Entstehungskontext

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Den Essay (oder Reisebericht) Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise verfasste Peter Handke in Fortsetzung oder als Konsequenz zur Auseinandersetzung um seinen umstrittenen Text Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien. »[G]ut sechs Monate danach«, wie Handke im ersten Satz umsichtig formuliert, sei »vielleicht ein Nachtrag nötig« (SNR 9). Als »Anlass zu der neuerlichen Reise« nennt er die »Übersetzung meiner Erzählung ins Serbische« (SNR 9).

Belgrad - Bajina Bašta

Die Eckpunkte des im Sommerlichen Nachtrag verarbeiteten Serbienbesuchs sind zwei Auftritte, die Handke zusätzlich zu seiner am 18. Februar in Hamburg begonnenen und am 10. Juni in Essen beendeten Lesereise absolvierte: am 17. Mai im Nationaltheater und am Abend davor in der Nationalbibliothek Belgrad sowie am 22. Mai in der National- und Universitätsbibliothek Priština. Handkes Reisebegleiter waren, wie schon bei der Winterlichen Reise, Zlatko Bocokič und Žarko Radakovič.

Die Anreise nach Belgrad erfolgte mit einem Flugzeug der »Yugoslav-Air-Transport« (SNR 10, eigentlich: Yugoslav-Airlines bzw. Jugoslovenski Aerotransport, seit 2013 Air Serbia, Anm.). In der Erzählung ist die Rede von »den paar Belgrader Tagen«; ein weiterer Hinweis, dass Handke sich schon vor der Lesung am 17. Mai dort aufhielt, ist der Besuch eines Fußballendspiels zwischen Roter Stern und Partizan Belgrad (SNR 11). Die damalige ORF-Korrespondentin Veronika Seyr, die Handke am 16. Mai in Zemun interviewte, berichtet von drei Tagen, an denen Handke beide Lesungen sowie Auftritte und Interviews im Serbischen Fernsehen absolvierte, somit könnte Handke am 15. Mai angereist sein (Seyr 2014, S. 330). Einer Auskunft von Thomas Deichmann zufolge, kam es jedoch bereits am 13. Mai zur Zusammenkunft in Belgrad (Deichmann reiste vom 16. bis zum 20. Mai alleine weiter durch Serbien). Von Belgrad aus führte die Fahrt über Valjevo und den Debelo Brdo am 17. Mai in den Grenzort Bajina Bašta an der Drina, der in der Winterlichen Reise noch das Reiseziel dargestellt hatte (»Anders als im Winter war die Grenzstadt an der Drina jetzt kein Ziel, sondern Durchgangsort«, SNR 21), wo sie wie schon im Winter auf den »Bibliothekar« und Radakovičs Exfrau Olga und deren Tochter trafen. Dort blieben sie bis zum 18. Mai im Hotel »Drina«.

Višegrad - Srebrenica

Richtung bosnisch-serbischer Grenze brach die Gruppe am Morgen zu einem Kurzbesuch bei »der Partisanin« Dušanka Nikolić in Perućac auf, das am Tara-Gebirge gelegen ist. Dieses und zwei Grenzkontrollen passierend, gelangten sie nach Višegrad in der Republika Srpska. Dort, »nach dem folgenden Abend, der Nacht und dem folgenden Tag«, beschreibt Handke den Zeitpunkt, ab dem es »nötig, oder nützlich [sei], zu unserer Wintergeschichte diesen Nachtrag oder Zusatz zu machen« (SNR 30). Sie nächtigten im Hotel »Višegrad« bis zum 19. Mai. Die Beschreibung der Stadt mit der Drinabrücke samt Andrić-Denkmal, dem Baden am Flussufer, dem Besuch der orthodoxen Messe, des serbischen Friedhofs und eines sonntäglichen Fußballspiels nimmt einen verhältnismäßig großen Raum in der Erzählung ein. Abends reisten sie weiter »zurück über die Grenze nach Serbien, hinauf und hinauf ins Tara-Gebirge« (SNR 60), wieder nach Bajina Bašta, um von dort am 20. Mai, am »folgenden Tag [...] zurück über die Grenze nach Bosnien zu fahren, an einer anderen Stelle, weiter die Drina abwärts, nach Srebrenica« (SNR 62). Als vierten Begleiter nennt Handke hier den »Klosterbibliothekar« aus Bajina Bašta (SNR 70). Vom Grenzübergang Bratunac gelangten sie in das vom Krieg schwer gezeichnete Srebrenica, in dem, eben angekommen, Handke sein »Problem des Weitererzählens, der Bilderbeschreibung, des Schilderns« formuliert (SNR 65). Nach einem Rundgang durch die zerschossene Stadt kam es zu einem »Zusammensitzen dann in einer gar nicht so kleinen Gruppe mit Einheimischen [...] in dem [Neben- oder Hinterraum eines Lokals, unter uns dessen Besitzer, eben der von der Haager Liste [...]« (SNR 73).

Belgrad - Priština

Nach nur wenigen Stunden des Aufenthalts, am Abend desselben Tages, verließ die Gruppe um Peter Handke Srebrenica wieder in Richtung Serbien und fuhr mit dem Auto nachts nach Belgrad zurück, wo sie am 21. Mai in der österreichischen Botschaft empfangen wurden. Am 22. Mai las Handke in Priština aus der Winterlichen Reise – die Tage »südwärts im Kosovo« bleiben aus der Erzählung allerdings ausgespart, »obwohl ohne die Tage dort das bisher Erzählte und Gefragte sich wohl anders dargestellt hätte« (SNR 87), Flugtickets in der Sammlung Peter Handke/Leihgabe Widrich belegen die Rückkehr nach Belgrad am 24. Mai 1996.

Den Zeitraum der Niederschrift gibt Handke am Ende des Sommerlichen Nachtrags mit »Juni-Juli 1996« an, somit muss er unmittelbar nach der Lesereise mit der Arbeit am Text begonnen haben, der Erzählung zufolge ohne die Zuhilfenahme schriftlicher Aufzeichnungen. »[Ich] hatte noch weniger als beim ersten Mal vor, von unserem Unterwegssein etwas aufzuschreiben, und machte mir dann auch noch weniger Notizen, nämlich keine einzige.« (SNR 10) Da er bereits am 25. Juli mit der Niederschrift seiner Romanerzählung In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus begann, musste der Essay jedenfalls vor diesem Datum abgeschlossen gewesen sein. Die Druckfahnen des Verlags waren am 8. August fertiggestellt, das Buch erschien laut Verlagsangaben am 30. September.

Im Gegensatz zur Winterlichen Reise wurde dieser Text sogleich in Buchform veröffentlicht, einen Vorabdruck in der Süddeutschen Zeitung gab es nicht. Zum Teil lässt sich aus dem dadurch eingeschränkten Leserkreis die vergleichsweise geringere Resonanz erklären (vgl. Gritsch 2009, S. 51). Ungebrochen waren, wie einer Postkarte Handkes an seinen Freund Zlatko Bocokić vom 3. Oktober 1996 zu entnehmen ist, die negativen Bewertungen in der Öffentlichkeit: »Für den "Nachtrag..." kriege ich nur Haß.« (ÖLA SPH/LW/S242) Das erste Exemplar von Sommerlicher Nachtrag zu einer winterlichen Reise überreichte Siegfried Unseld an Handke noch vor dem offiziellen Erscheinungsdatum am 21. September 1996 in Paris (Handke / Unseld 2012, S. 664). (ck)

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