Auf der Suche nach neuen Methoden zur Erhaltung fragiler textiler Bucheinbände.
Autorinnen: Sabrina Bee und Birgit Speta
Seit 2022 sind Textileinbände aus dem Gründungsbestand der Österreichischen Nationalbibliothek Gegenstand eines Konservierungsprojektes, das an dieser Stelle vorgestellt wird. Der Gründungsbestand umfasst insgesamt etwa 15.500 Handschriften, deren Umlagerung in archivbeständige Boxen im Jahre 2020 abgeschlossen werden konnte. Im Zuge dieser Umlagerung wurde eine umfassende Bestands- und Schadenserfassung durchgeführt, die die Auswahl von Textileinbänden für das aktuelle Projekt ermöglichte.
Die im Verhältnis geringe Zahl textiler Einbände lässt ihre Exklusivität erahnen. Textilien wie Samt, Brokat und Seide sind aufgrund ihrer Fragilität als Einbandmaterial normalerweise nicht die erste Wahl für oft stark beanspruchte Bucheinbände. Ab dem 15. Jahrhundert wurden diese Textilien jedoch für besonders wertvoll gebundene Gebetbücher oder Widmungsexemplare hochgestellter Persönlichkeiten verwendet. Viele Vorbesitzer*innen dieser in der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien aufbewahrten Codices gehörten dem Haus Habsburg an.
Materialtechnisch reicht das Spektrum von schlichten einfärbigen Bezügen aus Seide bis hin zu aufwändigen Mischtechniken. Eine für Kaiser Maximilian II. 1568 geschriebene Abhandlung über Spieße (Cod. 10883) besitzt einen schwarzen Samteinband, der zusätzlich mit gestickten Applikationen versehen ist. Der Samtbezug einer in Venedig entstandenen Instruktion für einen Podesta in Padua aus dem frühen 17. Jahrhundert (Cod. 12816) ist mit aufgeklebten Zeichnungen (Markuslöwe, Wappen von Padua) und handvergoldeten Blindstempeln verziert.
Die Empfindlichkeit dieser hochwertigen und oft kunstfertig verzierten Textilien war der Ausgangspunkt dieses Projektes. Für Buchrestaurator*innen ist die Bearbeitung von Samt, Seide und Stickereien Neuland. Mit der fachlichen Unterstützung einer Textilrestauratorin, Frau Silvia Zechmeister, Mitarbeiterin der Textilrestaurierung Neugebauer, werden Methoden der Textilrestaurierung für die Erhaltung von Bucheinbänden adaptiert.
Anhand zweier Fallbeispiele soll exemplarisch gezeigt werden, wie die Textileinbände restauriert, konserviert und mit neuen Schutzbehältnissen versorgt wurden.
Der am kunstfertigsten verzierte Textileinband dieses Konvoluts ist der bereits erwähnte schwarze Samtband mit Abhandlungen über Spieße (Cod. 10883). Die Handschrift „Hastarum quadraginta et duarum bipennium figurae pictae epigrammatibus italicis illustratae“ von Giacomo Antonio Locarno enthält nebst Sonetten auch kolorierte Federzeichnungen. Sie wurde 1568 in Mailand für Kaiser Maximilian II. angefertigt. Der Einband ist mit schwarzem Samt überzogen, auf dem Stickapplikationen aus goldenen und färbigen Fäden angebracht sind. Auf Vorder- und Rückendeckel findet sich ein großes, goldgesticktes „M“, das für den Namen Maximilian steht. Die Schriftbänder wollen den Machtanspruch des Herrschers bestätigen: „Tibi soli oriens at qui occidens obediet“ („Dir allein wird der Osten und der Westen gehorchen“).
Der wesentliche Schaden fand sich am Samt mit dem der Einband überzogen war. Am Buchrücken war er nur mehr fragmentarisch erhalten und an den Deckelkanten hatten sich mehrere Fehlstellen gebildet. Der Samtflor fehlte auf den Rückenfragmenten vollständig, sowie in einigen Bereichen auf den Deckeln. Das Gewebe ist sehr brüchig, was unter anderem auf die Färbung mit Eisengallustinte zurückgeführt werden kann, welche – ähnlich wie bei Papier – durch Oxidation die Fasern geschädigt hat. Von der goldenen Stickapplikation an den Deckelrändern standen Fäden ab. Aufgrund gerissener Heftfäden waren auch die Lagen im Buchblock nicht mehr stabil miteinander verbunden und die Kapitale waren nur mehr fragmentarisch vorhanden.
Die erste Überlegung war, ob der stark beschädigte Textilrücken näh- oder klebetechnisch ergänzt werden sollte. In den meisten Fällen ist bei diesen Textilien eine nähtechnische Konservierung vorzuziehen, da Klebstoff das Gewebe durchdringen, Wasserränder erzeugen und die Stoffeigenschaften verändern kann. In diesem Fall fiel die Wahl jedoch auf die klebetechnische Methode, da die Einstiche mit der Nadel und der leichte Zug des Fadens das brüchige Textil weiter schädigen hätte können.
Eine weitere Frage war, wie der Rücken gearbeitet werden sollte. Ursprünglich hatte der Band einen festen Rücken, das heißt, dass der Samt direkt auf der Rückenhinterklebung am Buchblock aufgeklebt war. Dadurch ist das Überzugsmaterial bei jeder Öffnung des Buches starken Bewegungen und Spannungen ausgesetzt. Deshalb wurde entschieden, den Rücken hohl zu arbeiten, wodurch sich der Einbandrücken bei einer Öffnung des Buches vom Buchrücken abhebt und seine Form bei richtiger Handhabung weitestgehend beibehalten kann.
Der Einband wurde zuerst trocken mit einem Polyurethanschwamm, sowie mit einem weichen Pinsel und einem Mikrostaubsauger gereinigt. Um dabei die Beschädigung oder Entfernung von fragilen oder losen Fäden zu verhindern, wurde dies unter der Lupe durchgeführt und die Düse des Staubsaugers mit Tüll überspannt.
Lose und abstehende Fäden der gestickten Applikationen wurden mit einem Gemisch aus Acrylkleber Lascaux 498HV und Weizenstärkekleister (1:1) gesichert.
Um den fragilen Samtüberzug während der Restaurierung des Buchblocks vor mechanischen Schäden zu schützen, wurden die Deckel während dieser Arbeiten in Papierumschläge gehüllt.Die Kapitale und die Heftung wurden stabilisiert und der Buchrücken neu hinterklebt. Da der Rücken in weiterer Folge hohl gearbeitet werden sollte, wurde eine Rückeneinlage angefertigt, die direkt am Buch geformt wurde.
Dafür wurde der Buchrücken zum Schutz mit einer Folie abgedeckt und darauf mehrere Lagen Japanpapier kaschiert. Die so hergestellte passgenaue Rückeneinlage wurde nach der Trocknung für die weitere Bearbeitung an den seitlichen Rändern des Buchblockrückens fixiert.
Vor der Fehlstellenergänzung im Samtüberzug wurde das Originaltextil an den Rändern der Fehlstellen mit Hilfe eines Aerosolverneblers sanft befeuchtet und ein paar Millimeter breit abgelöst, so dass das Ergänzungsmaterial darunter geschoben werden konnte. Für die Ergänzung der Fehlstellen wurde ein Leinengewebe gewählt das in der Materialstärke, sowie Struktur der Kett- und Schussfäden dem Original sehr ähnlich ist.
Nach dem Auswaschen der Appretur wurde das Textil mit Solophenyl Farben auf den Farbton des Originals eingefärbt. Um das neue und danach das originale Textil zu verkleben, wurde der Deckel abschnittsweise mit Klebstoff eingestrichen, das Gewebe aufgelegt und mit einer Heizspachtel bei geringer Wärme angeklebt.
Durch den Auftrag des Klebstoffes auf die Deckel, anstatt auf das Textil, konnte ein Verziehen des Gewebes verhindert werden. Es war wichtig, den Klebstoff sehr präzise und in der richtigen Menge aufzutragen, um zu verhindern, dass er das Gewebe durchdringt oder am Rand herausgepresst wurde. Auf diese Weise wurden der Rücken und die Deckelkanten mit neuem Textil überzogen und das Originaltextil wieder darauf verklebt.
Als Klebstoff kam auch hier eine Mischung von Acrylkleber Lascaux 498 und Weizenstärkekleister (1:1) zum Einsatz, die sich in den vorangegangenen Tests für dieses Projekt als am besten geeignet erwiesen hatte. Nach der Restaurierung kann auch dieser Textilband wieder benützt werden, wenn auch aufgrund des sensiblen Materials weiterhin mit großer Vorsicht.
Ein Beispiel für einen Samteinband ohne Verzierungen ist der Codex 11398, eine Handschrift in lateinische Sprache aus dem 17.Jahrhundert (Theoria et praxis lapidis philosophorum; Rain, Janez Friderik, 1613). Ursprünglich war der gesamte Einband mit grünem Samt überzogen. Der Flor ist jedoch zur Gänze verloren gegangen, so dass nur mehr das Grundgewebe aus Seide übriggeblieben ist. Am Rücken und an den Deckelrändern fehlt das Textil vollständig. Von den Deckeln hatten sich die Seidenfragmente an den Rändern abgelöst und waren teils stark zerknittert und verschmutzt. Sie wurden mit PU Schwämmen gereinigt, abgesaugt und mit dem Aerosolvernebler befeuchtet, um sie anschließend zwischen Löschkartons gleichzeitig zu trocken und zu glätten. Die Löschkartons zogen auch noch weiteren Schmutz aus dem Textil heraus.
Bei diesem Band wurden die Fehlstellen nicht ergänzt, sondern die Seide niedergeklebt und damit gesichert. Der Klebstoff wurde auf die Deckel gestrichen, die Seide aufgelegt und mit einer Heizspachtel leicht angedrückt. Der Einbandrücken und die Deckelkanten bleiben ohne Überzug, somit bedarf der Band auch nach der Restaurierung – wie auch alle anderen Textileinbände – einer sorgfältigen Handhabung und eines besonderen Schutzbehältnisses.
Die Textileinbände werden in Boxen aus Wellkarton aufbewahrt, in welchem ein Wellkartonrahmen mit zwei Eingriffslöchern liegt. Zusätzlich trägt der Textileinband einen Schutzumschlag aus archivbeständigem Papier und liegt in einer Flügelmappe, so dass auch die Deckelkanten vor mechanischer Beschädigung geschützt sind. Auf jeder Mappe ist jeweils ein Bild des Einbandes angebracht, damit auch ohne deren Öffnung der Inhalt zu erkennen ist. Weiters liegt jeder Box eine bebilderte Anleitung für den richtigen Gebrauch der Handschrift bei, so dass Schäden durch Benützung minimiert werden können.
Durch das hier beschriebene Projekt wird eine wichtige Grundlage für die Restaurierung und Konservierung von textilen Einbänden an der Österreichischen Nationalbibliothek geschaffen. Die dabei erarbeiteten Methoden können auch auf andere Samt- und Seidenbände angewandt werden. Unser Ziel ist es, diese Techniken weiterzuentwickeln.
Zu den Autorinnen: Sabrina Bee und Mag. Birgit Speta sind Mitarbeiterinnen des Instituts für Restaurierung der Östereichischen Nationalbibliothek.
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