Autorin: Andrea Harrandt
Der berühmte Komponist, seine ebenso verehrte Sängergattin, ein hochkarätiges Sängerensemble aus Neapel und die mitreißende Musik Rossinis versetzten 1822 das Wiener Publikum in Euphorie. Auch die Wiener Musiker ließen sich von der Begeisterung anstecken und lieferten in kürzester Zeit Klavierauszüge, Bearbeitungen und vieles mehr. Das blühende Wiener Verlagswesen sorgte für die umgehende Verbreitung der Werke, und Rossinis Musik wurde für jedermann verfügbar.
Am 26. November 1816 war erstmals eine Oper von Gioachino Rossini in Wien erklungen: Eine italienische Operngesellschaft gastierte im Kärntnertortheater mit dem Einakter L’inganno felice, der aber ein Misserfolg wurde. Nur wenige Tage später, am 17. Dezember, versetzte Rossinis Tancredi, der schon in Italien gefeiert worden war, Wien in Begeisterung: „denn die Oper hatte einen so vollständigen Erfolg, daß die Annalen des Theaters wenig ähnliche aufweisen dürften ... Der Tonsetzer Rossini hat dadurch, daß auch das mit seinem Beyfalle bey musikalischen Werken mit Recht geitzige Publicum unserer Hauptstadt vortheilhaft über seine Arbeit entschied, seinen Ruhm für immer begründet. Tancredi wird, so vorgetragen, stets der Liebling aller Freunde des Gesanges bleiben.“ (Der Sammler, 24.12.1816)
Bereits wenige Tage nach der Premiere erschien die Ouvertüre in einer Ausgabe für Klavier zu vier Händen, Joseph Mayseder und Mauro Giuliani bearbeiteten Melodien daraus.
Auch das Wiener Volkstheater konnte daran nicht vorbeigehen: am 25. April 1817 wurde im Theater in der Leopoldstadt Tankredi. Eine komische Parodie mit Gesang in Knittelversen von Adolf Bäuerle mit Musik von Wenzel Müller aufgeführt.
Wurde hier die berühmte Arie „Ti tanti palpiti“ zu „Die Tant, die dalkerte“, so parodierte beispielsweise Ignaz Moscheles die Cavatine als musikalischen Scherz für Klavier.
Es folgten in den nächsten Jahren weitere Opern von Rossini: Ciro in Babilonia, Elisabeth, Königin von England, Othello, der Mohr von Venedig, Richard und Zoraide, Die diebische Elster, Das Fräulein vom See, jeweils in deutscher Sprache. Über Rossinis Othello, der am 29. April 1819 erstmals aufgeführt wurde, ist ein Urteil Franz Schuberts bekannt: „Letzthin wurde bey uns Othello von Rossini gegeben. Außerm Radichi wurde alles recht gut exequirt. Diese Oper ist bey weitem besser, d. h. charakteristischer als Tancred. Außerordentliches Genie kann man ihm nicht absprechen. Die Instrumentirung ist manchmahl höchst originell, auch der Gesang ist es manchmal, u. außer den gewöhnlichen italienischen Gallopaden u. mehreren Reminiscenzen aus Tancred.“ (Brief vom 19.5.1819). Einen musikalischen Niederschlag fand Rossinis Tancredi in Schuberts Ouvertüre „im italienischen Stile“ D 590.
Der heute noch so beliebte Barbier von Sevilla konnte bei seiner Wiener Erstaufführung 1820 nicht begeistern: „Dennoch machte die Oper kein sonderliches Glück, was zum Theile der Erinnerung, zum Theile aber den zu hoch gespannten Erwartungen des Publicums beyzumessen ist.“ (Allgemeine musikalische Zeitung mit besonderer Rücksicht auf den österreichischen Kaiserstaat, 23.12.1820)
Kurz vor seinem Aufenthalt in Wien, im Jahr 1821, hatte Rossini die Arie für Tenor und Klavier Beltá crudele auf einen Text von N. di Santo-Magno komponiert. Das Autograph kam 1829 als Geschenk der Gräfin Apponyi an die Wiener Hofbibliothek. Therese Gräfin Apponyi, geborene Nogarola, war seit 1808 mit Anton Graf von Apponyi verheiratet und selbst eine ausgezeichnete Sängerin. Es handelt sich um das einzige Rossini-Autograph, das die Österreichische Nationalbibliothek heute besitzt.
Am 23. Februar 1822 meldete die Wiener Theater-Zeitung: „Auch Rossini wird nächstens erwartet. Dem Vernehmen nach, wird er zuerst im k. k. Hoftheater nächst dem Kärnthnerthor die Aufführung des ‚Fräuleins vom See‘ dirigiren.“ Am 23. März schließlich kam Rossini mit der Sängerin Isabella Colbran, die er kurz vorher in Castenaso bei Bologna geheiratet hatte, in Wien an und stieg im Gasthaus „Zum goldenen Ochsen“ in der Seilergasse, Innere Stadt 1086, ab, wie die Wiener Zeitung am 27. März 1822 meldete: „Hr. Joachim Rossini, Opern-Director, mit 6 Sangvirtuosen, von Neapel“.
Als erstes Werk wurde Aschenbrödel in deutscher Sprache einstudiert und am 30. März mit dem Wiener Publikumsliebling Anton Forti erstmals aufgeführt. Kurz darauf veröffentlichte Anton Diabelli einen Aschenbrödel-Walzer, Hieronymus Payer Favorit-Stücke nach Themen aus Aschenbrödel.
Nur wenige Tage vor Rossini hatte sich Carl Maria von Weber in Wien aufgehalten. Am 7. und 9. März 1822 dirigierte er seinen Freischütz, der am 4. November 1821 mit großem Erfolg erstmals im Kärntnertortheater erstaufgeführt worden war. „Als er in das Orchester trat, empfing ihn ein Beyfallssturm, wie wir uns nicht erinnern können, gesehen zu haben“, berichtete die Allgemeine musikalische Zeitung (18.3.1822). Die beiden Komponisten begegneten einander nicht persönlich – Weber reiste am 20. März ab –, wurden aber in einer Musikalischen Skizze von Hieronymus Payer vereint: Motive aus Webers Freischütz, Lützows wilde Jagd und Jubel-Ouvertüre wechseln mit Motiven aus Rossinis Diebischer Elster, Richard und Zoraide, Zelmira, Othello und Corradino ab.
Am 4. April kündigte die Wiener Zeitung "Das wohlgetroffene Portrait des Hrn. Rossini" an, das vom Lithographen und Zeichner Adolph Kunike gestaltet wurde und beim Wiener Verleger S.A. Steiner in der Reihe Gallerie der Tonsetzer und Tonkünstler älterer und neuerer Zeit veröffentlicht wurde.
Rossini war gern gesehener Gast bei Gesellschaften. „Er ist ein sehr gebildeter Mann, von angenehmen Sitten, empfehlender Gestalt, voll Witz und Laune, heiter, zuvorkommend, höflich, und wahrhaft humoristisch.“ (Allgemeine musikalische Zeitung, 8.5.1822). Ein Zusammentreffen mit Beethoven, das sich Rossini gewünscht hätte, ist nicht nachweisbar.
Alle weiteren Werke Rossinis wurden in italienischer Sprache mit den Sängern der italienischen Gesellschaft einstudiert. Am 13. April 1822 gab Isabella Colbran als Zelmira in der Wiener Erstaufführung dieses Werkes ihr Debüt. „Der Meister hatte wohl das Ganze einstudirt, und in die Scene gesetzt, dirigirte aber nicht selbst, indem er sich mit seiner Unkunde in diesem Geschäfte, welches in Italien dem ersten Violinispieler obliegt, entschuldigte, und zugleich als feiner Weltmann dem Orchester das Compliment machte, dass es bey eigener Vortrefflichkeit fremder Beyhülfe entrathen, und, ihre gewohnten Heerführer an der Spitze, stets des Sieges gewiss seyn könne …“, berichtete die Allgemeine musikalische Zeitung (29.5.1822). Bald erschien nicht nur der vom Komponisten autorisierte Klavierauszug des Werkes, sondern auch Variationen über eine darin von Isabella Colbran gesungene Cavatine von Joseph Czerny.
Wieder wurden zahlreiche Bearbeitungen veröffentlicht: Anton Halm widmete Rossini seine Introduzione e Variazioni, Hieronymus Payer und Friedrich Stein schrieben jeder einen Zelmira-Walzer, Frederic Spina Variationen für Gitarre, J. P. Pixis Variationen für das Pianoforte und Violine.
Die Premiere von Corradino, ossia Bellezza e cuor di ferro am 7. Mai 1822 dauerte vier Stunden, was beim Wiener Publikum nicht sehr gut ankam: „Die erste Vorstellung währte über vier Stunden; das wollte den lebensfrohen Wienern, die vor Mitternacht auch noch den Tafelfreuden zu huldigen pflegen, keineswegs zusagen ... Somit war die Aufnahme bey einer ziemlich allgemein sich ausbreitenden Verstimmung einigermaassen [sic] lau, weswegen der Autor für den nächsten Abend beträchtliche Kürzungen vornahm, wodurch die ewigen Wiederholungen, die für den Componisten beym Instrumentiren gar so bequemen come sopra’s, in die Brüche fielen, und das Ganze an Gedrängtheit und Ründung gewann.“ (Allgemeine musikalische Zeitung, 10.7.1822). Bereits die zweite Aufführung am 9. Mai fand mit den von Rossini gestatteten Kürzungen statt.
Am 30. Mai folgte Elisabetta, Regina d’Inghilterra, ein Werk, das bei seiner Wiener Erstaufführung 1818 im Theater an der Wien wegen der Sänger keinen Erfolg gehabt hatte. „Man hat dieser Oper früher viele Vorwürfe gemacht, heute vergaß man auf alle; so viel vermag eine treffliche Aufführung … Rossini wurde gleich nach dem Quartett und noch öfter gerufen. Der Beifall war allgemein und enthusiastisch“, berichtete die Wiener Theater-Zeitung (8.6.1822).
La gazza ladra wurde am 21. Juni 1822 erstmals in italienischer Sprache aufgeführt und rief große Begeisterung hervor: „Die Fanatiker erhoben wieder ein stentorisches Geschrey; der Meister musste sich gleich nach der Ouverture zeigen, andere wurden nach beliebten Piecen vier bis fünfmal hervorgerufen, wie es nun schon die grassirende Epidemie mit sich bringt, gegen welche noch kein Arzt ein heilsames Präservativ herausgeklügelt hat, weil sich die Patienten in ihrem exaltirten Zustande wohlgefallen, und hartnäckig jedes, die nüchterne Besonnenheit zurückbringende Mittel verschmähen …“ (Allgemeine musikalische Zeitung 31.7.1822).
Wenige Tage zuvor, am 13. Juni, war in der Allgemeinen Theaterzeitung bereits ein Rossini gewidmetes Abschiedsgedicht erschienen:
Auch Rossini wandte sich in einem Lebewohl an die Bewohner*innen Wiens, dessen Text in einem unbezeichneten Druck erschien, die Vertonung – eine Arie mit kühnen Koloraturen, die erstmals am 8. Juli 1822 vom Tenor Giovanni David gesungen wurde – hingegen beim Lithographischen Institut.
Am 8. Juli 1822 wurde Ricciardo e Zoraide erstmals in italienischer Sprache, „In einem Act zusammengezogen, mit Beybehaltung und Veränderung der besten Musikstücke und des vorzüglichsten Theils der Handlung“ aufgeführt, nach der wenig erfolgreichen Wiener Erstaufführung im Jahre 1819: „Das Publikum nahm diese Oper, welche in deutscher Sprache, freylich bey mangelhafter Besetzung ziemlich unbeachtet vorüber zog, mit rauschendem Beyfall auf … Uebrigens versteht es sich von selbst, dass alle Sänger nach jedem Musikstück ein oder auch zweymal, und der Maestro am Schlusse der Aufzüge fora – gebrüllt wurde.“ (Allgemeine musikalische Zeitung 10.7.1822)
Die letzte Vorstellung der Zelmira fand am 20. Juli statt: „Dem Publikum Wiens wurde heute eine beliebte Oper zum letzten Mahl gegeben. Mit dem Abschiede der ‚Zelmira‘ gingen auch Herr und Mad. Rossini von uns, die einen so auszeichnenden Antheil hier gefunden.“ (Wiener Zeitung 27. 7. 1822). Am 24. Juli fand die letzte italienische Opernvorstellung statt. Die Wiener Zeitung meldete am 25. Juli: „Abgereistet. Den 22. July. .. Hr. Joachim Rossini, Compositeur, sammt Gattinn, nach Bologna.“
„Die italienische Operngesellschaft hat uns verlassen, sich aber durch einen großen und allgemeinen Eindruck auf alle Unbefangenen unvergeßlich gemacht. Unser Publikum hat von den ersten Vorstellungen an, unpartheisch und gerecht, die schönen und zum Theil seltenen Verdienste der Glieder dieser Gesellschaft gewürdigt und sie durch auszeichnenden Beifall aufgemuntert und belohnt, wo sie es verdienten …“ (Wiener Theater-Zeitung 3. 8. 1822)
Tancred, Der Barbier von Sevilla und Das Fräulein vom See standen – wieder in deutscher Sprache – den Sommer über weiter auf dem Spielplan des Kärntnertortheaters. Und dennoch schien etwas zu fehlen:
„Verwais’t ist nun diese Bühne, in tiefer Trauer die Kaiserstadt, denn die italienischen Gesangshelden haben ihren Rückzug angetreten; Maestro Rossini sammt Gattin bildeten den Vortrab, die übrigen machten paarweise die Nachhut.“ Die letzten Vorstellungen hatten das Wiener Publikum nochmals in Begeisterung versetzt: „Da ging es denn in der That voll und toll genug zu; als ob die ganze Versammlung von der Tarantel gestochen wäre, glich die ganze Vorstellung einer Vergötterung; das Lärmen, Jubeln, Jauchzen, viva und fora Brüllen nahm gar kein Ende …“ (Allgemeine musikalische Zeitung 4. 9. 1822)
Über die Autorin: Frau Dr. Andrea Harrandt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
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