gegen Hans Nüchtern, aber gegen Eliot, gegen Eluard und so gegen dem, was in uns wäre.
Sie arbeiten an sich. Das wäre ein Nachteil, wenn Sie nun Künstlerin werden wollten, und Ziersätze machen. Wir müssen nämlich hinausheulen.
Ich grüße Sie, liebe Hilde Schinko, nach wie vor,
herzlichst Ihr
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1.
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Ich glaube, daß sie, damit meine ich diese Briefe, hauptsächlich deshalb so wenig warm zu spüren sind, weil die Wärme schon am Kopf des Blattes, in der Anrede, beginnt und weil diese Anrede in meinen Briefen fehlt.
Wenn wir östlicher Herkunft und Gesinnung wären oder innerhalb einer Parteilichkeit lebten, würde ich Sie Genosse nennen können, als von Nero oder einem anderen Verfolger Bedrängte Bruder, oder als Wanderer in der Wüste Blutsbrüder, meinetwegen.
Aber wie soll einer den andern nennen in dieser Zeit, die keine Rettungslosigkeit aus körperlichen Gefahren hat, keine Weglosigkeit im Sand, aber eine große Verlassenheit des Menschen hat? Wenn er ihm von Augen aus fremd ist, aber dieselbe Sprache und dieselben Jahre hat? Vielleicht dieselbe Angst und dieselbe Hoffnung?
Sehen Sie, darum fehlt meinen Briefen die Anrede und ich lasse Sie ohne Überbrückung in den Inhalt hineinstürzen.
Was die Wärme oder die Innigkeit oder die Seele, das Gewicht oder wie Sie es sonst nennen wollen, betrifft, so sollen Sie wissen, daß ich nur darauf gewartet habe, Sie das Tor aufschließen zu sehen.
In diesem Brief haben Sie es getan. Wenn ich nicht fürchtete, pathetisch zu werden, würde ich sagen, Ihr Brief hat mich endgültig aufgeweckt.
Auch ich weiß, wohin ich gehöre. Ich hab' nur gefürchtet, verschlossene Türen und geschlossene Augen zu finden, ich hab' nur Angst gehabt, den falschen Weg zu gefunden zu haben oder am rechten Weg hinten zu bleiben.
Was Sie aus meinem letzten Brief herausgelesen haben, war ein Stück Ich, und ich will fortsetzen, Sie lesen zu lassen.
Etwas haben Sie falsch verstanden. Den Kreis mit der Routine, der Ihrer sein soll, und meinen, in dem das Gefühl Wellen schlagen soll.
Das hab' ich ganz anders gemeint. Die Technik hab' ich nicht in den Inhalt Ihrer Werktätigkeit, also in Gedichte und Vorträge, einbezogen, sondern ich wollte sagen, Routine zeigen Sie in der Beurteilung und Abstrafung der eingelaufenen Sendungen. Sehen Sie, weil ich es nicht kann: einfach ja oder nein sagen zu etwas, was sich jemand - vielleicht - aus dem Herzen gesaugt hat, was ihm aber in den Zähnen stecken blieb. Das meinte ich mit Technik und Routine, die Sie haben sollten. Und Sie kennen so viel, was ich nie gehört habe. Dieser Russe damals, den Ihnen mein Nachbar geliehen hat, jetzt: Hans Nüchtern, Eliot und selbst Eluard oder - kenne ich nicht. Sie werden noch viel tun müssen, wenn Sie mich einigermaßen wollen. Daß Sie das tun, darum bitte ich Sie. Ich falle zu leicht ab, wenn das so weitergeht.
Und nun zu "Euch Vorstädtern" und mir "Großstadtmenschen". Daß Sie das sagen, zeigt nur, daß Sie mich nicht kennen, und das hoffe ich ändern zu können. Ich bin nicht weniger als einer von denen, die nichts als Straßen überqueren, ohne die Verkehrsregeln zu beachten, oder die sich lieber die Ohren zuhalten, als zu hören, tags für hr Leben Geld verdienen und nachts für ihr Geld leben. Nein, nein.
Wenn ich ein Alltagsgesicht zeige, dann deshalb, weil ich nicht in mich hineinsehen lassen will - von Fremden nicht. Dabei möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Ihnen jetzt ganz freie Sicht in mich lasse, daß ich Ihnen alle Fragen beantworten will, die Sie stellen, daß Sie mir also nicht fremd sind.
Ich will nicht mit den Wölfen heulen, aber auf der Straße trage ich das Gesicht der Straße. Tun Sie es nicht! Was erreichen Sie? Kopfschütteln und Mitleid. Denn die Straße gehört nicht den Meistern, sondern den Zwillingen: ein Ei wie das andere. Den Ruf nicht für die Wüste, sondern für die Menschen. Das hat es mit meiner Großstädtischkeit für sich. Außerdem wissen Sie, wo ich wohne.
Vielleicht können Sie das auch irgendwie den andern sagen. Es ist mir sehr peinlich, so falsch gewirkt zu haben. Sie haben mich gründlich verkannt; weil Sie mich nicht kennen, ich weiß.
Daß mein Verhalten Sie am stärksten und nachteiligsten beeindruckt hat, weiß ich. Mehr oder auf anderes gewartet habe ich nicht, ich kannte ja ihre Schreibart und vieles von Ihren Gedichten. Ich bitte Sie, das mit der "großstädtischen Gerissenheit" und "gesell-schaftlichen Erfahrenheit" fallen zu lassen, wenn es nicht zu traurig wäre, wollte ich fast darüber lachen. Ich bin doch aus einer Arbeiterfamilie! Ich bin genau so klein und unerfahren wie jeder und jede andere. Ich - was soll ich Ihnen sagen. Sie müssen es sehen. Aber glauben Sie das nicht mehr!
Meine Stimme wird Ihnen nie widersprechen, weil sie aus derselben Höhe oder Tiefe kommt wie Ihre. Wenn Sie mich brauchen, wenn Sie allein sind, ich werde immer da sein. Wenn wir uns alle in einen Kreis stellen wollen, dann ist es weniger unsere Aufgabe, weiter-zuempfehlen, sondern die Hände aus den Taschen hervorzuholen. Ja?
Wissen Sie, was mir eingefallen ist? Den "Neuen Wegen" könnte ein Briefwechsel zwischen jungen Menschen, womöglich auch zwischen den Autoren, ja, zwischen den Autoren selber, gar nicht abschlägig sein! Vielleicht ließe sich dadurch erreichen, wozu Gedichte und Prosa bisher noch wenig imstande waren: die Probleme nicht der Gedichte, sondern der - sagen wir - Dichter zu Gehör zu bringen! Ein Brief von dem zu dem, von diesem zurück zum andern! Ein Brieffreund zwischen zweien, die dieselben Sorgen und Wünsche haben! Und die auf diese Art auch die andern, die über der Arena, die in den Logen, die, die nicht Teil haben, hören würden. Denken Sie einmal dar über nach. Der Grund müßte Wirklichkeit sein. Ich glaube, es würde gehen.
Aber bitte, nicht falsch verstehen. Ich tue es nicht, um für mich ein Wirkungsfeld zu finden.
Aber Sie haben vergessen, mir zu schreiben, bis wann Sie die Sachen brauchen!
Und wenn Sie es gerne tun, dann lassen Sie nächstes Mal das "Schinko" weg und schreiben Sie nur meinen Vornamen. Ich danke Ihnen noch einmal,
Bitte seien Sie ganz ehrlich über diese Sachen. Veröffentlichen Sie es nicht "auf jeden Fall."
Wollen Sie mir näheres über die Publikationen schreiben?
Heute hab' ich nicht mehr. Im nächsten Brief, ja?
Nein, es geht doch nicht. Bitte haben Sie Geduld. Ich kann Ihnen noch nichts schicken, es ist nichts.
Liebe Hilde,
denn froh komme ich dem nach, so zu schreiben. (Nochmals: liebe Hilde, um den Klang recht bald vertraut zu machen.)
Mich hat Ihr Brief erreicht, und Sie - die ich geheim nie ferne geglaubt habe - sind mir nun, auch gesagt, nahe. Ich bin irgendwie erneut seither. Was ich mir gewünscht habe - unverniedlichte Rede vom Mädchen zum Knaben - ist da vielleicht eingetreten, wenn Sie auch, aber hoffentlich weniger der Betragensregel, die Kühle vorschreibt, zuliebe, als einer mir viel lieberen Eisigkeit des tiefen Menschen.
(wenn Sie auch sehr exakt auf, wie Sie schreiben, "mein Öffnen" warteten und ein noch darüber hinaus - hoffentlich weniger der Betragensregel zuliebe, die Kühle vorschreibt, wie wenn Tanzstunde ist, als vielmehr einer, mir viel lieberen, Eisigkeit des ernsten Menschen, der nicht gleich seine Gefühle vor den ersten besten vielleicht Spötter wirft).
Was mich etwas traurig machte, damalsan dem Abend, war Ihr anderes als gehofft Erscheinen. Sie kamen wie etwa jede andere Hörerin der (immerhin städtisch gelegenen, wie ich erfuhr.) Schule, geschminkt und nicht als das Mädchen ganz, das ich aus Ihren Gedichten vielleicht entnahm. Nun ist das Betrübliche vorüber, Sie schreiben vom "Alltagsgesicht" und erklären etwas so. Ich möchte (um nicht "weise", sondern mit der Argumentation des unreifen Knaben) Ihnen schreiben, daß ich Sie gerne anderswo als auf Ihrem Standpunkt zum "Straßengesicht", wie Sie's nennen, sähe. Freilich braucht man keinen imaginären Lorbeerkranz um die Stirn zu tragen, oder wie die Pariser Literaten verwegen und verwildert die Leute zu beunruhigen; aber man muß Sachen, die nicht ursprüngliche Merkmale des wirklichen Volkes sind, sondern doch von der Überspanntheit der Bessergestellten kamen, wie die Schminke, abtun können: nicht aus Moralität oder was,
Diese Meinung will nicht von Ihnen Besitz ergreifen - wo hätte ich zu anderem Recht, als Sie in guten schwachen Überzeugungen zu bestärken.
Freilich spielt da mein Persönliches mit, daß ich Sie auch äußerlich gern möglichst abseits von Hollywood sehen möchte und möglichst nahe dem Erstmädchen.
sondern um sich weniger dem Gefallen von Idioten auszusetzen
"Genossen"? | ||
publ. | IC | |
IC | ||
IC | ||
Ich will Ihnen meine bewußt paradoxen Aussprüche von "Großstädtischheit" u. " Erfahrenheit" erklären: Leider ist es oft so, daß das Leben in der Vorstadt nicht die Ursprünglichkeit garantiert, das Leben in der Arbeiterumgebung nicht die Einfachheit und Geradheit der Wünsche (man hat erlebt, daß auch Leute aus solch. Umgebg., die irgendwo durch im Kultur- oder Gesellschaftsleben hochkamen, ihr Unrecht bis zum Verleugnen ihres Ursprungs getrieben haben). Wie oft ist ein Mädchen aus auch dieser Umgebung so, daß sie sehnlich und gierig dem "feinen Leben" nachrennt, mindestens der Leinwand. So sehr man bessere Lebensbedingungen anstreben soll, so sehr hüte man sich vor der Verliebtheit in bürgerliche Degenerationserscheinungen: Flirt, Luxus und Bequemlichkeit der Gefühle
Was die Jugend betrifft, kann einmal auch eine 16 j. mehr "erfahren" sein als ein 21 j. - in Ich bin so ein Kind in allen Dingen, und meine Angriffe im Gedicht sind nicht Weisheiten, sondern vorlaute bestenfalls Wahrheiten.
Mein Glaube ist an die Mission des Unreifen, das
die Reife übertreffen soll, um eine Wahrheit , die so wahr ist wie das letzte lila Greisenalter und dabei voll persönlichstem Interesse und aller verzweifelten Leidenschaft der Jugend.
Nun, ich bin voll Freude, daß Sie sich nicht zur Erfahrenheit bekennen, sondern an meiner Seite als Mädchen stehen. Darum meine seit je Anrede "Liebe .......", denn mir sind Sie nicht (wie Sie schrieben) theoretisch Genossin (wenngleich Sie es auch sind), Schwester (vielleicht verfolgt man uns einmal), sondern die liebe Hilde. (Es gibt nämlich Weggenossen vielleicht mehrere, später, aber Sie sollten die Eine bleiben , Hilde.)
Wir strafen nicht ab, wie Sie annehmen, in unserem Lektorat. Wir urteilen nicht routiniert, sondern nach dem Gewissen, das es uns unmöglich macht, eine abgeschriebene Lösung eines noch so menschlichen Problems gutzuheißen. Denn auf der einen Seite ist die Abschrift auch leer möglich mit dem unerlebten Problem, gestohlen, drin - auf der anderen weinen Leute an der Bewältigung, unzufrieden, die viel weiter sind. Auf Grund des unbekannten Namens oder des Alters urteilten wir niemand ab, nur auf Grund des Falschen oder der brüchigen- bruchteiligen Leistung, die - gefördert - zu Bequemlichkeit und einem rascheren Erstarren führte, als es uns ohnehin beschieden ist.
Wenn Sie einmal Gelegenheit haben und Eliot lesen können oder Eluard, wird es Sie gewiß freuen. Sonst, im übrigen denke ich gar nicht daran, Ihnen, wie Sie leicht wehmütig schreiben, "fehlende Bildung", ohne die Sie "abfallen würden zu schnell", zuzuführen. Ich will mich nicht als Ihr Pädagoge tun , schreiben Sie lieber *) - ohne "Erziehung" - selber, fern den Mätzchen, und lassen Sie Ihr Gefühl - und meines - sprechen, unbestechlich aber nicht voreingenommen gegen sich.
Schicken Sie mir bitte, was Sie geschrieben haben, ob Sie es nun für die "publ." vorschlagen oder nicht (Material zu denen brauche ich immer; für Nr. 2 bis Mitte Mai Einsendezeit.) Ich warte aber immer auf Sie.) Auch ich lasse Sie einiges aus meinen - den problematischesten Sachen - lesen, dort, wo ich glaube, daß die lebende Entscheidung verläuft.
Den Briefwechsel zu veröffentlichen, erscheint mir ungut. Viel zu leicht kommt es bei sowas zur Gefahr des Schielens zum Publikum, zur Verliebtheit in die Phrase oder das Extrem. Wir gehören schließlich in unserer ganzen Arbeit dem Volk: Gehören wir in unseren Fragmenten und Tagebuchblättern auch - spätereinmal - den Anteilnehmenden, jetzt und in den Briefen gehören wir doch einmal nur einander! Schreiben wir lieber so, was unsere Probleme sind, ehrlich wie im Brief, aber gesondert und allgemeinergiltig, und setzen das für die Außenwelt.
Dafür bin ich schon.
Aber sollen die vielen abseits lesen, daß ich Sie gern als meine liebe Hilde sehe? - Man weiß auch nicht, wohin die Briefe noch führen - - -
Notiz: Das Gedicht "Wieder nicht" in jener (Ihrer) Winternacht entstanden. Die Straßenbahnen fuhren - Sie müssen wissen, ich war das erste Mal Winternacht am Opernring und rannte dann in die Redaktion zurück; nachher fand man, ich sei wie ertrunken. (Ernst Kein; er hat seltsamen Humor.).
Ich wundere mich jeden Tag mehr. Soviel will uns zustoßen, - rasch geendet, ich grüße Sie
herzlichst
Ihr
(Ich lege doch nichts bei. Das wäre irgendwie peinlich.)
Nochmals die Anrede vor dem Inhalt: (aber nicht eigentlich darum, sondern um die Kühle und Eisigkeit):
Sehen Sie, ich weiß nicht, ob das eine spezielle Eigenschaft Jugendlicher (und daher, wenn man bei der Behauptung bliebe, Warmblütiger) ist, daß sie manchmal gedrängt sind, die Formeln und Bandagen abzustreifen, die sie als künftige Stützen der Gesellschaft tragen sollten. Eins aber weiß ich: daß es die Warmherzigen sind, die in ein Paar zwar fremde, aber helle Augen hinein ihre ganze Hoffnung oder die vor einem neuen, aber guten Gesicht das Alltagsgewand ab- und die Sonntagsklei-der anlegen. Es ist nichts als eine Regel der Zucht, die uns verbietet, in ein fremdes Gesicht einen Gruß oder einen Dank zu sagen. Es ist Ihnen noch nie geschehen? Daß man am liebsten einen bei der Hand nähme und von da fortzöge?
Weil er ein gutes Wort gesagt hat oder weil er jung ist wie wir? Weil er ein Mensch ist? Aber da einer vor der Maske des anderen Angst hat, läßt er es.
Und Masken tragen wir alle. Einer immer, ein anderer im Schmerz, im Zorn, in der Liebe. Denn um uns sind nicht nur Gleiche, sondern auch Spötter. Wie Sie sagen. Und wir irren uns so oft. So oft. Deshalb müssen wir Masken tragen. Da-mit sie nicht in unserem Gesicht, in unseren Zügen, in unseren Augen herumbohren und suchen in dieser rücksichtslosen, wenn nicht sogar schamlosen, Weise.
Deshalb.
Wie haben Sie sich gedacht, daß ich aussehe?
Dann will ich Ihnen sagen, daß Sie jederzeit mein Gesicht erkennen sollen, wie es ist. Und wenn es Worte sind, die von ihm kommen. Lassen Sie sich nicht täuschen. Keiner von uns kann sagen, daß er für die anderen kämpft. Wenn wir für alle reden, reden wir auch für uns, denn wir sind ein Teil dieser Ganzheit.
Aber wenn Sie mit Ihren Briefen zu mir kommen, dann sollen Sie wissen, daß ich in diesen Zeitteilen nur für Sie und für Ihre Fragen und Sorgen da sein werde. Ich denke nicht an mich, wenn ich mit Ihnen Rede und Antwort wechsle. Ich will Ihnen nur sagen, was ich Ihnen sagen kann, und wenn es geht, helfen. Denn Sie sind mehr allein als irgendeiner. Wenn wir jung sind, sind wir allein. Wenn wir anders sind, sind wir noch mehr einsam. Denn die andern schauen anders aus und reden anders.
Wenn ich auch ein Mädchen bin, oder eben deshalb, getraue ich mich, Ihre Sorgen aufzunehmen und Ihre Hände leichter machen zu können. Es ist nicht das Alter, das die Stimme eines Mädchens weich und ihre Worte achtsam macht, es ist das Maß dieser mütterlichen Zärtlichkeit, die sie schon als Kind an ihre Puppen verteilt. Es ist der Halm, der sooft geschnitten, sooft wieder nachwächst, der - mindestens - Regen der Liebe, mit dem es dem Bruder, der sich wehgetan hat, immer wieder die Hand streichelt und ihm seinen besten Ball schenkt. Von der Art ist das Entgegenkommen, das Sie von mir erfahren. Ich will für Sie dasein, wenn Sie mich brauchen.
Mich HollywoodTypen anzugleichen habe ich nie im Sinn gehabt, ich würde mich kaum dafür . Übrigens ist die Zahl der diesen Luxuswesen Nach-strebenden geringer, als Sie wahrscheinlich glauben. Ich weiß das. Denn diese Mädchen, die nichts haben als sich und ihren Beruf und vielleicht auch ihren Freund und ihre Sonntage, stehen schon zu tief im Grau und in ihren Tretmühlen, als daß sie Hoffnung haben könnten, in eine Parfum- und Porzellanwelt gehoben zu werden. Das sage ich von der allgemeinen Arbeiterumgebung. Ausnahmefälle, in diesem Fall Ehrgeiz nach dieser anderen Welt oder höheren Schichte, oder was Sie eben glauben, daß diese Ausnahmen anstreben, gibt es hier wie es anderswo, auch in der sogenannten Gesellschaft, Hochstapler und Jägerlateiner gibt.
Sehen Sie, ich habe hier alles vor Augen. Hochwasserkatastrophen, Ehezwistigkeiten unnützigster Art, Tausch von Ehegatten zwischen gegenseitigen Schwägern, Kinderleid, Kinderspiele, ein bißchen Grün, viel Ziegelrot, viel Streit, viel Stimmen, wenig Klang. Eine ganze Welt. Eine ganz offene Welt. Die nicht einmal die Fenster schließt, wenn sie sich schlägt.
Das ist gewissermaßen eine aufgeträufelte Erfahrung, ein äußeres Mittel, keine eigene, aber deshalb nicht weniger starke.
Ich weiß mehr, als Sie vielleicht glauben.
Für Sie aber will ich das sein, was Sie in mir sehen wollen: Ihre liebe Hilde, der Sie immer alles in den Schoß legen können, was Sie an Sorgen haben. Von einer zum andern. Auch, was Sie den andern nicht zeigen wollen. Seien Sie sicher, daß Sie immer bei mir Verständnis finden. Ich würde es als einen Vertrauensbeweis ansehen, wenn Sie Ihr Vorhaben, das Sie voriges Mal fallen ließen, nun doch ausführten. Überlegen Sie es sich. Ich kann warten.
Mit meinem Beitrag zu den Publikationen aber bitte ich Sie, Geduld zu haben. Führen Sie diese Nummer diesmal ohne mich durch, ja?
Ich kann noch nicht. Ich würde mit leeren Händen dastehen.
Und nun:
Ihre Hilde.
Herrn Andreas Okopenko, Wien, 14, Baumgartnerhöhe 1.
Liebe Hilde,
Ihre Sorgsamkeit hat mich tief berührt. Meinen Dank dafür,
Indes: mich hat beunruhigt, wie Sie schrieben: "Für Sie will ich das sein, was Sie in mir sehen wollen."
Denn ich möchte nicht ein Phantasiebild sondern einen Menschen; der Phantasie bin ich recht abhold. Und wenn Sie in Wirklichkeit nicht "meine liebe Hilde" sein können, schreiben Sie es, und schreiben Sie, was Sie sein können. Ich bin einmal so geboren worden, daß ich keiner Betäubung in schöne Träume bedarf.
Das Herrlichste ist die Realität, und das "ödeste Leben" hat für den, der so veranlagt ist, unendlich mehr menschlichen Wert, (trotz Verzichtens auch) als illusorische Schonung.
Wenn Sie aber imstande sind, die Realität mit mir zu ↓ teilen, soll das meine schönsteTatsache sein.
Nur etwa alls Sorge um die Gesundheit soll man einen nicht aus der "Einsamkeit" nehmen wollen. auf leise Art, einiges aus.
Wenn es gleichzeitig auch Ihre ist. Wenn ich für Sie da bin, wie Sie für mich. (Einseitig geschenkt sollte so etwas nicht werden, Menschen kann man nicht schenken , sondern man vertraut sich ihnen an.)
Wenn es gleichzeitig auch irre ist, wenn ich für Sie da bin wie Sie für mich. Einseitig geschenkt sollte so etwas nicht werden. Man schenkt sich nicht dem Anderen, sondern geht zu ihm hin. Man vertraut sich ihm an. Wenn Sie das können, aus gleicher Gesinnung, aus dem Hindrängen des Blutes, und nicht wie einen Hang zur Puppe oder zum verletzten Waldtier, die doch im Hintergrund ein bisschen Spielzeug sind und eigennützig gepflegt, dann kommen Sie und seien Sie mein Mädchen. Ich darf Ihnen so schreiben, denn Sie gehören nicht jener Schicht an, die diese Worte in ganz anderen Farben sieht, mit Kontakt, gerecht und einer „natürlichen Harmonie“
Jetzt habe ich Ihnen einiges gesagt, womit ich glaube, Ihnen einen „Vertrauensbeweis“ gegeben zu haben (wo ich doch noch nicht weiß, ob Sie bereit sind).
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, Sie mit den Sachen, die ich Ihnen ursprünglich zeigen könnte, momentan zu belasten. Die betreffen einmal den literarischen Entwicklungsherggng – Wege, die uns gemeinsam sind oder es werden können – darüber haben wir noch zu wenig gesprochen. Auch wenn Sie nicht in dieser Nummer der „Publikationen“ mitwirken (wie in der Herbstnummer und August, müsste ich das Material haben!) Senden Sie mir Sachen von Ihnen zum Lesen und schreiben Sie, wie es weitergeht. oder muss jeder seinen Weg allein gehen? Freilich lieber eine unzugängliche Hilde als eine von einem für sie üblen jungen Autor Fehlgeleitete. Wie es kommt, Ich grüße Sie von Herzen
Ich habe eben beim Heimkommen
Ihre Sendung erhalten, ich danke
Ihnen sehr und
ich wundere
mich gar nicht über Ihren nicht
einmal so zarten
Rippenstoß.
Es ist nur natürlich, daß Sie
von meinem Verhalten sich befrem-
det fühlen, wir wollen hoffen,
daß in Europa und auch
anderswo nicht
allzuviele solcher
mißhelliger Fälle auftauchen, aber
mit
Entschuldigungen kann ich
nicht aufwarten. Ich kann Ihnen nur erklären.
Und auch das ist nicht ganz
leicht. Anfan gen muß ich damit,
daß sich seit damals im Winter,
seit meinem Besuch bei Ihnen im
Grillparzersaal
, nichts geändert
hat.
Es war entschieden zu früh, daß
ich mich entschlossen zu habe,
es zu tun. Sehen Sie, dieses eine
Mal hat mir soviel Mut genom-
men, daß ich mich immer erst
überreden muß, etwas zu
schreiben
anzufangen. Was daran schuld
ist? Das kann ich Ihnen sagen.
Nicht Sie und nicht einer oder
der andere, sondern Ihre damals
so offensichtlich gewordene (ist)
Überlegen-
heit, die vielleicht nur Routine und
Technik,
aber immerhin vorhanden
ist.
Es wäre eigentlich nicht nötig, aber
jedenfalls ist es so gekommen, ich
wurde immer von irgendetwas
komischen Innerlichen abgehalten,
sogar in die "Neuen Wege" zu sehen,
ich hatte leise Angst,
Ihre Briefe
zu öffnen und noch mehr, sie
zu beantworten. Ich war so
abgesperrt von Ihnen, von Ihren
Gedichten und sogar von meinen, und ich hatte so wenig Mut, dieses
Stadium zu überwinden, daß ich
sogar eine solche Unhöflichkeit
begehen konnte, Ihre Briefe nicht
zu beantworten.
Und wenn ich ehrlich bin,
muß ich sagen, daß ich diesen Zu-
stand noch nicht ganz überwunden
habe. Woraus dieser Zustand eigent-
lich besteht? Aus zu hoch Hinauf-
steigen und zu
tief Herunterfallen,
wissen Sie.
So kommt es, daß ich, obwohl
ich es sehr gerne tun würde, nichts
habe, was sich für Ihre Ausgabe
eignen würde. Sie sehen, ich bin
we-sentlich strenger
mit mir geworden.
Ich schicke Ihnen nicht mehr
jeden Erguß in die
Hände.
Es ist ja wahr. Gearbeitet hab'
ich noch nie. Das war alles nur
Spielerei. Und jetzt brauch' ich Zeit.
Vielleicht wollen Sie mir schreiben,
wie lange ich Zeit haben würde.
Ich meine, wann Sie die Sachen
brauchen würden.
Aber in Ihre Abende, glaube ich,
ist es besser, wenn ich nicht komme.
Um meines Selbstbewußtseins willen.
Nein, nur vorläufig. Bis ich
wirk-
lich sehe, es ist nicht alles um-sonst. Ist es Ihnen recht?
Und bitte schreiben Sie mir, was
Sie meinen und den Zeitpunkt, den
Zeitpunkt.
Dann möchte ich Ihnen nochmals
für das Heft danken, ich werde es
sehr genau durchlesen, und ich
danke Ihnen auch dafür, daß Sie
mich nicht schon längst als verlo-
renes
Schäflein verworfen haben.
Ich bin neugierig, was Sie mir
zu sagen haben. Eigentlich seltsam,
wieviel ich auf Sie und auf Ihr
Urteil halte.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe Geb. 1
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Liebes, liebes Fräulein Schinko,
wie experimentieren Sie in die ohnehin Einsamkeit
hinein. Was tun Sie da,
halb traurig halb stolz, Sie geben
sich auf, Ihre Gefühle, mich, uns - Sie
verwerfen und wollen
dabei die Genugtuung, verworfen zu sein.
Wie hart urteilen Sie uns ab, "Techniker”, "Routinier s" -
sind die Jahre, in denen wir reden wollten und nur bellten,
nichts? Sind wir also nur noch kalte Ingenieure, und sollte
die Jugend und was wir da
wollten, vergessen sein?
Sie haben sich die Freude gemacht, die Trennungslinie
zu ziehen: bei Ihnen
das Gefühl, bei uns die "Routine"
und die "Technik". Das ist einfach, aber
das kann nicht
so festgehalten bleiben.
Liebes Fräulein Schinko, wissen
Sie, wie wir dachten,
als Sie uns so ein für allemal verließen? Ich kann
nur,
was ich annehmen mußte, sagen: "Fräulein
Schinko
ist enttäuscht, wir sind offenbar zu grün und sie hat sich gesellschaftlich
erfahrene (gerissene) Großstadtliteraten
erwartet."
Sie selbst machten ja einen recht großstädtischen Eindruck,
im Gegensatz
zu uns meist auch innerlich
Vorstädtern. Ich merkte so wenig an diesem Abend von
Ihrer Innigkeit
und der Bereitschaft, mit jungen unerfahrenen
Leuten überhaupt zu reden -
so kam's mir vor. Daß wir
die turmhoch Prominenten sein sollten, schwante uns nicht.
So auch faßte ich Ihr Schweigen auf (Sie können sich
vorstellen, daß das
einen nicht zuviel von Freunden Umhegten
kaum froh stimmen konnte). Nun
möchte ich Sie festhalten,
wenn ich nur wüßte, wie innig Sie sind.
Sie arbeiten jetzt an sich. Ist das aber ein
Nachteil?
Polakovics
schweigt ein Jahr schon, Kein ein
halbes,
ich experimentiere nur, und alle mitsammen sind wir klein.
Freilich nicht gegen Hans
Nüchtern, aber gegen Eliot,
gegen Eluard und
so gegen dem, was in uns wäre.
Sie arbeiten an sich. Das wäre ein Nachteil, wenn Sie
nun Künstlerin
werden wollten, und Ziersätze machen.
Wir müssen nämlich hinausheulen.
Ich grüße Sie, liebe Hilde Schinko, nach wie vor,
herzlichst
Ihr
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1.
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Ich glaube, daß sie, damit meine
ich diese Briefe, hauptsächlich
deshalb so wenig warm zu spüren
sind, weil die Wärme schon
am
Kopf des Blattes, in der An-
rede, zu beginnt und weil
diese Anrede in meinen Briefen
fehlt.
Wenn wir östlicher Herkunft
und Gesinnung wären oder inner-
halb einer Parteilichkeit lebten,
würde ich Sie Genosse nennen
können, als von Nero oder
einem anderen
Verfolger Bedrängte Bruder, oder
als Wanderer in der
Wüste Blutsbrüder, meinetwegen.
Aber wie soll einer den andern
nennen in dieser Zeit, die keine
Rettungslosigkeit aus körperlichen
Gefahren hat, keine Weglosigkeit
im Sand, aber eine große
Verlassenheit des Menschen hat?
Wenn er
ihm von Augen aus fremd
ist, aber dieselbe Sprache und
dieselben
Jahre hat? Vielleicht
dieselbe Angst und dieselbe
Hoffnung?
Sehen Sie, darum fehlt meinen
Briefen die Anrede und ich lasse
Sie
ohne Überbrückung in den
Inhalt hineinstürzen.
Was die Wärme oder die Innigkeit
oder die Seele, das Gewicht oder
wie
Sie es sonst nennen wollen,
betrifft, so sollen Sie wissen, daß
ich
nur darauf gewartet habe,
Sie das Tor aufschließen zu sehen.
In diesem Brief haben Sie es
getan. Wenn ich nicht fürchtete,
pathetisch zu werden, würde ich
sagen, Ihr Brief hat mich end-
gültig aufgeweckt.
Auch ich weiß, wohin ich gehöre.
Ich hab' nur gefürchtet, verschlossene
Türen und geschlossene Augen
zu finden, ich hab' nur Angst
gehabt, den falschen Weg zu
gefunden zu haben oder am rechten Weg hinten zu bleiben.
Was Sie aus meinem letzten
Brief herausgelesen haben, war ein
Stück
Ich, und ich will fortsetzen,
Sie lesen zu lassen.
Etwas haben Sie falsch verstanden.
Den Kreis mit der Routine, der
Ihrer sein soll, und meinen, in
dem das Gefühl Wellen schlagen
soll.
Das hab' ich ganz anders gemeint.
Die Technik hab' ich nicht in
den
Inhalt Ihrer Werktätigkeit,
also in Gedichte und Vorträge,
einbezogen, sondern ich
wollte
sagen, Routine zeigen Sie in der
Beurteilung und Abstrafung
der eingelaufenen Sendungen. Sehen Sie, weil
ich es nicht kann:
einfach ja
oder nein sagen zu etwas, was sich
jemand - vielleicht -
aus dem Her-
zen gesaugt hat, was ihm aber in
den Zähnen
stecken blieb. Das
meinte ich mit Technik und
Routine, die Sie haben
sollten.
Und Sie kennen so viel, was
ich nie gehört habe. Dieser Russe
damals, den Ihnen mein Nach-
bar geliehen hat, jetzt: Hans
Nüchtern, Eliot und selbst Eluard
oder - kenne ich nicht. Sie wer-
den noch viel tun müssen, wenn
Sie mich einigermaßen
wollen. Daß Sie das tun, darum
bitte ich Sie. Ich falle zu leicht ab,
wenn das so weitergeht.
Und nun zu "Euch Vorstädtern"
und mir "Großstadtmenschen". Daß
Sie
das sagen, zeigt nur, daß Sie
mich nicht kennen, und das
hoffe ich
ändern zu können.
Ich bin nicht weniger als einer
von denen, die
nichts als
Straßen überqueren, ohne die Ver-
kehrsregeln zu
beachten, oder
die sich lieber die Ohren zuhalten,
als zu hören, tags
für hr Leben
Geld verdienen und nachts für
ihr Geld leben. Nein,
nein.
Wenn ich ein Alltagsgesicht zeige,
dann deshalb, weil ich nicht in mich hineinsehen lassen will - von
Fremden nicht. Dabei möchte ich Sie
darauf aufmerksam machen, daß
ich Ihnen jetzt ganz freie Sicht
in mich lasse, daß ich Ihnen
alle Fragen beantworten will, die
Sie stellen, daß Sie mir also nicht
fremd sind.
Ich will nicht mit den Wölfen
heulen, aber auf der Straße trage
ich
das Gesicht der Straße. Tun
Sie es nicht! Was erreichen Sie?
Kopfschütteln und Mitleid. Denn
die Straße gehört nicht den M eistern,
sondern den Zwillingen: ein Ei wie
das andere. Den Ruf
nicht für die
Wüste, sondern für die Menschen. Das hat es mit meiner Großstädtisch-
keit für sich. Außerdem wissen Sie,
wo ich wohne.
Vielleicht können Sie das auch
irgendwie den andern sagen. Es
ist mir
sehr peinlich, so falsch
gewirkt zu haben. Sie haben mich
gründlich
verkannt; weil Sie
mich nicht kennen, ich weiß.
Daß mein Verhalten Sie am
stärksten und nachteiligsten be-
eindruckt hat, weiß ich. Mehr
oder auf anderes gewartet habe ich
nicht, ich kannte ja ihre Schreib-
art und vieles von Ihren
Gedichten.
Ich bitte Sie, das mit der "groß-
städtischen Gerissenheit"
und "gesell-schaftlichen
Erfahrenheit" fallen zu
lassen, wenn es nicht zu traurig
wäre, wollte
ich fast darüber lachen.
Ich bin doch aus einer Arbeiter-
familie! Ich bin genau so klein
und unerfahren wie jeder und
jede
andere. Ich - was soll ich
Ihnen sagen. Sie müssen es sehen.
Aber
glauben Sie das nicht mehr!
Meine Stimme wird Ihnen
nie widersprechen, weil sie aus der-
selben Höhe oder Tiefe kommt wie
Ihre. Wenn Sie mich brauchen, wenn
Sie allein sind, ich werde immer
da sein. Wenn wir uns alle
in
einen Kreis stellen wollen, dann
ist es weniger unsere Aufgabe, weiter-zuempfehlen, sondern die
Hände aus
den Taschen hervorzuholen. Ja?
Wissen Sie, was mir eingefallen
ist? Den
"Neuen Wegen" könnte
ein Briefwechsel zwischen jungen
Menschen, womöglich auch zwischen
den Autoren, ja, zwischen den
Autoren selber, gar nicht abschlä-
gig sein! Vielleicht
ließe sich da-
durch erreichen, wozu Gedichte
und Prosa bisher noch wenig im-
stande waren: die Probleme
nicht der Gedichte, sondern der -
sagen wir - Dichter zu
Gehör zu
bringen! Ein Brief von dem zu
dem, von diesem zurück zum
andern! Ein Brieffreund zwischen zweien,
die dieselben Sorgen und Wünsche
haben! Und die auf diese Art
auch die andern, die über der
Arena, die in den Logen, die,
die nicht Teil haben, hören
würden. Denken Sie einmal dar-
rüber nach. Der Grund müßte
Wirklichkeit sein. Ich glaube, es
würde gehen.
Aber bitte, nicht falsch verstehen.
Ich tue es nicht, um für mich
ein
Wirkungsfeld zu finden.
Aber Sie haben vergessen,
mir zu schreiben, bis wann Sie
die Sachen
brauchen!
Und wenn Sie es gerne tun,
dann lassen Sie nächstes Mal
das "Schinko" weg und schrei-
ben sSie nur meinen Vornamen.
Ich danke Ihnen noch ein-
mal,
Bitte seien Sie ganz ehrlich über diese
Sachen. Veröffentlichen Sie es nicht
"auf
jeden Fall."
Wollen Sie mir näheres über die
Publikationen schreiben?
Heute hab' ich nicht mehr.
Im nächsten Brief, ja?
Nein, es geht doch nicht. Bitte haben Sie Geduld.
Ich kann Ihnen noch
nichts schicken, es ist nichts.
Liebe Hilde,
denn froh komme ich dem nach, so
Ihr so zu
schreiben. (Nochmals: liebe
Hilde, um den Klang recht bald
vertraut zu machen.) Nennen Sie
das wie Sie wollen alles -
nur
Mich hat Ihr Brief erreicht.,
und Sie -
die ich geheim nie ferne
geglaubt habe - und
Sie haben mich mit erreichtsind mir nun,
auch gesagt, nahe. Ich
bin irgendwie erneut seither. Was
ich mir
gewünscht habe - unverklausu
unverniedlichte Rede m vom Mädchen
zum Knaben - ist da vielleicht einge-
treten, wenn Sie auch, aber
hoffentlich
weniger der Konvention Betragensregel,
die Kühle vorschreibt, zuliebe, als
einemr mir viel lieberen Stolz d
FEisigkeit
Panzerung des tiefen
Menschen.
(wenn Sie auch sehr exakt auf,
wie Sie
schreiben, "meine Öffnen" warteten und
ein noch
darüber hinaus - hoffentlich weniger
der
Betragensregel zuliebe, die Kühle
vorschreibt, wie wenn Tanzstunde ist,
als vielmehr einer, ( mir viel
lieberen,
Eisigkeit des ernsten Menschen,
der nicht gleich seine Gefühle vor jeder-
einen wirft, der hinterher
eventuell
wirft werfen will
Spötter ist.
den ersten besten
wirf
welche
vielleicht
Spötter wirft).
Was mich etwas traurig machte, damals an dem Wint Abend,
ist war Ihr anderses als vorgest gedacht
gehofft Eirscheinen. Sie kamen wie etwa jede andere
Hörerin der (immerhin städtisch gelegenen,
wie ich er fuhr.) Schule, und nicht
wie eine geschminkt und nicht
als
das mitbringend, was ich das Mädchen
ganz,
das ich aus Ihren Gedichten vielleicht
entnahm. Nun ist das Betrübliche vorüber, Sie
schreiben vom
"Alltagsgesicht" und erklären
etwas so. Ich möchte (um nicht "weise",
sondern mit der Argumentation des
unreifen Knaben) etwas ein bis von
Ihnen
schreiben, wasdaß
mich an einem
nicht Sie
gerne anderswo als
auf
Ihrem Standpunkt zum "Straßen-
gesicht", wie Sie's nennen, sähe.
Freilich braucht man keinen imaginären
Lorbeerkranz um die Stirn zu
tragen,
oder auf die Meinung wie die
Pariser
Literaten verwegen und verwildert
die Leute zu beunruhigen; aber man
muß Sachen, die nicht aus der
ursprüngliche Merkmale des wirklichen
Volkes sind, sondern doch von der
Überspanntheit der Minder Bessergestellten
kamen, wie die
Schminke, abtun
können: nicht aus Moralität oder was,
Diese Meinung ist
will nicht von Ihnen
Besitz ergreifen - wo hätte
ich zu anderesm
Recht, als Ihrer Sie in
guten schwachen Überzeugungen zu bestärken.
Freilich spielt da mein Persönlich esVerlangenWunsch mit,
daß ich Sie
auch
äußerlich gern möglichst fernweitabseits von
Hollywood sehen möchte und möglichst
nahe dem Erstmädchen.
Mir ist schade, daß Sie mir
sondern um sichsich weniger den abhängig
zu sein. von recht
Unangenehm dem
Gefallen von Idioten
auszusetzen
Ich will Ihnen meine bewußt paradoxen Aussprüche von
"Großstädtisch-
heit" u.
" Erfahrenheit",
erklären: Leider ist es oft so, daß die
das Leben in der Vorstadt
nicht die Ursprünglichkeit
garantiert, das Leben in
der Arbeiterumgebung nicht
die Einfachheit und Geradheit
der Wünsche (man hat
erlebt,
daß auch ArbeiterLeute aus
solch. Umgebg., die irgend wo
durch
kulturell
inm Kultur- oder
gGesellschaft sleben hochgekamen,
ihre Unrecht bis zum
Verleugnen
ihres Ursprungs getrieben haben).
Wie oft ist ein Mädchen
aus auch dieser
Umgebung so, daß sie sich
sehn sehnlich
und gierig nach
(auch dem " feinen Leben"
"Höheren" nachrennt,
mindestens der
Leinwand. So sehr
man ei besseres Lebensbedingungen anstreben
soll, so
sehr hüte man sich vor demr
Verliebtheit in bürgerliche Degenerations-
erscheinungen:
Flirt, Luxus und Bequemlichkeit der Gefühle
, Fun
Nachtleben
Dann
Was die Jugend betrifft, kann das Alter einmal
von auch eine 16 j. mehr "erfahren"
sein als ein 21 j., der sich
(in meinem
Fall)
- wie ich
immer wieder gestehen
muß
- in
Ich bin so ein KnabeKind in allen Dingen,
und meine Angriffe im Gedicht sind
nicht Weisheiten, sondern vorlaute
bestenfalls Wahrheiten.
Mein Glaube ist an die Mission des
Unreifen, d as
mit möglichst
vollendeten
in
seinen Mitteln
Mitteln
die Reife an GeRreiftheit übertreffen soll,
Ich umum eine Wahrheit , die so wahr zu sein
ist wie das
letzte lila Greisenalter und dabei so allesso voll alle
all dem
persönlichstenm
iInteress e
ent und aller verzweifelten
lLeidenschaftlich
der Jugend.
Nun, ich bin voll Freude, daß Sie sich nicht
zur
dieser Erfahrenheit bekennen, sondern
an
meiner Seite als Mädchen beim Knaben
stehen. Darum meine seit je Anrede
"Liebe .......", denn mir sind Sie
nicht
(wie Sie schrieben) theoretisch Genossin
(wenngleich Sie es auch sind), Schwester
(vielleicht verfolgt man
uns einmal),
sondern die liebe Hilde. (Es gibt
nämlich Weggenossen vielleicht mehrere, später, aber Sie
sollten die Eine bleiben ), Hilde.)
Wir strafen nicht ab, wie Sie annehmen,
in unserem Lektorat.
, sondern .
kennen. Wir urteilen nicht
routiniert,
sondern nach dem Ge wissen, das es uns unmöglich
macht, eine A abgeschriebene Lösung
eines noch so menschlichen Problems
gut-
zuheißen.
, wo Denn auf der einen Seite
ist die Abschrift auch leer möglich
mit dem unerlebten Problem,
gestohlen,
drin - auf der anderen weinen
Leute an der
Bewältigung, unzufrieden,
die viel weiter sind. Auf Grund
des Na unbekannten Namens oder des
Alters urteilten wir niemand ab, nur
auf Grund des Falschen oder desr
brüchigen-
schwachenbruchteiligen Leistung, die - gefördert -
zu Bequemlichkeit und einem rascheren
Erstarren führte, als wir eses uns ohnehin
beschieden ist.
Wenn Sie einmal Gelegenheit haben
und Eliot lesen können oder Eluard,
wird es Sie gewiß freuen. Sonst,
im übrigen
denke
ich gar nicht daran, Ihnen, wie
Sie
leicht wehmütig schreiben, "fehlende"
Bildung", ohne die Sie "abfallen
würden" zu schnell", zuzuführen.
Ich will mich nicht als Ihr
Pädagoge aufspielen tun
., schreiben
Sie lieber
*)
- ohne "Erziehung" -
selber, und fern den Mätzchen,
und lassen
Sie Ihr Gefühl - und
meines - sprechen, unbestechlich
aber nicht voreingenommen gegen sich.
Schicken Sie mir bitte, was Sie geschrieben haben,
ob Sie es nun für die
"publ." vorschlagen
oder nicht (Material zu denen
brauche
ich immer; für Nr. 2 bis Mitte
Mai
Einsendeszeit.) Ich warte aber immer auf Sie.)
Auch ich lasse Sie einiges
aus meinen -
den problematischesten Sachen - lesen,
dort, wo ich glaube,
daß die lebende
Entschei Entscheidung
verläuft.
Den Briefwechsel
zu veröffentlichen, erscheint
mir ungut.
Viel zu leicht kommt es
bei sowas zur Gefahr ders Schielens
zum Publikum, zur Verliebtheit in die
Phrase oder
das Extrem. Wir gehören
schließlich in unserer ganzen Arbeit
dem Volk,:
gGehören wir in unseren
Fragmenten und Tageb uchblättern auch
- spätereinmal - den Anteilnehmen den,
jetzt und in den Briefen gehören wir
doch einmal nur
einander! Schreiben
wir lieber so, was unsere
Probleme sind,
ehrlich wie im Brief, aber gesondert
und allgemeiner-
giltig, und setzen
das
für die Außenwelt.
Dafür bin ich schon.
Aber sollen die vielen sehr abseits wisse
lesen, daß ich Sie so gern als meine liebe
Hilde sehe? - mMan weiß auch nicht,
wohin d ie Briefe noch führ en - - -
Notiz: Das Gedicht "Wieder nicht"
in jener (Ihrer) Winternacht
entstanden. Die Straßenbahnen fuhren -
Sie müssen wissen, ich war das
erste Mal
Winternacht am Opernring
und rannte dann in die Redaktion
zurück; nachher fand man, ich
sei wie ertrunken. (Ernst Kein; meist
er hat seltsamen
im Humor.).
Ich wundere mich jeden Tag mehr.
Soviel will uns zustoßen, soviel -
rasch
geendet, ich grüße Sie
herzlichst
Ihr
(Ich lege doch nichts bei. Das wäre irgendwie peinlich.)
Nochmals die Anrede vor dem Inhalt:
(aber nicht eigentlich darum, sondern
um die Kühle und Eisigkeit):
Sehen Sie, ich weiß nicht, ob das
eine spezielle Eigenschaft Jugendlicher
(und daher, wenn man bei der
Behauptung bliebe, Warmblütiger) ist,
daß sie manchmal gedrängt sind,
die Formeln und Bandagen abzu-
streifen, die sie als künftige Stützen
der Gesellschaft tragen sollten.
Eins
aber weiß ich: daß es die Warm-
herzigen sind, die in
ein Paar zwar
fremde, aber helle Augen hinein ihre
ganze Hoffnung oder die vor
einem neuen, aber guten Gesicht das
Alltagsgewand ab- und die Sonntagsklei-der anlegen. Es ist nichts als
eine
Regel der Zucht, die uns verbie tet, in
ein fremdes Gesicht einen Gruß oder
einen Dank zu
sagen. Es ist Ihnen
noch nie geschehen? Daß man
am liebsten einen bei
der Hand
nähme und von da fortzöge?
Weil er ein gutes Wort gesagt hat
oder weil er jung ist wie wir?
Weil
er ein Mensch ist? Aber da
einer vor der Maske des anderen
Angst hat,
läßt er es.
Und Masken tragen wir alle.
Einer immer, ein anderer im Schmerz,
im
Zorn, in der Liebe. Denn um
uns sind nicht nur Gleiche, sondern
auch
Spötter. Wie Sie sagen. Und
wir irren uns so oft. So oft. Des-
halb müssen wir Masken tragen. Da-mit sie nicht in unserem Gesicht,
in
unseren Zügen, in unseren Augen
herumbohren und suchen in dieser
rücksichtslosen, wenn nicht sogar
schamlosen, Weise.
Deshalb.
Wie haben Sie sich gedacht, daß ich
aussehe?
Dann will ich Ihnen sagen, daß
Sie jederzeit mein Gesicht erkennen sollen,
wie es ist. Und wenn es Worte sind,
die von ihm kommen. Lassen Sie
sich
nicht täuschen. Keiner von uns kann
sagen, daß er für die
anderen kämpft.
Wenn wir für alle reden, reden wir
auch für uns, denn
wir sind ein
Teil dieser Ganzheit.
Aber wenn Sie mit Ihren Briefen
zu mir kommen, dann sollen sSie wissen, daß ich in
diesen Zeitteilen nur
für Sie und für Ihre Fragen und
Sorgen da sein
werde. Ich denke
nicht an mich, wenn ich mit Ihnen
Rede und Antwort
wechsle. Ich
will Ihnen nur sagen, was ich Ihnen
sagen kann, und wenn
es geht,
helfen. Denn Sie sind mehr allein
als irgendeiner. Wenn wir
jung
sind, sind wir allein. Wenn wir
anders sind, sind wir noch mehr
einsam. Denn die andern schauen
anders aus und reden anders.
Wenn ich auch ein Mädchen bin,
oder eben deshalb, getraue ich mich,
Ihre Sorgen aufzunehmen und Ihre
Hände leichter machen zu können.
Es ist nicht das Alter, das die
Stimme eines Mädchens weich und ihre Worte achtsam macht, es ist das
Maß dieser mütterlichen Zärtlichkeit,
die sie schon als Kind an ihre
Puppen verteilt. Es ist der Halm,
der sooft geschnitten, sooft wieder
nachwächst, der - mindestens - Regen
der Liebe, mit dem es dem
Bru-
der, der sich wehgetan hat, immer
wieder die Hand
streichelt und ihm
seinen besten Ball schenkt. Von der
Art ist das
Entgegenkommen, das
Sie von mir erfahren. Ich will für
Sie dasein,
wenn Sie mich brauchen.
Mich Hollywood-Typen
anzu-
gleichen habe ich nie im Sinn
gehabt, ich würde
mich kaum
dafür . Übrigens ist die Zahl
der diesen Luxuswesen Nach-strebenden geringer, als Sie wahrscheinlich
glauben. Ich weiß das. Denn
diese
Mädchen, die nichts haben als sich
und Ih ihren Beruf und vielleicht
auch ihren
Freund und ihre Sonn-
tage, stehen schon zu tief im Grau
und in ihren Tretmühlen,
als daß
sie Hoffnung haben könn ten, in eine
Parfum- und Porzellanwelt gehoben zu
werden. Das
sage ich von der all-
gemeinen Arbeiterumgebung. Ausnahme-
fälle, in diesem Fall Ehrgeiz nach
dieser anderen Welt oder
höheren Schichte,
oder was Sie eben glauben, daß diese
Ausnahmen
anstreben, gibt es hier
wie es anderswo, auch in der soge-
nannten Gesellschaft, Hochstapler
und Jägerlateiner gibt.
Sehen Sie, ich habe hier alles vor
Augen. Hochwasserkatastrophen,
Ehezwistig-
keiten unnützigster Art, Tausch von
Ehegatten zwischen gegenseitigen Schwägern,
Kinderleid, Kinderspiele,
ein bißchen
Grün, viel Ziegelrot, viel Streit, viel
Stimmen, wenig
Klang. Eine ganze
Welt. Eine ganz offene Welt. Die
nicht einmal die
Fenster schließt, wenn
sie sich schlägt.
Das ist gewissermassßen eine auf-
geträufelte Erfahrung, ein äußeres
Mittel, keine eigene, aber deshalb
nicht weniger starke.
Ich weiß mehr, als Sie vielleicht
glauben.
Für Sie aber will ich das sein,
was Sie in mir sehen wollen: Ihre liebe
Hilde, der Sie immer alles in den
Schoß
legen können, was Sie an Sorgen haben.
Von einer zum andern.
Auch,
was Sie den andern nicht zeigen
wollen. Seien Sie sicher, daß
Sie
immer bei mir Verständnis finden.
Ich würde es als einen
Vertrauens-
beweis ansehen, wenn Sie Ihr Vor-
haben, das Sie voriges Mal fallen lie-
ßen, nun doch
ausführten. Überle-
gen Sie es sich. Ich kann warten.
Mit meinem Beitrag
zu den Pu-
blikationen aber bitte
ich Sie, Geduld
zu haben. Führen Sie diese Nummer
diesmal ohne mich durch, ja?
Ich kann noch nicht. Ich würde
mit leeren Händen dastehen.
Und nun:
Ihre Hilde.
Herrn Andreas Okopenko, Wien, 14, Baumgartnerhöhe 1.
Liebe Hilde,
nach langem
Ihre Sorgsamkeit hat nmicht
tief berührt.
,
mMeinen Dank dafür,
(Indes: mich hat beunruhigt, wie Sie
schrieben: "Für Sie will ich das
sein, was Sie in mir sehen wollen."
Denn ich möchte nicht ein Phantasiebild
sondern einen Menschen; der
Phantasie bin ich recht
abhold. Und wenn Sie in
Wirklichkeit
nicht "meine
liebe Hilde" sein
können, schreiben
Sie es, und schreiben Sie, was Sie
sein können. Ich
bin einmal
so geboren worden, daß ich
keine
Betäubung keiner Betäubung
in schöne Träume bedarf.
Das Herrlichste ist die Realität,
und das "elend "ödeste Leben"
hat für den, der die so veranlagt
ist, unendlich mehr menschlichen
Wert,
(trotz Verzichtens auch)
als illusorische Schonung.
Wenn Sie aber imstande sind,
die Realität mit
mir zu ↓ teilen, soll m das meine
SschönstesTatsache sein. A Ich will
mein Schönstes jedoch nur
Nur quasietwa alslls Sorge um die
Gesundheit braucht
soll man micheinen nicht aus der "Einsamkeit"
entreißen
nehmen wollen.
Man hält,
Ich halte,
auf leise Art, einiges
aus.
Wenn es gleichzeitig auch Ihre ist.
Wenn ich für Sie dasein kann bin,
werde wie Sie für mich. (Einseitig
(
geschenkt
sollte so etwas nicht werden,
Menschen kann man nicht schenkten
man nicht, sondern
man vertraut sich
ihnen an.)
Wenn es gleichzeitig auch irre ist, wenn ich für Sie da bin wie Sie für mich. Einseitig geschenkt sollte so etwas nicht werden. Man schenkt sich nicht dem Anderen, sondern geht zu ihm hin. Man vertraut sich ihm an. Wenn Sie das können, aus gleicher Gesinnung, aus dem Hindrängen des Blutes, und nicht wie einen Hang zur Puppe oder zum verletzten Waldtier, die doch im Hintergrund ein bisschen Spielzeug sind und eigennützig gepflegt, dann kommen Sie und seien Sie mein Mädchen. Ich darf Ihnen so schreiben, denn Sie gehören nicht jener Schicht an, die diese Worte in ganz anderen Farben sieht, mit Kontakt, gerecht und einer „natürlichen Harmonie“
Jetzt habe ich Ihnen einiges gesagt, womit ich glaube, Ihnen einen „Vertrauensbeweis“ gegeben zu haben (wo ich doch noch nicht weiß, ob Sie bereit sind). Stellen Sie sich doch die Blamage vor
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, Sie mit den Sachen, die ich Ihnen ursprünglich zeigen könnte, momentan zu belasten. Die betreffen einmal den literarischen Entwicklungsherggng – Wege, die uns gemeinsam sind oder es werden können – darüber haben wir noch zu wenig gesprochen. Auch wenn Sie nicht in dieser Nummer der „Publikationen“ mitwirken (wie in der Herbstnummer und August, müsste ich das Material haben!) Senden Sie mir Sachen von Ihnen zum Lesen und schreiben Sie, wie es weitergeht. Ja, Sie können einen Anderen hier brauchen. Es ist ja möglich, dass Sie das lieber allein machen, ich bin ja auch nur ein junger Autor und kein oder muss jeder seinen Weg allein gehen? Freilich lieber eine unzugängliche Hilde als eine von einem für sie üblen jungen Autor Fehlgeleitete. Sie haben recht. Wie es kommt, ob ein Weg allein, oder ein gemeinsamer Ich grüße Sie von Herzen
Ich habe eben beim Heimkommen Ihre Sendung erhalten, ich danke Ihnen sehr und ich wundere mich gar nicht über Ihren nicht einmal so zarten Rippenstoß.
Es ist nur natürlich, daß Sie von meinem Verhalten sich befremdet fühlen, wir wollen hoffen, daß in Europa und auch anderswo nicht allzuviele solcher mißhelliger Fälle auftauchen, aber mit Entschuldigungen kann ich nicht aufwarten. Ich kann Ihnen nur erklären.
Und auch das ist nicht ganz leicht. Anfangen muß ich damit, daß sich seit damals im Winter, seit meinem Besuch bei Ihnen im Grillparzersaal , nichts geändert hat. Es war entschieden zu früh, daß ich mich entschlossen zu habe, es zu tun. Sehen Sie, dieses eine Mal hat mir soviel Mut genommen, daß ich mich immer erst überreden muß, etwas zu schreiben anzufangen. Was daran schuld ist? Das kann ich Ihnen sagen. Nicht Sie und nicht einer oder der andere, sondern Ihre damals so offensichtlich gewordene (ist) Überlegenheit, die vielleicht nur Routine und Technik, aber immerhin vorhanden ist.
Es wäre eigentlich nicht nötig, aber jedenfalls ist es so gekommen, ich wurde immer von irgendetwas komischen Innerlichen abgehalten, sogar in die "Neuen Wege" zu sehen, ich hatte leise Angst, Ihre Briefe zu öffnen und noch mehr, sie zu beantworten. Ich war so abgesperrt von Ihnen, von Ihren Gedichten und sogar von meinen, und ich hatte so wenig Mut, dieses Stadium zu überwinden, daß ich sogar eine solche Unhöflichkeit begehen konnte, Ihre Briefe nicht zu beantworten.
Und wenn ich ehrlich bin, muß ich sagen, daß ich diesen Zustand noch nicht ganz überwunden habe. Woraus dieser Zustand eigentlich besteht? Aus zu hoch Hinaufsteigen und zu tief Herunterfallen, wissen Sie.
So kommt es, daß ich, obwohl ich es sehr gerne tun würde, nichts habe, was sich für Ihre Ausgabe eignen würde. Sie sehen, ich bin we-sentlich strenger mit mir geworden. Ich schicke Ihnen nicht mehr jeden Erguß in die Hände.
Es ist ja wahr. Gearbeitet hab' ich noch nie. Das war alles nur Spielerei. Und jetzt brauch' ich Zeit.
Vielleicht wollen Sie mir schreiben, wie lange ich Zeit haben würde. Ich meine, wann Sie die Sachen brauchen würden.
Aber in Ihre Abende, glaube ich, ist es besser, wenn ich nicht komme. Um meines Selbstbewußtseins willen. Nein, nur vorläufig. Bis ich wirklich sehe, es ist nicht alles um-sonst. Ist es Ihnen recht?
Und bitte schreiben Sie mir, was Sie meinen und den Zeitpunkt, den Zeitpunkt.
Dann möchte ich Ihnen nochmals für das Heft danken, ich werde es sehr genau durchlesen, und ich danke Ihnen auch dafür, daß Sie mich nicht schon längst als verlorenes Schäflein verworfen haben.
Ich bin neugierig, was Sie mir zu sagen haben. Eigentlich seltsam, wieviel ich auf Sie und auf Ihr Urteil halte.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe Geb. 1
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Liebes, liebes Fräulein Schinko,
wie experimentieren Sie in die ohnehin Einsamkeit hinein. Was tun Sie da, halb traurig halb stolz, Sie geben sich auf, Ihre Gefühle, mich, uns - Sie verwerfen und wollen dabei die Genugtuung, verworfen zu sein.
Wie hart urteilen Sie uns ab, "Techniker”, "Routiniers" - sind die Jahre, in denen wir reden wollten und nur bellten, nichts? Sind wir also nur noch kalte Ingenieure, und sollte die Jugend und was wir da wollten, vergessen sein?
Sie haben sich die Freude gemacht, die Trennungslinie zu ziehen: bei Ihnen das Gefühl, bei uns die "Routine" und die "Technik". Das ist einfach, aber das kann nicht so festgehalten bleiben.
Liebes Fräulein Schinko, wissen Sie, wie wir dachten, als Sie uns so ein für allemal verließen? Ich kann nur, was ich annehmen mußte, sagen: "Fräulein Schinko ist enttäuscht, wir sind offenbar zu grün und sie hat sich gesellschaftlich erfahrene (gerissene) Großstadtliteraten erwartet."
Sie selbst machten ja einen recht großstädtischen Eindruck, im Gegensatz zu uns meist auch innerlich Vorstädtern. Ich merkte so wenig an diesem Abend von Ihrer Innigkeit und der Bereitschaft, mit jungen unerfahrenen Leuten überhaupt zu reden - so kam's mir vor. Daß wir die turmhoch Prominenten sein sollten, schwante uns nicht.
So auch faßte ich Ihr Schweigen auf (Sie können sich vorstellen, daß das einen nicht zuviel von Freunden Umhegten kaum froh stimmen konnte). Nun möchte ich Sie festhalten, wenn ich nur wüßte, wie innig Sie sind.
Sie arbeiten jetzt an sich. Ist das aber ein Nachteil? Polakovics schweigt ein Jahr schon, Kein ein halbes, ich experimentiere nur, und alle mitsammen sind wir klein. Freilich nicht gegen Hans Nüchtern, aber gegen Eliot, gegen Eluard und so gegen dem, was in uns wäre.
Sie arbeiten an sich. Das wäre ein Nachteil, wenn Sie nun Künstlerin werden wollten, und Ziersätze machen. Wir müssen nämlich hinausheulen.
Ich grüße Sie, liebe Hilde Schinko, nach wie vor,
herzlichst Ihr
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1.
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Ich glaube, daß sie, damit meine ich diese Briefe, hauptsächlich deshalb so wenig warm zu spüren sind, weil die Wärme schon am Kopf des Blattes, in der Anrede, beginnt und weil diese Anrede in meinen Briefen fehlt.
Wenn wir östlicher Herkunft und Gesinnung wären oder innerhalb einer Parteilichkeit lebten, würde ich Sie Genosse nennen können, als von Nero oder einem anderen Verfolger Bedrängte Bruder, oder als Wanderer in der Wüste Blutsbrüder, meinetwegen.
Aber wie soll einer den andern nennen in dieser Zeit, die keine Rettungslosigkeit aus körperlichen Gefahren hat, keine Weglosigkeit im Sand, aber eine große Verlassenheit des Menschen hat? Wenn er ihm von Augen aus fremd ist, aber dieselbe Sprache und dieselben Jahre hat? Vielleicht dieselbe Angst und dieselbe Hoffnung?
Sehen Sie, darum fehlt meinen Briefen die Anrede und ich lasse Sie ohne Überbrückung in den Inhalt hineinstürzen.
Was die Wärme oder die Innigkeit oder die Seele, das Gewicht oder wie Sie es sonst nennen wollen, betrifft, so sollen Sie wissen, daß ich nur darauf gewartet habe, Sie das Tor aufschließen zu sehen.
In diesem Brief haben Sie es getan. Wenn ich nicht fürchtete, pathetisch zu werden, würde ich sagen, Ihr Brief hat mich endgültig aufgeweckt.
Auch ich weiß, wohin ich gehöre. Ich hab' nur gefürchtet, verschlossene Türen und geschlossene Augen zu finden, ich hab' nur Angst gehabt, den falschen Weg zu gefunden zu haben oder am rechten Weg hinten zu bleiben.
Was Sie aus meinem letzten Brief herausgelesen haben, war ein Stück Ich, und ich will fortsetzen, Sie lesen zu lassen.
Etwas haben Sie falsch verstanden. Den Kreis mit der Routine, der Ihrer sein soll, und meinen, in dem das Gefühl Wellen schlagen soll.
Das hab' ich ganz anders gemeint. Die Technik hab' ich nicht in den Inhalt Ihrer Werktätigkeit, also in Gedichte und Vorträge, einbezogen, sondern ich wollte sagen, Routine zeigen Sie in der Beurteilung und Abstrafung der eingelaufenen Sendungen. Sehen Sie, weil ich es nicht kann: einfach ja oder nein sagen zu etwas, was sich jemand - vielleicht - aus dem Herzen gesaugt hat, was ihm aber in den Zähnen stecken blieb. Das meinte ich mit Technik und Routine, die Sie haben sollten. Und Sie kennen so viel, was ich nie gehört habe. Dieser Russe damals, den Ihnen mein Nachbar geliehen hat, jetzt: Hans Nüchtern, Eliot und selbst Eluard oder - kenne ich nicht. Sie werden noch viel tun müssen, wenn Sie mich einigermaßen wollen. Daß Sie das tun, darum bitte ich Sie. Ich falle zu leicht ab, wenn das so weitergeht.
Und nun zu "Euch Vorstädtern" und mir "Großstadtmenschen". Daß Sie das sagen, zeigt nur, daß Sie mich nicht kennen, und das hoffe ich ändern zu können. Ich bin nicht weniger als einer von denen, die nichts als Straßen überqueren, ohne die Verkehrsregeln zu beachten, oder die sich lieber die Ohren zuhalten, als zu hören, tags für hr Leben Geld verdienen und nachts für ihr Geld leben. Nein, nein.
Wenn ich ein Alltagsgesicht zeige, dann deshalb, weil ich nicht in mich hineinsehen lassen will - von Fremden nicht. Dabei möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich Ihnen jetzt ganz freie Sicht in mich lasse, daß ich Ihnen alle Fragen beantworten will, die Sie stellen, daß Sie mir also nicht fremd sind.
Ich will nicht mit den Wölfen heulen, aber auf der Straße trage ich das Gesicht der Straße. Tun Sie es nicht! Was erreichen Sie? Kopfschütteln und Mitleid. Denn die Straße gehört nicht den Meistern, sondern den Zwillingen: ein Ei wie das andere. Den Ruf nicht für die Wüste, sondern für die Menschen. Das hat es mit meiner Großstädtischkeit für sich. Außerdem wissen Sie, wo ich wohne.
Vielleicht können Sie das auch irgendwie den andern sagen. Es ist mir sehr peinlich, so falsch gewirkt zu haben. Sie haben mich gründlich verkannt; weil Sie mich nicht kennen, ich weiß.
Daß mein Verhalten Sie am stärksten und nachteiligsten beeindruckt hat, weiß ich. Mehr oder auf anderes gewartet habe ich nicht, ich kannte ja ihre Schreibart und vieles von Ihren Gedichten. Ich bitte Sie, das mit der "großstädtischen Gerissenheit" und "gesell-schaftlichen Erfahrenheit" fallen zu lassen, wenn es nicht zu traurig wäre, wollte ich fast darüber lachen. Ich bin doch aus einer Arbeiterfamilie! Ich bin genau so klein und unerfahren wie jeder und jede andere. Ich - was soll ich Ihnen sagen. Sie müssen es sehen. Aber glauben Sie das nicht mehr!
Meine Stimme wird Ihnen nie widersprechen, weil sie aus derselben Höhe oder Tiefe kommt wie Ihre. Wenn Sie mich brauchen, wenn Sie allein sind, ich werde immer da sein. Wenn wir uns alle in einen Kreis stellen wollen, dann ist es weniger unsere Aufgabe, weiter-zuempfehlen, sondern die Hände aus den Taschen hervorzuholen. Ja?
Wissen Sie, was mir eingefallen ist? Den "Neuen Wegen" könnte ein Briefwechsel zwischen jungen Menschen, womöglich auch zwischen den Autoren, ja, zwischen den Autoren selber, gar nicht abschlägig sein! Vielleicht ließe sich dadurch erreichen, wozu Gedichte und Prosa bisher noch wenig imstande waren: die Probleme nicht der Gedichte, sondern der - sagen wir - Dichter zu Gehör zu bringen! Ein Brief von dem zu dem, von diesem zurück zum andern! Ein Brieffreund zwischen zweien, die dieselben Sorgen und Wünsche haben! Und die auf diese Art auch die andern, die über der Arena, die in den Logen, die, die nicht Teil haben, hören würden. Denken Sie einmal dar über nach. Der Grund müßte Wirklichkeit sein. Ich glaube, es würde gehen.
Aber bitte, nicht falsch verstehen. Ich tue es nicht, um für mich ein Wirkungsfeld zu finden.
Aber Sie haben vergessen, mir zu schreiben, bis wann Sie die Sachen brauchen!
Und wenn Sie es gerne tun, dann lassen Sie nächstes Mal das "Schinko" weg und schreiben Sie nur meinen Vornamen. Ich danke Ihnen noch einmal,
Bitte seien Sie ganz ehrlich über diese Sachen. Veröffentlichen Sie es nicht "auf jeden Fall."
Wollen Sie mir näheres über die Publikationen schreiben?
Heute hab' ich nicht mehr. Im nächsten Brief, ja?
Nein, es geht doch nicht. Bitte haben Sie Geduld. Ich kann Ihnen noch nichts schicken, es ist nichts.
Liebe Hilde,
denn froh komme ich dem nach, so zu schreiben. (Nochmals: liebe Hilde, um den Klang recht bald vertraut zu machen.)
Mich hat Ihr Brief erreicht, und Sie - die ich geheim nie ferne geglaubt habe - sind mir nun, auch gesagt, nahe. Ich bin irgendwie erneut seither. Was ich mir gewünscht habe - unverniedlichte Rede vom Mädchen zum Knaben - ist da vielleicht eingetreten, wenn Sie auch, aber hoffentlich weniger der Betragensregel, die Kühle vorschreibt, zuliebe, als einer mir viel lieberen Eisigkeit des tiefen Menschen.
(wenn Sie auch sehr exakt auf, wie Sie schreiben, "mein Öffnen" warteten und ein noch darüber hinaus - hoffentlich weniger der Betragensregel zuliebe, die Kühle vorschreibt, wie wenn Tanzstunde ist, als vielmehr einer, mir viel lieberen, Eisigkeit des ernsten Menschen, der nicht gleich seine Gefühle vor den ersten besten vielleicht Spötter wirft).
Was mich etwas traurig machte, damalsan dem Abend, war Ihr anderes als gehofft Erscheinen. Sie kamen wie etwa jede andere Hörerin der (immerhin städtisch gelegenen, wie ich erfuhr.) Schule, geschminkt und nicht als das Mädchen ganz, das ich aus Ihren Gedichten vielleicht entnahm. Nun ist das Betrübliche vorüber, Sie schreiben vom "Alltagsgesicht" und erklären etwas so. Ich möchte (um nicht "weise", sondern mit der Argumentation des unreifen Knaben) Ihnen schreiben, daß ich Sie gerne anderswo als auf Ihrem Standpunkt zum "Straßengesicht", wie Sie's nennen, sähe. Freilich braucht man keinen imaginären Lorbeerkranz um die Stirn zu tragen, oder wie die Pariser Literaten verwegen und verwildert die Leute zu beunruhigen; aber man muß Sachen, die nicht ursprüngliche Merkmale des wirklichen Volkes sind, sondern doch von der Überspanntheit der Bessergestellten kamen, wie die Schminke, abtun können: nicht aus Moralität oder was,
Diese Meinung will nicht von Ihnen Besitz ergreifen - wo hätte ich zu anderem Recht, als Sie in guten schwachen Überzeugungen zu bestärken.
Freilich spielt da mein Persönliches mit, daß ich Sie auch äußerlich gern möglichst abseits von Hollywood sehen möchte und möglichst nahe dem Erstmädchen.
sondern um sich weniger dem Gefallen von Idioten auszusetzen
"Genossen"? | ||
publ. | IC | |
IC | ||
IC | ||
Ich will Ihnen meine bewußt paradoxen Aussprüche von "Großstädtischheit" u. " Erfahrenheit" erklären: Leider ist es oft so, daß das Leben in der Vorstadt nicht die Ursprünglichkeit garantiert, das Leben in der Arbeiterumgebung nicht die Einfachheit und Geradheit der Wünsche (man hat erlebt, daß auch Leute aus solch. Umgebg., die irgendwo durch im Kultur- oder Gesellschaftsleben hochkamen, ihr Unrecht bis zum Verleugnen ihres Ursprungs getrieben haben). Wie oft ist ein Mädchen aus auch dieser Umgebung so, daß sie sehnlich und gierig dem "feinen Leben" nachrennt, mindestens der Leinwand. So sehr man bessere Lebensbedingungen anstreben soll, so sehr hüte man sich vor der Verliebtheit in bürgerliche Degenerationserscheinungen: Flirt, Luxus und Bequemlichkeit der Gefühle
Was die Jugend betrifft, kann einmal auch eine 16 j. mehr "erfahren" sein als ein 21 j. - in Ich bin so ein Kind in allen Dingen, und meine Angriffe im Gedicht sind nicht Weisheiten, sondern vorlaute bestenfalls Wahrheiten.
Mein Glaube ist an die Mission des Unreifen, das
die Reife übertreffen soll, um eine Wahrheit , die so wahr ist wie das letzte lila Greisenalter und dabei voll persönlichstem Interesse und aller verzweifelten Leidenschaft der Jugend.
Nun, ich bin voll Freude, daß Sie sich nicht zur Erfahrenheit bekennen, sondern an meiner Seite als Mädchen stehen. Darum meine seit je Anrede "Liebe .......", denn mir sind Sie nicht (wie Sie schrieben) theoretisch Genossin (wenngleich Sie es auch sind), Schwester (vielleicht verfolgt man uns einmal), sondern die liebe Hilde. (Es gibt nämlich Weggenossen vielleicht mehrere, später, aber Sie sollten die Eine bleiben , Hilde.)
Wir strafen nicht ab, wie Sie annehmen, in unserem Lektorat. Wir urteilen nicht routiniert, sondern nach dem Gewissen, das es uns unmöglich macht, eine abgeschriebene Lösung eines noch so menschlichen Problems gutzuheißen. Denn auf der einen Seite ist die Abschrift auch leer möglich mit dem unerlebten Problem, gestohlen, drin - auf der anderen weinen Leute an der Bewältigung, unzufrieden, die viel weiter sind. Auf Grund des unbekannten Namens oder des Alters urteilten wir niemand ab, nur auf Grund des Falschen oder der brüchigen- bruchteiligen Leistung, die - gefördert - zu Bequemlichkeit und einem rascheren Erstarren führte, als es uns ohnehin beschieden ist.
Wenn Sie einmal Gelegenheit haben und Eliot lesen können oder Eluard, wird es Sie gewiß freuen. Sonst, im übrigen denke ich gar nicht daran, Ihnen, wie Sie leicht wehmütig schreiben, "fehlende Bildung", ohne die Sie "abfallen würden zu schnell", zuzuführen. Ich will mich nicht als Ihr Pädagoge tun , schreiben Sie lieber *) - ohne "Erziehung" - selber, fern den Mätzchen, und lassen Sie Ihr Gefühl - und meines - sprechen, unbestechlich aber nicht voreingenommen gegen sich.
Schicken Sie mir bitte, was Sie geschrieben haben, ob Sie es nun für die "publ." vorschlagen oder nicht (Material zu denen brauche ich immer; für Nr. 2 bis Mitte Mai Einsendezeit.) Ich warte aber immer auf Sie.) Auch ich lasse Sie einiges aus meinen - den problematischesten Sachen - lesen, dort, wo ich glaube, daß die lebende Entscheidung verläuft.
Den Briefwechsel zu veröffentlichen, erscheint mir ungut. Viel zu leicht kommt es bei sowas zur Gefahr des Schielens zum Publikum, zur Verliebtheit in die Phrase oder das Extrem. Wir gehören schließlich in unserer ganzen Arbeit dem Volk: Gehören wir in unseren Fragmenten und Tagebuchblättern auch - spätereinmal - den Anteilnehmenden, jetzt und in den Briefen gehören wir doch einmal nur einander! Schreiben wir lieber so, was unsere Probleme sind, ehrlich wie im Brief, aber gesondert und allgemeinergiltig, und setzen das für die Außenwelt.
Dafür bin ich schon.
Aber sollen die vielen abseits lesen, daß ich Sie gern als meine liebe Hilde sehe? - Man weiß auch nicht, wohin die Briefe noch führen - - -
Notiz: Das Gedicht "Wieder nicht" in jener (Ihrer) Winternacht entstanden. Die Straßenbahnen fuhren - Sie müssen wissen, ich war das erste Mal Winternacht am Opernring und rannte dann in die Redaktion zurück; nachher fand man, ich sei wie ertrunken. (Ernst Kein; er hat seltsamen Humor.).
Ich wundere mich jeden Tag mehr. Soviel will uns zustoßen, - rasch geendet, ich grüße Sie
herzlichst
Ihr
(Ich lege doch nichts bei. Das wäre irgendwie peinlich.)
Nochmals die Anrede vor dem Inhalt: (aber nicht eigentlich darum, sondern um die Kühle und Eisigkeit):
Sehen Sie, ich weiß nicht, ob das eine spezielle Eigenschaft Jugendlicher (und daher, wenn man bei der Behauptung bliebe, Warmblütiger) ist, daß sie manchmal gedrängt sind, die Formeln und Bandagen abzustreifen, die sie als künftige Stützen der Gesellschaft tragen sollten. Eins aber weiß ich: daß es die Warmherzigen sind, die in ein Paar zwar fremde, aber helle Augen hinein ihre ganze Hoffnung oder die vor einem neuen, aber guten Gesicht das Alltagsgewand ab- und die Sonntagsklei-der anlegen. Es ist nichts als eine Regel der Zucht, die uns verbietet, in ein fremdes Gesicht einen Gruß oder einen Dank zu sagen. Es ist Ihnen noch nie geschehen? Daß man am liebsten einen bei der Hand nähme und von da fortzöge?
Weil er ein gutes Wort gesagt hat oder weil er jung ist wie wir? Weil er ein Mensch ist? Aber da einer vor der Maske des anderen Angst hat, läßt er es.
Und Masken tragen wir alle. Einer immer, ein anderer im Schmerz, im Zorn, in der Liebe. Denn um uns sind nicht nur Gleiche, sondern auch Spötter. Wie Sie sagen. Und wir irren uns so oft. So oft. Deshalb müssen wir Masken tragen. Da-mit sie nicht in unserem Gesicht, in unseren Zügen, in unseren Augen herumbohren und suchen in dieser rücksichtslosen, wenn nicht sogar schamlosen, Weise.
Deshalb.
Wie haben Sie sich gedacht, daß ich aussehe?
Dann will ich Ihnen sagen, daß Sie jederzeit mein Gesicht erkennen sollen, wie es ist. Und wenn es Worte sind, die von ihm kommen. Lassen Sie sich nicht täuschen. Keiner von uns kann sagen, daß er für die anderen kämpft. Wenn wir für alle reden, reden wir auch für uns, denn wir sind ein Teil dieser Ganzheit.
Aber wenn Sie mit Ihren Briefen zu mir kommen, dann sollen Sie wissen, daß ich in diesen Zeitteilen nur für Sie und für Ihre Fragen und Sorgen da sein werde. Ich denke nicht an mich, wenn ich mit Ihnen Rede und Antwort wechsle. Ich will Ihnen nur sagen, was ich Ihnen sagen kann, und wenn es geht, helfen. Denn Sie sind mehr allein als irgendeiner. Wenn wir jung sind, sind wir allein. Wenn wir anders sind, sind wir noch mehr einsam. Denn die andern schauen anders aus und reden anders.
Wenn ich auch ein Mädchen bin, oder eben deshalb, getraue ich mich, Ihre Sorgen aufzunehmen und Ihre Hände leichter machen zu können. Es ist nicht das Alter, das die Stimme eines Mädchens weich und ihre Worte achtsam macht, es ist das Maß dieser mütterlichen Zärtlichkeit, die sie schon als Kind an ihre Puppen verteilt. Es ist der Halm, der sooft geschnitten, sooft wieder nachwächst, der - mindestens - Regen der Liebe, mit dem es dem Bruder, der sich wehgetan hat, immer wieder die Hand streichelt und ihm seinen besten Ball schenkt. Von der Art ist das Entgegenkommen, das Sie von mir erfahren. Ich will für Sie dasein, wenn Sie mich brauchen.
Mich HollywoodTypen anzugleichen habe ich nie im Sinn gehabt, ich würde mich kaum dafür . Übrigens ist die Zahl der diesen Luxuswesen Nach-strebenden geringer, als Sie wahrscheinlich glauben. Ich weiß das. Denn diese Mädchen, die nichts haben als sich und ihren Beruf und vielleicht auch ihren Freund und ihre Sonntage, stehen schon zu tief im Grau und in ihren Tretmühlen, als daß sie Hoffnung haben könnten, in eine Parfum- und Porzellanwelt gehoben zu werden. Das sage ich von der allgemeinen Arbeiterumgebung. Ausnahmefälle, in diesem Fall Ehrgeiz nach dieser anderen Welt oder höheren Schichte, oder was Sie eben glauben, daß diese Ausnahmen anstreben, gibt es hier wie es anderswo, auch in der sogenannten Gesellschaft, Hochstapler und Jägerlateiner gibt.
Sehen Sie, ich habe hier alles vor Augen. Hochwasserkatastrophen, Ehezwistigkeiten unnützigster Art, Tausch von Ehegatten zwischen gegenseitigen Schwägern, Kinderleid, Kinderspiele, ein bißchen Grün, viel Ziegelrot, viel Streit, viel Stimmen, wenig Klang. Eine ganze Welt. Eine ganz offene Welt. Die nicht einmal die Fenster schließt, wenn sie sich schlägt.
Das ist gewissermaßen eine aufgeträufelte Erfahrung, ein äußeres Mittel, keine eigene, aber deshalb nicht weniger starke.
Ich weiß mehr, als Sie vielleicht glauben.
Für Sie aber will ich das sein, was Sie in mir sehen wollen: Ihre liebe Hilde, der Sie immer alles in den Schoß legen können, was Sie an Sorgen haben. Von einer zum andern. Auch, was Sie den andern nicht zeigen wollen. Seien Sie sicher, daß Sie immer bei mir Verständnis finden. Ich würde es als einen Vertrauensbeweis ansehen, wenn Sie Ihr Vorhaben, das Sie voriges Mal fallen ließen, nun doch ausführten. Überlegen Sie es sich. Ich kann warten.
Mit meinem Beitrag zu den Publikationen aber bitte ich Sie, Geduld zu haben. Führen Sie diese Nummer diesmal ohne mich durch, ja?
Ich kann noch nicht. Ich würde mit leeren Händen dastehen.
Und nun:
Ihre Hilde.
Herrn Andreas Okopenko, Wien, 14, Baumgartnerhöhe 1.
Liebe Hilde,
Ihre Sorgsamkeit hat mich tief berührt. Meinen Dank dafür,
Indes: mich hat beunruhigt, wie Sie schrieben: "Für Sie will ich das sein, was Sie in mir sehen wollen."
Denn ich möchte nicht ein Phantasiebild sondern einen Menschen; der Phantasie bin ich recht abhold. Und wenn Sie in Wirklichkeit nicht "meine liebe Hilde" sein können, schreiben Sie es, und schreiben Sie, was Sie sein können. Ich bin einmal so geboren worden, daß ich keiner Betäubung in schöne Träume bedarf.
Das Herrlichste ist die Realität, und das "ödeste Leben" hat für den, der so veranlagt ist, unendlich mehr menschlichen Wert, (trotz Verzichtens auch) als illusorische Schonung.
Wenn Sie aber imstande sind, die Realität mit mir zu ↓ teilen, soll das meine schönsteTatsache sein.
Nur etwa alls Sorge um die Gesundheit soll man einen nicht aus der "Einsamkeit" nehmen wollen. auf leise Art, einiges aus.
Wenn es gleichzeitig auch Ihre ist. Wenn ich für Sie da bin, wie Sie für mich. (Einseitig geschenkt sollte so etwas nicht werden, Menschen kann man nicht schenken , sondern man vertraut sich ihnen an.)
Wenn es gleichzeitig auch irre ist, wenn ich für Sie da bin wie Sie für mich. Einseitig geschenkt sollte so etwas nicht werden. Man schenkt sich nicht dem Anderen, sondern geht zu ihm hin. Man vertraut sich ihm an. Wenn Sie das können, aus gleicher Gesinnung, aus dem Hindrängen des Blutes, und nicht wie einen Hang zur Puppe oder zum verletzten Waldtier, die doch im Hintergrund ein bisschen Spielzeug sind und eigennützig gepflegt, dann kommen Sie und seien Sie mein Mädchen. Ich darf Ihnen so schreiben, denn Sie gehören nicht jener Schicht an, die diese Worte in ganz anderen Farben sieht, mit Kontakt, gerecht und einer „natürlichen Harmonie“
Jetzt habe ich Ihnen einiges gesagt, womit ich glaube, Ihnen einen „Vertrauensbeweis“ gegeben zu haben (wo ich doch noch nicht weiß, ob Sie bereit sind).
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, Sie mit den Sachen, die ich Ihnen ursprünglich zeigen könnte, momentan zu belasten. Die betreffen einmal den literarischen Entwicklungsherggng – Wege, die uns gemeinsam sind oder es werden können – darüber haben wir noch zu wenig gesprochen. Auch wenn Sie nicht in dieser Nummer der „Publikationen“ mitwirken (wie in der Herbstnummer und August, müsste ich das Material haben!) Senden Sie mir Sachen von Ihnen zum Lesen und schreiben Sie, wie es weitergeht. oder muss jeder seinen Weg allein gehen? Freilich lieber eine unzugängliche Hilde als eine von einem für sie üblen jungen Autor Fehlgeleitete. Wie es kommt, Ich grüße Sie von Herzen
Ich habe eben beim Heimkommen
Ihre Sendung erhalten, ich danke
Ihnen sehr und
ich wundere
mich gar nicht über Ihren nicht
einmal so zarten
Rippenstoß.
Es ist nur natürlich, daß Sie
von meinem Verhalten sich befrem-
det fühlen, wir wollen hoffen,
daß in Europa und auch
anderswo nicht
allzuviele solcher
mißhelliger Fälle auftauchen, aber
mit
Entschuldigungen kann ich
nicht aufwarten. Ich kann Ihnen nur erklären.
Und auch das ist nicht ganz
leicht. Anfan gen muß ich damit,
daß sich seit damals im Winter,
seit meinem Besuch bei Ihnen im
Grillparzersaal
, nichts geändert
hat.
Es war entschieden zu früh, daß
ich mich entschlossen zu habe,
es zu tun. Sehen Sie, dieses eine
Mal hat mir soviel Mut genom-
men, daß ich mich immer erst
überreden muß, etwas zu
schreiben
anzufangen. Was daran schuld
ist? Das kann ich Ihnen sagen.
Nicht Sie und nicht einer oder
der andere, sondern Ihre damals
so offensichtlich gewordene (ist)
Überlegen-
heit, die vielleicht nur Routine und
Technik,
aber immerhin vorhanden
ist.
Es wäre eigentlich nicht nötig, aber
jedenfalls ist es so gekommen, ich
wurde immer von irgendetwas
komischen Innerlichen abgehalten,
sogar in die "Neuen Wege" zu sehen,
ich hatte leise Angst,
Ihre Briefe
zu öffnen und noch mehr, sie
zu beantworten. Ich war so
abgesperrt von Ihnen, von Ihren
Gedichten und sogar von meinen, und ich hatte so wenig Mut, dieses
Stadium zu überwinden, daß ich
sogar eine solche Unhöflichkeit
begehen konnte, Ihre Briefe nicht
zu beantworten.
Und wenn ich ehrlich bin,
muß ich sagen, daß ich diesen Zu-
stand noch nicht ganz überwunden
habe. Woraus dieser Zustand eigent-
lich besteht? Aus zu hoch Hinauf-
steigen und zu
tief Herunterfallen,
wissen Sie.
So kommt es, daß ich, obwohl
ich es sehr gerne tun würde, nichts
habe, was sich für Ihre Ausgabe
eignen würde. Sie sehen, ich bin
we-sentlich strenger
mit mir geworden.
Ich schicke Ihnen nicht mehr
jeden Erguß in die
Hände.
Es ist ja wahr. Gearbeitet hab'
ich noch nie. Das war alles nur
Spielerei. Und jetzt brauch' ich Zeit.
Vielleicht wollen Sie mir schreiben,
wie lange ich Zeit haben würde.
Ich meine, wann Sie die Sachen
brauchen würden.
Aber in Ihre Abende, glaube ich,
ist es besser, wenn ich nicht komme.
Um meines Selbstbewußtseins willen.
Nein, nur vorläufig. Bis ich
wirk-
lich sehe, es ist nicht alles um-sonst. Ist es Ihnen recht?
Und bitte schreiben Sie mir, was
Sie meinen und den Zeitpunkt, den
Zeitpunkt.
Dann möchte ich Ihnen nochmals
für das Heft danken, ich werde es
sehr genau durchlesen, und ich
danke Ihnen auch dafür, daß Sie
mich nicht schon längst als verlo-
renes
Schäflein verworfen haben.
Ich bin neugierig, was Sie mir
zu sagen haben. Eigentlich seltsam,
wieviel ich auf Sie und auf Ihr
Urteil halte.
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe Geb. 1
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Liebes, liebes Fräulein Schinko,
wie experimentieren Sie in die ohnehin Einsamkeit
hinein. Was tun Sie da,
halb traurig halb stolz, Sie geben
sich auf, Ihre Gefühle, mich, uns - Sie
verwerfen und wollen
dabei die Genugtuung, verworfen zu sein.
Wie hart urteilen Sie uns ab, "Techniker”, "Routinier s" -
sind die Jahre, in denen wir reden wollten und nur bellten,
nichts? Sind wir also nur noch kalte Ingenieure, und sollte
die Jugend und was wir da
wollten, vergessen sein?
Sie haben sich die Freude gemacht, die Trennungslinie
zu ziehen: bei Ihnen
das Gefühl, bei uns die "Routine"
und die "Technik". Das ist einfach, aber
das kann nicht
so festgehalten bleiben.
Liebes Fräulein Schinko, wissen
Sie, wie wir dachten,
als Sie uns so ein für allemal verließen? Ich kann
nur,
was ich annehmen mußte, sagen: "Fräulein
Schinko
ist enttäuscht, wir sind offenbar zu grün und sie hat sich gesellschaftlich
erfahrene (gerissene) Großstadtliteraten
erwartet."
Sie selbst machten ja einen recht großstädtischen Eindruck,
im Gegensatz
zu uns meist auch innerlich
Vorstädtern. Ich merkte so wenig an diesem Abend von
Ihrer Innigkeit
und der Bereitschaft, mit jungen unerfahrenen
Leuten überhaupt zu reden -
so kam's mir vor. Daß wir
die turmhoch Prominenten sein sollten, schwante uns nicht.
So auch faßte ich Ihr Schweigen auf (Sie können sich
vorstellen, daß das
einen nicht zuviel von Freunden Umhegten
kaum froh stimmen konnte). Nun
möchte ich Sie festhalten,
wenn ich nur wüßte, wie innig Sie sind.
Sie arbeiten jetzt an sich. Ist das aber ein
Nachteil?
Polakovics
schweigt ein Jahr schon, Kein ein
halbes,
ich experimentiere nur, und alle mitsammen sind wir klein.
Freilich nicht gegen Hans
Nüchtern, aber gegen Eliot,
gegen Eluard und
so gegen dem, was in uns wäre.
Sie arbeiten an sich. Das wäre ein Nachteil, wenn Sie
nun Künstlerin
werden wollten, und Ziersätze machen.
Wir müssen nämlich hinausheulen.
Ich grüße Sie, liebe Hilde Schinko, nach wie vor,
herzlichst
Ihr
Herrn Andreas Okopenko, Wien 14, Baumgartnerhöhe 1.
H. Schinko, Wien - Oberlaa, Rustenfeld 1/162.
Ich glaube, daß sie, damit meine
ich diese Briefe, hauptsächlich
deshalb so wenig warm zu spüren
sind, weil die Wärme schon
am
Kopf des Blattes, in der An-
rede, zu beginnt und weil
diese Anrede in meinen Briefen
fehlt.
Wenn wir östlicher Herkunft
und Gesinnung wären oder inner-
halb einer Parteilichkeit lebten,
würde ich Sie Genosse nennen
können, als von Nero oder
einem anderen
Verfolger Bedrängte Bruder, oder
als Wanderer in der
Wüste Blutsbrüder, meinetwegen.
Aber wie soll einer den andern
nennen in dieser Zeit, die keine
Rettungslosigkeit aus körperlichen
Gefahren hat, keine Weglosigkeit
im Sand, aber eine große
Verlassenheit des Menschen hat?
Wenn er
ihm von Augen aus fremd
ist, aber dieselbe Sprache und
dieselben
Jahre hat? Vielleicht
dieselbe Angst und dieselbe
Hoffnung?
Sehen Sie, darum fehlt meinen
Briefen die Anrede und ich lasse
Sie
ohne Überbrückung in den
Inhalt hineinstürzen.
Was die Wärme oder die Innigkeit
oder die Seele, das Gewicht oder
wie
Sie es sonst nennen wollen,
betrifft, so sollen Sie wissen, daß
ich
nur darauf gewartet habe,
Sie das Tor aufschließen zu sehen.
In diesem Brief haben Sie es
getan. Wenn ich nicht fürchtete,
pathetisch zu werden, würde ich
sagen, Ihr Brief hat mich end-
gültig aufgeweckt.
Auch ich weiß, wohin ich gehöre.
Ich hab' nur gefürchtet, verschlossene
Türen und geschlossene Augen
zu finden, ich hab' nur Angst
gehabt, den falschen Weg zu
gefunden zu haben oder am rechten Weg hinten zu bleiben.
Was Sie aus meinem letzten
Brief herausgelesen haben, war ein
Stück
Ich, und ich will fortsetzen,
Sie lesen zu lassen.
Etwas haben Sie falsch verstanden.
Den Kreis mit der Routine, der
Ihrer sein soll, und meinen, in
dem das Gefühl Wellen schlagen
soll.
Das hab' ich ganz anders gemeint.
Die Technik hab' ich nicht in
den
Inhalt Ihrer Werktätigkeit,
also in Gedichte und Vorträge,
einbezogen, sondern ich
wollte
sagen, Routine zeigen Sie in der
Beurteilung und Abstrafung
der eingelaufenen Sendungen. Sehen Sie, weil
ich es nicht kann:
einfach ja
oder nein sagen zu etwas, was sich
jemand - vielleicht -
aus dem Her-
zen gesaugt hat, was ihm aber in
den Zähnen
stecken blieb. Das
meinte ich mit Technik und
Routine, die Sie haben
sollten.
Und Sie kennen so viel, was
ich nie gehört habe. Dieser Russe
damals, den Ihnen mein Nach-
bar geliehen hat, jetzt: Hans
Nüchtern, Eliot und selbst Eluard
oder - kenne ich nicht. Sie wer-
den noch viel tun müssen, wenn
Sie mich einigermaßen
wollen. Daß Sie das tun, darum
bitte ich Sie. Ich falle zu leicht ab,
wenn das so weitergeht.
Und nun zu "Euch Vorstädtern"
und mir "Großstadtmenschen". Daß
Sie
das sagen, zeigt nur, daß Sie
mich nicht kennen, und das
hoffe ich
ändern zu können.
Ich bin nicht weniger als einer
von denen, die
nichts als
Straßen überqueren, ohne die Ver-
kehrsregeln zu
beachten, oder
die sich lieber die Ohren zuhalten,
als zu hören, tags
für hr Leben
Geld verdienen und nachts für
ihr Geld leben. Nein,
nein.
Wenn ich ein Alltagsgesicht zeige,
dann deshalb, weil ich nicht in mich hineinsehen lassen will - von
Fremden nicht. Dabei möchte ich Sie
darauf aufmerksam machen, daß
ich Ihnen jetzt ganz freie Sicht
in mich lasse, daß ich Ihnen
alle Fragen beantworten will, die
Sie stellen, daß Sie mir also nicht
fremd sind.
Ich will nicht mit den Wölfen
heulen, aber auf der Straße trage
ich
das Gesicht der Straße. Tun
Sie es nicht! Was erreichen Sie?
Kopfschütteln und Mitleid. Denn
die Straße gehört nicht den M eistern,
sondern den Zwillingen: ein Ei wie
das andere. Den Ruf
nicht für die
Wüste, sondern für die Menschen. Das hat es mit meiner Großstädtisch-
keit für sich. Außerdem wissen Sie,
wo ich wohne.
Vielleicht können Sie das auch
irgendwie den andern sagen. Es
ist mir
sehr peinlich, so falsch
gewirkt zu haben. Sie haben mich
gründlich
verkannt; weil Sie
mich nicht kennen, ich weiß.
Daß mein Verhalten Sie am
stärksten und nachteiligsten be-
eindruckt hat, weiß ich. Mehr
oder auf anderes gewartet habe ich
nicht, ich kannte ja ihre Schreib-
art und vieles von Ihren
Gedichten.
Ich bitte Sie, das mit der "groß-
städtischen Gerissenheit"
und "gesell-schaftlichen
Erfahrenheit" fallen zu
lassen, wenn es nicht zu traurig
wäre, wollte
ich fast darüber lachen.
Ich bin doch aus einer Arbeiter-
familie! Ich bin genau so klein
und unerfahren wie jeder und
jede
andere. Ich - was soll ich
Ihnen sagen. Sie müssen es sehen.
Aber
glauben Sie das nicht mehr!
Meine Stimme wird Ihnen
nie widersprechen, weil sie aus der-
selben Höhe oder Tiefe kommt wie
Ihre. Wenn Sie mich brauchen, wenn
Sie allein sind, ich werde immer
da sein. Wenn wir uns alle
in
einen Kreis stellen wollen, dann
ist es weniger unsere Aufgabe, weiter-zuempfehlen, sondern die
Hände aus
den Taschen hervorzuholen. Ja?
Wissen Sie, was mir eingefallen
ist? Den
"Neuen Wegen" könnte
ein Briefwechsel zwischen jungen
Menschen, womöglich auch zwischen
den Autoren, ja, zwischen den
Autoren selber, gar nicht abschlä-
gig sein! Vielleicht
ließe sich da-
durch erreichen, wozu Gedichte
und Prosa bisher noch wenig im-
stande waren: die Probleme
nicht der Gedichte, sondern der -
sagen wir - Dichter zu
Gehör zu
bringen! Ein Brief von dem zu
dem, von diesem zurück zum
andern! Ein Brieffreund zwischen zweien,
die dieselben Sorgen und Wünsche
haben! Und die auf diese Art
auch die andern, die über der
Arena, die in den Logen, die,
die nicht Teil haben, hören
würden. Denken Sie einmal dar-
rüber nach. Der Grund müßte
Wirklichkeit sein. Ich glaube, es
würde gehen.
Aber bitte, nicht falsch verstehen.
Ich tue es nicht, um für mich
ein
Wirkungsfeld zu finden.
Aber Sie haben vergessen,
mir zu schreiben, bis wann Sie
die Sachen
brauchen!
Und wenn Sie es gerne tun,
dann lassen Sie nächstes Mal
das "Schinko" weg und schrei-
ben sSie nur meinen Vornamen.
Ich danke Ihnen noch ein-
mal,
Bitte seien Sie ganz ehrlich über diese
Sachen. Veröffentlichen Sie es nicht
"auf
jeden Fall."
Wollen Sie mir näheres über die
Publikationen schreiben?
Heute hab' ich nicht mehr.
Im nächsten Brief, ja?
Nein, es geht doch nicht. Bitte haben Sie Geduld.
Ich kann Ihnen noch
nichts schicken, es ist nichts.
Liebe Hilde,
denn froh komme ich dem nach, so
Ihr so zu
schreiben. (Nochmals: liebe
Hilde, um den Klang recht bald
vertraut zu machen.) Nennen Sie
das wie Sie wollen alles -
nur
Mich hat Ihr Brief erreicht.,
und Sie -
die ich geheim nie ferne
geglaubt habe - und
Sie haben mich mit erreichtsind mir nun,
auch gesagt, nahe. Ich
bin irgendwie erneut seither. Was
ich mir
gewünscht habe - unverklausu
unverniedlichte Rede m vom Mädchen
zum Knaben - ist da vielleicht einge-
treten, wenn Sie auch, aber
hoffentlich
weniger der Konvention Betragensregel,
die Kühle vorschreibt, zuliebe, als
einemr mir viel lieberen Stolz d
FEisigkeit
Panzerung des tiefen
Menschen.
(wenn Sie auch sehr exakt auf,
wie Sie
schreiben, "meine Öffnen" warteten und
ein noch
darüber hinaus - hoffentlich weniger
der
Betragensregel zuliebe, die Kühle
vorschreibt, wie wenn Tanzstunde ist,
als vielmehr einer, ( mir viel
lieberen,
Eisigkeit des ernsten Menschen,
der nicht gleich seine Gefühle vor jeder-
einen wirft, der hinterher
eventuell
wirft werfen will
Spötter ist.
den ersten besten
wirf
welche
vielleicht
Spötter wirft).
Was mich etwas traurig machte, damals an dem Wint Abend,
ist war Ihr anderses als vorgest gedacht
gehofft Eirscheinen. Sie kamen wie etwa jede andere
Hörerin der (immerhin städtisch gelegenen,
wie ich er fuhr.) Schule, und nicht
wie eine geschminkt und nicht
als
das mitbringend, was ich das Mädchen
ganz,
das ich aus Ihren Gedichten vielleicht
entnahm. Nun ist das Betrübliche vorüber, Sie
schreiben vom
"Alltagsgesicht" und erklären
etwas so. Ich möchte (um nicht "weise",
sondern mit der Argumentation des
unreifen Knaben) etwas ein bis von
Ihnen
schreiben, wasdaß
mich an einem
nicht Sie
gerne anderswo als
auf
Ihrem Standpunkt zum "Straßen-
gesicht", wie Sie's nennen, sähe.
Freilich braucht man keinen imaginären
Lorbeerkranz um die Stirn zu
tragen,
oder auf die Meinung wie die
Pariser
Literaten verwegen und verwildert
die Leute zu beunruhigen; aber man
muß Sachen, die nicht aus der
ursprüngliche Merkmale des wirklichen
Volkes sind, sondern doch von der
Überspanntheit der Minder Bessergestellten
kamen, wie die
Schminke, abtun
können: nicht aus Moralität oder was,
Diese Meinung ist
will nicht von Ihnen
Besitz ergreifen - wo hätte
ich zu anderesm
Recht, als Ihrer Sie in
guten schwachen Überzeugungen zu bestärken.
Freilich spielt da mein Persönlich esVerlangenWunsch mit,
daß ich Sie
auch
äußerlich gern möglichst fernweitabseits von
Hollywood sehen möchte und möglichst
nahe dem Erstmädchen.
Mir ist schade, daß Sie mir
sondern um sichsich weniger den abhängig
zu sein. von recht
Unangenehm dem
Gefallen von Idioten
auszusetzen
Ich will Ihnen meine bewußt paradoxen Aussprüche von
"Großstädtisch-
heit" u.
" Erfahrenheit",
erklären: Leider ist es oft so, daß die
das Leben in der Vorstadt
nicht die Ursprünglichkeit
garantiert, das Leben in
der Arbeiterumgebung nicht
die Einfachheit und Geradheit
der Wünsche (man hat
erlebt,
daß auch ArbeiterLeute aus
solch. Umgebg., die irgend wo
durch
kulturell
inm Kultur- oder
gGesellschaft sleben hochgekamen,
ihre Unrecht bis zum
Verleugnen
ihres Ursprungs getrieben haben).
Wie oft ist ein Mädchen
aus auch dieser
Umgebung so, daß sie sich
sehn sehnlich
und gierig nach
(auch dem " feinen Leben"
"Höheren" nachrennt,
mindestens der
Leinwand. So sehr
man ei besseres Lebensbedingungen anstreben
soll, so
sehr hüte man sich vor demr
Verliebtheit in bürgerliche Degenerations-
erscheinungen:
Flirt, Luxus und Bequemlichkeit der Gefühle
, Fun
Nachtleben
Dann
Was die Jugend betrifft, kann das Alter einmal
von auch eine 16 j. mehr "erfahren"
sein als ein 21 j., der sich
(in meinem
Fall)
- wie ich
immer wieder gestehen
muß
- in
Ich bin so ein KnabeKind in allen Dingen,
und meine Angriffe im Gedicht sind
nicht Weisheiten, sondern vorlaute
bestenfalls Wahrheiten.
Mein Glaube ist an die Mission des
Unreifen, d as
mit möglichst
vollendeten
in
seinen Mitteln
Mitteln
die Reife an GeRreiftheit übertreffen soll,
Ich umum eine Wahrheit , die so wahr zu sein
ist wie das
letzte lila Greisenalter und dabei so allesso voll alle
all dem
persönlichstenm
iInteress e
ent und aller verzweifelten
lLeidenschaftlich
der Jugend.
Nun, ich bin voll Freude, daß Sie sich nicht
zur
dieser Erfahrenheit bekennen, sondern
an
meiner Seite als Mädchen beim Knaben
stehen. Darum meine seit je Anrede
"Liebe .......", denn mir sind Sie
nicht
(wie Sie schrieben) theoretisch Genossin
(wenngleich Sie es auch sind), Schwester
(vielleicht verfolgt man
uns einmal),
sondern die liebe Hilde. (Es gibt
nämlich Weggenossen vielleicht mehrere, später, aber Sie
sollten die Eine bleiben ), Hilde.)
Wir strafen nicht ab, wie Sie annehmen,
in unserem Lektorat.
, sondern .
kennen. Wir urteilen nicht
routiniert,
sondern nach dem Ge wissen, das es uns unmöglich
macht, eine A abgeschriebene Lösung
eines noch so menschlichen Problems
gut-
zuheißen.
, wo Denn auf der einen Seite
ist die Abschrift auch leer möglich
mit dem unerlebten Problem,
gestohlen,
drin - auf der anderen weinen
Leute an der
Bewältigung, unzufrieden,
die viel weiter sind. Auf Grund
des Na unbekannten Namens oder des
Alters urteilten wir niemand ab, nur
auf Grund des Falschen oder desr
brüchigen-
schwachenbruchteiligen Leistung, die - gefördert -
zu Bequemlichkeit und einem rascheren
Erstarren führte, als wir eses uns ohnehin
beschieden ist.
Wenn Sie einmal Gelegenheit haben
und Eliot lesen können oder Eluard,
wird es Sie gewiß freuen. Sonst,
im übrigen
denke
ich gar nicht daran, Ihnen, wie
Sie
leicht wehmütig schreiben, "fehlende"
Bildung", ohne die Sie "abfallen
würden" zu schnell", zuzuführen.
Ich will mich nicht als Ihr
Pädagoge aufspielen tun
., schreiben
Sie lieber
*)
- ohne "Erziehung" -
selber, und fern den Mätzchen,
und lassen
Sie Ihr Gefühl - und
meines - sprechen, unbestechlich
aber nicht voreingenommen gegen sich.
Schicken Sie mir bitte, was Sie geschrieben haben,
ob Sie es nun für die
"publ." vorschlagen
oder nicht (Material zu denen
brauche
ich immer; für Nr. 2 bis Mitte
Mai
Einsendeszeit.) Ich warte aber immer auf Sie.)
Auch ich lasse Sie einiges
aus meinen -
den problematischesten Sachen - lesen,
dort, wo ich glaube,
daß die lebende
Entschei Entscheidung
verläuft.
Den Briefwechsel
zu veröffentlichen, erscheint
mir ungut.
Viel zu leicht kommt es
bei sowas zur Gefahr ders Schielens
zum Publikum, zur Verliebtheit in die
Phrase oder
das Extrem. Wir gehören
schließlich in unserer ganzen Arbeit
dem Volk,:
gGehören wir in unseren
Fragmenten und Tageb uchblättern auch
- spätereinmal - den Anteilnehmen den,
jetzt und in den Briefen gehören wir
doch einmal nur
einander! Schreiben
wir lieber so, was unsere
Probleme sind,
ehrlich wie im Brief, aber gesondert
und allgemeiner-
giltig, und setzen
das
für die Außenwelt.
Dafür bin ich schon.
Aber sollen die vielen sehr abseits wisse
lesen, daß ich Sie so gern als meine liebe
Hilde sehe? - mMan weiß auch nicht,
wohin d ie Briefe noch führ en - - -
Notiz: Das Gedicht "Wieder nicht"
in jener (Ihrer) Winternacht
entstanden. Die Straßenbahnen fuhren -
Sie müssen wissen, ich war das
erste Mal
Winternacht am Opernring
und rannte dann in die Redaktion
zurück; nachher fand man, ich
sei wie ertrunken. (Ernst Kein; meist
er hat seltsamen
im Humor.).
Ich wundere mich jeden Tag mehr.
Soviel will uns zustoßen, soviel -
rasch
geendet, ich grüße Sie
herzlichst
Ihr
(Ich lege doch nichts bei. Das wäre irgendwie peinlich.)
Nochmals die Anrede vor dem Inhalt:
(aber nicht eigentlich darum, sondern
um die Kühle und Eisigkeit):
Sehen Sie, ich weiß nicht, ob das
eine spezielle Eigenschaft Jugendlicher
(und daher, wenn man bei der
Behauptung bliebe, Warmblütiger) ist,
daß sie manchmal gedrängt sind,
die Formeln und Bandagen abzu-
streifen, die sie als künftige Stützen
der Gesellschaft tragen sollten.
Eins
aber weiß ich: daß es die Warm-
herzigen sind, die in
ein Paar zwar
fremde, aber helle Augen hinein ihre
ganze Hoffnung oder die vor
einem neuen, aber guten Gesicht das
Alltagsgewand ab- und die Sonntagsklei-der anlegen. Es ist nichts als
eine
Regel der Zucht, die uns verbie tet, in
ein fremdes Gesicht einen Gruß oder
einen Dank zu
sagen. Es ist Ihnen
noch nie geschehen? Daß man
am liebsten einen bei
der Hand
nähme und von da fortzöge?
Weil er ein gutes Wort gesagt hat
oder weil er jung ist wie wir?
Weil
er ein Mensch ist? Aber da
einer vor der Maske des anderen
Angst hat,
läßt er es.
Und Masken tragen wir alle.
Einer immer, ein anderer im Schmerz,
im
Zorn, in der Liebe. Denn um
uns sind nicht nur Gleiche, sondern
auch
Spötter. Wie Sie sagen. Und
wir irren uns so oft. So oft. Des-
halb müssen wir Masken tragen. Da-mit sie nicht in unserem Gesicht,
in
unseren Zügen, in unseren Augen
herumbohren und suchen in dieser
rücksichtslosen, wenn nicht sogar
schamlosen, Weise.
Deshalb.
Wie haben Sie sich gedacht, daß ich
aussehe?
Dann will ich Ihnen sagen, daß
Sie jederzeit mein Gesicht erkennen sollen,
wie es ist. Und wenn es Worte sind,
die von ihm kommen. Lassen Sie
sich
nicht täuschen. Keiner von uns kann
sagen, daß er für die
anderen kämpft.
Wenn wir für alle reden, reden wir
auch für uns, denn
wir sind ein
Teil dieser Ganzheit.
Aber wenn Sie mit Ihren Briefen
zu mir kommen, dann sollen sSie wissen, daß ich in
diesen Zeitteilen nur
für Sie und für Ihre Fragen und
Sorgen da sein
werde. Ich denke
nicht an mich, wenn ich mit Ihnen
Rede und Antwort
wechsle. Ich
will Ihnen nur sagen, was ich Ihnen
sagen kann, und wenn
es geht,
helfen. Denn Sie sind mehr allein
als irgendeiner. Wenn wir
jung
sind, sind wir allein. Wenn wir
anders sind, sind wir noch mehr
einsam. Denn die andern schauen
anders aus und reden anders.
Wenn ich auch ein Mädchen bin,
oder eben deshalb, getraue ich mich,
Ihre Sorgen aufzunehmen und Ihre
Hände leichter machen zu können.
Es ist nicht das Alter, das die
Stimme eines Mädchens weich und ihre Worte achtsam macht, es ist das
Maß dieser mütterlichen Zärtlichkeit,
die sie schon als Kind an ihre
Puppen verteilt. Es ist der Halm,
der sooft geschnitten, sooft wieder
nachwächst, der - mindestens - Regen
der Liebe, mit dem es dem
Bru-
der, der sich wehgetan hat, immer
wieder die Hand
streichelt und ihm
seinen besten Ball schenkt. Von der
Art ist das
Entgegenkommen, das
Sie von mir erfahren. Ich will für
Sie dasein,
wenn Sie mich brauchen.
Mich Hollywood-Typen
anzu-
gleichen habe ich nie im Sinn
gehabt, ich würde
mich kaum
dafür . Übrigens ist die Zahl
der diesen Luxuswesen Nach-strebenden geringer, als Sie wahrscheinlich
glauben. Ich weiß das. Denn
diese
Mädchen, die nichts haben als sich
und Ih ihren Beruf und vielleicht
auch ihren
Freund und ihre Sonn-
tage, stehen schon zu tief im Grau
und in ihren Tretmühlen,
als daß
sie Hoffnung haben könn ten, in eine
Parfum- und Porzellanwelt gehoben zu
werden. Das
sage ich von der all-
gemeinen Arbeiterumgebung. Ausnahme-
fälle, in diesem Fall Ehrgeiz nach
dieser anderen Welt oder
höheren Schichte,
oder was Sie eben glauben, daß diese
Ausnahmen
anstreben, gibt es hier
wie es anderswo, auch in der soge-
nannten Gesellschaft, Hochstapler
und Jägerlateiner gibt.
Sehen Sie, ich habe hier alles vor
Augen. Hochwasserkatastrophen,
Ehezwistig-
keiten unnützigster Art, Tausch von
Ehegatten zwischen gegenseitigen Schwägern,
Kinderleid, Kinderspiele,
ein bißchen
Grün, viel Ziegelrot, viel Streit, viel
Stimmen, wenig
Klang. Eine ganze
Welt. Eine ganz offene Welt. Die
nicht einmal die
Fenster schließt, wenn
sie sich schlägt.
Das ist gewissermassßen eine auf-
geträufelte Erfahrung, ein äußeres
Mittel, keine eigene, aber deshalb
nicht weniger starke.
Ich weiß mehr, als Sie vielleicht
glauben.
Für Sie aber will ich das sein,
was Sie in mir sehen wollen: Ihre liebe
Hilde, der Sie immer alles in den
Schoß
legen können, was Sie an Sorgen haben.
Von einer zum andern.
Auch,
was Sie den andern nicht zeigen
wollen. Seien Sie sicher, daß
Sie
immer bei mir Verständnis finden.
Ich würde es als einen
Vertrauens-
beweis ansehen, wenn Sie Ihr Vor-
haben, das Sie voriges Mal fallen lie-
ßen, nun doch
ausführten. Überle-
gen Sie es sich. Ich kann warten.
Mit meinem Beitrag
zu den Pu-
blikationen aber bitte
ich Sie, Geduld
zu haben. Führen Sie diese Nummer
diesmal ohne mich durch, ja?
Ich kann noch nicht. Ich würde
mit leeren Händen dastehen.
Und nun:
Ihre Hilde.
Herrn Andreas Okopenko, Wien, 14, Baumgartnerhöhe 1.
Liebe Hilde,
nach langem
Ihre Sorgsamkeit hat nmicht
tief berührt.
,
mMeinen Dank dafür,
(Indes: mich hat beunruhigt, wie Sie
schrieben: "Für Sie will ich das
sein, was Sie in mir sehen wollen."
Denn ich möchte nicht ein Phantasiebild
sondern einen Menschen; der
Phantasie bin ich recht
abhold. Und wenn Sie in
Wirklichkeit
nicht "meine
liebe Hilde" sein
können, schreiben
Sie es, und schreiben Sie, was Sie
sein können. Ich
bin einmal
so geboren worden, daß ich
keine
Betäubung keiner Betäubung
in schöne Träume bedarf.
Das Herrlichste ist die Realität,
und das "elend "ödeste Leben"
hat für den, der die so veranlagt
ist, unendlich mehr menschlichen
Wert,
(trotz Verzichtens auch)
als illusorische Schonung.
Wenn Sie aber imstande sind,
die Realität mit
mir zu ↓ teilen, soll m das meine
SschönstesTatsache sein. A Ich will
mein Schönstes jedoch nur
Nur quasietwa alslls Sorge um die
Gesundheit braucht
soll man micheinen nicht aus der "Einsamkeit"
entreißen
nehmen wollen.
Man hält,
Ich halte,
auf leise Art, einiges
aus.
Wenn es gleichzeitig auch Ihre ist.
Wenn ich für Sie dasein kann bin,
werde wie Sie für mich. (Einseitig
(
geschenkt
sollte so etwas nicht werden,
Menschen kann man nicht schenkten
man nicht, sondern
man vertraut sich
ihnen an.)
Wenn es gleichzeitig auch irre ist, wenn ich für Sie da bin wie Sie für mich. Einseitig geschenkt sollte so etwas nicht werden. Man schenkt sich nicht dem Anderen, sondern geht zu ihm hin. Man vertraut sich ihm an. Wenn Sie das können, aus gleicher Gesinnung, aus dem Hindrängen des Blutes, und nicht wie einen Hang zur Puppe oder zum verletzten Waldtier, die doch im Hintergrund ein bisschen Spielzeug sind und eigennützig gepflegt, dann kommen Sie und seien Sie mein Mädchen. Ich darf Ihnen so schreiben, denn Sie gehören nicht jener Schicht an, die diese Worte in ganz anderen Farben sieht, mit Kontakt, gerecht und einer „natürlichen Harmonie“
Jetzt habe ich Ihnen einiges gesagt, womit ich glaube, Ihnen einen „Vertrauensbeweis“ gegeben zu haben (wo ich doch noch nicht weiß, ob Sie bereit sind). Stellen Sie sich doch die Blamage vor
Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, Sie mit den Sachen, die ich Ihnen ursprünglich zeigen könnte, momentan zu belasten. Die betreffen einmal den literarischen Entwicklungsherggng – Wege, die uns gemeinsam sind oder es werden können – darüber haben wir noch zu wenig gesprochen. Auch wenn Sie nicht in dieser Nummer der „Publikationen“ mitwirken (wie in der Herbstnummer und August, müsste ich das Material haben!) Senden Sie mir Sachen von Ihnen zum Lesen und schreiben Sie, wie es weitergeht. Ja, Sie können einen Anderen hier brauchen. Es ist ja möglich, dass Sie das lieber allein machen, ich bin ja auch nur ein junger Autor und kein oder muss jeder seinen Weg allein gehen? Freilich lieber eine unzugängliche Hilde als eine von einem für sie üblen jungen Autor Fehlgeleitete. Sie haben recht. Wie es kommt, ob ein Weg allein, oder ein gemeinsamer Ich grüße Sie von Herzen
Okopenko, Andreas: Tagebuch 13.04.1951–24.05.1951. Digitale Edition, hrsg. von Roland
Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno
Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische
Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1,
15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/
Die Transkriptionen der Tagebücher sind unter CC BY-SA 4.0 verfügbar. Weitere Informationen entnehmen Sie den Lizenzangaben.
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