Entstehungskontext

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The Moviegoer des amerikanischen Schriftstellers Walker Percy ist Peter Handkes erste Übersetzungsarbeit und der Beginn seiner bis heute andauernden, intensiven Übersetzertätigkeit. Der Roman erschien im Herbst 1980 unter dem Titel Der Kinogeher im Suhrkamp Verlag. Übersetzungsangebote seines Verlegers Siegfried Unseld gab es schon ab Ende der 1960er-Jahre, Handke hatte sie aber immer ausgeschlagen. Auf Percys Moviegoer (1961) könnte er bei einer seiner Amerika-Reisen ab 1966 oder seinem längeren Aufenthalt in den USA während der Arbeit an Langsame Heimkehr im Oktober/November 1978 aufmerksam geworden sein. Vielleicht hatte ihn aber auch einer seiner Übersetzer, Ralph Manheim oder Michael Roloff, darauf hingewiesen. Eine Stelle in Handkes Nachwort zur Übersetzung (es wurde auch im Sammelband Langsam im Schatten abgedruckt) lässt jedoch vermuten, dass er Percys Buch schon länger kannte. Es heißt dort: »Diese deutsche Übersetzung stammt von einem dankbaren Leser, dem der Moviegoer John Bickerson Bolling aus New Orleans/Gentilly über Jahre ein Wahlverwandter war.« (LS, 101)

Wann Handke mit seiner Übersetzung genau begonnen hat, lässt sich auf Basis der Werkmaterialien nicht eindeutig sagen. In den Notizbüchern wird Percys Moviegoer, was doch einigermaßen erstaunt, nicht weiter erwähnt – nicht einmal Arbeitsbeginn oder -ende, die sich Handke üblicherweise notiert, sind vermerkt. Nur eine kleine Notiz vom 28. Oktober 1979 deutet wie nebenbei auf seine Beschäftigung mit Percy hin: »Wieder einen friedlichen Tag in Louisiana verbracht, in New Orleans, auf den "Elysian Fields"«. Der erste Anhaltspunkt zur Entstehungszeit findet sich im Übersetzungsexemplar. Ein wohl erst im Nachhinein eingetragener Datumsvermerk besagt, dass Handke im »März 1979« mit der Arbeit begonnen hat. Es könnte Anfang März gewesen sein, denn am 22. März 1979 schreibt er an seinen Verleger Siegfried Unseld: »Ich schicke Dir mehrere Seiten der Übersetzung des Movie-Goer. Du brauchst sie ja nicht zu lesen, vielleicht erbarmen sich Frau Borchers oder Frau Dessauer [beides Lektorinnen des Suhrkamp Verlags], oder wer auch immer. Manchmal geht mir die sprachliche Flapsigkeit schon ans Herz, aber das ist wohl amerikanisch? Die Geschichte für sich ist schön (und manchmal sogar tief.) Wenn nur die sprachliche Ungenauigkeit und Beliebigkeit nicht wären.« Ende September fragt Unseld nach, wie es mit der Übersetzung läuft, und Handke antwortet ihm am 2. Oktober 1979: »an der Übersetzung von "The Movie Goer" werde ich nach dem 10. Oktober ("Kafka-Preis") weiter arbeiten und hoffe, daß ich dann Anfang Dezember fertig bin, jedenfalls mit einer ersten Fassung.« Am 15. Oktober bestätigt Handke Unseld, dass er nun seit ein paar Tagen wieder an der Übersetzung sei: »Es macht mir manchmal Freude, jedenfalls nie Angst, wie zuletzt das eigene Schreiben. Anfang Dezember hoffe ich, ein Rohmanuskript schicken zu können.« In seinem Übersetzungsexemplar setzt ab ungefähr der Hälfte des Buches eine exakte tägliche Datierung ein (so wie man sie aus den ersten Textfassungen Handkes kennt) – erster Datumseintrag ist der 25. Oktober 1979. Danach folgen die Datierungen in einem Abstand von drei bis fünf Buchseiten. Dem Brief an Unseld nach hat er zu dieser Zeit schon ungefähr zehn Tage regelmäßig an der Übertragung geschrieben. Geht man davon aus, dass sich die Datierungen auf seine Arbeit beziehen, dann dürfte er die erste Fassung seiner Übersetzung am 27. November 1979 (dem letzten Datumseintrag im Übersetzungsexemplar) beendet haben (vgl. ÖLA SPH/LW/W133 und W134). Rechnet man das durchschnittliche Arbeitspensum auf die erste Hälfte des Buches zurück, wird klar, dass Handke in der Zeit von Anfang März bis Mitte Oktober 1979 nur sporadisch übersetzt haben kann. Was er in diesem halben Jahr und wann er an der Übersetzung gearbeitet hat, geht aus den Materialien selbst nicht hervor. Notizbucheinträge, Korrespondenzen mit Freunden und Wegbegleitern (vor allem Hermann Lenz) und Materialien anderer Werke zeigen, dass Handke zu dieser Zeit viel unterwegs war (und zwar in ganz Europa). Bis Juni 1979 arbeitete er noch intensiv an der zweiten Textfassung und den Druckfahnen von Langsame Heimkehr, das am 6. September 1979 als Buch erschien. Zugleich begann er auch schon mit »Recherchen« in Frankreich und Österreich für seine Fortsetzung der Tetralogie – für Die Lehre der Sainte-Victoire und das »Dramatische Gedicht«, wie er Über die Dörfer in den Notizen nennt. Ende August 1979 übersiedelte er mit seiner Tochter nach Salzburg, wo er im Haus seines Freundes Hans Widrich am Mönchsberg 17a wohnte – die Hälfte der Übersetzung ist somit schon dort entstanden.

Mitte/Ende Januar 1980 schickte Handke dann das Typoskript seiner Übersetzung an den Suhrkamp Verlag. Ob es sich dabei um die erste Textfassung oder schon um die von Handke überarbeitete zweite Fassung gehandelt hat, die im Dezember 1979/Januar 1980 entstanden sein muss, ist nicht genau zu sagen. Maria Dessauer, die Lektorin von Der Kinogeher, bestätigte ihm am 1. Februar 1980 den Erhalt und schreibt ihm auch Percys Adresse, damit er sein Einverständnis für die »übersetzerischen Eigenmächtigkeiten« einholen könne. Ende Februar gibt sie Handke den ersten Teil des mit Korrekturvorschlägen versehenen Typoskripts zurück, mit der Bitte um Prüfung: »Ich habe getan, wozu mein Job hier mich verpflichtet. Sie werden ganz nach Belieben Vorschläge akzeptieren oder verwerfen, auf Fragen eingehen oder nicht. Denn: Übersetzer = Autor. […] Bitte seien Sie nur in Maßen gram« (27. Februar 1980). Ihre Korrekturvorschläge dürften Handke einigermaßen entsetzt haben, denn er schreibt am 22. März 1980 an Unseld: »in mein Manuskript des "Kinogehers" hat die geehrte Frau Dessauer 30 notwendige, 30 nützliche und 300 unnütze bis beschädigende Korrekturen gemacht. Für das erste bin ich ihr dankbar. Ich hänge an dem Buch sehr und weiß, daß ich in den neun Monaten Arbeit draus ein schönes deutsches Ding gemacht habe, das auch zu mir gehört; sehe aber nach zwei Arbeitsgängen mit vielen Wortentscheidungen, außer den notwendigen und nützlichen Korrekturen, nichts mehr zu tun. Walker Percy habe ich um Autorisierung gebeten für die Kürzungen, und gestern hat er mir aus dem schönen Staat Louisiana die Erlaubnis erteilt. Ich schicke Dir seinen Brief mit und erbitte ihn wieder zurück, bei Gelegenheit. [...] Ich bin dem Buch treu geblieben und habe es doch so umgemodelt, daß auch jedes Wort mein eigenes sein könnte: ein andres könnte ich gar nicht niederschreiben.« Das überarbeitete Typoskript schickt er Maria Dessauer am 12. Mai zurück und kündigt ihr da schon die noch fehlende Anmerkung (kein Nachwort) an, die er 16 Tage später nachsendet. Ende Mai wurde das Typoskript gesetzt. Die Druckfahnenkorrekturen lassen sich in der Korrespondenz mit Maria Dessauer bis Ende Juni nachweisen. Das Buch erschien im Herbstprogramm des Verlags mit einem Nachwort von Peter Handke – die Auslieferung erfolgte nach Verlagsangaben am 1. August 1980. In einem Brief Handkes an Unseld vom 6. August 1980 schreibt er, dass er sich über das Buch gefreut habe, auch wenn noch viele Fehler im Buch und am Klappentext seien. (kp)

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