Entstehungskontext

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Peter Handkes philosophisch-essayistische Erzählung Versuch über die Müdigkeit entstand 1989, während  seiner im November 1987 begonnenen und drei Jahre dauernden »Weltreise«. Es ist der erste einer Reihe von fünf »Versuchen«, in denen er sich besonderen Erfahrungen (Zuständen bzw. Gefühlen, Leidenschaften, Dingen oder Orten) annähert. Im Versuch über die Müdigkeit erzählt Handke kleine, episodische Geschichten über erlebte Müdigkeiten, um ihre unterschiedliche Auswirkung auf die Wahrnehmung oder das »Weltbild« (VM 14) zu beschreiben. Er betrachtet soziologische, psychologische, philosophische und poetische Aspekte der Müdigkeit und unterscheidet dabei grundsätzlich »gute« und »schlechte« Müdigkeiten. Die schlechte oder »bösartige« Müdigkeit etwa trennt den Müden von sich selbst und der Welt, verzerrt die Wahrnehmung und vernebelt die Sinne und verleitet zur Gewalt gegen sich und andere. Die guten bzw. »schöneren« Müdigkeiten bewirken umgekehrt Aufmerksamkeit sowie die damit zusammenhängenden kontemplativen Empfindungen eines Da-Seins und In-der Welt-Seins; sie erzeugen ein Gefühl von Zusammenhang und Gemeinschaft und sind somit friedenstiftend. Als ein Beispiel für diese gute Müdigkeit erzählt Handke von einem Erlebnis, als er erschöpft von einer langen Reise in einem Café am New Yorker Central Park saß und wie sich im Zustand der Müdigkeit ein zweckfreies Betrachten des Geschehens ergab. »Jene Müdigkeit machte, daß die tausend unzusammenhängenden Abläufe kreuz und quer vor mir sich ordneten über die Form hinaus zu einer Folge; jeder ging in mich ein als der genau da hinpassende Teil einer – wunderbar feingliedrigen, leichtgefügten Erzählung; und zwar erzählten die Vorgänge sich selbst, ohne Vermittlung über die Wörter. Dank meiner Müdigkeit wurde die Welt ihre Namen los und groß.« (VM 55f.) Für seine Darstellung wählte Handke die dialogische Form von Rede und Gegenrede, in welcher er seine Erinnerungen und Eindrücke in einer Selbstbefragung zugleich überprüft; Müdigkeit wird nicht definiert, sondern das »Phänomen« wird mittels der kleinen Erzählungen von verschiedenen Richtungen beleuchtet, bleibt aber offen. Seine Erklärungen der durch das Phänomen Müdigkeit hervorgerufenen positiven und negativen Zustände basieren auf der Philosophie Heideggers, ohne dass der Name des Philosophen explizit erwähnt wird.

Müde Helden

Die Gründe und Auswirkungen des Müde-Seins und -Werdens sowie die Beeinflussung der Wahrnehmung im Zustand der Müdigkeit spielen schon in den frühen Erzählungen Handkes eine Rolle. Das Motiv des »müden Helden« zieht sich durch seine gesamte Prosa. Von Bloch heißt es etwa in Die Angst des Tormanns beim Elfmeter (1970): »Je müder er wurde, desto klarer nahm er alles wahr, unterschied eins vom andern. […] Er war so müde, daß er jeden Gegenstand für sich sah, vor allem die Umrisse, als ob es von den Gegenständen nur die Umrisse gebe. Er sah und hörte alles unvermittelt, ohne es erst, wie früher, in Worte übersetzen zu müssen oder es überhaupt nur als Worte und Wortspiele zu erfassen. Er war in einem Zustand, in dem ihm alles natürlich vorkam.« (DAT 99) In Wunschloses Unglück (1972) lautet der vorgezeichnete Lebenslauf der Frauen am Land: »Müde/Matt/Krank/Schwerkrank/Tot« (WU 17), den Handke dann auch mit der Geschichte seiner Mutter nacherzählt. In Die Stunde der wahren Empfindung (1974) verwandelt sich die Müdigkeit Keuschnigs in »Angst«, die ihn nicht nur »rücksichtslos« macht, sondern ihn vergessen lässt, die »Zeichen« in seiner Umgebung zu sehen (DSE 105). In Die linkshändige Frau (1976) hat Marianne nach der Trennung von Bruno auf dem Weg zu ihrem neuen selbstbestimmten Leben mit ihrer Müdigkeit zu kämpfen, die sie alleine in der Wohnung überkommt. (DF 78)

In Langsame Heimkehr (1979) bricht »vorzeitige Müdigkeit« über Sorger herein »wie eine Abweichung aus der Senkrechten« (LH 35); ein andermal wird er von einer Müdigkeit ergriffen, »in der er nur noch im Dunkeln liegen und hören wollte« (LH 151), und nach Sorgers Ankunft in New York bewirkt schließlich die Müdigkeit von der langen Reise beim Sitzen in einem Coffee Shop ein ähnlich emphatisch-assoziatives Wahrnehmen (LH 172-181), wie es Handke später im Central Park-Beispiel im Versuch über die Müdigkeit noch einmal leicht variiert erinnert (VM 55f.). In Die Lehre der Sainte-Victoire (1980) träumt der Erzähler nach seinem Erlebnis mit dem cerberusartigen Hund (DLS 53ff.), »müde von dem vielen Gehen« (DLS 61) von einem »freundlichen« Hund. In Der Chinese des Schmerzes (1983) wird Andreas Loser durch eine »leichte Müdigkeit« beim Unterrichten »wach und ruhig« (DCS 26); wenn er nach der Arbeit müde in einem Gasthaus sitzt, gelingt ihm »für alles im Umkreis jener Schimmer von Teilhabe, der [ihn] zugleich selber unscheinbar macht« (DCS 54); nach seinem Mord kann er dann »kaum weiter, vor unerwarteter Müdigkeit«, die ihn »abseits vom Weg, in eine Schlafmulde« zieht (DCS 110). In Die Wiederholung (1986) ist Filip Kobal auf seiner Suche nach dem verschollenen Bruder immer wieder müde (DW 103, 105); er erinnert sich auch an die Müdigkeiten zuhause (DW 17, 210). In Die Abwesenheit (1987), der letzten vor dem Versuch über die Müdigkeit erschienenen Erzählung, wird die Reisegruppe nach ihrem langen Marsch durch die Karstprärie und einem vom Alten zubereiteten Mahl in der Höhle müde: »Es war eine Müdigkeit, zugleich wach und warm, in der jeder von uns nicht nur dasselbe sah oder hörte, sondern auch dasselbe Alter und Geschlecht wie der andere hatte, und wie der andere keine Geschichte hatte als die der gemeinsamen Müdigkeit.« (DA 155ff.)

Idee zum Schreibprojekt

Die Idee zum Versuch über die Müdigkeit dürfte ungefähr auf die Mitte der 1970er-Jahre zurückgehen. Im Zusammenhang mit Recherchen zum Schreibprojekt »Ins tiefe Österreich« (aus dem Langsame Heimkehr hervorging) und seinen Notizen zum poetischen Verfahren des Wiederholens entstanden wiederholt Notizen über die Müdigkeit, die teilweise auch in den Journalen Das Gewicht der Welt (1977) und Die Geschichte des Bleistifts (1982) abgedruckt wurden. In einem längeren, in Die Geschichte des Bleistifts übernommenen Notat über die Müdigkeit kündigt er den »Versuch über die Müdigkeit« als zukünftiges Projekt bereits an: »Die Müdigkeit war so stark, daß er, ausgezogen daliegend, meinte, er sei noch ganz angezogen. Was hieß "Müdigkeit"? – Es gab keine Gehirnfunktion mehr, und draußen bellten die Hunde. – Die schlimmste Müdigkeit war jene, die man im Kopf als Dummheit spürte. – Aber es gab auch eine andere Müdigkeit, in die man eingehüllt war als in einen triumphalen, "regen"undurchlässigen Stoff; man fühlte dann die Freundlichkeit der Müdigkeit als die tiefste der Freundlichkeiten. (Wenn ich alt geworden sein werde, werde ich meinen "Versuch über die Müdigkeit" schreiben)« (DGB 92). Die Notiz entstand, als Handke Anfang dreißig war. Die gezielte Beschäftigung mit dem Projekt beginnt aber nicht erst im Alter, sondern ungefähr zehn Jahre nach dieser Notiz, Anfang 1987. 

Projektbezogene Notizen

Auf die begonnene Arbeit weist der von Handke am vorderen Vorsatz des Notizbuchs aus der Zeit von 10. Februar bis 27. Mai 1987 vermerkte Projekttitel »Versuch über die Müdigkeit« hin (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 052). Der Titel wird in einer Reihe anderer am Vorsatz verzeichneter Werkprojekte genannt, die Handke parallel zum Versuch konzipiert hat. Dazu zählen etwa Die Abwesenheit (1987) – aber vor allem Das Spiel vom Fragen (1989) und Mein Jahr in der Niemandsbucht (1994), das hier noch »Bildverlust« genannt wird. Die Notizen zum Versuch über die Müdigkeit sind zum Teil überlagert von Aufzeichnungen zu anderen Projekten. So findet man etliche Einträge zur Müdigkeit, die dem Stück »Die Kunst des Fragens« (dem späteren Das Spiel vom Fragen) zugeordnet waren. Zum Beispiel lautet ein Eintrag zu den linguistischen Fragemodi vom 2. November 1987: »spezifischer fragender Modus: z.B.: Eskimoisch (Westgotländisch): KASOKAOK = er ist sehr müde. KASOKÂ = Ist er sehr müde? KASOKAIT? Bist du sehr müde? KASOKAISE – Seid ihr sehr müde? KASOKÂT? Sind sie …? (Keine Frage-Intonation!)« (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 055) In einer weiteren, am 14. Juli 1988 im Zuge der Niederschrift der ersten Textfassung des Theaterstücks entstandenen Notiz zum Dialog der beiden Figuren Mauerschauer (kurz »Ms.«) und Spielverderber (kurz »Sv.) heißt es: »Ms: "Schön fraglos bin ich nur in der Müdigkeit, nach der Arbeit, jener Müdigkeit, die mich durchlässig macht." [/] Sv.: "Und bist du jetzt müde?"« (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 059; vgl. DSF 150; Srienc 2011, S. 47-48).

Der Projekttitel »Versuch über die Müdigkeit« wurde von Handke in sieben weiteren Notizbüchern bis 1989 am Vorsatz vermerkt (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 054, 055, 056, 057, 058, 061 und 062), dazwischen gibt es aber auch Notizbücher ohne expliziter Werkzuordnung, die aber ebenso projektbezogene Aufzeichnungen enthalten (Notizbuch 053, 059, 060, 063, 064). Hauptquellen für die Entstehung des Versuchs sind vier Notizbücher mit projektbezogenen Notizen: die beiden Notizbücher mit Aufzeichnungen vom 15. Dezember 1988 bis zum 17. Februar 1989 und von 17. Februar bis 8. März 1989, die bereits vermehrt Notizen zu »VüdM«, wie Handke das Projekt in seinen Aufzeichnungen abkürzt, enthalten; dann das Notizbuch von 9. März bis 1. April 1989, das während der Niederschrift der ersten Textfassung entstanden ist und schließlich das Notizbuch aus der Zeit vom 1. April bis 9. August 1989, das die Überarbeitung des Textes durch Korrekturen und Einfügungen begleitet (Srienc 2011, S. 20). In den Notizen sammelte Handke nicht nur Bilder und Erfahrungen der Müdigkeit, sondern auch poetologische Reflexionen, die sich bis zum tatsächlichen Schreibbeginn zunehmend verdichteten. Am 5. März, ungefähr eine Woche vor Schreibbeginn, bestimmte Handke den Versuch innerhalb seiner Poetik als eine Art Wende (Srienc 2011, S. 28). »Mit "Langsame H." begann meine griechische-suchende, mäandernde, zögernde, verweilende, ätherische Phase; nun ist es wieder Zeit für eine lateinische, lineare, vorwärtsdrängende, lakonische: den Anfang will ich versuchen mit dem "Versuch über die Müdigkeit"« (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 062, 5.3.1989).

In den Notizen kommentiert Handke in Folge seine Arbeit am Text: So verweist etwa der Eintrag »VüdM morgen?« vom 10. März auf den geplanten Schreibbeginn am nächsten Tag, und die Notiz »"lirio", Lilie"? Faltarar los lirios / a la primavera …?" (Machado; ich habe mit dem VüdM angefangen)« vom 11. März bestätigt den Beginn (DLA, A: Handke, Peter, Notizbuch 063). Dominik Srienc führt in seiner Arbeit über die Entstehung des Versuchs über die Müdigkeit noch weitere solcher Notizen an, die den »Fortschritt und den Arbeitsprozess während des Schreibens« dokumentieren, wie etwa: »Also: Luft und Sonne zwischen die Schreibfinger? (Ab jetzt bis zum Ende des Versuchs)« vom 16. März; »Die noch größeren Müdigkeiten (ich muß doch noch mit 7 Tagen rechnen?« vom 20. März sowie »(Schluß, morgen)« vom 24. März (Srienc 2011, S. 44).

Erste Textfassung

Die erste Textfassung entstand während Handkes Aufenthalt im spanischen Ort Linares zwischen dem 11. und 25. März 1989. Da aber genau zu dieser Zeit die nach spanischem Brauch von gewaltigem Lärm begleiteten Palmsonntags- bzw. Osterprozessionen stattfanden, war er eigenen Aussagen nach gezwungen ins Freie auszuweichen. Er fand einen Platz in einer »Eukalyptuslichtung« (Bl. 15, 17, 20), wo er den Text nun nicht mehr mit Schreibmaschine, sondern mit Bleistift schrieb. Es entstand ein 25 Blatt umfassendes Bleistiftmanuskript, mit dem Handke seine bis heute praktizierte Arbeitsweise begründete. In einem 2009 geführten Gespräch mit Klaus Kastberger und Elisabeth Schwagerle erzählte Handke: »Nie hätte ich vorher gedacht, dass ich im Freien sitzen und episch werden kann. Ich habe gedacht, im Freien könne man nur fragmentarisch das und das im Notizbuch wahrnehmen. […] Und da habe ich gemerkt: Du kannst es! Dabei hatte ich vorher immer Angst gehabt, dass zwischen dem Blatt Papier und mir kein Gerät ist. Deshalb musste ich immer die Schreibmaschine haben. Jetzt aber konnte ich mit Bleistift und Papier schreiben.« (Handke / Kastberger / Schwagerle 2009, S. 15)

Während der Niederschrift der ersten Fassung machte er weiterhin Notizen, allerdings nicht mehr so häufig. Er »nützte das Notizbuch während der Schreibarbeit […] nicht nur um einzelne Sätze vorzuschreiben, um sie noch am selben Schreibtag ins Manuskript zu übertragen, sondern auch um sich nachträgliche Einfügungen zum bereits Geschriebenen zu notieren« (Srienc 2011, S. 53). Zum Beispiel notierte Handke, wie Srienc ausführt, am 23. März »x Einf., Paarmüdig{keit [Steno]}: "Ich bin dir müde"« (DLA, A: Handke Peter, Notizbuch 063) und fügt diese Stelle nachträglich als Korrektur in das Bleistiftmanuskript ein: »Oder es wird das "Mit dir" zu einem einzigen Wort, so wie im Spanischen hier das "contigo"… \Oder in deutscher Form vielleicht \ statt des: "Ich bin deiner-"/ das: "Ich bin dir müde"/« (ÖLA 326/01/W2, Bl. 14; vgl. VM 48).

Während der Arbeit am Versuch schrieb Handke, wie die in den Archiven vorhandenen Korrespondenzbestände zeigen, weder Briefe noch Postkarten an Freunde oder an den Verlag. Erst am 27. März 1989, zwei Tage nach der Fertigstellung des Versuchs, schickte Handke das Manuskript an seinen Lektor Raimund Fellinger mit den Worten: »nun will [ich] es doch wagen, das Manuskript abzuschicken, mit klopfendem Herzen. Klein, aber nicht ungeil. Ich stelle mir sogar ein normales 50-60 Seiten-Buch vor, sogar gebunden. – Wenn im Text "der andere" (?) spricht, das absetzen, in Absätze, mit Leerzeilen dazwischen. [/] Seltsames Leben. Die letzten Tage gingen fast über meine Kraft, auch unter dem Eukalyptus, wo ich schrieb, beäugt von Käfern, Zigeunern, Patrouillen.« (DLA, SUA, A: Suhrkamp Verlag, Verlagskorrespondenz) Es handelte sich dabei vermutlich nicht um das Original, sondern um eine Kopie, denn laut den Aufzeichnungen von Siegfried Unseld übergab ihm Handke das Bleistiftmanuskript von Versuch über die Müdigkeit am 29. April 1989 in Kronberg im Taunus (Handke / Unseld 2012, S. 556).

Zweite Textfassung

Im Verlag wurde vom Bleistiftmanuskript eine Abschrift erstellt – ob mit Computer oder noch mit Schreibmaschine, lässt sich nicht eruieren. In einem Exemplar der Abschrift vermerkte Fellinger kleinere Korrekturen, wobei er vor allem beim Abtippen entstandene Übertragungsfehler anmerkte (Textfassung 2a). Ein zweites Exemplar der Abschrift, in welchem die elektronischen Anweisungen für den Druck mit Tipp-Ex entfernt worden sind, diente Siegfried Unseld für die Präsentation des Buches bei der Vertreterkonferenz (Textfassung 2b). Die beiden Typoskripte von Fellinger und Unseld sind nicht datiert, müssen aber im April 1989 entstanden sein. Auf Basis der Verlagsabschrift wurde am 27. April der erste Fahnenlauf hergestellt.

Druckfahnen

Die Verlagsabschrift dürfte Handke nicht überarbeitet haben – es ist zumindest kein Exemplar mit seinen handschriftlichen Korrekturen überliefert. Aller Wahrscheinlichkeit nach begann er erst in den Druckfahnen des ersten Laufs mit der Überarbeitung des Textes. Sein Fahnenexemplar enthält etliche Korrekturen – Textergänzungen und Streichungen (vermehrt im hinteren philosophisch-analytischen Teil). Ideen für die Überarbeitungen sammelte Handke zuvor in seinem Notizbuch und auf eigenen handschriftlich angefertigten Listen. Die Korrekturen wurden von Handke am Fahnendeckblatt mit 1. und 2. Mai 1989 datiert.

Ein Monat nach der ersten Fahnenkorrektur traf Unseld Handke am 14. Juni 1989 in Venedig. Er hatte die Druckfahnen des zweiten Laufs von Versuch über die Müdigkeit mit und übergab sie Handke im Park des Hotels. Sie dürften, Unselds Chronik-Notizen zufolge, anschließend einen angenehmen Nachmittag und Abend verbracht haben: »Dann bummelten wir durch Venedig, aßen im Monaco und fuhren dann nächtens mit dem Boot ins Hotel zurück. Wir trafen uns [am nächsten Morgen] um 10 h, besprachen den von ihm durchgesehenen Text, er hatte einen typisch zu übersehenden Druckfehler entdeckt: "das Blau der Arbeitshosen" sollte es heißen, zu lesen war aber: "das Blau der Arbeitslosen".« (Handke / Unseld 2012, S. 556-557)

Erstausgabe

Am 22. August 1989 kam Unseld nach Salzburg und übergab Handke in Fuschl, dem Ort, wo er Handke zehn Jahre zuvor Langsame Heimkehr überreicht hatte, die Erstausgabe von Versuch über die Müdigkeit. Wieder entdeckte Handke, wie Unseld in seinem Reisebericht vermerkte, den obligaten »Druckfehler«, »sonst erlebten wir einen ruhigen, freundlichen, mitteilungsbedürftigen Peter Handke« (Handke / Unseld 2012, S. 557).

Der Versuch wurde von Handke 1990 mit Versuch über die Jukebox und 1991 mit Versuch über den geglückten Tag fortgesetzt – alle drei Versuche wurden nach der Tetralogie Langsame Heimkehr erneut als »Wende« (Pfister 2000, S. 225) in seinem Schreiben wahrgenommen und brachten ihn wieder auf die Literaturbestsellerlisten. Zwanzig Jahre später folgten die zwei Erzählungen Versuch über den Stillen Ort (2012) und Versuch über den Pilznarren (2013); die Idee zu diesen dürfte aber beim Schreiben der ersten drei Versuche entstanden sein, da Handke in seinem Epos Mein Jahr in der Niemandsbucht bereits darauf verweist. (kp)

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