Gott erhalte

Forschung

24.01.2019
Das besondere Objekt, Musik
Gott erhalte
Mit einer kleinen, aber gewichtigen Komposition hat Joseph Haydn Geschichte, nicht nur Musikgeschichte, geschrieben: mit seinem „Gott erhalte“, das zur Hymne der Habsburgermonarchie wurde und heute der Bundesrepublik Deutschland als Hymne dient. Die Österreichische Nationalbibliothek verwahrt die Originalhandschrift dieses Werkes.

Der Beitrag erscheint im  Rahmen der Reihe » Das besondere Objekt.

Autor: Thomas Leibnitz

„Oft habe ich bedauert, daß wir nicht gleich den Engländern ein Nazionallied hatten, das geeignet wäre die treue Anhänglichkeit des Volkes an seinen guten und gerechten Landesvater vor aller Welt kund zu thun, und in den Herzen aller guten Österreicher jenen edlen Nazionalstolz zu wecken, der zur energischen Ausführung jeder von dem Landesfürsten als nützlich erkannten Maßregel unentbehrlich ist.“ So beschrieb der Anreger des „Gott erhalte“, Graf Franz v. Saurau, 1820 gegenüber dem „Hofmusikgrafen“ Moritz v. Dietrichstein sein Motiv, die inzwischen höchst populäre und verbreitete österreichische Kaiserhymne zu initiieren. Es überrascht nicht, dass das königstreue „God save the king“ hier als Vorbild genannt wurde, nicht die revolutionäre „Marseillaise“, obwohl diese die einigende Kraft eines „Nationalliedes“ noch eindrucksvoller bewiesen hatte.


Abb. 1: Franz Josef Graf von Saurau

Damit ist ein wesentliches Entstehungsmerkmal der „Kaiserhymne“ angesprochen: Sie war das Ergebnis einer nüchternen Planung und der Überlegung, dass ein Staat in Krisenzeiten ein einigendes Identifikationssymbol wie eine Hymne dringend benötigt. Tatsächlich befand sich Österreich gegen Ende des 18. Jahrhunderts in mehrfacher Hinsicht in einer Krisensituation. Die für unverrückbar gehaltene Stellung des Monarchen schien in Frage gestellt, seit in Frankreich die Revolution das Land in seinen Grundfesten erschütterte und mit der Hinrichtung Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes der Welt vor Augen geführt wurde, wie ernst und radikal man es mit den republikanischen Prinzipien meinte. Das „Volk“ war nun zu einer eigenen politischen Größe geworden – eine Entwicklung, die in alten Monarchien wie der österreichischen mit großem Misstrauen betrachtet wurde. Nun galt es, diese Energie des Volkes in die einzig „legitime“ Richtung zu lenken: in eine Gesinnung der Dienstbarkeit und Ergebenheit gegenüber dem Monarchen. Das Element des Nationalen im ethnisch-politischen Sinn war in einem dynastisch konzipierten Vielvölkerstaat höchst unerwünscht; mit dieser Linie trat Franz II. 1792 seine Herrschaft an und behielt sie während der folgenden Jahrzehnte konsequent bei.

Ein Blick auf das Jahr 1797, das Entstehungsjahr des „Gott erhalte“, zeigt Österreich in einer politisch und militärisch durchaus prekären Situation. Der Erste Koalitionskrieg (1792–1797), der Konflikt zwischen dem revolutionären Frankreich und einem Bündnis der „alten“ Mächte Österreich, Preußen, England und Russland, neigte sich dem Ende zu und brachte vor allem Österreich in eine missliche militärische Lage. Man hatte versucht, Frankreich in einer schnellen Aktion zu besiegen und das revolutionäre Potenzial einzudämmen, doch das Kriegsgeschehen zog sich in die Länge. Preußen trat aus dem Bündnis aus, weil Österreich und Russland 1794 die dritte Teilung Polens vereinbart hatten, ohne den Bundesgenossen zu konsultieren. Zwar vermochte Erzherzog Carl, der Bruder Franz II., im folgenden Jahr gegen die Franzosen einige Siege zu erringen, doch als entscheidend erwies sich das Geschehen in Italien. Dort wurden – in Paris herrschte noch das „Direktorium“ – die französischen Truppen von General Napoleon Bonaparte kommandiert, der sich immer mehr als genialer Heerführer erwies. Er zwang den König von Sardinien zum Frieden und verdrängte die Österreicher fast völlig aus der Lombardei.

In dieser Lage, die zwar den Bestand der habsburgischen Herrschaft noch keineswegs ernsthaft bedrohte, aber trotz des Einsatzes beträchtlicher Mittel nur Gebiets- und Prestigeverluste gebracht hatte, befand sich Österreich zu Beginn des Jahres 1797. Es war nun durchaus an der Zeit, an die „treue Anhänglichkeit“ des Volkes zu appellieren und mit Hilfe eines „Nazionalliedes“ die emotionelle Beziehung der Untertanen zum Landesvater, Kaiser Franz II., zu festigen. Graf Franz v. Saurau setzte eine Initiative, indem er den Schriftsteller Lorenz Leopold Haschka mit der Dichtung eines Hymnentextes und Joseph Haydn mit dessen Komposition beauftragte.


Abb. 2: Joseph Haydn: Kaiserhymne „Gott erhalte“. Reinschrift in der Fassung für Singstimme und Klavier, 1797.

In der Vertonung musste Haydn sich an keine Vorgaben halten, und so entstand die unvergängliche Melodie des „Gott erhalte“. Viel ist über Vorbilder und Ursprünge dieser Eingebung spekuliert worden; so lässt sich etwa eine Ähnlichkeit zwischen dem Melodieduktus des gregorianischen „Pater noster“ und dem Beginn der Hymne feststellen, und es wurde auch bemerkt, dass sich in einer kroatischen Volksliedsammlung des 19. Jahrhunderts die Melodie des Kaiserliedes fast notengetreu fand – nur steht nicht fest, ob es das kroatische Lied zuerst gab, oder ob nicht umgekehrt das ungeheuer populäre „Gott erhalte“ in den Volksgesang Eingang gefunden hatte. Haydn selbst hielt sein Kaiserlied sehr hoch, wie aus einer Bemerkung gegenüber seinem Biographen Albert Christoph Dies hervorgeht: „‘Aber kurios, wenn es mich so innerlich quälet, nichts helfen will, um die Qual los zu werden, und mir fällt nur mein Lied ein: ‚Gott erhalte Franz den Kaiser‘; dann wird mir leichter, es hilft.‘ Das wundert mich nicht, sagte ich, denn ohne Schmeicheley, ich halte das Lied für ein Meisterstück. ‚Beynahe halte ich es selbst dafür, ob ich’s gleich nicht sagen sollte.‘“


Abb. 3: Joseph Haydn: Beginn des 2. Satzes des Kaiserquartetts. Farblithographie, 19. Jhdt.

Unter den unzähligen Variationen und Hommagen über das „Gott erhalte“ hat Haydn 1797 selbst die bedeutendste geschrieben: Im zweiten Satz  des Streichquartetts op. 76/3, des „Kaiserquartetts“, bildet es die Grundlage einer Folge von vier Variationen. Zu welcher Intensität der Verinnerlichung diese Melodie fähig ist, beweist sie in diesem Satz, der sich fernab jeder Demonstrationen von Virtuosität hält, zu der Variationen oft tendieren. Ein Prinzip ist durchgängig: Stets erklingt in einem Instrument die Melodie in ihrer unveränderten Gestalt. Die Majestät ist unveränderlich, nur ihr temporäres Erscheinungsbild mag sich ändern. Dass Haydn in diesem Werk viel „meint“, mehr als sich dem bloßen Hören erschließt, zeigt das Hauptthema des ersten Satzes, der mit der Kaisersphäre nichts zu tun zu haben scheint. G-e-f-d-c – so lautet seine Tonfolge, die sich als Verschlüsselung von Anfangsbuchstaben entpuppt: „Gott erhalte Franz den Cäsar“ (Kaiser); das „K“ lässt sich in den Tonbezeichnungen nicht abbilden.

Bald nach dem „Kaiserquartett“ tauchte die bereits populäre Melodie in der Komposition eines prominenten Kollegen auf: Antonio Salieri verwendete sie 1799 in seiner Kantate „Der Tyroler Landsturm“. Es ging wieder um die Kriegsereignisse; die Einnahmen aus der Kantate waren karitativen Zwecken zugedacht und dienten „zum Vortheil der durch feindliche Verheerungen verunglückten Tyroler und Vorarlberger Landeseinwohner“.  Salieri, der kaisertreue Hofkapellmeister, schildert musikalisch die Kämpfe zwischen französischen und österreichischen Truppen und weiß den österreichischen Triumph gebührend zu würdigen: Am Schluss stimmen die Sieger vereint „das österreichische Nazionallied ‘Gott erhalte Franz den Kaiser‘“ an; es kommt hier übrigens, vermutlich erstmals, zur musikalischen Konfrontation zweier Hymnen, der ebenfalls zitierten Marseillaise und des österreichischen Kaiserliedes.

Wenn zwei Hymnen für zwei unterschiedliche Staaten und Herrschaftssysteme stehen, so sorgen sie damit für klare Symbolik. Unklarer, ja ziemlich verwirrend wird es jedoch, wenn ein und dieselbe Melodie stark divergierende Inhalte verkörpert. Das blieb der Haydn-Hymne nicht erspart. Noch im 19. Jahrhundert wurde sie vielfach instrumentalisiert – einen Urheberrechtsschutz, der dies verboten hätte, gab es noch nicht – und kurzerhand für neue Texte verwendet. So musste sie das melodische Fundament eines Liedes abgeben, das Geschichte schreiben sollte: des „Deutschlandliedes“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben. „Deutschland, Deutschland über alles“ – eine Aussage, die wohl kaum Haydns Intention entsprach. Aber danach wurde nicht gefragt; es handelte sich um eine der populärsten Melodien des deutschen Sprachraums, und von ihr getragen erlebte das „Deutschlandlied“ einen Siegeszug. Es verstand sich allerdings nicht als antiösterreichisch, und seinem Text ist zu entnehmen, dass der Dichter der „großdeutschen Lösung“ zuneigte, der Vereinigung aller deutschen Länder unter Führung Österreichs: „Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt.“

Als die Habsburgermonarchie nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg zerfiel, sagte sich die junge Republik Österreich vom „Gott erhalte“ los, Deutschland hingegen erklärte das Deutschlandlied zur Nationalhymne. Nach dem ruhmlosen Intermezzo der Renner-Kienzl-Hymne kehrte auch Österreich 1929 zur Haydn-Hymne (mit einem Text Ottokar Kernstocks) zurück. Zwei Staaten und eine Hymnenmelodie. Das führte beim „Anschluss“ 1938 zu einer grotesken Situation: Die Melodie des „Gott erhalte“ stand für Schuschnigg-Österreich ebenso wie für Hitler-Deutschland. Als Kurt Schuschnigg im österreichischen Rundfunk seine Abschiedsrede hielt, ließ er seinen Worten den zweiten Satz des „Kaiserquartetts“ folgen. Viele Zeitgenossen berichten von Tränen, die damals flossen.

Die schmerzvolle politische Befrachtung des „Gott erhalte“ gehört der Vergangenheit an, und es besteht Grund, dies mit Dankbarkeit zu vermerken. Wenn heute die Variationenfolge des Kaiserquartetts erklingt, so ist sie das, was sie auch Haydns Intention gemäß sein soll: schwerelose, vollendete Musik.

Über den Autor: Dr. Thomas Leibnitz ist Direktor der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe » Das besondere Objekt kann die Originalhandschrift "Gott erhalte" bis zum 24. März 2019 im Prunksaal besichtigt werden.

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