ÖNB Bildarchiv

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Das muss man erstmal zusammenbringen: seit Jahrzehnten als anerkannter Fotojournalist unterwegs sein, seine Reportagen in Magazinen und Büchern veröffentlicht zu sehen, Ehrungen für sie anzuhäufen - und dabei zu sagen: "Eigentlich kenn ich mich in der Technik nicht aus."

Das klingt kokett, doch Harry Weber insistiert: Von Anfang an habe ihn das Ergebnis interessiert, das Bild, auf das er mit der Kamera im Anschlag wartet wie ein Süchtiger. Auch Filme entwickeln sei durchaus seine Sache, nicht aber die Arbeit in der Dunkelkammer, "da war ich immer schlecht, weil ich zu ungeduldig bin. Ich meide sie. Das hat mir meine Frau Marianne abgenommen." Heute noch kümmert sie sich um ihn ("Sie hält mich aus, das ist schon ein Wunder!"). Zur Zeit hilft sie ihm, die große Retrospektive seiner Arbeiten anlässlich seines 80. Geburtstages zu organisieren. Nächste Woche wird die Schau im Wiener Palais Harrach eröffnet.

Gute 50 Jahre umfasst die Retrospektive des Harry Weber, vorher hat er "leider keine Kamera" gehabt. Vorher, das war die Jugend des in Klosterneuburg geborenen, in Wien aufgewachsenen angehenden Schneidermeisters, der 1938 "aus rassischen Gründen" nach Israel emigrierte. 1945 fand er wie durch ein Wunder seinen Vater wieder, der sieben Jahre KZ überlebt hatte; seine Mutter war ermordet worden. Kaufmann hätte er werden sollen, doch Kameras interessierten ihn mehr. Also Fotograf. "Nur wusste ich nicht, wie das geht. Keine Ahnung hatte ich, hab mich aber überall beworben. Schließlich hab ich den Österreich-Chef des stern gebeten, er möge mich bei seinen Reportern lernen lassen." Statt dessen bekam er seinen ersten Auftrag: eine Gerichtsreportage in Korneuburg. Ohne Blitz, die Bilder hatten fast keinen Kontrast, doch Fotolaborantin Marianne rettete den Job.

Es folgten Jahre beim österreichischen stern, als freier Mitarbeiter, dann als Cheffotograf. Mit Wehmut erinnert er sich an das ehemalige Flaggschiff der Illustrierten; verglichen mit dem heute Üblichen habe man tolle Möglichkeiten gehabt, "verglichen mit dem National Geographic ging es natürlich bescheiden zu. Bei dem konnte zum Beispiel ein Fotograf in Tonga oder wo das war ein halbes Jahr lang auf ein einziges Bild warten ..."

Immerhin bereiste er mehrmals die ganze Welt und lebte seine Lust auf Bilder voll aus. "Hinschauen, wo normalerweise niemand hinsieht", hat er seine Arbeitsweise einmal zusammengefasst. Da werden Alltagsmomente zu Monumenten, während weltgeschichtliche Augenblicke zu ihren banalen Kehrseiten finden. Die Resultate erinnern an Fotos etwa von Cartier-Bresson oder Eisenstaedt, die er nicht zufällig als Vorbilder nennt: Weniger das Sensationelle, ins Auge Springende, mehr das schnell "aus dem Leben Gegriffene", wobei er betont, dass er beim Fotografieren (wie überhaupt in seinem Leben) immer wieder Glück gehabt habe: wenn er zufällig bei einem Autounfall dabei war oder beobachtete, wie Polizisten einen Sandler vor ein Wahlplakat schleiften, auf dem "Wir handeln" stand. Oder wenn sich aus "50 Jahren Sammelsurium von Bildern, die zufällig entstanden sind", eine Ausstellung und ein Buch über Jerusalem ergaben.

Meistens arbeitet er in Schwarzweiß, auch heute noch. "Farbe lenkt ab. Ich will das Bild, nicht die Komposition. Ich komponiere nicht, ich schieße." Geschätzte 250.000 Mal hat er seit den frühen Fünfzigern geschossen, das macht im Schnitt einen ganzen Film jeden zweiten Tag, ohne Pause. Manchmal jagte er natürlich fünf oder sieben Filme nacheinander durch die Kamera - auch das hat er beim stern gelernt: pro Film ein gutes Foto.

Seit 1984 bezeichnet er sich als Privatier, was nicht heißt, dass er sich vom Metier zurückgezogen hätte. Doch er tritt leiser, macht Bücher, bekommt Verdienstzeichen und Ehrenmedaille, "aber nicht den Staatspreis, weil ich sie geärgert hab". Wie das? "Weil ich gesagt hab, das ist doch für künstlerische Fotografie, und ich bin kein Künstler." Wieder klingt es kokett, aber wieder meint er es genau so und freut sich über die kleine Provokation.

Beim Ober des Café Landtmann bestellt er noch ein Glas Wasser ("Champagner, Herr Weber?"), bevor er seine Pillen nimmt und ohne Larmoyanz meint, er zittere schon wie Espenlaub, das mache sich auch bei seiner Fotografie bemerkbar. Immerhin zückt er gleich darauf seine Nikon und lichtet die Anwesenden ab, mit dem STANDARD-Fotografen kommt es zum Generationen-Duell, 50mm-Cartier-Bresson-Orthodoxie gegen Extrem-Zoom-Spiel.

Harry Weber wird wohl nicht zu seinem eigenen Denkmal werden (dazu sieht er auch zu jung aus). Zu den neuesten Trends in der Fotografie, der Digitalisierung und dem Imaging, hält er bewusst Distanz. Er findet, sie seien ein Schwindel, und im übrigen will er sich nicht mehr mit neuen Techniken herumschlagen. "Mein Psychotherapeut sagt, ich soll mir einen Laptop anschaffen, damit ich was zu tun habe. Aber ich bitte Sie, ich kann ja nicht einmal den Videorecorder bedienen."

Die Ausstellung Harry Weber. Ein photographisches Bilderleben, veranstaltet vom Kunsthistorischen Museum, läuft vom 11. Mai bis 1. Juli im Palais Harrach, 1010 Wien, Freyung 3, 2. Stock; täglich von 10 bis 18 Uhr. Zur Ausstellung erscheint ein Katalog im Verlag Christian Brandstätter.

© DER STANDARD

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