Buch trifft Bild

Forschung

07.03.2019
Handschriften und alte Drucke
Falttafel mit der Genealogie der Habsburger und zehn prächtig kolorierten Herrscherbildnissen von Rudolph I. bis Rudolph II
“Fremde” Illustrationen in alten Drucken

Autorin: Solveigh Rumpf-Dorner

Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die bisher vorherrschenden Holzschnitt-Illustrationen in Druckwerken nach und nach vom moderneren Verfahren, dem Kupferstich, abgelöst. Damit änderte sich das Erscheinungsbild illustrierter Bücher wesentlich. Denn während die Druckstöcke der Holzschnitte leicht mit dem typographischen Satz in nur einem Arbeitsgang zu einer Text-Bild-Seite kombiniert werden konnten – beide sind Hochdrucktechniken –, erlaubte das Tiefdruckverfahren des Kupferstichs eine solche Seitengestaltung nicht. Daher wurden dem Text separat gedruckte Bildtafeln beigegeben, die vom Buchbinder entweder geschlossen am Ende des Werks oder zu den richtigen Kapiteln bzw. Stellen des Textes eingebunden werden mussten. Das eröffnete aber auch neue Möglichkeiten für die Leser: Die ganzseitigen oder auch großformatigen Illustrationen konnten nicht nur separat gedruckt, sondern auch einzeln verkauft werden. Wer auf die Bilder zum Text verzichtete, kam wesentlich billiger davon; wer sich einzelne Stiche gerahmt an die Wand hängen wollte, etwa eine berühmte Szene aus der Literatur oder Geschichte oder das Porträt einer prominenten Persönlichkeit, musste nicht das ganze Buch kaufen. Beides war natürlich auch für Verleger und Buchhändler von Vorteil.

So kann man heute ein und dieselbe Ausgabe eines alten Drucks sowohl mit oder ohne die originalen Illustrationen finden, und diese können, so vorhanden, ganz unterschiedlich ein- oder beigebunden sein. Hin und wieder trifft man aber auch auf ein Buch, das mit Hilfe „fremder“ Bilder individuell ergänzt und somit zum Unikat wurde. Einige Beispiele aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek sollen hier kurz vorgestellt werden.

Die Idee, ein unbebildertes Buch nach dem Kauf durch eine oder mehrere einzelne Tafeln zu ergänzen, ist vor allem dann naheliegend, wenn diese Beigaben dem besseren Verständnis des Textes dienen, wie etwa Landkarten, Stammbäume oder genealogische Tafeln. Ein gutes Beispiel für letzteres ist ein Exemplar der 1592 in Innsbruck gedruckten Annales Rervm Belli Domiqve Ab Avstriacis Habspurgicæ Gentis Principibus, à Rudolpho primo, vsq[ue] ad Carolum V. gestarum.1 Die Österreichische Nationalbibliothek besitzt insgesamt vier Exemplare dieser Edition der Habsburgergeschichte. Sie alle sind reich bebildert mit einem stattlichen, ganzseitigen Bildnis Kaiser Rudolfs II. (als Halbfigur), einem Porträt-Stammbaum der Familie und mit zahlreichen Wappen. Doch nur eines der Bücher2 enthält zusätzlich eine Falttafel mit der Genealogie der Habsburger und zehn prächtig kolorierten Herrscherbildnissen von Rudolph I. bis Rudolph II. (Abb. 1). Diese Tafel ist eigentlich ein Einblattdruck aus der Offizin des Cornelius Sutor in Ursel mit dem Titel Genealogia Domus Habspurgensis, Ducum Et Archiducum Austriae / Per Octavium de Strada a Rosberg. Zusammengestellt und gestaltet wurde dieses Blatt also von Octavius de Strada, Antiquar am Hof Rudolfs II. in Prag. Es erschien 1602, also zehn Jahre nach dem Buch, und ergänzt die Annales nicht nur optisch eindrucksvoll, sondern auch sinnvoll; denn der schön kolorierte Familienstammbaum auf Bl. 5v endet, entsprechend dem Zeitrahmen des Textes, mit Philipp dem Schönen. Für Leser von 1612 schloss die Tafel also die Lücke zwischen Maximilian I. und dem gerade regierenden Rudolph II. Und während die en-face-Miniaturen des Stammbaums kaum Ähnlichkeit mit anderen, gewohnten Bildnissen der Erzherzöge zeigen, konnte der Betrachter die wesentlich markanteren Profilporträts sofort wiedererkennen.


Abb. 1

Wer biographische oder historische Werke liest, möchte nur zu gerne wissen, wie er sich die „Personen der Handlung“ vorzustellen hat. Das ist umso mehr der Fall, wenn die Züge dieser Persönlichkeiten nicht, so wie im Fall der Annales, sowieso von vielen Porträts her bekannt sind. Dem Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek von Besonderes Gespräche In dem Reich der Todten3, einem fiktiven Dialog zwischen Martin Luther und dem im deutschen Exil verstorbenen Salzburger Protestanten Hans Mosegger, ist als Frontispiz eine ursprünglich als Einblattdruck erschienene, anonyme Radierung beigebunden worden. Sie zeigt vier der im Text erwähnten Persönlichkeiten der Reformation (Abb. 2). Neben Luther sind das der 1528 enthauptete evangelische Märtyrer Georg Scherer, Paul Speratus (gest. 1551) und der 1533 seines Glaubens wegen aus dem Gasteinertal nach Nürnberg ausgewanderte Martin Lodinger. Die beiden Männer in einfacher Reisekleidung und mit Rucksack, die die Spruchbänder unter den Medaillons halten, entsprechen ganz der üblichen Darstellung der „Salzburger Exulanten“ in anderen Drucken der Zeit und können so stellvertretend für Luthers „Gesprächspartner“ Hans Mosegger stehen; dieser war 1732 als einer von vielen Salzburger Protestanten verhaftet, verhört und aus seiner Heimat vertrieben worden und bereits im Juni desselben Jahres in Altenburg in Sachsen verstorben.4


Abb. 2

Dass die vier Porträts tatsächlich nur wenig Ähnlichkeit mit den dargestellten Personen zeigen, dürfte zumindest im Fall von Martin Luther vielen potenziellen Käufern des Blattes aufgefallen sein.5 Die Staatsbibliothek zu Berlin besitzt ein Exemplar des Einblattdrucks6, das lebhaft (und vermutlich nicht professionell) koloriert wurde. Beim Bildnis Luthers fällt auf, dass die weichen Linien kaum mehr an die typischen Gesichtszüge erinnern, die wir (vor allem von den Cranach-Porträts her) kennen; die im Druck ohnehin schon sehr ausgeprägte Nasolabialfalte ist durch die Kolorierung endgültig zum Schnurrbart, Luther zu einem mild blickenden Pastor des 18. Jahrhunderts geworden. (Abb. 3): » Exemplar der Staatsbibliothek zu Berlin


Abb. 3

Wann und von wem ein Text mit einem „fremden“ Bild zusammengeführt wurde, lässt sich oft nur vermuten. Im Fall von Paul Weidners Sermon, einer Konversionspredigt für die Prager Juden7, erschienen 1562 bei Raphael Hofhalter in Wien, können wir aber annehmen, dass dieses Buch gleich zusammen mit einem drei Jahre zuvor ebenfalls bei Hofhalter gedruckten (oder mit 1559 datierten) Einblattdruck verkauft wurde, der Contrafactur Pauli Weidners (Abb. 4). Das Bild im Zentrum dieses Blattes zeigt den Arzt und Hebräischprofessor Weidner, der mit Ehefrau und Kindern 1558 in Wien vom Judentum zum Katholizismus konvertiert war, mit seiner Familie unter dem Kruzifix8.


Abb. 4

Der umgebende Text in Latein, Hebräisch und Deutsch vermittelt die Essenz der christlichen Botschaft anhand einiger Bibelstellen. Mehrere erhaltene Exemplare von Weidners Sermon (aber nicht alle) enthalten diese schöne Tafel als Faltblatt. Das galt ursprünglich auch für das Exemplar der Österreichischen Nationalbibliothek9. Doch 1965 wurde die Contrafactur im Zuge einer Restaurierung vom Sermon getrennt, der damaligen Flugschriftensammlung der Nationalbibliothek übergeben und unter einer separaten Signatur aufgestellt.10 Im Allgemeinen dürfen und sollen Buch und „Begleitmaterial“ in solchen Fällen als historische (und zudem für die Leser sinnvolle!) Einheit natürlich zusammenbleiben.

Dass die so oft hilfreiche Ergänzung eines Textes durch „fremdes“ Bildmaterial auch weniger glücklich ausfallen konnte, lässt sich anhand eines Exemplars von Johannes Cuspinians Kaiserchronik11 demonstrieren. An sich hätte das 1541 erschienene, mit Holzschnitt-Portraitmedaillons ausgestattete Buch keiner weiteren Illustrationen bedurft, doch ein Vorbesitzer oder Buchhändler wollte es zusätzlich optisch aufwerten und fügte weitere, ganzseitige Bildtafeln hinzu. Drei dieser Tafeln zeigen die Kaiser Friedrich I., Heinrich VI. (Abb.5) und Heinrich VII.; diese unsignierten Kupferstiche waren, da sie mit Seitenzahlen versehen sind, offensichtlich als Bebilderung zu einem anderen Buch vorgesehen, konnten von mir aber nicht zugewiesen werden.12 


Abb. 5

Weitere 19 ganzseitige Bilder, signiert mit „Christ. Dietell“, wurden für eine 1728 bei Widmanstätter in Graz gedruckte Geschichte der steirischen Herzöge angefertigt.13 Durch das Einfügen dieser an sich schönen Stiche in das fast 200 Jahre ältere Werk wurde dieses Exemplar der Kaiserchronik zwar zu einem buchgeschichtlich interessanten Einzelstück; doch von einer sinnvollen Ergänzung kann hier keine Rede sein, denn mehrere der Bildnisse zeigen (Erz-)Herzöge, die aber nie zum Kaiser gewählt wurden. Sie wurden einfach Kaisern gleichen Namens, dazu noch keineswegs zeitlich passend, zugeordnet. So findet sich „ergänzend“ zum Holzschnittmedaillon Kaiser Otto I. (gest. 973) das Porträt Ottokar I. aus der Familie der Traungauer, Markgraf der Karantaner Mark (gest. 1075).

Dessen Sohn Ottokar II. von Steiermark, gest. 1122, wird mit  Kaiser Otto II., gest. 983, gleichgesetzt (Abb. 6),  Erzherzog Karl II. von Innerösterreich gar mit Karl dem Großen. Da Cuspinians Chronik mit der Herrschaft Kaiser Maximilians I. endet, findet Kaiser Karl V. (als Herzog von Innerösterreich/Steiermark Karl I.) hier nur Platz als Alter Ego Karls des Dicken (gest. 888). Einigermaßen sinnvoll wurden nur jene Herzöge platziert, für die sich keine namensgleichen Kaiser finden lassen: Das Bildnis Leopold I. von Österreich und der Steiermark ergänzt das Kapitel über den römischen Gegenkönig Friedrich den Schönen, Leopolds Bruder.


Abb. 6

Zur Autorin: Mag. Solveigh Rumpf-Dorner ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek.

1 Verfasst vom um 1540 verstorbenen Bibliothekar Erzherzog Ferdinands II. von Österreich und Tirol, Gerardus de Roo.

2 ÖNB-Signatur 309.864-D.Alt-Rara (Sammlung Loibl Nr. 93).

3 Besonderes Gespräche In dem Reich der Todten, Zwischen D. Martin Luthern, Und Einem den 15. Jun. 1732. zu Altenburg verstorbenen Saltzburgischen Emigranten Hannß Mosegger, Berlin 1733. ÖNB-Signatur 304.412-B.Alt-Mag

4 In den Befragungsprotokollen des Erzstifts wird Mosegger als „Burger, und Bierführer allda zu St. Johanns, bey 40 Jahren alt, sonst unverwerflich“ bezeichnet. (In: Legal- und unumstößlicher Beweiß derer von denen in dem Hohen Ertz-Stifft Saltzburg im verwiechenen 1731. Jahr in gefängliche Hafft genommenen Rädlführern … verübt- höchst- sträfflichen Mißhandlungen (etc.), Stadt am Hof 1732. 

5 Ein zeitgenössisches Porträt von Paul Speratus als Bischof von Pomesanien erinnert ebenfalls kaum an jenes auf dem Einblattdruck.

6 Die Staatsbibliothek Berlin datiert den Druck im Katalog mit 1731.

7 Weidner, Paul: Ein Sermon, durch Paulum Weidner der Ertzney Doctoren, vnd in der Hochlöblichen Vniuersitet zu Wien Hebraischer sprachen Professoren, den Juden zu Prag Anno M. D. LXI. den 26. Aprilis in jrer Synagoga geprediget, dadurch auch etliche Personen zum Christlichen glauben bekert worden, Wien 1562. ÖNB-Signatur 77.R.23.Alt-Prunk

8 Varianten dieses Bildes finden sich in Weidners Loca praecipua fidei Christianae collecta et explicata, Wien, Hofhalter 1559 und Wien, Hösch 1562.

9 ÖNB-Signatur 77.R.23.Alt-Prunk  

10 ÖNB-Signatur F 000017-B  

11 Cuspinian, Johannes; Hedio, Caspar (Übers.): Ein auszerleszne Chronicka von C. Julio Cesare dem ersten, bisz auff Carolum quintum diser zeit Rhömischen Keyser (etc.), Straßburg 1541. ÖNB-Signatur 309.926-C.Alt-Mag  

12 Die gleichen Blätter finden sich in der Porträtsammlung der Österreichischen Nationalbibliothek; diese Bilder stammen aus der Sammlung Kaiser Franz I. von Österreich, in der sich auch die korrespondierenden Porträts Ludwigs des Frommen und Phillipps von Schwaben befinden. Einige dieser Stiche werden (einzeln) im Kunsthandel angeboten und sind nicht selten. Sie stammen vermutlich aus dem 17. Jahrhundert.

13 Schez, Pierre: Historia Ducum Styriæ In Tres Partes divisa [etc.], Graz 1728. Die ÖNB besitzt mehrere vollständige Exemplare des Werks.

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