Die Hypnerotomachia Poliphili und ihre französische Übersetzung.
Autorin: Solveigh Rumpf-Dorner
Der Venezianische Buchdrucker und Verleger Aldo Manuzio (latinisiert Aldus Manutius) brachte zahlreiche Werke italienischer Humanisten heraus und war für seine handlichen, qualitativ hochwertigen Ausgaben antiker Klassiker bekannt; auch die ersten Druckwerke in griechischer Schrift stammten aus seiner Offizin. 1499 brachte er einen Roman mit dem rätselhaften Titel „Hypnerotomachia Poliphili“ heraus. Das erste Titelwort war zusammengesetzt aus den griechischen Wörtern für Schlaf (hýpnos), Liebe (oder sinnliches Begehren, éros) und Kampf (machē), das zweite war der Name des Helden und Ich-Erzählers, also quasi das Pseudonym des Autors, dessen eigentlicher Name auf den ersten Blick nicht zu erkennen war. Die kundigen Leser*innen konnten alles zusammen also deuten als den „Kampf des Helden um seine Liebe im Schlaf“ – oder im Traum – oder als „Liebeskampftraum“.
Wer das Buch aufschlug, erfuhr zuerst, dass Leonardo Grassi, ein Jurist aus Verona, der Geldgeber des Buchprojekts war und dieses Werk ausgewählt hatte, um es Guidobaldo da Montefeltro zu widmen, dem sehr gebildeten Herzog von Urbino, der Grassis Familie seine Gunst bewiesen hatte. Darauf folgt in Gedichtform der erste Ausblick auf den Inhalt des Buches, das von ganz neuer Art sei und für jeden Geschmack etwas zu bieten habe: Wer die „Erotik verachte“, könne sich an der „neuartigen“ Sprache und am Stil des Romans erfreuen; wem das nichts sage, der würde viel Interessantes zur antiken Kultur, Architektur und Epigraphik vorfinden. Und schließlich kämen auch die Liebhaber*innen von Natur und Gartenkunst auf ihre Rechnung – all dies im ersten Band des Werks. Im zweiten erfahre man dann mehr über Polia, die bezaubernde Geliebte des Poliphilo2, Gegenstand seiner Sehnsucht und seines „Traumliebeskampfes“.
Zu Beginn des Romans finden wir Poliphilo auf seinem Bett liegend; der Gedanke an Polia, sein Idealbild der Geliebten, lässt ihn lange keine Ruhe finden. Schließlich schläft er doch ein und findet sich im Traum in einem düsteren und unheimlichen Wald wieder, in dem Wölfe und Drachen hausen.
Als er endlich in eine freundlichere Landschaft gelangt, schlummert er dort ein, und es beginnt ein Traum-im-Traum, in dem Poliphilo arkadische Gefilde durchstreift. Er trifft auf die Reste antiker Kulturen, auf riesige Skulpturen, auf Inschriften in ägyptischen Hieroglyphen und anderen Sprachen und Schriften, auf prächtige Bauwerke und auf schöne Nymphen. Ihnen allen, der Architektur, der Epigraphik und nicht zuletzt den Nymphen, widmet er detailreichste Beschreibungen; so zieht sich die Schilderung eines einzelnen Gebäudes oft über viele Seiten. Wer das zu zäh fand und schnell wieder zur Romanhandlung weitergehen wollte, bekam trotzdem einen bildhaften Eindruck: 172 elegant ausgeführte Holzschnitte3 verdeutlichten das Beschriebene – wobei sowohl die große Zahl von Abbildungen als auch ihre Qualität keineswegs selbstverständlich für eine Inkunabel war.
Eine leichte Lektüre war das Buch dennoch nicht, denn die in der gereimten Vorrede angedeutete innovative Sprache war ein mit viel Latein und vom Autor neugeprägten Latinismen durchsetztes Italienisch, in das immer wieder griechische Ausdrücke und Phrasen (in griechischer Schrift) eingestreut waren. Hatte man sich durch das erste Drittel des Textes durchgekämpft, fand man Poliphilo im Herrschaftsgebiet der wohlwollenden Königin Eleuterilyda, die ihm die baldige Vereinigung mit Polia in Aussicht stellt. Tatsächlich trifft er, geleitet durch die Verkörperungen von Vernunft und Wille und durch erotisierende Begegnungen mit vielen schönen Nymphen erregt, schließlich eine einzelne, besonders anmutige Nymphe, in der er Polia vermutet; sie gibt sich ihm zwar erst später zu erkennen, geleitet ihn aber weiter durch die erträumte Antike, in der sie mythologischen Figuren begegnen und Zeugen antiker Riten werden. Am Meeresufer angelangt treffen sie den geflügelten Knaben Cupido, der sie auf einem Schiff zur Insel Kythera bringt, die von Venus beherrscht wird. Dort, inmitten von zauberhaften Gärten, beschließt Poliphilo den Bericht seiner bisherigen Abenteuer.
Im nun folgenden zweiten Buch der Hypnerotomachia erfährt Poliphilo von Polia selbst ihre Geschichte: Aus der Gründerfamilie Trevisos stammend, hat sie ein Keuschheitsgelübde abgelegt und dient der jungfräulichen Göttin Diana/Minerva. Unter dem Eindruck verstörender Visionen erkennt sie aber, dass sie gegen die Liebe zu Poliphilo nicht ankämpfen darf, und die Göttin Venus selbst führt die Liebenden schließlich zusammen. Doch als Poliphilo Polia küsst, löst sie sich in einer rosigen Wolke auf und entschwindet. Ihr Geliebter erwacht und erkennt, dass alles nur ein Traum war.
Wer aber war nun wirklich der Autor, der diese Fülle von Sachinformation und Phantasie in einem noch dazu sprachlich so anspruchsvollen Roman zusammengeführt hatte? Reiht man die Anfangsbuchstaben der Kapitel des ersten Bandes aneinander, so ergibt sich der lateinische Satz: „Poliam frater Franciscus Columna peramavit“ (Bruder Francesco Colonna liebte Polia sehr). So ist es wahrscheinlich, dass es sich bei Poliphilos Schöpfer um den Dominikanermönch Francesco Colonna handelt;4 andere Zuschreibungen – neben einem namensgleichen Vertreter der römischen Adelsfamilie Colonna wurde auch der Verleger Aldo Manuzio selbst schon als Autor in Betracht gezogen – scheinen unwahrscheinlich.
Obwohl die Hypnerotomachia durchaus ihre (wohlhabenden) Käufer und ihre Leserschaft fand, erschien eine zweite Auflage des Werks erst 1545 bei Aldo Manuzios Erben. Diese wurde vom gebildeten Publikum nun begeistert aufgenommen, war doch die Leidenschaft der Renaissance für die Antike und damit für deren Bildersprache auf ihrem Höhepunkt angelangt. Auch die Form des Romans entsprach dem Zeitgeschmack, denn die Wanderungen Poliphilos, der auf der Suche nach Polia den unterschiedlichsten Herausforderungen begegnet, erinnerten an die gerade so beliebten Ritterromane. Gleich im folgenden Jahr erschien daher eine französische Übersetzung von Jean Martin5 unter dem Titel „Hypnerotomachie, ou Discours du songe de Poliphile, déduisant comme amour le combat à l'occasion de Polia“6 bei Jacques Kerver in Paris.7 Diese Edition war mit einem aufwendig gestalteten Titelblatt ausgestattet sowie mit Holzschnitten, die der Erstausgabe von 1499 nachempfunden, aber dem Stil der Zeit angepasst waren.
Jean Martin, der offenbar großes Interesse an der Baukunst hatte und in den folgenden Jahren noch weitere Werke zu diesem Thema ins Französische übertragen sollte, fügte in seine Übersetzung sogar noch eine architektonische Zeichnung ein, um die detailreiche, mehrere Seiten lange Beschreibung eines prächtigen antiken Portals noch anschaulicher zu machen. Da Colonna hier genau auf die Proportionen von Bauelementen eingeht, wurde die Hypnerotomachia bisweilen sogar als in eine romanhafte Rahmenhandlung eingebettetes Architekturlehrbuch gesehen.9 Auch die Illustrationen und Erläuterungen zu Plastik und Ornamentik beeindruckten die Leser*innen. Am berühmtesten ist wohl das Bild der gigantischen Statue eines Elefanten, der einen Obelisk mit Hieroglypheninschrift auf dem Rücken trägt und dessen hohles (!) Inneres von Poliphilo durchquert wird. Dieser Holzschnitt diente unter anderem als Vorbild für die berühmte Plastik von Gian Lorenzo Bernini.10 Detaillierte Beschreibungen von Zierpflanzen und Gartenarchitektur (wie oben auf der Insel Kythera) beeinflussten die Gartengestaltung bis weit ins 17. Jahrhundert hinein.
Und schließlich enthielt das Werk zahlreiche Inschriften mit „Renaissance-Hieroglyphen“. Diese Bildsymbolik, die auf der Ästhetik altägyptischer Hieroglyphen basierte, wurde von den humanistischen Gelehrten vielfältig für Inschriften, Embleme und allegorische Darstellungen eingesetzt; um eine Schrift handelte es sich dabei allerdings nicht, und das Interesse daran führte auch kaum zu weiterer wissenschaftlicher Beschäftigung mit der ägyptischen Schrift oder deren Entzifferung. Doch galten Hieroglyphen auch als Medium zur Vermittlung hermetischen Geheimwissens. In seiner Neuausgabe der Hypnerotomachie, 1600 bei Matthieu Guillemot in Paris erschienen, macht François Béroalde de Verville die Leser*innen durch eine Vorrede auf diese „Inhalte“ aufmerksam. Er las das Buch als alchemistisches Werk und ließ das Titelblatt mit der passenden Symbolik ausgestalten.11
Dass die Österreichische Nationalbibliothek sowohl ein Exemplar der Hypnerotomachia von 1499 als auch eines der Hypnerotomachie von 1546 besitzt, verdankt sie der Sammelleidenschaft des bibliophilen Feldherrn Eugen von Savoyen. Er erwarb beide Werke für seine gigantische Bibliothek, die nach seinem Tod vom Kaiserhaus angekauft wurde. Wer sich selbst ein Bild von Poliphilos Abenteuern im Traumliebeskampf machen möchte, kann diese und weitere Ausgaben im Volltext online lesen und sich von den berühmten Holzschnitten bezaubern lassen.
Hypnerotomachia Poliphili, Venedig 1499
Hypnerotomachia, Venedig 1545
Hypnerotomachie, Paris 1546
Hypnerotomachie, Paris 1561
Le Tableav Des Riches Inventions [...] qui sont representees dans le Songe De Poliphile, Paris 1600
Über die Autorin: Mag. Solveigh Rumpf-Dorner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung von Handschiften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek.
Reiser, Thomas (Übers.): Francesco Colonna, Hypnerotomachia Poliphili. Übersetzt und kommentiert von Thomas Reiser, Breitenbrunn 2014.
Arnold, Rafael (Übers.): Poliphilos Liebeskampftraum, Berlin 2024.
1 [Colonna, Francesco]: Hypnerotomachia Poliphili, Venedig 1499. (ONB-Signatur: 4.E.9 Alt Prunk)
2 Der Name „Poliphilo” kann gedeutet werden als „Liebhaber der Polia” oder auch als „Der, der vieles liebt”- hier die Antike, die Epigraphik, die Baukunst, die Natur.
3 Der Künstler, der die Vorlagen für die Illustrationen lieferte, ist nicht (bzw. nur unter dem Namen „Meister des Poliphilo“) bekannt.
4 Francesco Colonna (1433-1527) stammte aus Venedig, war ab 1465 in Treviso als Priester tätig und verbrachte sein Leben zwischen Treviso, Venedig und Padua. Zu ihm als wahrscheinlichstem Verfasser s. u. a. Francesco Colonna, Hypnerotomachia Poliphili, übersetzt und kommentiert von Thomas Reiser. Breitenbrunn 2014.
5 Jean Martin (gest. 1553), französischer Humanist, Diplomat und Übersetzer klassischer und zeitgenössischer Werke.
6 In etwa „Hypnerotomachie oder Rede vom Traum des Poliphilus, worin der Kampf um Polia als Liebe gedeutet wird".
7 [Colonna, Francesco]; Martin, Jean (Übers.): Hypnerotomachie, Ou Discours du songe de Poliphile, Paris 1546. (ONB-Signatur: BE.7.J.8 Alt Prunk)
8 Im Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek sind das Titelblatt und die beiden ersten Holzschnitte handkoloriert.
9 Zur Architektur in der HP vgl.
Günther, Hubertus: Das Erlebnis der Architektur in der Hypnerotomachia Poliphili, in: Orelli-Messerli, Barbara von (Hrsg.): Ein Dialog der Künste, Petersberg 2021, S. 12-31.
10 Bernini (1598-1680) schuf seinen „Elefanten“ im Auftrag von Papst Alexander VII. Die Plastik schmückt seit 1677 die Piazza della Minerva in Rom.
11 [Colonna, Francesco]; Béroalde de Verville, François (Hrsg.): Le Tableav Des Riches Inventions Couuertes du voile des feintes Amoureuses, qui sont representees dans le Songe De Poliphile, Paris 1600. Zu diesem Werk und zur Rezeption der HP in Frankreich vgl.
Blunt, Anthony: The Hypnerotomachia Poliphili in 17th century France, in: Journal of the Warburg Institute, Vol. 1, Nr. 2 (Oct. 1937), Chicago 1937, S. 117-137.
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