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märz 1950

Mittwoch, 1. März 1950: SEMESTERBEGINN EBERTKOLLOQUIUM!

Wieder kalt und trüb in der Frühe.

Die Kammerordnung beendet, dann zu Ebert gefahren. Ich absolvierte mein Kolloquium über Phys. Chemie mit staunenswerter Ruhe, alles wurde mir so klar. Ich bekam wegen eines kleinen Formalfehlers am Schluss einen Dreier, aber einen gut verdienten. Ebert ist für mich kein Schreckgespenst mehr. Anschliessend um einen Platz im Organikersaal bemüht. Ich komme überraschenderweise ins Halbmikroanalytische Praktikum, eine Art org. Fortsetzung des Quantitativen; meistens ist dies erst am Ende des Org. Präp. Praktikums fällig. Nun ist für mich schon zu Anfang hier ein Platz frei. Auf die Quästur, dann heimgefahren. Ich soll möglichst bald hier zu arbeiten anfangen.

Bald wieder ins Institut gefahren. Dort wurde ich in das abgelegene Halbmikrozimmer geführt, wo ich ganz allein zu arbeiten beginne. Die Apparate an den Wandtischen, alles ist für mich neu.

Ich habe mich nach Gattermanns Lehrbuch zu richten.

Nasser Schnee fiel. Kalt ist es. Ich bin zunächst etwas konsterniert. Im grossen und ganzen aber ist es ein netter Märzanfang.


Donnerstag, 2. März:

Etwas später auf. Konsumweg.

Holz gesägt. Draussen hat es vier Kältegrade, Schnee liegt und fällt. Ausgeruht, dann ins Institut gefahren. Dort die erste Ebertvorlesung /Elchemie/, die nicht mehr das alphafte früherer Ebertstunden hat, weil ich von Ebert nunmehr frei bin.

Heute nachmittag kam Bodo ins Praktikum. Mit ihm zusammen begann ich die Arbeit. Alles vorbereitet. Morgen dann die Verbrennung.

Daheim brennt unser neuer Ofen gut!


Freitag, 3. März:

Früh notierte ich rasch: Das Kriterium der anständigen Frau besteht nicht im Widerstand, sondern in der Auslese.

Es taut. Ins Institut gefahren, wo Bodo noch nicht anwesend war. Ich plauderte im früheren Saal. Pollak, die Kollegin, die immer noch in der Quant. Abteilung arbeitet, hat heute zum ersten Mai lackierte lila Fingernägel. Sie will schön werden. Sie bleibt trotzdem unvorteilhaft wie bisher. /Nein, noch ärger./

Im Halbmikrozimmer verbrannte ich die erste Probe, die Testsubstanz. Die Ebertvorlesung versäumte ich heute. Bekam mein erstes, ziemlich wüstes, Resultat. Abgebrochen. Um halb drei im kl. I. Hs. Vorbesprechung für Broda /Atomenergie/. Es wird nichts damit, es geht mit der Zeit nicht aus. Dann schon heimgefahren.

Daheim lag das Feberheft der NW vor. Ich las darin. Meine Kunstgedichte gegen die Formalisten sind drin.

Als Mama mit Fini auf die Linzerstrasse ging, las ich noch mit Freude in dem Heft /Altmanns Prosa gefiel mir auch; das Titelblatt ist abscheulich/, dann angesichts des freien Wochenendes /es ist für mich wie eine unabsehbare freie Zeit vor mir/ arbeitete ich das Gedicht aus dem 48-er Jahr "Randbemerkungen zu unserer Schwefelsäure" um; es ist nichts mehr damit los; nur für mein Archiv mehr geeignet, aber auch dort soll es in einer möglichen Form stehen. Diese nunmehr dritte Fassung beschäftigte mich bis Abend . Das Mädchen, das von unsern Klassenkameraden einst den Spitznamen "Mausi" erhielt, und das meine erste Liebe war, das spreche ich heute immer noch ganz klar aus, hat mir etwas Bleibendes erweckt. Sie selbst ist aus meinem Leben längst getreten.


Samstag, 4. März:

Wieder wärmer. Es taut. Konsumweg.

Holz gemacht. Heute kein Institut.

In den "Neuen Wegen" gelesen.

Ein Artikel von Braunsperger sagt, heute sei alles an der "kühlen Klärung der Situation gelegen, mehr als an jeder Dichtung". Diesem Standpunkt setzte ich ein Gedicht entgegen, das mir nur so aus der Feder floss: die "blaue Dissertation". Ist nicht in der Tat jeder Flecken feuchter Rinde mehr lebenserklärend als jede Abhandlung? Noch zwei Gedichte anschliessend: "Leberleiden", das Unterbewusste verteidigend gegen den Vorwurf der Krankheit, und das "Voltmeter" (gegen alleinseligmachende Lehren und ideelle

"Allheilmittel"). Tante kam, ich las ihr meine verschiedensten "modernen" Gedichte vor, die sie nicht dermassen ablehnt wie ich dachte. Sie weiss jetzt von meinem "neuen Stil".

Abends noch allerhand Lyrik der Weltliteratur gelesen.

Ich wünsche mir so sehr ein geliebtes Mädchen, wie die Vx. es hätte sein können.


Sonntag, 5. März:

Wieder wärmer. Es taut. Schon früh hatte es einen Wärmegrad. Der gewisse blaue Himmel, die wilde Luft ...

Ich schrieb eine lyrische Prosa "Erste Sonnenwärme".

Den Sonntagvormittag wie üblich verbracht. Ordnungen, Radio gehört ...

Nm. kam Polakovics, wir arbeiteten die "blaue Dissertation" etwas um, am Ende gefiel sie mir aber doch wieder in der Urfassung am besten und ich liess mich nur zu zwei oder drei Konzessionen herbei. Tante kam inzwischen. Als Pol um halb sechs ging, unterhielt ich mich noch mit Tante Luise eine Stunde über Ausgefallenes; über Surrealismus, die Bibel; übrigens ist Frl. Huber vom Büro vom Spiritismus überzeugt worden.

Nach recht wirr geratenen Plaudereien über solche Sachen den Abend abgeschlossen.


Montag, 6. März:

Nicht zu zeitig auf. Es war genug warm, etwas trüb, ich fuhr um acht ins Institut. Die Testbestimmung weitergeführt, nm. bekam ich die erste Substanz; die dazu- gehörige Prüfung wird nachgeholt.

Bis halb fünf die ersten Werte bekommen. Dann fuhr ich heim.

Die gestrige Umarbeitung der "Blauen Dissertation" endgültig aufgegeben. Die dritte Fassung, die der ersten fast gleicht, werde ich nun einreichen.

Es sollen nicht Synkopen angelegt werden in meinen improvisierten Gedichten. Alles Nachträgliche stört nur.

Wirre Träume.


Dienstag, 7. März:

Zeitiger auf, Konsumweg, Institut.

Dr. Bilek, unser Halbmikroassistent, kam nicht. Die 1. Substanz einstweilen erledigt.

Ich fuhr gegen zwei zu Artmann, den ich zum ersten Mal besuche. Es ist Frühling draussen, so warm.

Bei Artmann finde ich verschiedene engl. Lyrik vor, er ist erfreut über meinen Besuch. Er sagt, er fühlt sich so isoliert in seinem Zimmer, vor der Autorentagung hatte er überhaupt keinen Kontakt mit gleichinteressierten Menschen.

Ich bin begeistert von einem Klabund- Buch, sowie von Walt Whitman. Um 17 Uhr fahre ich in die Redaktion mit Artmann. Ich bekomme Eliot ausgeliehen. Interessantes Gespräch. An Ort und Stelle neueste Lyrik rezensiert. Nächste Woche kommt die eingereichte Prosa dran.

Pol schleppte uns anschliessend an die Sitzung zu einem Vortrag von Paris Gütersloh in der Akademie im Rahmen der Volkshochschule. Unser Primar Huber von Steinhof zeigte Bilder von Geisteskranken zur Unterscheidung von Bildern surrealer Meister wie Fuchs ...

Auf der Heimfahrt eine seltsame Stimmung, seltsame Eindrücke; ein Gedicht entstand /Abendspaziergang/. Es war ein sehr interessanter Tag, ein anregender Abend. Um halb zehn erst kam ich heim.


Mittwoch, 8. März:

Etwas früher auf, schon blauer Morgen. Ein reizend frühlingshafter Tag.

Im Institut: die Probe stimmt nicht ganz, ich habe noch eine Bestimmung zu machen. Das tat ich denn auch.

Mittags hörte ich mir die erste Ebertvorlesung über "Aufbau der Materie" an. Heimgefahren, daheim aber wenig getan. Ich las selbstverständlich in Eliot, /Liebeslied J. Alfred Prufrocks/, dann schrieb ich mein gestriges Gedicht auf; ein Expressbrief erwartete uns: Tante hat eine plötzliche Nierenerkrankung befallen.

Abends noch in Eliot gelesen, Ordnungen gemacht für mich, Tante in Besorgnis angerufen, ich konnte nichts mehr schreiben und legte mich zeitig nieder.


Donnerstag, 9. März:

Später auf. Die Gali-Vorlesung "Theor. Grundlagen der org. Chemie" versäumte ich. Auf die Quästur zahlen gegangen.

1. Substanz bestätigt. 11 Uhr Vorlesung Prof. Ehrenhaft /Physik: Wärmelehre/, 12 Uhr Ebert Elchemie.

Nachmittag an der zweiten Substanz zu arbeiten begonnen. Den ersten Wert erhalten. Wieder aber zeitig Schluss gemacht.

Daheim kam Tante Fini; ich las in meinem Eliot. Versuchte, aber wieder ergebnislos, zu schreiben. So legte ich mich schon zeitig zu Bett. Es war trüb und abgekühlt draussen.


Freitag, l0. März:

Kalt. Trüb. Ins Institut gefahren.

Von neun bis zehn findet im kleinen Zweiten die erste Kuffnervorlesung statt.

Ich bekam die zweite Substanz bestätigt. Nun aber fand die Prüfung statt.

Ich musste in der Bibliothek etwas Ergänzendes lernen. Ich war zum ersten Mal in der Institutsbibliothek.

Mittags Ebertvorlesung.

Nachmittag 3. Substanz analysiert.

Dozent Kuffner, ein eigener Mensch, aber netter Kerl, besuchte uns in unserer Kammer zum erstenmal. Mir ist er sehr sympathisch. Solche ruhige Arbeitsbedingungen im Vergleich zur letzten Zeit bei Gali oder gar am Anfang bei Dr. Eiter.

Ziemlich zeitig wieder heimgefahren.

Schon wieder eine Woche aus. Es gab Schnitzel, ich las in Eliot, was wünscht man sich mehr.


Samstag, 11. März:

Kalt, trüb, etwas sogar Regen.

Noch im Bett kam mir das reizende Fluidum von damals in den Sinn, als ich durch das Marchfeld hindurchfuhr /auf meiner Rückreise von Smokovec, 1944/. Ich begann ein Gedicht. Nach dem Konsum setzte ich mich an die Maschine und improvisierte ein "Sommerlied der Unwägbaren". Die Stelle "Ich liebe so den roten Mohn ... usw." ist wohl die schönste, die mir seit langem gelungen ist. Nach dieser Betätigung schrieb ich einiges aus Eliot heraus für mich, und für Pol fertigte ich eine Abschrift meines "Chem. Abends" an, der ihm so gefiel. Nachmittag um zwei besuchte ich das erste Mal Polakovics. Mama fuhr zu Tante Luise in die Adamsgasse.

Pol zeigte mir seine Arbeiten in der bildenden Kunst; er sprach wieder sehr viel und interessant über Rilke.

Ueber mich wurde gesprochen. Mein "Sommerlied" von heute gefällt ihm noch besser als das Frühlingslied für Infinita Vera. Er erwartet sich immer mehr von mir und Besseres. Er zeigte mir seine Jugendgedichte, die sich alle schon durch seine vollkommene Form auszeichnen, wenn auch der wahre Inhalt erst in seinen nunmehrigen Gedichten liegt.

Wir lasen in der "Welt von gestern" des hervorragenden Stefan Zweig, der eines nicht kann: nämlich langweilen.

Wir begeisterten uns an der Beschreibung des literarischen Lebens im damaligen revolutionär aufstrebenden Wien, das so sehr unserem heutigen zu gleichen scheint. Ich fand meine Gedanken über die Probleme der Geschlechter bei Zweig wieder.

Pol begleitete mich von diesem höchst anregenden Besuch bis zum 47-er. Wir sprachen noch über manches.

Mama erzählte daheim, dass es Tante nicht zu schlecht gehe. Sie ist sogar trotz ihrer Krankheit ganz gut aufgelegt.


Sonntag, 12. März:

Ich stand später auf und las im "Schachbüchlein" von St. Zweig, das mir Pol ausgeliehen hatte.

Nach der Kirche las ich die Novelle zu Ende, sie ist grossartig geschrieben in ihrer Spannung. Nun las ich in der "Welt von gestern", las sogar Mama daraus vor.

Kalt. Trüb.

Auch nachmittags in der "Welt von gestern" gelesen. Ich versuchte surrealistisch zu zeichnen. Gemütliche Stimmung.

Im Toto haben wir nichts gewonnen.

Abends das fesselnde Schlusskapitel in der "Welt von gestern" gelesen.

Ein hervorragendes Buch.


Montag, 13. März:

Gewöhnlich auf. "Welt am Montag" gelesen. Konsumweg. Eintragungen zu Ende, dann ins Institut gefahren.

Kuffner, Ehrenhaft, Ebert. Dazwischen nur Bibliothek.

Von der 3. Substanz noch eine Bestimmung zu machen. Ich begann diese, hörte aber auf, als der Apparat streikte.

Daheim war Fini zu Besuch. Ich las in Eliot, versuchte zu schreiben, mir gelang aber nur eine kurze lyrische Prosa "Ein zertauender Kindermärz".

Es ist eigentlich noch recht kühl.


Dienstag, 14. März:

Nach einem eigenartigen Traum zeitig aufgestanden. Stimmung hebt sich.

Früh 8 Uhr Gali-Vorlesung. Mein letzter Tag im 20. Lebensjahr hat begonnen.

Mit Bodo gewartet, dann bekam ich die 3. Substanz bestätigt. Schritt für Schritt geht es so weiter, und niemand kann mir noch je eine bestätigte Probe absprechen.

Keine Prüfung. Die 4. Substanz, die letzte C, - also, bekommen. Ehrenhaft. Ebert.


Heimgefahren schon nach Mittag.

Zu Hause ausgeruht, dann gleich in die Red. NW gefahren. Um 17 Uhr dort: Rezensionen; Prosa bekommen; für die nächste Autorenlesung Material zusammengesucht. Cap kam diesmal wieder.

Wir wurden in der Hofburg eingesperrt, weil wir die Schlusszeit versäumt hatten. Eine halbe Stunde irrten wir umher, bis wir wieder in Freiheit gesetzt wurden. Das war mein Abenteuer zum Abschluss des 2. Lebensjahrzehnts.

Mädchen habe ich bis jetzt noch keins. Also hält es der Mensch bis mit 20 Jahren ohne Mädchen /und vor allem ohne Ersatz für ein solches/ aus.


Mittwoch, 15. März: 20. GEBURTSTAG

Später auf. Schon in der Früh den Prosapinkel rezensiert, ins Institut damit gefahren. Die techn. Vorlesung Hromatka entfiel. Im Math. Institut setzte ich mich hin und rezensierte fleissig.

Um die Mittagszeit zu Ehrenhaft und Ebert in die Vorlesungen gegangen. Nachmittag fiel ich über die Probe her. Sie scheint falsch zu werden, heute kam ich erst um 18 von der Arbeit weg und fuhr heim. Ansteigende Stimmung

abends.


Donnerstag, 16. März:

Zeitiger auf, zu Gali in die Vorlesung gefahren. Er ist der beste Systematiker der Anstalt, zum ersten Male verstehe ich hier manches Theoretische, was für mich doch so wichtig ist.

Im Mathematischen Institut, wo es sich so heimlich sitzt, rezensierte ich die Prosa zu Ende.

Zu Ehrenhaft.

Bei Ebert ist wieder die Himbeerrote, jenes Mädchen, das -  ich will später darüber schreiben, wenn sich alles geklärt hat. Oder doch: Ich glaubte, alles sei vorbei, dabei wo ich sie wieder sehe, begehre ich sie von neuem. Begehren ist der allerbeste Ausdruck für dieses Gefühl. 1949 habe ich viele Ueberlegungen zur Zeit meiner Krise diesem Gefühl zu verdanken gehabt. Sie hat mich immer wieder ins Befassen mit dem erot. Problem gebracht. Aber lassen wir das: ich fuhr also zu Artmann anschliessend um mir neue Prosa zu holen. Dann zeitig heimgekommen.

Ein Frühlingstag!

Sehr angenehmer Tag, neue Prosa rezensiert. Ich wurde mit dieserso anregenden Beschäftigung fertig.

Wie gross ist mein Verlangen nach einem geliebten Mädel!


Freitag, 17. März:

Wieder Frühlingstag, diese Tage sind die schönsten!

Später auf. Zu Kuffner in die Vorlesung. Dann spazieren gegangen in Währing, ins Studio der Hochschulen, wo seinerzeit mein "Problemschuster" abgelehnt worden war, gesetzt. Ich hängte mein Gedicht "Die Zeitkrankheit" dort an einem Nagel auf, als Manifestation.

Ich ging bald wieder, kam aber noch viel zu früh in die Institute, setzte mich deshalb ins Physikalische und dichtete dort nach einem Eindruck von meinem Pol-Besuch von unlängst "Die Abgegriffene", wo mir merkwürdige Bilder hineinrutschten.

Schliesslich las ich, dass Ebert entfallen war, und begann im Halbmikrokloster zu arbeiten. /4. Substanz./

Wird diese Bestimmung falsch?

Bodo brachte ich heute zum Diskutieren. Ihm ist furchtbar langweilig hier, er möchte viel lieber schon an der Industrie sein. - Alles Surreale ist ihm verhasst, wie der Mehrzahl der Halbgebildeten, also der Akademiker. Ueber "Ausgestaltung" der Mädchen gesprochen. Er ist gegen die Modetorheiten. Leider besagt das nicht viel: er lehnt alles Unsolide ab. Er ist ein Bürger; im übrigen ist er ein guter Mensch, dürfte auch in den Dingen des Geschlechts anständig sein; die Himbeerrote hält er wie ich für ein harmloses Mädchen; dass sie auf mich so eine verheerende Wirkung ausübt, habe ich ihm nicht erzählt; ich weiss, an der bin ich schuld und nicht das Mädchen, die, ahnungslos darüber, mit ihrem einen Burschen geht, wie wir sehen.

Das habe ich schon damals festgestellt, dass sie immer mit einem Burschen, einem ziemlich breitgebauten aus dem I. chem., ist; in jeder Vorlesung. Ich weiss in Wirklichkeit genau, dass das kein Mädchen für mich wäre; mein Instinkt hat nie gesagt "das wäre etwas"; auch ist sie besetzt und letztlich Chemikerin. Unsere Chemikerinnen sind besser in der Arbeit als die Burschen. Jedem, der das nicht glaubt und was anderes sagt, wische ich das gleich. Aber ich persönlich möchte ein Mädchen aus einem gänzlich chemiefernen Kreis. Ueber all das habe ich freilich mit dem "guten Bodo" /wie ihn Kuffner neulich hänselte/ nicht gesprochen. Das fiel mir nur gerade ein.

17.3.50 =2=

Heute früh hatte ich in Erwiderung auf einen Artikel, den eine Margarete L.-Rauch über die "Polarität der Geschlechter" geschrieben und bei den NW eingereicht hatte, eine Polemik, das "unpolare Liebeslied" geschrieben. Es sind eigentlich die Ideen, die mich zum Widerspruch seit je verleitet haben, an den Fingern abzuzählen. Im 47-er Jahr oder wann die Ricarda Huch, heute Gretl Rauch.

Wir sind beide Nacht.
Wir sind dieselbe Strasse.

Samstag, 18. März:

Ich schrieb früh Assoziationen nieder, die mich seit längsten Zeiten bestimmt hatten. Mädchen in Verbindung mit Buchstaben sind es: Etwa Lore, Louise, Lotte bilden eine Gruppe, die ich mit der Vorstellung in Verbindung bringe: Ein Mädchen ist vom Tollen müde und von der schwülen Sommerluft. /"L"/ mit M, K und so fort. Nachdem ich ein S gleichsam abschliessend aufgeschrieben hatte, kamen "Andere Mädchen", in nachteiligerem Lichte gesehene Assoziationen, an die Reihe.

Hiebei muss nicht unbedingt der Anfangsbuchstabe der Kennbuchstabe sein, sondern auch etwa ein hervorstehender Buchstabe kann es sein. Dies alles habe ich nicht gedichtet, auch nicht einem Einfall folgend von mir gegeben, sondern aus längst bekannten Tiefen heraufgeschöpft.

17.3.50 =3=

Ich ging zu Artmann zeitig nachmittags. Ich liess ihn meine Mädchen-Buchstaben oder Buchstaben-Mädchen, wie man will, lesen. Er las, erstarrte, besann sich, las weiter, und als er zu Ende war, konnte er einen Augenblick nicht sprechen, dann nannte er mich einen führenden Surrealisten; er war richtig ergriffen, dass ein anderer, vor allem ich, mich seinem Kampf um das Surreale anschloss. Er zählt mich von heute an zu denen wie Eluard und Myröcker und spricht davon, dass man aus meinen solchen Gedichten unleugbar das Mitteleuropäische herausliest, und darauf kommt es an, wenn wir einen selbständigen Surrealismus wollen. Die Nachahmung des Surrealismus ist gar nichts, denn seine Kraft kommt nicht aus einer Form, die noch nachgeahmt werden kann, sondern aus der Schöpfungskraft des Unterbewussten.

Ich lieh mir Klabunds "Marietta" aus. Ein höchst anregender und zielweisender Tag.

Am Rückweg sah ich Trudscherl, die an Veilchen roch. Ich schob es auf den Frühling statt auf Koketterie, und war so zufriedener.

Frühling ist ja alles ringsherum.

Tante war da, ich las ihr einiges vor, mein "unpolares" und die "Abgegriffene" hat sie in meiner Abwesenheit gelesen, und sie haben ihr sehr gut gefallen. Ich las Eliot und gleich Klabund vor. Es ist ein begeisterter Tag.

18.3.50 =2=

Sonntag, 19. März:

Ein schöner Frühlingstag!

Vormittags schrieb ich auf der Maschine, und zwar das "Lied mit der unkeuschen Zeile” und das "School girl Edith". Gestern bei Artmann war mir ein Mädchen, das durch die Kienmayrgasse ging, aufgefallen. Artmann hatte dieses Mädchen gekannt, wie er mir sogleich überrascht erzählte. Es war eine sonderbare Geschichte damit. Zu der Zeit lasen wir in Eliot, und sein Sohn bohrte fleissig Nase.

Nachmittag kam zeitig Pol und las mir Gedichte von sich vor, was ich . Inzwischen kam ein verschrobener früh. slow. Pfleger von Steinhof zu Besuch aus der Slowakei. Er erzählte Abenteuer, hatte andere Augen als zuvor und kündigte an, er werde uns öfter besuchen, um mit uns "Mensch-ärgere-dich-nicht" zu spielen, und man müsse auf Gott vertrauen, dann werde alles gut werden.

Mit Pol ging ich noch spazieren, und wir sprachen über hundert Dinge. Seine Leitlinie ist das "den-Dingen-gegenüber", während ich ein Whitman-ähnliches Gefühl der Allverbundenheit habe.

Er legt seine Trauer in das "Unerbittliche", ich in die abwendbaren Misstände. Ich fand Greguerias, z.B. "Der Orion ist kein Sternbild, er ist eine Masche, die man sich um den Hals bindet", "Ich verbringe meine liebste Zeit zwischen Gedankenstrichen" usw. Ein Spaziergang mit Pol müsste einmal sehr anregend sein. Ich komme mir vor wie ein Eichhörnchen. Hoch angeregt nach Hause gekommen.


Montag, 20. März:

Auch heute nicht zu zeitig auf, dann aber gleich ins Institut gefahren. Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Im Praktikum: Die 4. Substanz stimmt nicht. Neue Füllung notwendig.

Ich zerbrach mir, während ich auf die Währinger Strasse herabsah vom Laborfenster aus, den Kopf über das Wesen der Schönheit.

Endlich gab ich den Schlüssel der HMG für heute bei Bilek ab und machte mich heim. /Es war diesmal spät/.


Dienstag, 21. März: Heute ist Frühlingsbeginn.

Eine sehr interessante Gali-Vorlesung. Ich wollte um jeden Preis ein Gedicht schreiben, aber trotz der eigentümlichen Frühlingsstimmung und trotz der Himbeerroten, die in der Galivorlesung war, und trotz de latenten Fluidum in mir realisierte sich nichts.

Ich ging hinter den Instituten, durch die Liechtensteinstrasse zum Studio der Hochschulen in der Kolingasse, wo ich mein Eidechsengedicht nicht mehr an der Wand vorfand.

Ehrenhaft, Ebert.

Aber Nachmittag tat ich nichts im Institut, sondern fuhr zeitig zu Artmann. Die Charakteristiken unserer Autoren in gregueresker Form fielen mir unterwegs, im herrlichen Frühlingswetter, ein. Mein Surrealismus ist zum Unterschied von dem der Franzosen unparfumiert wie auch unverwest.

Bei Artmann selbst sprachen wir sehr interessant über Typen /Hund, Katze, Vogel, Rind/, dann gingen wir zum Schuhmeierplatz hinunter und fuhren in die Neuen Wege.

Dort bekam ich diesmal keine Prosa.

Cap, Sokol, Altmann, Polakovics, Kein usw. kamen. Sokol scheint Minderwertigkeitskomplexe zu haben. Ich redete ihr zu, zu ihrer Art zurückzufinden, anstatt den Leuten, die ihr gesagt hatten, sie solle weniger persönlich werden /!/, zu folgen und miese Gedichte mit der Moral am Schluss oder ebensolche Märchen zu schreiben; solange sie solche schreibt, müssen wir sie freilich ablehnen.

Wir greguerisierten und blödelten viel nach der Sitzung.


Mittwoch, 22. März:

Später aufgestanden, Konsumweg, dann ins Institut gefahren.

Früh ist es jetzt immer kühl, auch trüber. Dann wird es wieder frühlingshaft.

Im Institut die Geräte gereinigt. Es ist bei dieser Sauerei schwerexakt zu arbeiten.

Ehrenhaft, Ebert.

Nachmittag wieder analysiert /4. Substanz/.

Wie auch gestern, keine Angriffspunkte für Dichtung. Dennoch ist die Stimmung immer noch etwas angeregt. Das offene Fenster über Währing ist so angenehm und bringt viel Reiz in die Halbmikrogemeinschaft. Arbeitet man unter den Bedingungen wie jetzt längere Zeit in dieser Abgeschlossenheit, so wird man ein Sonderling. Die 4. Bestimmung gemacht. Spät erst heim.


Donnerstag, 23. März:

Gleich in der Früh blauer Himmel.

Zeitig in die Uni gefahren, wegen der Galivorlesung. Jetzt wird ein kurzer Ueberblick über die Wellenmechanik, dann über die einzelnen Atombindungen gegeben. Es ist das erstemal so klar, Gali ist wirklich der beste Systematiker des Hauses.

Die 4. Substanz ist wieder falsch!

(Stimmung absinkend)

Ehrenhaft, Ebert.

Nm. zu Artmann gefahren. Der war nicht daheim, aber ich bekam einige Manuskripte zu rezensieren. Platzregen.

Daheim rezensierte ich fleissig.

Tante Fini besuchte uns.

Ich versuchte zu schreiben, wurde auch durch die eigene Stimmung draussen und durch einen der Prosabeiträge, die ich zu rez. hatte, angeregt, aber alles zerflatterte irgendwie.

Ich bekam Skrupel über den Surrealismus.


Freitag, 24. März:

Frühlingswetter. Ich versuchte ein Gedicht anzugehen, fuhr aber dann gleich ins Institut.

Kuffner hielt wieder seine Vorlesung in rasendem Tempo.

Mit Springer plauderte ic vormittags. Springer ist eine Erinnerung an vergangene Jahre. Vielleicht ödere Jahre? Besser: einzelne öde Perioden, Tage. Ebert Elektrochemie, heute auch viel Stoff. Mir fällt ein, dass die sogenannten "öden" Perioden oder Tage meines Lebens alle hinterher ein starkes Fluidum seltsam erregender Art hinterlassen, und so glaube ich, dass man, wenn man ganz streng ist, von keiner Oedheit in meinem Leben überhaupt sprechen kann. Alles heute Unerreichte, also jedes Nichtrealisieren eines latenten Hochzustandes ist, wie sich nachträglich herausstellt, ein Aufspeichern.

Der Apparat /der Verbrennungsofen/ ist ganz mit Kohlenstoff verklebt, der nicht wegzuglühen geht.

Zeitig heimgefahren; zu Hause wurde es ganz gemütlich. Ich verplauderte mich und las in alten schriftstellerischen Mappen von mir, was aufschlussreich ist von Zeit zu Zeit.

Bis Abends stellte sich so immer mehr Stimmung ein.


Samstag, 25. März:

Regenwetter. Im Bett dichtete ich nach meinem gestrigen das "Nicht-etwa-Lied". Anschliessend nach einer Beobachtung und einem Gefühl von unlängst die selbstkritischen "Reflexionen angesichts eines Heuwagens" - ich verwarne mich oder warne mich wenigstens vor den Folgen eines Nachgebens vor der surrealistischen Mode.

Konsumweg und andere Arbeiten fürs Haus. Haarschneiden. Reinschriften.

Nachmittag eine meiner üblichen Plaudereien über Eliot. Im Tagebuch 49, dem Tagebuch vom vorigen Jahr, gelesen.

Tante kam dann.

Ich stellte Ordnungen an, versuchte - einem Schnapseinfall folgend - Aquarell zu malen, es spielte ganz angenehmes Radio.

Abends las ich aus der Lyrik der Weltliteratur und plauderte dann über Stilrichtungen.


Sonntag, 26. März:

Zum Teil schöneres Wetter.

Ich sah wieder Trudscherl.

Ich versuchte, aus einem Einfall etwas zu machen, aber es wurde hartnäckig nichts daraus. /"Am Rande neuerwachten Grüns ......."/

Nach einem frühen Nachmittag voll Untätigkeit kam um drei Uhr Pol.

Mit ihm führte ich Rezensionen durch. Dann ging ich mit ihm noch spazieren. Daheim bei ihm erhitzte ich mich über seine Verteidigung des Formalisten Eisenreich, dann kamen wir doch zu einer Aussprache. In Wahrheit will doch jeder dasselbe.

Sehr anregender Tag wieder.

Wetter: abgekühlt etwas.


Montag, 27. März:

Konsumweg. Dann ins Institut.

Dort Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Nm. während des Praktikums mit Bodo diskutiert über "Schönheit und Aussage" /Sein immerhin origineller Vergleich mit der im Zorn ausgequetschten Zitrone, die ja auch trotz ihres Aussagegehaltes kein Kunstwerk darstelle./


Dienstag, 28. März:

Gali, Ehrenhaft, Ebert. Wie immer. Nachher heim gekommen.

Nachmittags um 17 Uhr in die Redaktion gefahren. Ich bekam vierzig Schilling ausgezahlt. Im Märzheft ist meine "Blaue Dissertation" drin, die (unlängst) sofort einstimmig angenommen worden war. Artmann hatte drei neue Autorinnen eingeladen /Diem, Hauer, Matiasek/. Mit Hauer unterhielt ich mich, ihr gefielen verschiedene Sachen von mir. Matiasek sitzt irgend verschreckt, mit einem unwirschen Mund und wie ein grosses Mädel da.

Diem wirkt wie ein Schulmädchen aus den Zwanzigerjahren, die modern sein wollte /Ins Gesicht geschnittenes Haar, farblos gepudert und ebenso geschminkt, sie dürfte die Allerjüngste sein und sieht aus wie eine romantisch und schlecht verstandene Psychoanalyse/.

Die Einladung war freilich improvisiert. Lore Hübel, eine vierte Eingeladene, deren Gedichte und vor allem Prosastücke ich wegen ihrer Innigkeit liebe, kam nicht. Selbst Sokol war hier.

Ein im ganzen äusserst anregender wieder Abend.


Mittwoch, 29. März:

Konsum.

Im Institut vm. gearbeitet, unter ziemlich öden Eindrücken. Dann ging wieder Ehrenhaft und Ebert an.

Samstag sind wir Lyrik-Rezensoren bei Frl. Hauer eingeladen, wo wir die Aprilnummer selbständig zusammenstellen werden.


Donnerstag, 30. März:

Die ganzen Täge schön, blau, aber ziemlich kühl.

Früh fuhr ich in die Uni und traf wieder Ali Pribil, der mit seiner Mathematik-Kollegin über eine Radtour in den bevorstehenden Osterferien sprach. Dennoch, obwohl unsere letzte Unterrichtswoche wieder ist und dann ein halber Monat frei ist, hatte das Gespräch einen so in Staub vergrabenen Eindruck auf mich gemacht.

Gali /fast wollte ich schreiben: Gali mit Himbeer/, mittags Ehrenhaft und Ebert. Nachmittags im Praktikum wieder missglückte Analyse der 4. Substanz, an der ich skandalös lange arbeite.

Um fünf heimgefahren, abends versuchte ich zum "leeren Boot" einen Ergänzungstext zu schreiben, damit daraus eine mögliche Impression oder was Aehnliches würde.

Den Eindruck von heute früh aber verarbeitete mein Inneres zu einem surrealen Gedicht /"Traurig wie Trauben, die den Lucullus weinen ..."/ Wie mir der Text kam, weiss ich selbst nicht.


Freitag, 31. März: LETZTE UNI

Die Bazillen kann man färben: blau mit einem roten Mascherl. Das sprachen zwei Gymnasiastinnen aus der Maroltingergasse zueinander. Was ist die Wissenschaft in der Tat anderes als "Blaue Bazillen mit einem roten Mascherl". Gregueresk!

Für die Uni habe ich heute, wie diese Feststellung wohl beweist, keine rechte Stimmung mehr. Morgen sind wir bei der Hauer; Ferien sind da.

31.3.50 =2=

In dieser Stimmung den letzten Kuffner angehört, Substanz 4 abgegeben, um eine Entscheidung zu erzwingen; sie fiel, wie erwartet. Um wahnsinnige Prozente zu tief. Dafür steckt die ganze Kohle wieder im Verbrennungsrohr. Ich muss eine neue Probe kriegen, hoffentlich enthält die weniger C als diese.

Ich ging nicht mehr in die Elektrochemie-Vorlesung, trieb mich nur hinter den Instituten herum etwas, um frische Luft zu schöpfen, und ging dann in die Ferien.

Daheim stellte ich nachmittags Ordnungen an /Zeitungen/, versuchte dann am langen Gedicht /"Am Rande neuerwachten Grüns"/ weiterzuarbeiten, was jedoch nicht gelang, und "buchte dann das Gedicht endgültig ab".

Im Radio sprachen sie von Rimbaud. Späteren Nachmittags, nach Aufgabe des langen Gedichtes, herrschte ausgesprochen angenehme Stimmung. Nun ist es draussen Frühling.


26.3.50: Friedensdemonstration am Ring
30.3.50: Leon Blum
März 1950

tagebuch

neu

märz
1950

Mittwoch, 1. März 1950:
SEMESTERBEGINN EBERTKOLLOQUIUM!

Wieder kalt und trüb in der Frühe.

Die Kammerordnung beendet, dann zu
Ebert gefahren. Ich absolvierte mein
Kolloquium über Phys. Chemie mit
staunenswerter Ruhe, alles wurde mir
so klar. Ich bekam wegen eines kleinen
Formalfehlers am Schluss eijnen Dreier,
aber einen gut verdienten. Ebert ist
für mich kein Schreckgespenst mehr.
Anschliessend um einen Platz im
Organikersaal bemüht. Ich komme über-
raschenderweise ins Halbmikroanalytische
Praktikum
, eine Art org. Fortsetzung des
Quantitativen; meistens ist dies erst
am Ende des Org. Präp. Praktikums fällig.
Nun ist für mich schon zu Anfang hier
ein Platz frei. Auf die Quästur, dann
heimgefahren. Ich soll möglichst bald
hier zu arbeiten anfangen.

Bald wieder ins Institut gefahren. Dort
wurde ich in das abgelegene Halbmikro-
zimmer
geführt, wo ich ganz allein zu
arbeiten beginne. Die Apparate an den
Wandtischen, alles ist für mich neu.

Ich habe mich nach Gattermanns Lehrbuch
zu richten.

Nasser Schnee fiel. Kalt ist es. Ich
bin zunächst etwas konsterniert. Im
grossen und ganzen aber ist es ein
netter Märzanfang.


Donnerstag, 2. März:

Etwas später auf. Konsumweg.

Holz gesägt. Draussen hat es vier
Kältegrade, Schnee liegt und fällt.
Ausgeruht, dann ins Institut gefahren.
Dort die erste Ebertvorlesung /Elchemie/,
die nicht mehr das alphafte früherer
Ebertstunden hat, weil ich von Ebert
nunmehr frei bin.

Heute nachmittag kam Bodo ins Praktikum.
Mit ihm zusammen begann ich die Arbeit.
Alles vorbereitet. Morgen dann die
Verbrennung.

Daheim brennt unser neuer Ofen gut!


Freitag, 3. März:

Früh notierte ich rasch: Das Kriterium
der anständigen Frau besteht nicht im
Widerstand, sondern in der Auslese.

Es taut. Ins Institut gefahren, wo
Bodo noch nicht anwesend war. Ich
plauderte im früheren Saal. Pollak,
die Kollegin, die immer noch in der
Quant. Abteilung arbeuitet, hat heute
zum ersten Mai lackierte lila Finger-
nägel. Sie will schön werden. Sie bleibt
trotzdem unvorteilhaft wie bisher.
/Nein, noch ärger./

Im Halbmikrozimmer verbrannte ich die
erste Probe, die Testsubstanz. Die
Ebertvorlesung versäumte ich heute.
Bekam mein ersters, ziemlich wüstes,
Resultat. Abgebrochen. Um halb drei
im kl. I. Hs. Vorbesprechung für Brofda
/Atomenergie/. Es wird nichts damit,
es geht mit der Zeit nicht aus. Dann
schon heimgefahren.

Daheim lag das Feberheft der NW vor.
Ich las darin. Meine Kunstgedichte gegen
die Formalisten sind drin.

Als Mama mit Fini auf die Linzerstrasse
ging, las ich noch mit Freude in dem Heft
/Altmanns Prosa gefiel mir auch; das
Titelblatt ist abscheulich/, dann ange-
sichts des freien Wochenendes /es ist für
mich wie eine unabsehbare freie Zeit
vor mir/ arbeitete ich das Gedicht aus
dem 48-er Jahr "Randbemerkungen zu
unserer Schwefelsäure
" um; es ist nichts
mehr damit los; nur für mein Archiv mehr
geeignet, aber auch dort soll es in einer
möglichen Form stehen. Diese
nunmehr dritte Fassung beschäftigte mich bis spät(er) am
Abend gemacht. Das Mädchen, das von unsern
     Klassenkameraden einst den Spitznamen
"Mausi" erhielt, und das meine erste
Liebe war, das spreche ich heute immer
noch ganz klar aus, hat mir etwas Bleiben-
des erweckt. Sie selbst ist aus meinem
Leben längst getreten.


Samstag, 4. März:

Wieder wärmer. Es taut. Konsumweg.

Holz gemacht. Heute kein Institut.

In den "Neuen Wegen" gelesen.

Ein Artikel von Braunsperger sagt,
heute sei alles an der "kühlen Klärung
der Situation gelegen, mehr als an jeder
Dichtung". Diesem Standpunkt setzte ich
ein Gedicht entgegen, das mir nur so aus
der Feder floss: die "blaue Dissertation".
Ist nicht in der Tat jeder Flecken
feuchter Rinde mehr lebens      erklärend
als jede Abhandlung? Noch zwei Gedichte
anschliessend: "Leberleiden", das Unter-
bewusste verteidigend gegen den Vorwurf
der Krankheit, und das "Voltmeter" (gegen
alleinseligmachende Lehren und ideelle

"Allheilmittel"). Tante kam, ich las ihr
meine verschiedensten "modernen" Gedichte
vor, die sie nicht dermassen ablehnt wie
ich dachte. Sie weiss jetzt von meinem
"neiuen Stil".

Abends noch allerhand Lyrik der Welt-
literatur
gelesen.

Ich wünsche mir so sehr ein geliebtes
Mädchen, wie die Vx. es hätte sein können.


Sonntag, 5. März:

Wieder wärmer. Es taut. Schon früh
hatte es einen Wärmegrad. Der gewisse
ballaue Himmel, die wilde Luft ...

Ich schrieb eine lyrische Prosa
"Erste Sonnenwärme".

Den Sonntagvormittag wie üblich ver-
brachrt. Ordnungen, Radio gehört ...

Nm. kam Polakovics, wir arbeiteten die
"blaue Dissertation" etwas um, am Ende
gefiel sie mir aber doch wieder in der
Urfassung am besten und ich liess mich
nur zu zwei oder drei Konzessionen herbei.
Tante kam inzwischen. Als Pol um halb
sechs ging, unterhielt cich mich noch
mit Tante Luise eine Stunde über Ausge-
fallenes; über Surrealismus, die Bibel;
übrigens ist Frl. Huber vom Büro vom
Spiritismus überzeugt worden.

Nach recht wirr geratenen Plaudereien
über solche Sachen den Abend abgeschlossen.


Montag, 6. März:

Nicht zu zeitig auf. Es war genug warm,
etwas trüb, ich fuhr um acht ins Institut.
Die Testbestimmung weitergeführt, nm.
bekam ich die erste Substanz; die dazu- gehörige Prüfung wird nachgeholt.

Bis halb fünf die ersten Werte bekommen.
Dann fuhr ich heim.

Die gestrige Umarbeitung der "Blauen
Dissertation
" endgükltig aufgegeben.
Die dritte Fassung, die der ersten fast
gleicht, werde ich nun einreichen.

Es sollen nicht Synkopen angelegt
werden in meinen improvisierten Gedichten.
Alles Nachträgliche stört nur.

Wirre Träume.


Dienstag, 7. März:

Zeitiger auf, Konsumweg, Institut.

Dr. Bilek, unser Halbmikroassistent,
kam nicht. Die 1. Substanz einstweilen
erledigt.

Ich fuhr gegen zwei zu Artmann, den ich
zum ersten Mal besuche. Es ist Frühling
draussen, so warm.

Bei Artmann finde ich verschiedene engl.
Lyrik vor, er ist erfreut über meinen
Besuch. Er sagt, er fühlt sich so isoliert
in seinem Zimmer, vor der Autorentagung
hatte er überhaupt keinen Kontakt mit
gleichinteressierten Menschen.

Ich bin begeistert von einem Klabund-
Buch, sowie von Walt Whitman. Um 17 Uhr
fahre ich in die Redaktion mit Artmann.
Ich bekomme Eliot ausgeliehen.
Interessantes Gespräch. An Ort und Stelle
neueste Lyrik rezensiert. Nächste Woche
kommt die eingereichte Prosa dran.

Pol schleppte uns anschliessend an die
Sitzung zu einem Vortrag von Paris
Gütersloh
in der Akademie im Rahmen der
Volkshochschule. Unser Primar Huber von
Steinhof zeigte Bilder von Geisteskranken
zur Unterscheidung von Bildern surrealer
Meister wie Fuchs ...

Auf der Heimfahrt eine seltsame Stimmung,
seltzsame Eindrücke; ein Gedicht entstand /Abendspaziergang/. Es war ein sehr
interessanter Tag, ein anregender Abend.
Um halb zehn erst kam ich heim.


Mittwoch, 8. März:

Etwas früher auf, schon blauer Morgen.
Ein reizend frühlingshafter Tag.

Im Institut: die Probe stimmt nicht
ganz, ich habe noch eine Bestimmung zu
machen. Das tat ich denn auch.

Mittags hörte ich mir die erste Ebert-
vorlesung über "Aufbau der Materie" an. Heimgefahren, daheim aber wenig getan.
Ich las selbstverständlich in Eliot,
/Liebeslied J. Alfred Prufrocks/, dann
schrieb ich mein gestriges Gedicht auf;
ein Expressbrief erwartete uns: Tante
hat eine plötzliche Nierenerkrankung
befallen.

Abends noch in Eliot gelesen, Ordnungen
gemacht für mich, Tante in Besorgnis
angerufen, ich konnte nichts mehr
schreiben und legte mich zeitig nieder.


Donnerstag, 9. März:

Später auf. Die Gali-Vorlesung "Theor.
Grundlagen der org. Chemie" versäumte ich.
Auf die Quästur zahlen gegangen.

1. Substanz bestätigt. 11 Uhr Vorlesung
Prof. Ehrenhaft /Physik: Wärmelehre/,
12 Uhr Ebert Elchemie.

Nachmittag an der zweiten Substanz zu
arbeiten begonnen-. Den ersten Wert
erhalten. Wieder aber zeitig Schluss
gemacht.

Daheim kam Tante Fini; ich las in meinem
Eliot. Versuchte, aber wieder ergebnislos,
zu schreiben. So legte ich mich schon
zeitig zu Bett. Es war trüb und abgekühlt
draussen.


Freitag, l0. März:

Kalt. Trüb. Ins Institut gefahren.

Von neun bis zehn findet im kleinen
Zweiten die erste Kuffnervorlesung
statt.

Ich bekam die zweite Substanz bestätigt.
Nun aber fand die Prüfung statt.

Ich musste in der Bibliothek etwas
Ergänzendes lernen. Ich war zum ersten
Mal in der Institutsbibliothek.

Mittags Ebertvorlesung.

Nachmittag 3. Substanz analysiert.

Dozent Kuffner, ein eigener Mensch, aber
netter Kerl, besuchte uns in unserer
Kammer zum erstenmal. Mir ist er sehr
sympathisch. Solche ruhige Arbeitsbedingun-
gen im Vergleich zur letzten Zeit bei
Gali oder gar am Anfang bei Dr. Eiter.

Ziemlich zeitig wieder heimgefahren.

Schon wieder eine Woche aus. Es gab
Schnitzel, ich las in Eliot, was wünscht
man sich mehr.


Samstag, 11. März:

Kalt, trüb, etwas sogar Regen.

Noch im Bett kam mir das reizende Fluidum
von damals in den Sinn, als ich durch das
Marchfeld hindurchfuhr /auf meiner Rückreise
von Smokovec, 1944/. Ich begann    ein      Gedicht.
Nach dem Konsum setzte ich mich an die
Maschine und improvisierte ein "Sommerlied
der Unwägbaren
". Die Stelle "Ich liebe so
den roten Mohn ... usw." ist wohl die
schönste, die mir seit langem gelungen ist.
Nach dieser Betätigung schrieb ich einiges
aus Eliot heraus für mich, und für Pol
fertigte ich eine Abschrift meines "Chem.
Abends
" an, der ihm so gefiel. Nachmittag um zwei besuchte ich das
erste Mal Polakovics. Mama fuhr zu Tante
Luise in die Adamsgasse.

Pol zeigte mir seine Arbeiten in der
bildenden Kunst; er sprach wieder sehr
viel und interessant über Rilke.

Ueber mich wurde gesprochen. Mein
"Sommerlied" von heute gefällt ihm noch
besser als das Frühlingslied für Infinita
Vera
. Er erwartet sich immer mehr von
mir und Besseres. Er zeigte mir seine
Jugendgedichte, die sich alle schon durch
seine vollkommene Form auszeichnen, wenn
auch der wahre Inhalt erst in seinen
nunmehrigen Gedichten liegt.

Wir lasen in der "SWelt von gestern"
des hervorragenden Stefan Zweig, der
eines nicht kann: nämlich langsweilen.

Wir begeisterten uns an der Beschreibung
des literarischen Lebens im damaligen
revolutionär aufstrebenden Wien, das so
sehr unserem heutigen zu gleichen scheint.
Ich fand meine Gedanken über die Probleme
der Geschlechter bei Zweig wieder.

Pol begleitete mich von diesem jhöchst
anregenden Besuch bis zum 47-er. Wir
sprachen noch über manches.

Mama erzählte daheim, dass es Tante nicht
zu schlecht gehe. Sie ist sogar trotz
ihrer Krankheit ganz gut aufgelegt.


Sonntag, 12. März:

Ich stand später auf    undund las im
"Schachbüchlein" von St. Zweig, das mir
Pol ausgeliehen hatte.

Nach der Kirche las ich die Novelle zu
Ende, sie ist grossartig geschrieben in
ihrer Spannung. Nun las ich in der
"Welt von gestern", las sogar Mama daraus
vor.

Kalt. Trüb.

Auch na   chmittags in der "Welt von
gestern
" gelesen. Ich versuchte
surrealistisch zu zeichnen. Gemütliche
Stimmung.

Im Toto haben wir nichts gewonnen.

Abends das fesselnde Schlusskapitel
in der "Welt von gestern" gelesen.

Ein hervorragendes Buch.


Montag, 13. März:

Gewöhnlich auf. "Welt am Montag" gelesen.
Konsumweg. Eintragungen zu Ende, dann
ins Institut gefahren.

Kuffner, Ehrenhaft, Ebert. Dazwischen
nur Bibliotkhek.

Von der 3. Substanz noch eine Bestimmung
zu machen. Ich begann diese, hörte aber
auf, als der Apparat streikte.

Daheim war Fini zu Besuch. Ich
las in Eliot, versuchte zu schreiben,
mir gelang aber nur eine kurze lyrische
Prosa "Ein zertauender Kindermärz".

Es ist eigentlich noch recht kühl.


Dienstag, 14. März:

Nach einem eigenartigen Traum zeitig
aufgestanden. Stimmung hebt sich.

Früh 8 Uhr Gali-Vorlesung. Mein letzter
Tag im 20. Lebensjahr hat begonnen.

Mit Bodo gewartet, dann bekam ich die
3. Substanz bestätigt. Schritt für
Schritt geht es so weiter, und niemand
kann mir noch je eine bestätigte Probe
absprechen.

Keine Prüfung. Die 4. Substanz, die letzte
C, - also, bekommen. Ehrenhaft. Ebert.


Heimgefahren schon nach Mittag.

Zu Hause ausgeruht, dann gleich in die
Red. NW gefahren. Um 17 Uhr dort:
Rezensionen; Prosa bekommen; für die
nächste Autorenlesung Material zusammen-
gesucht. Cap kam diesmal wieder.

Wir wurden in der Hofburg eingesperrt,
weil wir die Schlusszeit versäumt hatten.
Eine halbe Stunde irrten wir umher,
bis wir wieder in Freiheit gesetzt
wurden. Das war mein Abenteuer zum
Abschluss des 2. Lebensjahrzehnts.

Mädchen habe ich bis jetzt noch keins.
Also hält es der Mensch bis mit 20
Jahren ohne Mädchen /und vor allem ohne Ersatz für ein solches/ aus.


Mittwoch, 15. März:
20. GEBURTSTAG

Später auf. Schon in der Früh
den Prosapinkel rezensiert, ins
Institut damit gefahren. Die techn.
Vorlesung Hromatka entfiel. Im Math.
Institut
setzte ich mich hin und re-
zensierte fleissig.

Um die Mittagszeit zu Ehrenhaft und
Ebert in die Vorlesungen gegangen.
Nachmittag fiel ich über die Probe her.
Sie scheint falsch zu werden, heute
kam ich erst um 18 navon der Arbeit weg
und fuhr heim. Ansteigende Stimmung


abends.


Donnerstag, 16. März:

Zeitiger auf, zu Gali in die Vorlesung
gefahren. Er ist der beste Systematiker
der Anstalt, zum ersten Male verstehe
ich hier manches Theoretische, was für
mich doch so wichtig ist.

Im Mathematischen Institut, wo es sich
so heimlich sitzt, rezensierte ich die
Prosa zu Ende.

Zu Ehrenhaft.

Bei Ebert ist wieder die Himbeerrote,
jenes Mädchen, das -     ich will später
darüber schreiben, wenn sich alles geklärt
hat. Oder doch: Ich glaubte, alles sei vor-
bei, dabei wo ich sie wieder sehe, begehre
ich sie von neuem. Begehren ist der aller-
beste Ausdruck für dieses Gefühl. 19549
habe ich viele Ueberlegungen zur Zeit
meiner Krise diesem Gefühl zu verdanken
gehabt. Sie hat mich immer wieder ins
Befassen mit dem erot. Problem gebracht.
Aber lassen wir das,: ich fuhr also zu
Artmann anschliessend um mir neue Prosa
zu holen. Dann zeitig heimgekommen.

Ein Frühlingstag!

Sehr angenehmer Tag, neue Prosa rezensiert.
Ich wurde mit dieserso anregenden Beschäf-
tigung fertig.

Wie gross ist mein Verlangen nach einem
geliebten Mädel!


Freitag, 17. März:

Wieder Frühlingstag, diese Tage sind die
schönsten!

Später auf. Zu Kuffner in die Vorlesung.
Dann spazieren gegangen in Währing, ins
Studio der Hochschulen, wo seinerzeit mein
"Problemschuster" abgelehnt wuorden war,
gesetzt. Ich hängte mein Gedicht "Die
Zeitkrankheit
" dort an einem Nagel auf,
als Manifestation.

Ich ging bald wieder, kam aber noch viel
zu Ffrüh in die Institute, setzte mich des-
halb ins Physikalische und dichtete dort
nach einem Eindruck von meinem Pol-Besuch
von unlängst "Die Abgegriffene", wo mir
merkwürdige Bilder hineinrutschten.

Schliesslich las ich, dass Ebert ent-
fallen war, und begann im Halbmikro-
kloster
zu arbeiten. /4. Substanz./

Wird diese Bestimmung falsch?

Bodo brachte ich heute zum Diskutieren.
Ihm ist furchtbar langweilig hier, er
möchte viel lieber schon an der Industrie
sein. - Alles Surreale ist ihm verhasst,
wie der Mehrzahl der Halbgebildeten,
also der Akademiker. Ueber "Ausgestal-
tung" der Mädchen gesprochen. Er ist
gegen die Modetorheiten. Leider besagt
das nicht viel: er lehnt alles Unsolide
ab. Er ist ein Bürger; im übrigen ist er
ein guter Mensch, dürfte auch in den
Dingen des Geschlechts anständig sein;
die Himbeerrote hält er wie ich für
ein harmloses Mädchen; dass sie auf
mich sio eine verheerende Wirkung ausübt,
habe ich ihm nicht erzählt; ich weiss,
an der bin ich schuld und nicht das
Mädchen, die, ahnungslos darüber, mit ihrem
einen Burschen geht, wie wir sehen.

Das habe ich schon damals festgestellt,
dass sie immer mit einem Burschen, einem
ziemlich breitgebauten aus dem I. chem.,
ist; in jeder Vorlesung. Ich weiss
in Wirklichkeit genau, dass das kein
Mädchen für mich wäre; mein Instinkt
hat nie gesagt "das wäre etwas"; auch
ist sie besetzt und letztlich Chemikerin.
Unsere Chemikerinnen sind besser in der Arbeit
als die Burschen. Jedem, der das
nicht glaubt und was anderes sagt, wische
ich das gleich. Aber ich persönlich
möchte ein Mädchen aus einem gänzlich
chemiefernen Kreis. Ueber all das habe
ich freilich mit dem "guten Bodeo" /wie
ihn Kuffner neulich hänselte/ nicht
gesprochen. Das fiel mir nur gerade ein.

17.3.50
=2=

Heute früh hatte ich in Erwiderung
auf einen Artikel, den eine Margarete
L.-Rauch
über die "Polarität der
Geschlechter
" geschrieben und bei den
NW eingereicht hatte, eine Polemik,
das "unpolare Liebeslied" geschrieben.
Es sind eigentlich die Ideen, die mich
zum Widerspruch seit je verleitet haben,
an den Fingern abzuzählen. Im 47-er Jahr
oder wann die Ricarda Huch, heute Gretl Rauch.

Wir sind beide Nacht.
Wir sind dieselbe Strasse.

Samstag, 18. März:

Ich schrieb früh Assoziationen nieder,
die mich seit längsten Zeiten bestimmt
hatten. Mädchen in Verbindung mit
Buchstaben sind es: Etwa Lore, Louise,
Lotte bilden eine Gruppe, die ich mit
denr SVorstellung in Verbindung bringe:
Ein Mädchen ist vom Tollen müde und
von der schwülen Sommerluft. /"L"/
EbensoAnaloges mit M, K und so fort. Nachdem ich
ein S gleichsam abschliessend aufge-
schrieben hatte, kamen "Andere Mädchen",
in nachteiligerem Lichte gesehene
Assoziationen, an die Reihe.

Hiebei muss nicht unbedingt der Anfangs-
buchstabe der Kennbuchstabe sein, sondern
auch etwa ein hervorstehender Buchstabe
kann es sein. Dies alles habe ich nicht
gedichtet, auch nicht einem Einfall
folgend von mir gegeben, sondern aus
längst bekannten Tiefen heraufgeschöpft.

17.3.50
=3=

Ich ging zu Artmann zeitig nachmittags.
Ich liess ihn meine Mädchen-Buchstaben
oder Buchstaben-Mädchen, wie man will,
lesen. Er las, erstarrte, besann sich, las
weiter, und als er zu Ende war, konnte er
einen Augenblick nicht sprechen, dann
nannte er mich einen führenden Surrea-
listen; er war richtig ergriffen, dass
ein anderer, vor allem ich, mich
seinem Kampf um das Surreale anschloss.
Er zählt mich von heute an zu denen wjie
Eluard und Meayröcker und spricht davon,
dass man aus meinen solchen Gedichten
         unleugbar das Mitteleuropäische heraus-
liest, und darauf kommt es an, wenn wir
einen selbstämndigen Surrealismus wollen.
Die Nachahmung des Surrealismus ist
gar nichts, denn seine Kraft kommt nicht
aus einer Form, die noch nachgeahmt werden
kann, sondern aus der Schöpfungsakraft
des Unterbewussten.

Ich lieh michr Klabunds "Marietta" aus.
Ein höchst anregender und zielweisender
Tag.

Am Rückweg sah ich Trudscherl, die
an Veilchen roch. Ich schob es auf
den Frühling statt auf Koketterie,
und war so zufriedener.

Frühling ist ja alles ringsherum.

Tante war da, ich las ihr einiges vor,
mein "unpolares" und die "Abgegriffene"
hat sie in meiner Abwesenheit gelesen,
und sie haben ihr sehr gut gefallen.
Ich las Eliot und gleich Klabund vor.
Es ist ein begeistrerter Tag.

18.3.50
=2=

Sonntag, 19. März:

Ein schöner Frühlingstag!

Vormittags schrieb ich
auf der Maschine, und zwar
das "Lied mit der unkeuschen Zeile
und das "School girl Edith". Gestern
bei Artmann war mir ein Mädchen, das
durch die Kienmayrgasse ging, aufgefallen.
Artmann hatte dieses Mädchen gekannt,
wie er mir sogleich überrascht erzählte.
Es war eine sonderbare Geschichte fdamit.
Zu der Zeit lasen wir in Eliot, und sein
Sohn
bohrte fleissig Nase.

Nachmittag kam zeitig Pol und las mir
Gedichte von sich vor, was ich . Inzwischen kam ein verschrobener früh.
slow. Pfleger von Steinhof zu Besuch aus
der Slowakei. Er erzählte Abenteuer,
hatte anderen Augen als zuvor und
kündigte an, er werde uns öfter besuchen,
um mit uns "Mensch-ärgere-dich-nicht"
zu spielen, und man müsse auf Gott
vertrauen, dann werde alles gut werden.

Mit Pol ging ich noch spazieren, und wir
sprachen über hundert Dinge. Seine Leit-
linie ist das "den-Dingen-gegenüber",
während ich ein Whitman-ähnliches
Gefühl der Allverbundenheit habe.

Er legt seine Trauer in das "Unerbitt-
liche", ich in dasie abwendbaren Misstände.
Ich fand Greguerias, z.B. "Der Orion ist
kein Sternbild, er ist eine Masche, die
man sich um den Hals bindet", "Ich
verbringe meine liebste Zeit zwischen
Gedankenstrichen" usw. Ein Spaziergang
mit Pol müsste einmal sehr anregend sein.
Ich komme mir vor wie ein Eichhörnchen,.
              Hoch angeregt nach Hause gekommen.


Montag, 20. März:

Auch heute nicht zu zeitig auf,
dann aber gleich ins Institut gefahren.
Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Im Praktikum: Die 4. Substanz stimmt nicht.
Neue Füllung notwendig.

Ich zerbrach mir, während ich auf die
Währinger Strasse herabsah vom Labor-
fenster aus, den Kopf über das Wesen der
Schönheit.

Endlich gab ich den Schlüssel der HMG
für heute bei Bilek ab und machte mich
heim. /Es war diesmal spät/.


Dienstag, 21. März:
Heute ist Frühlingsbeginn.

Eine sehr interessante Gali-Vorlesung.
Ich wollte um jeden Preis ein Gedicht
schreiben, aber trotz der eigentümlichen
Frühlingsstimmung und trotz der Himbeer-
roten
, die in der Galivorlesung war, und
trotz desm latenten Fluidums in mir
realisierte sich nichts.

Ich ging hinter den Instituten, durch
die Liechtensteinstrasse zum Studio der
Hochschulen
in der Kolingasse, wo ich
mein Eidechsengedicht nicht mehr an der
Wand vorfand.

Ehrenhaft, Ebert.

Aber Nachmittag tat ich nichts im
Institut, sondern fuhr zeitig zu
Artmann. Die Charakteristiken unserer
Autoren in gregueresker Form fielen:
mir unterwegs, im herrlichen Frühlings-
wetter, ein. Mein Surrealismus ist zum
Unterschied von dem der Franzosen
unparfumiert wie auch unverwest.

Bei Artmann selbst sprachen wir sehr
interessant über Typen /Hund, Katze,
Vogel, Rind/, dann gingen wir demzum Schuhmeierplatz hinunter und fuhren in die
Neuen Wege.

Dort bekam ich diesmal keine Prosa.

Cap, Sokol, Altmann, Polakovics, Kein usw.
kamen. Sokol scheint Minderwertigkeits-
komplexe zu haben. Ich redete ihr zu, zu
ihrer Art       zurückzufinden, anstatt den
Leuten, die ihr gesagt hatten, sie solle
weniger persönlich werden /!/, zu folgen
und miese Gedichte mit der Moral am Schluss
oder ebensolche Märchen zu schreiben;
solange sie solche schreibt, müssen wir sie
freilich ablehnen.

Wir greguerisierten und blödelten viel
nach der Sitzung.


Mittwoch, 22. März:

Später aufgestanden, Konsumweg, dann ins
Institut gefahren.

Früh ist es jetzt immer kühl, auch trüber.
Dann wird es wieder frühlingshaft.

Im Institut die Geräte gereinigt. Es ist
bei dieser Sauerei schwer,zuexakt zu
arbeiten.

Ehrenhaft, Ebert.

Nachmittag wieder analysiert /4. Substanz/.

Wie auch gestern, keine Angriffspunkte
für Dichtung. Dennoch ist die Stimmung
immer noch etwas angeregt. Das offene
Fenster inüber Währing ist so angenehm und
bringt viel Reiz in die Halbmikrogemein-
schaft
. Arbeitet man unter den Bedingungen
wie jetzt längere Zeit in dieser Abge-
schlossenheit, so wird man ein Sonderling.
Die 4. Bestimmung gemacht. Spät erst heim.


Donnerstag, 23. März:

Gleich in der Früh blauer Himmel.

Zeitig in die Uni gefahren, wegen der
Galivorlesung. Jetzt wird ein kurzer
Ueberblick über die Wellenmechanik,
dann über die einzelnen Atombindungen
gegeben. Es ist das erstemal so klar,
Gali ist wirklich der beste Systemaiktiker
des Hauses.

Die 4. Substanz ist wieder falsch!

(Stimmung absinkend)

Ehrenhaft, Ebert.

Nm. zu Artmann gefahren. Der war nicht
daheim, aber ich bekam einige Manuskripte
zu rezensieren. Platzregen.

Daheim rezensierte ich fleissig.

Tyante Fini besuchte uns.

Ich versuchte zu schreiben, wurde auch
durch die eigene Stimmung drauussen und
durch einen der Prosabeiträge, die ich
zu rez. hatte, angeregt, aber alles zer-
flatterte irgendwie.

Ich bekam Skrupel über den Surrealismus.


Freitag, 24. März:

Frühlingswetter. Ich versuchte ein
Gedicht anzugehen, fuhr aber dann gleich
ins Institut.

Kuffner hielt wieder seine Vorlesung
in rasendem Tempo.

Mit Springer plauderte icnh vormittags.
Springer ist eine Erinnerung an ver-
gangene Jahre. Vielleicht ödere Jahre?
Besser: einzelne öde Perioden, Tage.
Ebert Elektrochemie, heute auch viel Stoff. Mir fällt ein, dass die sogenannten
"öden" Perioden oder Tage meines
Lebens alle hinterher ein starkes
Fluidum seltsam erregender Art hinter-
lassen, und so glaube ich, dass man,
wenn man ganz streng ist, von keiner
Oedheit in meinem Leben überhaupt
sprechen kann. Alles heute Unerreichte,
also jedes Nichtrealisieren eines
latenten Hochzustandes ist, wie sich
nachträglich herausstellet, ein Auf-
speichern.

Der Apparat /der Verbrennungsofen/
ist ganz mit Kohlensrtoff verklebt,
der nicht wegzuglühen geht.

Zeitig heimgefahren; zu Hause wurde
es ganz gemütlich. Ich verplauderte
mich und las in alten schriftstelleri-
schen Mappen von mir, was aufschluss-
reich ist von Zeit zu Zeit.

Bis Abends stellte sich so immer mehr
Stimmung ein.


Samstag, 25. März:

Regenwetter. Im Bett dichtete ich
nach meinem gestrigen        Einfall das
"Nicht-etwa-Lied". Anschliessend
nach einer Beobachtung und einem Gefühl
von unlängst die selbstkritischen
"Reflexionen angesichts eines Heuwagens"
- ich verwarne mich oder warne mich
wenigstens vor den Folgen eines Nacgh-
gebens vor der surrealistischen Mode.

Konsumweg und andere Arbeiten fürs Haus.
Haarschneiden. Reinschriften.

Nachmittag eine meiner üblichen
Plaudereien über Eliot. Im Tagebuch 49, dem
Tagebuch vom vorigen Jahr, gelesen.

Tante kam dann.

Ich stellte Ordnungen an, versuchte
- einem Schnapseinfall folgende// -
Aquarell zu malen, es spielte ganz
angemnehmes Radio.

Abends las ich aus der Lyrik der
Weltliteratur
und plauderte dann
über Stilrichtungen.


Sonntag, 26. März:

Zum Teil schöneres Wetter.

Ich sah wieder Trudscherl.

Ich versuchte, aus einem Einfall
etwas zu machen, aber es wurde hart-
näckig nichts daraus. /"Am Rande
neuerwachten Grüns .......
"/

Nach einem frühen Nachmittag voll
Untätigkeit kam um drei Uhr Pol.

Mit ihm führte ich Rezensionen durch.
Dann ging ich mit ihm noch spazieren.
Daheim bei ihm erhitzte ich mich
über seine Verteidigung des Formalisten
Eisenreich, dann kamen wir doch zu
einer Aussprache. In Wahrheit will
doch jeder dasselbe.

Sehr anregender Tag wieder.

Wetter: abgekühlt etwas.


Montag, 27. März:

Konsumweg. Dann ins Institut.

Dort Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Nm. während des Praktikums mit bBodo
diskutiert über "Schönheit und Aussage"
/Sein immerhin origineller Vergleich
mit der im Zorn ausgequetschten Zitrone,
die ja auch trotz ihres Aussagegehaltes
kein Kunstwerk darstelle./


Dienstag, 28. März:

Gali, Ehrenhaft, Ebert. Wie immer.
Nachher heim gekommen.

Nachmittags um 17 Uhr in die Redaktion
gefahren. Ich bekam vierzig Schilling
ausgezahlt. Im Märzheft ist meine
"Blaue Dissertation" drin, die (unlängst)
sofort einstimmig angenommen wuorden war.
Artmann hatte drei neue Autorinnen einge-
laden /Diem, Hauer, Matiasek/. Mit Hauer
unterhielt ich mich, ihr gefielen ver-
schiedene Sachen von mir. Matiasek sitzt
irgend verschreckt, mit einem unwirschen
Mund und wie ein grosses Mädel da.

Diem wirkt wie ein Schulmädchen aus den
Zwanzigerjahren, die modern sein wollte
/Ins Gesicht geschnittenes Haar, farblos
gepudert und ebenso geschminkt, sie dürfte
die Allerjüngste sein und sieht aus wie
eine romantisch und schlecht verstandene
Psychoanalyse/.

Die Einladung war freilich improvisiert.
Lore Hübel, eine vierte Eingeladene, deren
Gedichte ujnd vor allem NProsastücke ich
wegen ihrer Ininigkeit liebe, kam nicht.
Selbst Sokol war hier.

Ein im ganzen äusserst anregender wieder
Abend.


Mittwoch, 29. März:

Konsum.

Im Institut vm. gearbeitet, unter ziemlich
öden Eindrücken. Dann ging wieder Ehren-
haft
und Ebert an.

Samstag sind wir Lyroik-Rezensoren bei
Frl. Hauer eingeladen, wo wir die April-
nummer
selbständig zusammenstellen werden.


Donnerstag, 30. März:

Die ganzen Täge schön, blau, aber ziemlich
kühl.

Früh fuhr ich in die Uni und traf wieder
Ali Pribil, der mit seiner Mathematik-
Kollegin über eine Radtour in den bevor-
stehenden Osterferien sprach. Dennoch,
obwohl unsere letzte Unterrichtswoche
wieder ist und dann ein halber Monat frei
ist, hatte das Gespräch einen so in Staub
vergrabenen Eindruck auf mich gemacht.

Gali /fast wollte ich schreiben: Gali mit
Himbeer/, mittags Ehrenhaft und Ebert.
Nachmittags im Praktikum wieder missglückte
Analyse der 4. Substanz, an der ich skanda-
lös lange arbeite.

Um fünf heimgefahren, abends versuchte ich
zum "leeren Boot" einen Ergänzungstext
zu schreiben, damit daraus eine mögliche
Impression oder was Aehnliches würde.

Den Eindruck von heute früh aber verarbei-
tete mein Inneres zu einem surrealen
Gedicht /"Traurig wie Trauben, die den
Lucullus weinen ...
"/ Wie mir der Text kam,
weiss ich selbst nicht.


Freitag, 31. März:
LETZTE UNI

Die Bazillen kann man färben: blau mit
einem roten Mascherl. Das sparachen zwei
Gymnasiastinnen aus der Maroltingergasse
zueinander. Was ist die Wissenschaft in der
Tat anderes als "Blaue Bazillen mit einem
roten Mascherl". Gregueresk!

Für die Uni habe ich heute, wie diese
Feststellung wohl beweist, keine rechte
Stimmung mehr. Morgen sind wir bei der
Hauer; Ferien sind da.

31.3.50
=2=

In dieser Stimmung den letzten Kuffner
angehört, Substanz 4 abgegeben, um eine
Entscheidung zu erzwingen; sie fiel,
wie erwartet. Um wahnsinnige Prozente
zu tief. Dafür steckt die ganze Kohle
wieder im Verbrennungsrohr. Ich muss eine
neue Probe kriegen, hoffentlich enthält die
weniger C als diese.

Ich ging nicht mehr in die Elektrochemie-
Vorlesung, trieb mich nur hinter den
Instituten herum etwas, um frische Luft
zu schöpfen, und ging dann in die Ferien.

Daheim stellte ich nachmittags Ordnungen
an /Zeitungen/, versuchte dann am langen
Gedicht /"Am Rande neuerwachten Grüns"/
weiterzuarbeiten, was jedoch nicht gelang,
und "buchte dann das Gedicht endgültig
ab".

Im Radio sprachen sie von Rimbaud.
Späteren Nachmittags, nach Aufgabe des
langen Gedichtes, herrschte ausgesprochen
angenehme Stimmung. Nun ist es draussen
Frühling.


26.3.50: Friedensdemonstration
am Ring
30.3.50: Leon Blum
März 1950
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neu

märz 1950

Mittwoch, 1. März 1950: SEMESTERBEGINN EBERTKOLLOQUIUM!

Wieder kalt und trüb in der Frühe.

Die Kammerordnung beendet, dann zu Ebert gefahren. Ich absolvierte mein Kolloquium über Phys. Chemie mit staunenswerter Ruhe, alles wurde mir so klar. Ich bekam wegen eines kleinen Formalfehlers am Schluss einen Dreier, aber einen gut verdienten. Ebert ist für mich kein Schreckgespenst mehr. Anschliessend um einen Platz im Organikersaal bemüht. Ich komme überraschenderweise ins Halbmikroanalytische Praktikum, eine Art org. Fortsetzung des Quantitativen; meistens ist dies erst am Ende des Org. Präp. Praktikums fällig. Nun ist für mich schon zu Anfang hier ein Platz frei. Auf die Quästur, dann heimgefahren. Ich soll möglichst bald hier zu arbeiten anfangen.

Bald wieder ins Institut gefahren. Dort wurde ich in das abgelegene Halbmikrozimmer geführt, wo ich ganz allein zu arbeiten beginne. Die Apparate an den Wandtischen, alles ist für mich neu.

Ich habe mich nach Gattermanns Lehrbuch zu richten.

Nasser Schnee fiel. Kalt ist es. Ich bin zunächst etwas konsterniert. Im grossen und ganzen aber ist es ein netter Märzanfang.


Donnerstag, 2. März:

Etwas später auf. Konsumweg.

Holz gesägt. Draussen hat es vier Kältegrade, Schnee liegt und fällt. Ausgeruht, dann ins Institut gefahren. Dort die erste Ebertvorlesung /Elchemie/, die nicht mehr das alphafte früherer Ebertstunden hat, weil ich von Ebert nunmehr frei bin.

Heute nachmittag kam Bodo ins Praktikum. Mit ihm zusammen begann ich die Arbeit. Alles vorbereitet. Morgen dann die Verbrennung.

Daheim brennt unser neuer Ofen gut!


Freitag, 3. März:

Früh notierte ich rasch: Das Kriterium der anständigen Frau besteht nicht im Widerstand, sondern in der Auslese.

Es taut. Ins Institut gefahren, wo Bodo noch nicht anwesend war. Ich plauderte im früheren Saal. Pollak, die Kollegin, die immer noch in der Quant. Abteilung arbeitet, hat heute zum ersten Mai lackierte lila Fingernägel. Sie will schön werden. Sie bleibt trotzdem unvorteilhaft wie bisher. /Nein, noch ärger./

Im Halbmikrozimmer verbrannte ich die erste Probe, die Testsubstanz. Die Ebertvorlesung versäumte ich heute. Bekam mein erstes, ziemlich wüstes, Resultat. Abgebrochen. Um halb drei im kl. I. Hs. Vorbesprechung für Broda /Atomenergie/. Es wird nichts damit, es geht mit der Zeit nicht aus. Dann schon heimgefahren.

Daheim lag das Feberheft der NW vor. Ich las darin. Meine Kunstgedichte gegen die Formalisten sind drin.

Als Mama mit Fini auf die Linzerstrasse ging, las ich noch mit Freude in dem Heft /Altmanns Prosa gefiel mir auch; das Titelblatt ist abscheulich/, dann angesichts des freien Wochenendes /es ist für mich wie eine unabsehbare freie Zeit vor mir/ arbeitete ich das Gedicht aus dem 48-er Jahr "Randbemerkungen zu unserer Schwefelsäure" um; es ist nichts mehr damit los; nur für mein Archiv mehr geeignet, aber auch dort soll es in einer möglichen Form stehen. Diese nunmehr dritte Fassung beschäftigte mich bis Abend . Das Mädchen, das von unsern Klassenkameraden einst den Spitznamen "Mausi" erhielt, und das meine erste Liebe war, das spreche ich heute immer noch ganz klar aus, hat mir etwas Bleibendes erweckt. Sie selbst ist aus meinem Leben längst getreten.


Samstag, 4. März:

Wieder wärmer. Es taut. Konsumweg.

Holz gemacht. Heute kein Institut.

In den "Neuen Wegen" gelesen.

Ein Artikel von Braunsperger sagt, heute sei alles an der "kühlen Klärung der Situation gelegen, mehr als an jeder Dichtung". Diesem Standpunkt setzte ich ein Gedicht entgegen, das mir nur so aus der Feder floss: die "blaue Dissertation". Ist nicht in der Tat jeder Flecken feuchter Rinde mehr lebenserklärend als jede Abhandlung? Noch zwei Gedichte anschliessend: "Leberleiden", das Unterbewusste verteidigend gegen den Vorwurf der Krankheit, und das "Voltmeter" (gegen alleinseligmachende Lehren und ideelle

"Allheilmittel"). Tante kam, ich las ihr meine verschiedensten "modernen" Gedichte vor, die sie nicht dermassen ablehnt wie ich dachte. Sie weiss jetzt von meinem "neuen Stil".

Abends noch allerhand Lyrik der Weltliteratur gelesen.

Ich wünsche mir so sehr ein geliebtes Mädchen, wie die Vx. es hätte sein können.


Sonntag, 5. März:

Wieder wärmer. Es taut. Schon früh hatte es einen Wärmegrad. Der gewisse blaue Himmel, die wilde Luft ...

Ich schrieb eine lyrische Prosa "Erste Sonnenwärme".

Den Sonntagvormittag wie üblich verbracht. Ordnungen, Radio gehört ...

Nm. kam Polakovics, wir arbeiteten die "blaue Dissertation" etwas um, am Ende gefiel sie mir aber doch wieder in der Urfassung am besten und ich liess mich nur zu zwei oder drei Konzessionen herbei. Tante kam inzwischen. Als Pol um halb sechs ging, unterhielt ich mich noch mit Tante Luise eine Stunde über Ausgefallenes; über Surrealismus, die Bibel; übrigens ist Frl. Huber vom Büro vom Spiritismus überzeugt worden.

Nach recht wirr geratenen Plaudereien über solche Sachen den Abend abgeschlossen.


Montag, 6. März:

Nicht zu zeitig auf. Es war genug warm, etwas trüb, ich fuhr um acht ins Institut. Die Testbestimmung weitergeführt, nm. bekam ich die erste Substanz; die dazu- gehörige Prüfung wird nachgeholt.

Bis halb fünf die ersten Werte bekommen. Dann fuhr ich heim.

Die gestrige Umarbeitung der "Blauen Dissertation" endgültig aufgegeben. Die dritte Fassung, die der ersten fast gleicht, werde ich nun einreichen.

Es sollen nicht Synkopen angelegt werden in meinen improvisierten Gedichten. Alles Nachträgliche stört nur.

Wirre Träume.


Dienstag, 7. März:

Zeitiger auf, Konsumweg, Institut.

Dr. Bilek, unser Halbmikroassistent, kam nicht. Die 1. Substanz einstweilen erledigt.

Ich fuhr gegen zwei zu Artmann, den ich zum ersten Mal besuche. Es ist Frühling draussen, so warm.

Bei Artmann finde ich verschiedene engl. Lyrik vor, er ist erfreut über meinen Besuch. Er sagt, er fühlt sich so isoliert in seinem Zimmer, vor der Autorentagung hatte er überhaupt keinen Kontakt mit gleichinteressierten Menschen.

Ich bin begeistert von einem Klabund- Buch, sowie von Walt Whitman. Um 17 Uhr fahre ich in die Redaktion mit Artmann. Ich bekomme Eliot ausgeliehen. Interessantes Gespräch. An Ort und Stelle neueste Lyrik rezensiert. Nächste Woche kommt die eingereichte Prosa dran.

Pol schleppte uns anschliessend an die Sitzung zu einem Vortrag von Paris Gütersloh in der Akademie im Rahmen der Volkshochschule. Unser Primar Huber von Steinhof zeigte Bilder von Geisteskranken zur Unterscheidung von Bildern surrealer Meister wie Fuchs ...

Auf der Heimfahrt eine seltsame Stimmung, seltsame Eindrücke; ein Gedicht entstand /Abendspaziergang/. Es war ein sehr interessanter Tag, ein anregender Abend. Um halb zehn erst kam ich heim.


Mittwoch, 8. März:

Etwas früher auf, schon blauer Morgen. Ein reizend frühlingshafter Tag.

Im Institut: die Probe stimmt nicht ganz, ich habe noch eine Bestimmung zu machen. Das tat ich denn auch.

Mittags hörte ich mir die erste Ebertvorlesung über "Aufbau der Materie" an. Heimgefahren, daheim aber wenig getan. Ich las selbstverständlich in Eliot, /Liebeslied J. Alfred Prufrocks/, dann schrieb ich mein gestriges Gedicht auf; ein Expressbrief erwartete uns: Tante hat eine plötzliche Nierenerkrankung befallen.

Abends noch in Eliot gelesen, Ordnungen gemacht für mich, Tante in Besorgnis angerufen, ich konnte nichts mehr schreiben und legte mich zeitig nieder.


Donnerstag, 9. März:

Später auf. Die Gali-Vorlesung "Theor. Grundlagen der org. Chemie" versäumte ich. Auf die Quästur zahlen gegangen.

1. Substanz bestätigt. 11 Uhr Vorlesung Prof. Ehrenhaft /Physik: Wärmelehre/, 12 Uhr Ebert Elchemie.

Nachmittag an der zweiten Substanz zu arbeiten begonnen. Den ersten Wert erhalten. Wieder aber zeitig Schluss gemacht.

Daheim kam Tante Fini; ich las in meinem Eliot. Versuchte, aber wieder ergebnislos, zu schreiben. So legte ich mich schon zeitig zu Bett. Es war trüb und abgekühlt draussen.


Freitag, l0. März:

Kalt. Trüb. Ins Institut gefahren.

Von neun bis zehn findet im kleinen Zweiten die erste Kuffnervorlesung statt.

Ich bekam die zweite Substanz bestätigt. Nun aber fand die Prüfung statt.

Ich musste in der Bibliothek etwas Ergänzendes lernen. Ich war zum ersten Mal in der Institutsbibliothek.

Mittags Ebertvorlesung.

Nachmittag 3. Substanz analysiert.

Dozent Kuffner, ein eigener Mensch, aber netter Kerl, besuchte uns in unserer Kammer zum erstenmal. Mir ist er sehr sympathisch. Solche ruhige Arbeitsbedingungen im Vergleich zur letzten Zeit bei Gali oder gar am Anfang bei Dr. Eiter.

Ziemlich zeitig wieder heimgefahren.

Schon wieder eine Woche aus. Es gab Schnitzel, ich las in Eliot, was wünscht man sich mehr.


Samstag, 11. März:

Kalt, trüb, etwas sogar Regen.

Noch im Bett kam mir das reizende Fluidum von damals in den Sinn, als ich durch das Marchfeld hindurchfuhr /auf meiner Rückreise von Smokovec, 1944/. Ich begann ein Gedicht. Nach dem Konsum setzte ich mich an die Maschine und improvisierte ein "Sommerlied der Unwägbaren". Die Stelle "Ich liebe so den roten Mohn ... usw." ist wohl die schönste, die mir seit langem gelungen ist. Nach dieser Betätigung schrieb ich einiges aus Eliot heraus für mich, und für Pol fertigte ich eine Abschrift meines "Chem. Abends" an, der ihm so gefiel. Nachmittag um zwei besuchte ich das erste Mal Polakovics. Mama fuhr zu Tante Luise in die Adamsgasse.

Pol zeigte mir seine Arbeiten in der bildenden Kunst; er sprach wieder sehr viel und interessant über Rilke.

Ueber mich wurde gesprochen. Mein "Sommerlied" von heute gefällt ihm noch besser als das Frühlingslied für Infinita Vera. Er erwartet sich immer mehr von mir und Besseres. Er zeigte mir seine Jugendgedichte, die sich alle schon durch seine vollkommene Form auszeichnen, wenn auch der wahre Inhalt erst in seinen nunmehrigen Gedichten liegt.

Wir lasen in der "Welt von gestern" des hervorragenden Stefan Zweig, der eines nicht kann: nämlich langweilen.

Wir begeisterten uns an der Beschreibung des literarischen Lebens im damaligen revolutionär aufstrebenden Wien, das so sehr unserem heutigen zu gleichen scheint. Ich fand meine Gedanken über die Probleme der Geschlechter bei Zweig wieder.

Pol begleitete mich von diesem höchst anregenden Besuch bis zum 47-er. Wir sprachen noch über manches.

Mama erzählte daheim, dass es Tante nicht zu schlecht gehe. Sie ist sogar trotz ihrer Krankheit ganz gut aufgelegt.


Sonntag, 12. März:

Ich stand später auf und las im "Schachbüchlein" von St. Zweig, das mir Pol ausgeliehen hatte.

Nach der Kirche las ich die Novelle zu Ende, sie ist grossartig geschrieben in ihrer Spannung. Nun las ich in der "Welt von gestern", las sogar Mama daraus vor.

Kalt. Trüb.

Auch nachmittags in der "Welt von gestern" gelesen. Ich versuchte surrealistisch zu zeichnen. Gemütliche Stimmung.

Im Toto haben wir nichts gewonnen.

Abends das fesselnde Schlusskapitel in der "Welt von gestern" gelesen.

Ein hervorragendes Buch.


Montag, 13. März:

Gewöhnlich auf. "Welt am Montag" gelesen. Konsumweg. Eintragungen zu Ende, dann ins Institut gefahren.

Kuffner, Ehrenhaft, Ebert. Dazwischen nur Bibliothek.

Von der 3. Substanz noch eine Bestimmung zu machen. Ich begann diese, hörte aber auf, als der Apparat streikte.

Daheim war Fini zu Besuch. Ich las in Eliot, versuchte zu schreiben, mir gelang aber nur eine kurze lyrische Prosa "Ein zertauender Kindermärz".

Es ist eigentlich noch recht kühl.


Dienstag, 14. März:

Nach einem eigenartigen Traum zeitig aufgestanden. Stimmung hebt sich.

Früh 8 Uhr Gali-Vorlesung. Mein letzter Tag im 20. Lebensjahr hat begonnen.

Mit Bodo gewartet, dann bekam ich die 3. Substanz bestätigt. Schritt für Schritt geht es so weiter, und niemand kann mir noch je eine bestätigte Probe absprechen.

Keine Prüfung. Die 4. Substanz, die letzte C, - also, bekommen. Ehrenhaft. Ebert.


Heimgefahren schon nach Mittag.

Zu Hause ausgeruht, dann gleich in die Red. NW gefahren. Um 17 Uhr dort: Rezensionen; Prosa bekommen; für die nächste Autorenlesung Material zusammengesucht. Cap kam diesmal wieder.

Wir wurden in der Hofburg eingesperrt, weil wir die Schlusszeit versäumt hatten. Eine halbe Stunde irrten wir umher, bis wir wieder in Freiheit gesetzt wurden. Das war mein Abenteuer zum Abschluss des 2. Lebensjahrzehnts.

Mädchen habe ich bis jetzt noch keins. Also hält es der Mensch bis mit 20 Jahren ohne Mädchen /und vor allem ohne Ersatz für ein solches/ aus.


Mittwoch, 15. März: 20. GEBURTSTAG

Später auf. Schon in der Früh den Prosapinkel rezensiert, ins Institut damit gefahren. Die techn. Vorlesung Hromatka entfiel. Im Math. Institut setzte ich mich hin und rezensierte fleissig.

Um die Mittagszeit zu Ehrenhaft und Ebert in die Vorlesungen gegangen. Nachmittag fiel ich über die Probe her. Sie scheint falsch zu werden, heute kam ich erst um 18 von der Arbeit weg und fuhr heim. Ansteigende Stimmung

abends.


Donnerstag, 16. März:

Zeitiger auf, zu Gali in die Vorlesung gefahren. Er ist der beste Systematiker der Anstalt, zum ersten Male verstehe ich hier manches Theoretische, was für mich doch so wichtig ist.

Im Mathematischen Institut, wo es sich so heimlich sitzt, rezensierte ich die Prosa zu Ende.

Zu Ehrenhaft.

Bei Ebert ist wieder die Himbeerrote, jenes Mädchen, das -  ich will später darüber schreiben, wenn sich alles geklärt hat. Oder doch: Ich glaubte, alles sei vorbei, dabei wo ich sie wieder sehe, begehre ich sie von neuem. Begehren ist der allerbeste Ausdruck für dieses Gefühl. 1949 habe ich viele Ueberlegungen zur Zeit meiner Krise diesem Gefühl zu verdanken gehabt. Sie hat mich immer wieder ins Befassen mit dem erot. Problem gebracht. Aber lassen wir das: ich fuhr also zu Artmann anschliessend um mir neue Prosa zu holen. Dann zeitig heimgekommen.

Ein Frühlingstag!

Sehr angenehmer Tag, neue Prosa rezensiert. Ich wurde mit dieserso anregenden Beschäftigung fertig.

Wie gross ist mein Verlangen nach einem geliebten Mädel!


Freitag, 17. März:

Wieder Frühlingstag, diese Tage sind die schönsten!

Später auf. Zu Kuffner in die Vorlesung. Dann spazieren gegangen in Währing, ins Studio der Hochschulen, wo seinerzeit mein "Problemschuster" abgelehnt worden war, gesetzt. Ich hängte mein Gedicht "Die Zeitkrankheit" dort an einem Nagel auf, als Manifestation.

Ich ging bald wieder, kam aber noch viel zu früh in die Institute, setzte mich deshalb ins Physikalische und dichtete dort nach einem Eindruck von meinem Pol-Besuch von unlängst "Die Abgegriffene", wo mir merkwürdige Bilder hineinrutschten.

Schliesslich las ich, dass Ebert entfallen war, und begann im Halbmikrokloster zu arbeiten. /4. Substanz./

Wird diese Bestimmung falsch?

Bodo brachte ich heute zum Diskutieren. Ihm ist furchtbar langweilig hier, er möchte viel lieber schon an der Industrie sein. - Alles Surreale ist ihm verhasst, wie der Mehrzahl der Halbgebildeten, also der Akademiker. Ueber "Ausgestaltung" der Mädchen gesprochen. Er ist gegen die Modetorheiten. Leider besagt das nicht viel: er lehnt alles Unsolide ab. Er ist ein Bürger; im übrigen ist er ein guter Mensch, dürfte auch in den Dingen des Geschlechts anständig sein; die Himbeerrote hält er wie ich für ein harmloses Mädchen; dass sie auf mich so eine verheerende Wirkung ausübt, habe ich ihm nicht erzählt; ich weiss, an der bin ich schuld und nicht das Mädchen, die, ahnungslos darüber, mit ihrem einen Burschen geht, wie wir sehen.

Das habe ich schon damals festgestellt, dass sie immer mit einem Burschen, einem ziemlich breitgebauten aus dem I. chem., ist; in jeder Vorlesung. Ich weiss in Wirklichkeit genau, dass das kein Mädchen für mich wäre; mein Instinkt hat nie gesagt "das wäre etwas"; auch ist sie besetzt und letztlich Chemikerin. Unsere Chemikerinnen sind besser in der Arbeit als die Burschen. Jedem, der das nicht glaubt und was anderes sagt, wische ich das gleich. Aber ich persönlich möchte ein Mädchen aus einem gänzlich chemiefernen Kreis. Ueber all das habe ich freilich mit dem "guten Bodo" /wie ihn Kuffner neulich hänselte/ nicht gesprochen. Das fiel mir nur gerade ein.

17.3.50 =2=

Heute früh hatte ich in Erwiderung auf einen Artikel, den eine Margarete L.-Rauch über die "Polarität der Geschlechter" geschrieben und bei den NW eingereicht hatte, eine Polemik, das "unpolare Liebeslied" geschrieben. Es sind eigentlich die Ideen, die mich zum Widerspruch seit je verleitet haben, an den Fingern abzuzählen. Im 47-er Jahr oder wann die Ricarda Huch, heute Gretl Rauch.

Wir sind beide Nacht.
Wir sind dieselbe Strasse.

Samstag, 18. März:

Ich schrieb früh Assoziationen nieder, die mich seit längsten Zeiten bestimmt hatten. Mädchen in Verbindung mit Buchstaben sind es: Etwa Lore, Louise, Lotte bilden eine Gruppe, die ich mit der Vorstellung in Verbindung bringe: Ein Mädchen ist vom Tollen müde und von der schwülen Sommerluft. /"L"/ mit M, K und so fort. Nachdem ich ein S gleichsam abschliessend aufgeschrieben hatte, kamen "Andere Mädchen", in nachteiligerem Lichte gesehene Assoziationen, an die Reihe.

Hiebei muss nicht unbedingt der Anfangsbuchstabe der Kennbuchstabe sein, sondern auch etwa ein hervorstehender Buchstabe kann es sein. Dies alles habe ich nicht gedichtet, auch nicht einem Einfall folgend von mir gegeben, sondern aus längst bekannten Tiefen heraufgeschöpft.

17.3.50 =3=

Ich ging zu Artmann zeitig nachmittags. Ich liess ihn meine Mädchen-Buchstaben oder Buchstaben-Mädchen, wie man will, lesen. Er las, erstarrte, besann sich, las weiter, und als er zu Ende war, konnte er einen Augenblick nicht sprechen, dann nannte er mich einen führenden Surrealisten; er war richtig ergriffen, dass ein anderer, vor allem ich, mich seinem Kampf um das Surreale anschloss. Er zählt mich von heute an zu denen wie Eluard und Myröcker und spricht davon, dass man aus meinen solchen Gedichten unleugbar das Mitteleuropäische herausliest, und darauf kommt es an, wenn wir einen selbständigen Surrealismus wollen. Die Nachahmung des Surrealismus ist gar nichts, denn seine Kraft kommt nicht aus einer Form, die noch nachgeahmt werden kann, sondern aus der Schöpfungskraft des Unterbewussten.

Ich lieh mir Klabunds "Marietta" aus. Ein höchst anregender und zielweisender Tag.

Am Rückweg sah ich Trudscherl, die an Veilchen roch. Ich schob es auf den Frühling statt auf Koketterie, und war so zufriedener.

Frühling ist ja alles ringsherum.

Tante war da, ich las ihr einiges vor, mein "unpolares" und die "Abgegriffene" hat sie in meiner Abwesenheit gelesen, und sie haben ihr sehr gut gefallen. Ich las Eliot und gleich Klabund vor. Es ist ein begeisterter Tag.

18.3.50 =2=

Sonntag, 19. März:

Ein schöner Frühlingstag!

Vormittags schrieb ich auf der Maschine, und zwar das "Lied mit der unkeuschen Zeile” und das "School girl Edith". Gestern bei Artmann war mir ein Mädchen, das durch die Kienmayrgasse ging, aufgefallen. Artmann hatte dieses Mädchen gekannt, wie er mir sogleich überrascht erzählte. Es war eine sonderbare Geschichte damit. Zu der Zeit lasen wir in Eliot, und sein Sohn bohrte fleissig Nase.

Nachmittag kam zeitig Pol und las mir Gedichte von sich vor, was ich . Inzwischen kam ein verschrobener früh. slow. Pfleger von Steinhof zu Besuch aus der Slowakei. Er erzählte Abenteuer, hatte andere Augen als zuvor und kündigte an, er werde uns öfter besuchen, um mit uns "Mensch-ärgere-dich-nicht" zu spielen, und man müsse auf Gott vertrauen, dann werde alles gut werden.

Mit Pol ging ich noch spazieren, und wir sprachen über hundert Dinge. Seine Leitlinie ist das "den-Dingen-gegenüber", während ich ein Whitman-ähnliches Gefühl der Allverbundenheit habe.

Er legt seine Trauer in das "Unerbittliche", ich in die abwendbaren Misstände. Ich fand Greguerias, z.B. "Der Orion ist kein Sternbild, er ist eine Masche, die man sich um den Hals bindet", "Ich verbringe meine liebste Zeit zwischen Gedankenstrichen" usw. Ein Spaziergang mit Pol müsste einmal sehr anregend sein. Ich komme mir vor wie ein Eichhörnchen. Hoch angeregt nach Hause gekommen.


Montag, 20. März:

Auch heute nicht zu zeitig auf, dann aber gleich ins Institut gefahren. Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Im Praktikum: Die 4. Substanz stimmt nicht. Neue Füllung notwendig.

Ich zerbrach mir, während ich auf die Währinger Strasse herabsah vom Laborfenster aus, den Kopf über das Wesen der Schönheit.

Endlich gab ich den Schlüssel der HMG für heute bei Bilek ab und machte mich heim. /Es war diesmal spät/.


Dienstag, 21. März: Heute ist Frühlingsbeginn.

Eine sehr interessante Gali-Vorlesung. Ich wollte um jeden Preis ein Gedicht schreiben, aber trotz der eigentümlichen Frühlingsstimmung und trotz der Himbeerroten, die in der Galivorlesung war, und trotz de latenten Fluidum in mir realisierte sich nichts.

Ich ging hinter den Instituten, durch die Liechtensteinstrasse zum Studio der Hochschulen in der Kolingasse, wo ich mein Eidechsengedicht nicht mehr an der Wand vorfand.

Ehrenhaft, Ebert.

Aber Nachmittag tat ich nichts im Institut, sondern fuhr zeitig zu Artmann. Die Charakteristiken unserer Autoren in gregueresker Form fielen mir unterwegs, im herrlichen Frühlingswetter, ein. Mein Surrealismus ist zum Unterschied von dem der Franzosen unparfumiert wie auch unverwest.

Bei Artmann selbst sprachen wir sehr interessant über Typen /Hund, Katze, Vogel, Rind/, dann gingen wir zum Schuhmeierplatz hinunter und fuhren in die Neuen Wege.

Dort bekam ich diesmal keine Prosa.

Cap, Sokol, Altmann, Polakovics, Kein usw. kamen. Sokol scheint Minderwertigkeitskomplexe zu haben. Ich redete ihr zu, zu ihrer Art zurückzufinden, anstatt den Leuten, die ihr gesagt hatten, sie solle weniger persönlich werden /!/, zu folgen und miese Gedichte mit der Moral am Schluss oder ebensolche Märchen zu schreiben; solange sie solche schreibt, müssen wir sie freilich ablehnen.

Wir greguerisierten und blödelten viel nach der Sitzung.


Mittwoch, 22. März:

Später aufgestanden, Konsumweg, dann ins Institut gefahren.

Früh ist es jetzt immer kühl, auch trüber. Dann wird es wieder frühlingshaft.

Im Institut die Geräte gereinigt. Es ist bei dieser Sauerei schwerexakt zu arbeiten.

Ehrenhaft, Ebert.

Nachmittag wieder analysiert /4. Substanz/.

Wie auch gestern, keine Angriffspunkte für Dichtung. Dennoch ist die Stimmung immer noch etwas angeregt. Das offene Fenster über Währing ist so angenehm und bringt viel Reiz in die Halbmikrogemeinschaft. Arbeitet man unter den Bedingungen wie jetzt längere Zeit in dieser Abgeschlossenheit, so wird man ein Sonderling. Die 4. Bestimmung gemacht. Spät erst heim.


Donnerstag, 23. März:

Gleich in der Früh blauer Himmel.

Zeitig in die Uni gefahren, wegen der Galivorlesung. Jetzt wird ein kurzer Ueberblick über die Wellenmechanik, dann über die einzelnen Atombindungen gegeben. Es ist das erstemal so klar, Gali ist wirklich der beste Systematiker des Hauses.

Die 4. Substanz ist wieder falsch!

(Stimmung absinkend)

Ehrenhaft, Ebert.

Nm. zu Artmann gefahren. Der war nicht daheim, aber ich bekam einige Manuskripte zu rezensieren. Platzregen.

Daheim rezensierte ich fleissig.

Tante Fini besuchte uns.

Ich versuchte zu schreiben, wurde auch durch die eigene Stimmung draussen und durch einen der Prosabeiträge, die ich zu rez. hatte, angeregt, aber alles zerflatterte irgendwie.

Ich bekam Skrupel über den Surrealismus.


Freitag, 24. März:

Frühlingswetter. Ich versuchte ein Gedicht anzugehen, fuhr aber dann gleich ins Institut.

Kuffner hielt wieder seine Vorlesung in rasendem Tempo.

Mit Springer plauderte ic vormittags. Springer ist eine Erinnerung an vergangene Jahre. Vielleicht ödere Jahre? Besser: einzelne öde Perioden, Tage. Ebert Elektrochemie, heute auch viel Stoff. Mir fällt ein, dass die sogenannten "öden" Perioden oder Tage meines Lebens alle hinterher ein starkes Fluidum seltsam erregender Art hinterlassen, und so glaube ich, dass man, wenn man ganz streng ist, von keiner Oedheit in meinem Leben überhaupt sprechen kann. Alles heute Unerreichte, also jedes Nichtrealisieren eines latenten Hochzustandes ist, wie sich nachträglich herausstellt, ein Aufspeichern.

Der Apparat /der Verbrennungsofen/ ist ganz mit Kohlenstoff verklebt, der nicht wegzuglühen geht.

Zeitig heimgefahren; zu Hause wurde es ganz gemütlich. Ich verplauderte mich und las in alten schriftstellerischen Mappen von mir, was aufschlussreich ist von Zeit zu Zeit.

Bis Abends stellte sich so immer mehr Stimmung ein.


Samstag, 25. März:

Regenwetter. Im Bett dichtete ich nach meinem gestrigen das "Nicht-etwa-Lied". Anschliessend nach einer Beobachtung und einem Gefühl von unlängst die selbstkritischen "Reflexionen angesichts eines Heuwagens" - ich verwarne mich oder warne mich wenigstens vor den Folgen eines Nachgebens vor der surrealistischen Mode.

Konsumweg und andere Arbeiten fürs Haus. Haarschneiden. Reinschriften.

Nachmittag eine meiner üblichen Plaudereien über Eliot. Im Tagebuch 49, dem Tagebuch vom vorigen Jahr, gelesen.

Tante kam dann.

Ich stellte Ordnungen an, versuchte - einem Schnapseinfall folgend - Aquarell zu malen, es spielte ganz angenehmes Radio.

Abends las ich aus der Lyrik der Weltliteratur und plauderte dann über Stilrichtungen.


Sonntag, 26. März:

Zum Teil schöneres Wetter.

Ich sah wieder Trudscherl.

Ich versuchte, aus einem Einfall etwas zu machen, aber es wurde hartnäckig nichts daraus. /"Am Rande neuerwachten Grüns ......."/

Nach einem frühen Nachmittag voll Untätigkeit kam um drei Uhr Pol.

Mit ihm führte ich Rezensionen durch. Dann ging ich mit ihm noch spazieren. Daheim bei ihm erhitzte ich mich über seine Verteidigung des Formalisten Eisenreich, dann kamen wir doch zu einer Aussprache. In Wahrheit will doch jeder dasselbe.

Sehr anregender Tag wieder.

Wetter: abgekühlt etwas.


Montag, 27. März:

Konsumweg. Dann ins Institut.

Dort Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Nm. während des Praktikums mit Bodo diskutiert über "Schönheit und Aussage" /Sein immerhin origineller Vergleich mit der im Zorn ausgequetschten Zitrone, die ja auch trotz ihres Aussagegehaltes kein Kunstwerk darstelle./


Dienstag, 28. März:

Gali, Ehrenhaft, Ebert. Wie immer. Nachher heim gekommen.

Nachmittags um 17 Uhr in die Redaktion gefahren. Ich bekam vierzig Schilling ausgezahlt. Im Märzheft ist meine "Blaue Dissertation" drin, die (unlängst) sofort einstimmig angenommen worden war. Artmann hatte drei neue Autorinnen eingeladen /Diem, Hauer, Matiasek/. Mit Hauer unterhielt ich mich, ihr gefielen verschiedene Sachen von mir. Matiasek sitzt irgend verschreckt, mit einem unwirschen Mund und wie ein grosses Mädel da.

Diem wirkt wie ein Schulmädchen aus den Zwanzigerjahren, die modern sein wollte /Ins Gesicht geschnittenes Haar, farblos gepudert und ebenso geschminkt, sie dürfte die Allerjüngste sein und sieht aus wie eine romantisch und schlecht verstandene Psychoanalyse/.

Die Einladung war freilich improvisiert. Lore Hübel, eine vierte Eingeladene, deren Gedichte und vor allem Prosastücke ich wegen ihrer Innigkeit liebe, kam nicht. Selbst Sokol war hier.

Ein im ganzen äusserst anregender wieder Abend.


Mittwoch, 29. März:

Konsum.

Im Institut vm. gearbeitet, unter ziemlich öden Eindrücken. Dann ging wieder Ehrenhaft und Ebert an.

Samstag sind wir Lyrik-Rezensoren bei Frl. Hauer eingeladen, wo wir die Aprilnummer selbständig zusammenstellen werden.


Donnerstag, 30. März:

Die ganzen Täge schön, blau, aber ziemlich kühl.

Früh fuhr ich in die Uni und traf wieder Ali Pribil, der mit seiner Mathematik-Kollegin über eine Radtour in den bevorstehenden Osterferien sprach. Dennoch, obwohl unsere letzte Unterrichtswoche wieder ist und dann ein halber Monat frei ist, hatte das Gespräch einen so in Staub vergrabenen Eindruck auf mich gemacht.

Gali /fast wollte ich schreiben: Gali mit Himbeer/, mittags Ehrenhaft und Ebert. Nachmittags im Praktikum wieder missglückte Analyse der 4. Substanz, an der ich skandalös lange arbeite.

Um fünf heimgefahren, abends versuchte ich zum "leeren Boot" einen Ergänzungstext zu schreiben, damit daraus eine mögliche Impression oder was Aehnliches würde.

Den Eindruck von heute früh aber verarbeitete mein Inneres zu einem surrealen Gedicht /"Traurig wie Trauben, die den Lucullus weinen ..."/ Wie mir der Text kam, weiss ich selbst nicht.


Freitag, 31. März: LETZTE UNI

Die Bazillen kann man färben: blau mit einem roten Mascherl. Das sprachen zwei Gymnasiastinnen aus der Maroltingergasse zueinander. Was ist die Wissenschaft in der Tat anderes als "Blaue Bazillen mit einem roten Mascherl". Gregueresk!

Für die Uni habe ich heute, wie diese Feststellung wohl beweist, keine rechte Stimmung mehr. Morgen sind wir bei der Hauer; Ferien sind da.

31.3.50 =2=

In dieser Stimmung den letzten Kuffner angehört, Substanz 4 abgegeben, um eine Entscheidung zu erzwingen; sie fiel, wie erwartet. Um wahnsinnige Prozente zu tief. Dafür steckt die ganze Kohle wieder im Verbrennungsrohr. Ich muss eine neue Probe kriegen, hoffentlich enthält die weniger C als diese.

Ich ging nicht mehr in die Elektrochemie-Vorlesung, trieb mich nur hinter den Instituten herum etwas, um frische Luft zu schöpfen, und ging dann in die Ferien.

Daheim stellte ich nachmittags Ordnungen an /Zeitungen/, versuchte dann am langen Gedicht /"Am Rande neuerwachten Grüns"/ weiterzuarbeiten, was jedoch nicht gelang, und "buchte dann das Gedicht endgültig ab".

Im Radio sprachen sie von Rimbaud. Späteren Nachmittags, nach Aufgabe des langen Gedichtes, herrschte ausgesprochen angenehme Stimmung. Nun ist es draussen Frühling.


26.3.50: Friedensdemonstration am Ring
30.3.50: Leon Blum
März 1950

tagebuch

neu

märz
1950

Mittwoch, 1. März 1950:
SEMESTERBEGINN EBERTKOLLOQUIUM!

Wieder kalt und trüb in der Frühe.

Die Kammerordnung beendet, dann zu
Ebert gefahren. Ich absolvierte mein
Kolloquium über Phys. Chemie mit
staunenswerter Ruhe, alles wurde mir
so klar. Ich bekam wegen eines kleinen
Formalfehlers am Schluss eijnen Dreier,
aber einen gut verdienten. Ebert ist
für mich kein Schreckgespenst mehr.
Anschliessend um einen Platz im
Organikersaal bemüht. Ich komme über-
raschenderweise ins Halbmikroanalytische
Praktikum
, eine Art org. Fortsetzung des
Quantitativen; meistens ist dies erst
am Ende des Org. Präp. Praktikums fällig.
Nun ist für mich schon zu Anfang hier
ein Platz frei. Auf die Quästur, dann
heimgefahren. Ich soll möglichst bald
hier zu arbeiten anfangen.

Bald wieder ins Institut gefahren. Dort
wurde ich in das abgelegene Halbmikro-
zimmer
geführt, wo ich ganz allein zu
arbeiten beginne. Die Apparate an den
Wandtischen, alles ist für mich neu.

Ich habe mich nach Gattermanns Lehrbuch
zu richten.

Nasser Schnee fiel. Kalt ist es. Ich
bin zunächst etwas konsterniert. Im
grossen und ganzen aber ist es ein
netter Märzanfang.


Donnerstag, 2. März:

Etwas später auf. Konsumweg.

Holz gesägt. Draussen hat es vier
Kältegrade, Schnee liegt und fällt.
Ausgeruht, dann ins Institut gefahren.
Dort die erste Ebertvorlesung /Elchemie/,
die nicht mehr das alphafte früherer
Ebertstunden hat, weil ich von Ebert
nunmehr frei bin.

Heute nachmittag kam Bodo ins Praktikum.
Mit ihm zusammen begann ich die Arbeit.
Alles vorbereitet. Morgen dann die
Verbrennung.

Daheim brennt unser neuer Ofen gut!


Freitag, 3. März:

Früh notierte ich rasch: Das Kriterium
der anständigen Frau besteht nicht im
Widerstand, sondern in der Auslese.

Es taut. Ins Institut gefahren, wo
Bodo noch nicht anwesend war. Ich
plauderte im früheren Saal. Pollak,
die Kollegin, die immer noch in der
Quant. Abteilung arbeuitet, hat heute
zum ersten Mai lackierte lila Finger-
nägel. Sie will schön werden. Sie bleibt
trotzdem unvorteilhaft wie bisher.
/Nein, noch ärger./

Im Halbmikrozimmer verbrannte ich die
erste Probe, die Testsubstanz. Die
Ebertvorlesung versäumte ich heute.
Bekam mein ersters, ziemlich wüstes,
Resultat. Abgebrochen. Um halb drei
im kl. I. Hs. Vorbesprechung für Brofda
/Atomenergie/. Es wird nichts damit,
es geht mit der Zeit nicht aus. Dann
schon heimgefahren.

Daheim lag das Feberheft der NW vor.
Ich las darin. Meine Kunstgedichte gegen
die Formalisten sind drin.

Als Mama mit Fini auf die Linzerstrasse
ging, las ich noch mit Freude in dem Heft
/Altmanns Prosa gefiel mir auch; das
Titelblatt ist abscheulich/, dann ange-
sichts des freien Wochenendes /es ist für
mich wie eine unabsehbare freie Zeit
vor mir/ arbeitete ich das Gedicht aus
dem 48-er Jahr "Randbemerkungen zu
unserer Schwefelsäure
" um; es ist nichts
mehr damit los; nur für mein Archiv mehr
geeignet, aber auch dort soll es in einer
möglichen Form stehen. Diese
nunmehr dritte Fassung beschäftigte mich bis spät(er) am
Abend gemacht. Das Mädchen, das von unsern
     Klassenkameraden einst den Spitznamen
"Mausi" erhielt, und das meine erste
Liebe war, das spreche ich heute immer
noch ganz klar aus, hat mir etwas Bleiben-
des erweckt. Sie selbst ist aus meinem
Leben längst getreten.


Samstag, 4. März:

Wieder wärmer. Es taut. Konsumweg.

Holz gemacht. Heute kein Institut.

In den "Neuen Wegen" gelesen.

Ein Artikel von Braunsperger sagt,
heute sei alles an der "kühlen Klärung
der Situation gelegen, mehr als an jeder
Dichtung". Diesem Standpunkt setzte ich
ein Gedicht entgegen, das mir nur so aus
der Feder floss: die "blaue Dissertation".
Ist nicht in der Tat jeder Flecken
feuchter Rinde mehr lebens      erklärend
als jede Abhandlung? Noch zwei Gedichte
anschliessend: "Leberleiden", das Unter-
bewusste verteidigend gegen den Vorwurf
der Krankheit, und das "Voltmeter" (gegen
alleinseligmachende Lehren und ideelle

"Allheilmittel"). Tante kam, ich las ihr
meine verschiedensten "modernen" Gedichte
vor, die sie nicht dermassen ablehnt wie
ich dachte. Sie weiss jetzt von meinem
"neiuen Stil".

Abends noch allerhand Lyrik der Welt-
literatur
gelesen.

Ich wünsche mir so sehr ein geliebtes
Mädchen, wie die Vx. es hätte sein können.


Sonntag, 5. März:

Wieder wärmer. Es taut. Schon früh
hatte es einen Wärmegrad. Der gewisse
ballaue Himmel, die wilde Luft ...

Ich schrieb eine lyrische Prosa
"Erste Sonnenwärme".

Den Sonntagvormittag wie üblich ver-
brachrt. Ordnungen, Radio gehört ...

Nm. kam Polakovics, wir arbeiteten die
"blaue Dissertation" etwas um, am Ende
gefiel sie mir aber doch wieder in der
Urfassung am besten und ich liess mich
nur zu zwei oder drei Konzessionen herbei.
Tante kam inzwischen. Als Pol um halb
sechs ging, unterhielt cich mich noch
mit Tante Luise eine Stunde über Ausge-
fallenes; über Surrealismus, die Bibel;
übrigens ist Frl. Huber vom Büro vom
Spiritismus überzeugt worden.

Nach recht wirr geratenen Plaudereien
über solche Sachen den Abend abgeschlossen.


Montag, 6. März:

Nicht zu zeitig auf. Es war genug warm,
etwas trüb, ich fuhr um acht ins Institut.
Die Testbestimmung weitergeführt, nm.
bekam ich die erste Substanz; die dazu- gehörige Prüfung wird nachgeholt.

Bis halb fünf die ersten Werte bekommen.
Dann fuhr ich heim.

Die gestrige Umarbeitung der "Blauen
Dissertation
" endgükltig aufgegeben.
Die dritte Fassung, die der ersten fast
gleicht, werde ich nun einreichen.

Es sollen nicht Synkopen angelegt
werden in meinen improvisierten Gedichten.
Alles Nachträgliche stört nur.

Wirre Träume.


Dienstag, 7. März:

Zeitiger auf, Konsumweg, Institut.

Dr. Bilek, unser Halbmikroassistent,
kam nicht. Die 1. Substanz einstweilen
erledigt.

Ich fuhr gegen zwei zu Artmann, den ich
zum ersten Mal besuche. Es ist Frühling
draussen, so warm.

Bei Artmann finde ich verschiedene engl.
Lyrik vor, er ist erfreut über meinen
Besuch. Er sagt, er fühlt sich so isoliert
in seinem Zimmer, vor der Autorentagung
hatte er überhaupt keinen Kontakt mit
gleichinteressierten Menschen.

Ich bin begeistert von einem Klabund-
Buch, sowie von Walt Whitman. Um 17 Uhr
fahre ich in die Redaktion mit Artmann.
Ich bekomme Eliot ausgeliehen.
Interessantes Gespräch. An Ort und Stelle
neueste Lyrik rezensiert. Nächste Woche
kommt die eingereichte Prosa dran.

Pol schleppte uns anschliessend an die
Sitzung zu einem Vortrag von Paris
Gütersloh
in der Akademie im Rahmen der
Volkshochschule. Unser Primar Huber von
Steinhof zeigte Bilder von Geisteskranken
zur Unterscheidung von Bildern surrealer
Meister wie Fuchs ...

Auf der Heimfahrt eine seltsame Stimmung,
seltzsame Eindrücke; ein Gedicht entstand /Abendspaziergang/. Es war ein sehr
interessanter Tag, ein anregender Abend.
Um halb zehn erst kam ich heim.


Mittwoch, 8. März:

Etwas früher auf, schon blauer Morgen.
Ein reizend frühlingshafter Tag.

Im Institut: die Probe stimmt nicht
ganz, ich habe noch eine Bestimmung zu
machen. Das tat ich denn auch.

Mittags hörte ich mir die erste Ebert-
vorlesung über "Aufbau der Materie" an. Heimgefahren, daheim aber wenig getan.
Ich las selbstverständlich in Eliot,
/Liebeslied J. Alfred Prufrocks/, dann
schrieb ich mein gestriges Gedicht auf;
ein Expressbrief erwartete uns: Tante
hat eine plötzliche Nierenerkrankung
befallen.

Abends noch in Eliot gelesen, Ordnungen
gemacht für mich, Tante in Besorgnis
angerufen, ich konnte nichts mehr
schreiben und legte mich zeitig nieder.


Donnerstag, 9. März:

Später auf. Die Gali-Vorlesung "Theor.
Grundlagen der org. Chemie" versäumte ich.
Auf die Quästur zahlen gegangen.

1. Substanz bestätigt. 11 Uhr Vorlesung
Prof. Ehrenhaft /Physik: Wärmelehre/,
12 Uhr Ebert Elchemie.

Nachmittag an der zweiten Substanz zu
arbeiten begonnen-. Den ersten Wert
erhalten. Wieder aber zeitig Schluss
gemacht.

Daheim kam Tante Fini; ich las in meinem
Eliot. Versuchte, aber wieder ergebnislos,
zu schreiben. So legte ich mich schon
zeitig zu Bett. Es war trüb und abgekühlt
draussen.


Freitag, l0. März:

Kalt. Trüb. Ins Institut gefahren.

Von neun bis zehn findet im kleinen
Zweiten die erste Kuffnervorlesung
statt.

Ich bekam die zweite Substanz bestätigt.
Nun aber fand die Prüfung statt.

Ich musste in der Bibliothek etwas
Ergänzendes lernen. Ich war zum ersten
Mal in der Institutsbibliothek.

Mittags Ebertvorlesung.

Nachmittag 3. Substanz analysiert.

Dozent Kuffner, ein eigener Mensch, aber
netter Kerl, besuchte uns in unserer
Kammer zum erstenmal. Mir ist er sehr
sympathisch. Solche ruhige Arbeitsbedingun-
gen im Vergleich zur letzten Zeit bei
Gali oder gar am Anfang bei Dr. Eiter.

Ziemlich zeitig wieder heimgefahren.

Schon wieder eine Woche aus. Es gab
Schnitzel, ich las in Eliot, was wünscht
man sich mehr.


Samstag, 11. März:

Kalt, trüb, etwas sogar Regen.

Noch im Bett kam mir das reizende Fluidum
von damals in den Sinn, als ich durch das
Marchfeld hindurchfuhr /auf meiner Rückreise
von Smokovec, 1944/. Ich begann    ein      Gedicht.
Nach dem Konsum setzte ich mich an die
Maschine und improvisierte ein "Sommerlied
der Unwägbaren
". Die Stelle "Ich liebe so
den roten Mohn ... usw." ist wohl die
schönste, die mir seit langem gelungen ist.
Nach dieser Betätigung schrieb ich einiges
aus Eliot heraus für mich, und für Pol
fertigte ich eine Abschrift meines "Chem.
Abends
" an, der ihm so gefiel. Nachmittag um zwei besuchte ich das
erste Mal Polakovics. Mama fuhr zu Tante
Luise in die Adamsgasse.

Pol zeigte mir seine Arbeiten in der
bildenden Kunst; er sprach wieder sehr
viel und interessant über Rilke.

Ueber mich wurde gesprochen. Mein
"Sommerlied" von heute gefällt ihm noch
besser als das Frühlingslied für Infinita
Vera
. Er erwartet sich immer mehr von
mir und Besseres. Er zeigte mir seine
Jugendgedichte, die sich alle schon durch
seine vollkommene Form auszeichnen, wenn
auch der wahre Inhalt erst in seinen
nunmehrigen Gedichten liegt.

Wir lasen in der "SWelt von gestern"
des hervorragenden Stefan Zweig, der
eines nicht kann: nämlich langsweilen.

Wir begeisterten uns an der Beschreibung
des literarischen Lebens im damaligen
revolutionär aufstrebenden Wien, das so
sehr unserem heutigen zu gleichen scheint.
Ich fand meine Gedanken über die Probleme
der Geschlechter bei Zweig wieder.

Pol begleitete mich von diesem jhöchst
anregenden Besuch bis zum 47-er. Wir
sprachen noch über manches.

Mama erzählte daheim, dass es Tante nicht
zu schlecht gehe. Sie ist sogar trotz
ihrer Krankheit ganz gut aufgelegt.


Sonntag, 12. März:

Ich stand später auf    undund las im
"Schachbüchlein" von St. Zweig, das mir
Pol ausgeliehen hatte.

Nach der Kirche las ich die Novelle zu
Ende, sie ist grossartig geschrieben in
ihrer Spannung. Nun las ich in der
"Welt von gestern", las sogar Mama daraus
vor.

Kalt. Trüb.

Auch na   chmittags in der "Welt von
gestern
" gelesen. Ich versuchte
surrealistisch zu zeichnen. Gemütliche
Stimmung.

Im Toto haben wir nichts gewonnen.

Abends das fesselnde Schlusskapitel
in der "Welt von gestern" gelesen.

Ein hervorragendes Buch.


Montag, 13. März:

Gewöhnlich auf. "Welt am Montag" gelesen.
Konsumweg. Eintragungen zu Ende, dann
ins Institut gefahren.

Kuffner, Ehrenhaft, Ebert. Dazwischen
nur Bibliotkhek.

Von der 3. Substanz noch eine Bestimmung
zu machen. Ich begann diese, hörte aber
auf, als der Apparat streikte.

Daheim war Fini zu Besuch. Ich
las in Eliot, versuchte zu schreiben,
mir gelang aber nur eine kurze lyrische
Prosa "Ein zertauender Kindermärz".

Es ist eigentlich noch recht kühl.


Dienstag, 14. März:

Nach einem eigenartigen Traum zeitig
aufgestanden. Stimmung hebt sich.

Früh 8 Uhr Gali-Vorlesung. Mein letzter
Tag im 20. Lebensjahr hat begonnen.

Mit Bodo gewartet, dann bekam ich die
3. Substanz bestätigt. Schritt für
Schritt geht es so weiter, und niemand
kann mir noch je eine bestätigte Probe
absprechen.

Keine Prüfung. Die 4. Substanz, die letzte
C, - also, bekommen. Ehrenhaft. Ebert.


Heimgefahren schon nach Mittag.

Zu Hause ausgeruht, dann gleich in die
Red. NW gefahren. Um 17 Uhr dort:
Rezensionen; Prosa bekommen; für die
nächste Autorenlesung Material zusammen-
gesucht. Cap kam diesmal wieder.

Wir wurden in der Hofburg eingesperrt,
weil wir die Schlusszeit versäumt hatten.
Eine halbe Stunde irrten wir umher,
bis wir wieder in Freiheit gesetzt
wurden. Das war mein Abenteuer zum
Abschluss des 2. Lebensjahrzehnts.

Mädchen habe ich bis jetzt noch keins.
Also hält es der Mensch bis mit 20
Jahren ohne Mädchen /und vor allem ohne Ersatz für ein solches/ aus.


Mittwoch, 15. März:
20. GEBURTSTAG

Später auf. Schon in der Früh
den Prosapinkel rezensiert, ins
Institut damit gefahren. Die techn.
Vorlesung Hromatka entfiel. Im Math.
Institut
setzte ich mich hin und re-
zensierte fleissig.

Um die Mittagszeit zu Ehrenhaft und
Ebert in die Vorlesungen gegangen.
Nachmittag fiel ich über die Probe her.
Sie scheint falsch zu werden, heute
kam ich erst um 18 navon der Arbeit weg
und fuhr heim. Ansteigende Stimmung


abends.


Donnerstag, 16. März:

Zeitiger auf, zu Gali in die Vorlesung
gefahren. Er ist der beste Systematiker
der Anstalt, zum ersten Male verstehe
ich hier manches Theoretische, was für
mich doch so wichtig ist.

Im Mathematischen Institut, wo es sich
so heimlich sitzt, rezensierte ich die
Prosa zu Ende.

Zu Ehrenhaft.

Bei Ebert ist wieder die Himbeerrote,
jenes Mädchen, das -     ich will später
darüber schreiben, wenn sich alles geklärt
hat. Oder doch: Ich glaubte, alles sei vor-
bei, dabei wo ich sie wieder sehe, begehre
ich sie von neuem. Begehren ist der aller-
beste Ausdruck für dieses Gefühl. 19549
habe ich viele Ueberlegungen zur Zeit
meiner Krise diesem Gefühl zu verdanken
gehabt. Sie hat mich immer wieder ins
Befassen mit dem erot. Problem gebracht.
Aber lassen wir das,: ich fuhr also zu
Artmann anschliessend um mir neue Prosa
zu holen. Dann zeitig heimgekommen.

Ein Frühlingstag!

Sehr angenehmer Tag, neue Prosa rezensiert.
Ich wurde mit dieserso anregenden Beschäf-
tigung fertig.

Wie gross ist mein Verlangen nach einem
geliebten Mädel!


Freitag, 17. März:

Wieder Frühlingstag, diese Tage sind die
schönsten!

Später auf. Zu Kuffner in die Vorlesung.
Dann spazieren gegangen in Währing, ins
Studio der Hochschulen, wo seinerzeit mein
"Problemschuster" abgelehnt wuorden war,
gesetzt. Ich hängte mein Gedicht "Die
Zeitkrankheit
" dort an einem Nagel auf,
als Manifestation.

Ich ging bald wieder, kam aber noch viel
zu Ffrüh in die Institute, setzte mich des-
halb ins Physikalische und dichtete dort
nach einem Eindruck von meinem Pol-Besuch
von unlängst "Die Abgegriffene", wo mir
merkwürdige Bilder hineinrutschten.

Schliesslich las ich, dass Ebert ent-
fallen war, und begann im Halbmikro-
kloster
zu arbeiten. /4. Substanz./

Wird diese Bestimmung falsch?

Bodo brachte ich heute zum Diskutieren.
Ihm ist furchtbar langweilig hier, er
möchte viel lieber schon an der Industrie
sein. - Alles Surreale ist ihm verhasst,
wie der Mehrzahl der Halbgebildeten,
also der Akademiker. Ueber "Ausgestal-
tung" der Mädchen gesprochen. Er ist
gegen die Modetorheiten. Leider besagt
das nicht viel: er lehnt alles Unsolide
ab. Er ist ein Bürger; im übrigen ist er
ein guter Mensch, dürfte auch in den
Dingen des Geschlechts anständig sein;
die Himbeerrote hält er wie ich für
ein harmloses Mädchen; dass sie auf
mich sio eine verheerende Wirkung ausübt,
habe ich ihm nicht erzählt; ich weiss,
an der bin ich schuld und nicht das
Mädchen, die, ahnungslos darüber, mit ihrem
einen Burschen geht, wie wir sehen.

Das habe ich schon damals festgestellt,
dass sie immer mit einem Burschen, einem
ziemlich breitgebauten aus dem I. chem.,
ist; in jeder Vorlesung. Ich weiss
in Wirklichkeit genau, dass das kein
Mädchen für mich wäre; mein Instinkt
hat nie gesagt "das wäre etwas"; auch
ist sie besetzt und letztlich Chemikerin.
Unsere Chemikerinnen sind besser in der Arbeit
als die Burschen. Jedem, der das
nicht glaubt und was anderes sagt, wische
ich das gleich. Aber ich persönlich
möchte ein Mädchen aus einem gänzlich
chemiefernen Kreis. Ueber all das habe
ich freilich mit dem "guten Bodeo" /wie
ihn Kuffner neulich hänselte/ nicht
gesprochen. Das fiel mir nur gerade ein.

17.3.50
=2=

Heute früh hatte ich in Erwiderung
auf einen Artikel, den eine Margarete
L.-Rauch
über die "Polarität der
Geschlechter
" geschrieben und bei den
NW eingereicht hatte, eine Polemik,
das "unpolare Liebeslied" geschrieben.
Es sind eigentlich die Ideen, die mich
zum Widerspruch seit je verleitet haben,
an den Fingern abzuzählen. Im 47-er Jahr
oder wann die Ricarda Huch, heute Gretl Rauch.

Wir sind beide Nacht.
Wir sind dieselbe Strasse.

Samstag, 18. März:

Ich schrieb früh Assoziationen nieder,
die mich seit längsten Zeiten bestimmt
hatten. Mädchen in Verbindung mit
Buchstaben sind es: Etwa Lore, Louise,
Lotte bilden eine Gruppe, die ich mit
denr SVorstellung in Verbindung bringe:
Ein Mädchen ist vom Tollen müde und
von der schwülen Sommerluft. /"L"/
EbensoAnaloges mit M, K und so fort. Nachdem ich
ein S gleichsam abschliessend aufge-
schrieben hatte, kamen "Andere Mädchen",
in nachteiligerem Lichte gesehene
Assoziationen, an die Reihe.

Hiebei muss nicht unbedingt der Anfangs-
buchstabe der Kennbuchstabe sein, sondern
auch etwa ein hervorstehender Buchstabe
kann es sein. Dies alles habe ich nicht
gedichtet, auch nicht einem Einfall
folgend von mir gegeben, sondern aus
längst bekannten Tiefen heraufgeschöpft.

17.3.50
=3=

Ich ging zu Artmann zeitig nachmittags.
Ich liess ihn meine Mädchen-Buchstaben
oder Buchstaben-Mädchen, wie man will,
lesen. Er las, erstarrte, besann sich, las
weiter, und als er zu Ende war, konnte er
einen Augenblick nicht sprechen, dann
nannte er mich einen führenden Surrea-
listen; er war richtig ergriffen, dass
ein anderer, vor allem ich, mich
seinem Kampf um das Surreale anschloss.
Er zählt mich von heute an zu denen wjie
Eluard und Meayröcker und spricht davon,
dass man aus meinen solchen Gedichten
         unleugbar das Mitteleuropäische heraus-
liest, und darauf kommt es an, wenn wir
einen selbstämndigen Surrealismus wollen.
Die Nachahmung des Surrealismus ist
gar nichts, denn seine Kraft kommt nicht
aus einer Form, die noch nachgeahmt werden
kann, sondern aus der Schöpfungsakraft
des Unterbewussten.

Ich lieh michr Klabunds "Marietta" aus.
Ein höchst anregender und zielweisender
Tag.

Am Rückweg sah ich Trudscherl, die
an Veilchen roch. Ich schob es auf
den Frühling statt auf Koketterie,
und war so zufriedener.

Frühling ist ja alles ringsherum.

Tante war da, ich las ihr einiges vor,
mein "unpolares" und die "Abgegriffene"
hat sie in meiner Abwesenheit gelesen,
und sie haben ihr sehr gut gefallen.
Ich las Eliot und gleich Klabund vor.
Es ist ein begeistrerter Tag.

18.3.50
=2=

Sonntag, 19. März:

Ein schöner Frühlingstag!

Vormittags schrieb ich
auf der Maschine, und zwar
das "Lied mit der unkeuschen Zeile
und das "School girl Edith". Gestern
bei Artmann war mir ein Mädchen, das
durch die Kienmayrgasse ging, aufgefallen.
Artmann hatte dieses Mädchen gekannt,
wie er mir sogleich überrascht erzählte.
Es war eine sonderbare Geschichte fdamit.
Zu der Zeit lasen wir in Eliot, und sein
Sohn
bohrte fleissig Nase.

Nachmittag kam zeitig Pol und las mir
Gedichte von sich vor, was ich . Inzwischen kam ein verschrobener früh.
slow. Pfleger von Steinhof zu Besuch aus
der Slowakei. Er erzählte Abenteuer,
hatte anderen Augen als zuvor und
kündigte an, er werde uns öfter besuchen,
um mit uns "Mensch-ärgere-dich-nicht"
zu spielen, und man müsse auf Gott
vertrauen, dann werde alles gut werden.

Mit Pol ging ich noch spazieren, und wir
sprachen über hundert Dinge. Seine Leit-
linie ist das "den-Dingen-gegenüber",
während ich ein Whitman-ähnliches
Gefühl der Allverbundenheit habe.

Er legt seine Trauer in das "Unerbitt-
liche", ich in dasie abwendbaren Misstände.
Ich fand Greguerias, z.B. "Der Orion ist
kein Sternbild, er ist eine Masche, die
man sich um den Hals bindet", "Ich
verbringe meine liebste Zeit zwischen
Gedankenstrichen" usw. Ein Spaziergang
mit Pol müsste einmal sehr anregend sein.
Ich komme mir vor wie ein Eichhörnchen,.
              Hoch angeregt nach Hause gekommen.


Montag, 20. März:

Auch heute nicht zu zeitig auf,
dann aber gleich ins Institut gefahren.
Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Im Praktikum: Die 4. Substanz stimmt nicht.
Neue Füllung notwendig.

Ich zerbrach mir, während ich auf die
Währinger Strasse herabsah vom Labor-
fenster aus, den Kopf über das Wesen der
Schönheit.

Endlich gab ich den Schlüssel der HMG
für heute bei Bilek ab und machte mich
heim. /Es war diesmal spät/.


Dienstag, 21. März:
Heute ist Frühlingsbeginn.

Eine sehr interessante Gali-Vorlesung.
Ich wollte um jeden Preis ein Gedicht
schreiben, aber trotz der eigentümlichen
Frühlingsstimmung und trotz der Himbeer-
roten
, die in der Galivorlesung war, und
trotz desm latenten Fluidums in mir
realisierte sich nichts.

Ich ging hinter den Instituten, durch
die Liechtensteinstrasse zum Studio der
Hochschulen
in der Kolingasse, wo ich
mein Eidechsengedicht nicht mehr an der
Wand vorfand.

Ehrenhaft, Ebert.

Aber Nachmittag tat ich nichts im
Institut, sondern fuhr zeitig zu
Artmann. Die Charakteristiken unserer
Autoren in gregueresker Form fielen:
mir unterwegs, im herrlichen Frühlings-
wetter, ein. Mein Surrealismus ist zum
Unterschied von dem der Franzosen
unparfumiert wie auch unverwest.

Bei Artmann selbst sprachen wir sehr
interessant über Typen /Hund, Katze,
Vogel, Rind/, dann gingen wir demzum Schuhmeierplatz hinunter und fuhren in die
Neuen Wege.

Dort bekam ich diesmal keine Prosa.

Cap, Sokol, Altmann, Polakovics, Kein usw.
kamen. Sokol scheint Minderwertigkeits-
komplexe zu haben. Ich redete ihr zu, zu
ihrer Art       zurückzufinden, anstatt den
Leuten, die ihr gesagt hatten, sie solle
weniger persönlich werden /!/, zu folgen
und miese Gedichte mit der Moral am Schluss
oder ebensolche Märchen zu schreiben;
solange sie solche schreibt, müssen wir sie
freilich ablehnen.

Wir greguerisierten und blödelten viel
nach der Sitzung.


Mittwoch, 22. März:

Später aufgestanden, Konsumweg, dann ins
Institut gefahren.

Früh ist es jetzt immer kühl, auch trüber.
Dann wird es wieder frühlingshaft.

Im Institut die Geräte gereinigt. Es ist
bei dieser Sauerei schwer,zuexakt zu
arbeiten.

Ehrenhaft, Ebert.

Nachmittag wieder analysiert /4. Substanz/.

Wie auch gestern, keine Angriffspunkte
für Dichtung. Dennoch ist die Stimmung
immer noch etwas angeregt. Das offene
Fenster inüber Währing ist so angenehm und
bringt viel Reiz in die Halbmikrogemein-
schaft
. Arbeitet man unter den Bedingungen
wie jetzt längere Zeit in dieser Abge-
schlossenheit, so wird man ein Sonderling.
Die 4. Bestimmung gemacht. Spät erst heim.


Donnerstag, 23. März:

Gleich in der Früh blauer Himmel.

Zeitig in die Uni gefahren, wegen der
Galivorlesung. Jetzt wird ein kurzer
Ueberblick über die Wellenmechanik,
dann über die einzelnen Atombindungen
gegeben. Es ist das erstemal so klar,
Gali ist wirklich der beste Systemaiktiker
des Hauses.

Die 4. Substanz ist wieder falsch!

(Stimmung absinkend)

Ehrenhaft, Ebert.

Nm. zu Artmann gefahren. Der war nicht
daheim, aber ich bekam einige Manuskripte
zu rezensieren. Platzregen.

Daheim rezensierte ich fleissig.

Tyante Fini besuchte uns.

Ich versuchte zu schreiben, wurde auch
durch die eigene Stimmung drauussen und
durch einen der Prosabeiträge, die ich
zu rez. hatte, angeregt, aber alles zer-
flatterte irgendwie.

Ich bekam Skrupel über den Surrealismus.


Freitag, 24. März:

Frühlingswetter. Ich versuchte ein
Gedicht anzugehen, fuhr aber dann gleich
ins Institut.

Kuffner hielt wieder seine Vorlesung
in rasendem Tempo.

Mit Springer plauderte icnh vormittags.
Springer ist eine Erinnerung an ver-
gangene Jahre. Vielleicht ödere Jahre?
Besser: einzelne öde Perioden, Tage.
Ebert Elektrochemie, heute auch viel Stoff. Mir fällt ein, dass die sogenannten
"öden" Perioden oder Tage meines
Lebens alle hinterher ein starkes
Fluidum seltsam erregender Art hinter-
lassen, und so glaube ich, dass man,
wenn man ganz streng ist, von keiner
Oedheit in meinem Leben überhaupt
sprechen kann. Alles heute Unerreichte,
also jedes Nichtrealisieren eines
latenten Hochzustandes ist, wie sich
nachträglich herausstellet, ein Auf-
speichern.

Der Apparat /der Verbrennungsofen/
ist ganz mit Kohlensrtoff verklebt,
der nicht wegzuglühen geht.

Zeitig heimgefahren; zu Hause wurde
es ganz gemütlich. Ich verplauderte
mich und las in alten schriftstelleri-
schen Mappen von mir, was aufschluss-
reich ist von Zeit zu Zeit.

Bis Abends stellte sich so immer mehr
Stimmung ein.


Samstag, 25. März:

Regenwetter. Im Bett dichtete ich
nach meinem gestrigen        Einfall das
"Nicht-etwa-Lied". Anschliessend
nach einer Beobachtung und einem Gefühl
von unlängst die selbstkritischen
"Reflexionen angesichts eines Heuwagens"
- ich verwarne mich oder warne mich
wenigstens vor den Folgen eines Nacgh-
gebens vor der surrealistischen Mode.

Konsumweg und andere Arbeiten fürs Haus.
Haarschneiden. Reinschriften.

Nachmittag eine meiner üblichen
Plaudereien über Eliot. Im Tagebuch 49, dem
Tagebuch vom vorigen Jahr, gelesen.

Tante kam dann.

Ich stellte Ordnungen an, versuchte
- einem Schnapseinfall folgende// -
Aquarell zu malen, es spielte ganz
angemnehmes Radio.

Abends las ich aus der Lyrik der
Weltliteratur
und plauderte dann
über Stilrichtungen.


Sonntag, 26. März:

Zum Teil schöneres Wetter.

Ich sah wieder Trudscherl.

Ich versuchte, aus einem Einfall
etwas zu machen, aber es wurde hart-
näckig nichts daraus. /"Am Rande
neuerwachten Grüns .......
"/

Nach einem frühen Nachmittag voll
Untätigkeit kam um drei Uhr Pol.

Mit ihm führte ich Rezensionen durch.
Dann ging ich mit ihm noch spazieren.
Daheim bei ihm erhitzte ich mich
über seine Verteidigung des Formalisten
Eisenreich, dann kamen wir doch zu
einer Aussprache. In Wahrheit will
doch jeder dasselbe.

Sehr anregender Tag wieder.

Wetter: abgekühlt etwas.


Montag, 27. März:

Konsumweg. Dann ins Institut.

Dort Kuffner, Ehrenhaft und Ebert.

Nm. während des Praktikums mit bBodo
diskutiert über "Schönheit und Aussage"
/Sein immerhin origineller Vergleich
mit der im Zorn ausgequetschten Zitrone,
die ja auch trotz ihres Aussagegehaltes
kein Kunstwerk darstelle./


Dienstag, 28. März:

Gali, Ehrenhaft, Ebert. Wie immer.
Nachher heim gekommen.

Nachmittags um 17 Uhr in die Redaktion
gefahren. Ich bekam vierzig Schilling
ausgezahlt. Im Märzheft ist meine
"Blaue Dissertation" drin, die (unlängst)
sofort einstimmig angenommen wuorden war.
Artmann hatte drei neue Autorinnen einge-
laden /Diem, Hauer, Matiasek/. Mit Hauer
unterhielt ich mich, ihr gefielen ver-
schiedene Sachen von mir. Matiasek sitzt
irgend verschreckt, mit einem unwirschen
Mund und wie ein grosses Mädel da.

Diem wirkt wie ein Schulmädchen aus den
Zwanzigerjahren, die modern sein wollte
/Ins Gesicht geschnittenes Haar, farblos
gepudert und ebenso geschminkt, sie dürfte
die Allerjüngste sein und sieht aus wie
eine romantisch und schlecht verstandene
Psychoanalyse/.

Die Einladung war freilich improvisiert.
Lore Hübel, eine vierte Eingeladene, deren
Gedichte ujnd vor allem NProsastücke ich
wegen ihrer Ininigkeit liebe, kam nicht.
Selbst Sokol war hier.

Ein im ganzen äusserst anregender wieder
Abend.


Mittwoch, 29. März:

Konsum.

Im Institut vm. gearbeitet, unter ziemlich
öden Eindrücken. Dann ging wieder Ehren-
haft
und Ebert an.

Samstag sind wir Lyroik-Rezensoren bei
Frl. Hauer eingeladen, wo wir die April-
nummer
selbständig zusammenstellen werden.


Donnerstag, 30. März:

Die ganzen Täge schön, blau, aber ziemlich
kühl.

Früh fuhr ich in die Uni und traf wieder
Ali Pribil, der mit seiner Mathematik-
Kollegin über eine Radtour in den bevor-
stehenden Osterferien sprach. Dennoch,
obwohl unsere letzte Unterrichtswoche
wieder ist und dann ein halber Monat frei
ist, hatte das Gespräch einen so in Staub
vergrabenen Eindruck auf mich gemacht.

Gali /fast wollte ich schreiben: Gali mit
Himbeer/, mittags Ehrenhaft und Ebert.
Nachmittags im Praktikum wieder missglückte
Analyse der 4. Substanz, an der ich skanda-
lös lange arbeite.

Um fünf heimgefahren, abends versuchte ich
zum "leeren Boot" einen Ergänzungstext
zu schreiben, damit daraus eine mögliche
Impression oder was Aehnliches würde.

Den Eindruck von heute früh aber verarbei-
tete mein Inneres zu einem surrealen
Gedicht /"Traurig wie Trauben, die den
Lucullus weinen ...
"/ Wie mir der Text kam,
weiss ich selbst nicht.


Freitag, 31. März:
LETZTE UNI

Die Bazillen kann man färben: blau mit
einem roten Mascherl. Das sparachen zwei
Gymnasiastinnen aus der Maroltingergasse
zueinander. Was ist die Wissenschaft in der
Tat anderes als "Blaue Bazillen mit einem
roten Mascherl". Gregueresk!

Für die Uni habe ich heute, wie diese
Feststellung wohl beweist, keine rechte
Stimmung mehr. Morgen sind wir bei der
Hauer; Ferien sind da.

31.3.50
=2=

In dieser Stimmung den letzten Kuffner
angehört, Substanz 4 abgegeben, um eine
Entscheidung zu erzwingen; sie fiel,
wie erwartet. Um wahnsinnige Prozente
zu tief. Dafür steckt die ganze Kohle
wieder im Verbrennungsrohr. Ich muss eine
neue Probe kriegen, hoffentlich enthält die
weniger C als diese.

Ich ging nicht mehr in die Elektrochemie-
Vorlesung, trieb mich nur hinter den
Instituten herum etwas, um frische Luft
zu schöpfen, und ging dann in die Ferien.

Daheim stellte ich nachmittags Ordnungen
an /Zeitungen/, versuchte dann am langen
Gedicht /"Am Rande neuerwachten Grüns"/
weiterzuarbeiten, was jedoch nicht gelang,
und "buchte dann das Gedicht endgültig
ab".

Im Radio sprachen sie von Rimbaud.
Späteren Nachmittags, nach Aufgabe des
langen Gedichtes, herrschte ausgesprochen
angenehme Stimmung. Nun ist es draussen
Frühling.


26.3.50: Friedensdemonstration
am Ring
30.3.50: Leon Blum
März 1950
Zitiervorschlag

Okopenko, Andreas: Tagebuch 01.03.1950–31.03.1950. Digitale Edition, hrsg. von Roland Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1, 15.1.2019. URL: https://edition.onb.ac.at/okopenko/o:oko.tb-19500301-19500331/methods/sdef:TEI/get?mode=p_1

Lizenzhinweis

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