Zwei Matches einer Studentenmannschaft aus Oxford gegen eine österreichische Auswahl auf dem Wiener WAC-Platz 1899 waren richtungsweisend für die Entwicklung des Fußballs in Österreich.
Autorin: Michaela Pfundner
Das erste „offizielle" Fußballspiel in Wien fand am 15. November 1894 auf der Döblinger Kuglerwiese zwischen den beiden Wiener Vereinen „First Vienna Football Club" und den „Cricketers“ statt; - die Begegnung endete 4:0 für die Cricketers. Das Gründungsdatum dieser beiden Clubs liegt nur einen Tag auseinander, aber die Vienna hatte die Nase vorn und durfte sich daher mit dem Zusatz „First" schmücken. Die Spieler der Vienna rekrutierten sich überwiegend aus den englischen Gärtnern des Rothschild-Gartens im 19. Wiener Gemeindebezirk. Bei den Cricketers spielten zahlreiche in Wien lebende englische Geschäftsleute.
Gekickt wurde aber auch und vor allem auf den zahlreichen Praterwiesen im zweiten Wiener Gemeindebezirk, so auf dem seit 1896 bestehenden WAC-(Wiener Athletiksport-Club)Platz und auf der gleich vis-a-vis liegenden Jesuitenwiese. Die damalige Spielweise bestand in erster Linie darin, den Ball möglichst rasch in das gegnerische Tor zu befördern, es gab kaum koordiniertes Zusammenspiel und Kopfbälle (da viele Spieler während des Matchs auch Kopfbedeckungen trugen). Fußballschuhe mit Stoppeln waren ebenfalls noch unbekannt. Tornetze gab es erst ab 1897, davor behalf man sich mit zwei Bambusstangen, die oben durch einen Gurt verbunden waren.
Der einzig zugelassene Fußballplatz des Praters war der schon angesprochene WAC-Platz. Die Genehmigung kam vom Obersthofmeisteramt: Als Pachtzins musste das gemähte Gras an das Praterinspektorat abgegeben werden. Alle anderen Praterwiesen durften eigentlich offiziell nicht bespielt werden, auch aus Rücksicht auf SpaziergängerInnen und erholungsuchenden WienerInnen. Trotzdem fanden sich immer wieder junge Männer auf den verschiedensten Wiesen ein, um dort diesem in Wien relativ neuen Ballsport zu frönen. So begann auch die Karriere des jungen Wiener Spielers Max „Mac John“ Leuthe, der nach seiner aktiven Laufbahn bei den Cricketers als Journalist und Karikaturist - auch als Teilnehmer an den Spielen 1899 - tätig war. Auf dem Mannschaftsfoto ist er an seinem hellen Barrett erkennbar.
Die meisten Fußballmannschaften waren gemischt, d.h. es gab neben den österreichischen Spielern auch eine große Anzahl von in Wien lebenden und arbeitenden Engländern, die hier ihrem Hobby nachgingen und in großem Maße dazu beitrugen, diesen Sport in Wien zu popularisieren.
Wer waren nun diese englischen Spieler in den Wiener Mannschaften? Eine bunte Truppe aus unterschiedlichsten Branchen, einige davon werden uns auch bei dem hier abzuhandelnden Spiel begegnen. Es sind Mitarbeiter des Reisebüros Thomas Cook & Sons (Mark Nicholson, ein Pionier des österreichischen Fußballsports!), Vertreter von Underwood Schreibmaschinen (Edward Shires), der Direktor von Clayton & Shuttleworth, aber auch der Reverend der englischen Kirche oder der Mitbesitzer des Modehauses Stone & Blyth (Ernest Blyth). Bereits vor 1899 fanden regelmäßige Spiele statt, 1896 bzw. 1897 kamen erstmals Prager und Budapester Mannschaften nach Wien.
Es wurden auch Wettbewerbe abgehalten, z.B. 1898 das „Kaiser-Jubiläums-Turnier". In den Zeitungen berichtete man mittlerweile regelmäßig über Fußballmatches. Dies führte zu einer weiteren Popularisierung des Sports und zu höheren ZuschauerInnenzahlen. Das Publikum in dieser Frühzeit rekrutierte sich vorwiegend aus bürgerlichen Kreisen.
Wie kam es nun am Ostermontag 1899 zu diesem legendären und auch richtungsweisenden Spiel im Wiener Prater? Eine Oxforder Studentenmannschaft unternahm eine Europatournee, um dem kontinentalen Fußballmannschaften die englische Spielweise näherzubringen.
Im Rahmen dieser Reise kamen die sogenannten „Oxonians" auch nach Budapest und Prag, wo sie in ihren Spielen klare Siege einfuhren. Der Weg führte sie dann weiter nach Wien, wo zu Ostern 1899 zwei Spiele auf dem Programm standen. Das erste Spiel fand am Ostersonntag statt, gegen die „Wiener Deutschen", d.h. ein rein österreichisches Team. Dieses Match endete mit einem klaren 15:0 - Kantersieg der englischen Studentenmannschaft, die Österreicher wurden vorgeführt und konnten nicht eine einzige Torchance herausspielen. Am darauffolgenden Ostermontag stießen die Engländer auf eine Mannschaft, die aus Wiener und englischen Spielern zusammengesetzt war.
Von der Vienna waren drei Spieler nominiert, darunter der Tormann Karl Mollisch sowie acht Feldspieler von den Cricketers. Dieses Match versprach eine bessere Vorstellung des österreichischen Teams und fand vor den Augen von ca. 1000 BesucherInnen statt, darunter auch zahlreiche Prominenz, die man eher nicht auf dem Fußballplatz vermuten würde und die nun ZeugInnen einer 0:13-Niederlage der Wiener Mannschaft wurden.
Unter den Gästen befanden sich der erste und zweite Obersthofmeister, die Fürsten Liechtenstein und Montenuovo sowie der österreichische Kriegsminister (!) mit dem passenden Namen Krieghammer, der von seiner Ehefrau zum Spiel begleitet wurde. Auch zahlreiche weitere Aristokraten, darunter Mitglieder der Häuser Fürstenberg, Hohenlohe und Kinsky, meist in Damenbegleitung, ließen sich dieses Match nicht entgehen. Und last but not least beobachtete der prominente US-amerikanische Schriftsteller Mark Twain das Match. Er hielt sich seit September 1897 im Rahmen einer ausgedehnten Europareise in Wien auf und verließ Wien nach absolvierter Privataudienz bei Kaiser Franz Joseph Ende Mai 1899.
Beim Bankett zu Ehren der Oxonians ergriff er das Wort, wie die Tagespresse ausführte: „In launiger Weise erklärte er, Fußball bis jetzt nicht gekannt zu haben, aber dennoch habe er dem heutigen Wettspiele beigewohnt. Dort angekommen, habe er gefragt, was dies sei, man antwortete ihm, Fußball und so wolle er es auch glauben. Das Spiel hätte ihm so gut gefallen, daß er es selbst erlernen möchte, aber er fürchte, zu jung dafür zu sein."2
Von diesen beiden Spielen nahm die zeitgenössische Presse ausgiebig Notiz und versorgte die LeserInnen mit ausführlichen und teils blumigen Schilderungen des Spielverlaufs. Den ausführlichsten und fundiertesten Bericht brachte naturgemäß die „Allgemeine Sport-Zeitung" und berichtet über das Spiel am Ostermontag: „Die Oxforder glänzten durch ihre universelle Einzelausbildung, die sich harmonisch in den Rahmen der Gesammtheit fügte und ein Zusammenspiel ermöglichte, das zur Bewunderung hinreissen musste. Man stand vor etwas Neuem, Ungeahntem. Diese Balltechnik, diese feine Taktik - das Resultat wohldurchdachter und blitzschnell ausgeführter Combinationen - hat man auf dem Continent noch nicht geschaut; es war einfach possirlich mitanzusehen, mit welcher Verblüffung die Unserigen in der Zeit von zwei Minuten drei Bälle der Oxforder in's eigene Netz fliegen sahen, ohne diesen ernstlich Widerstand entgegensetzen zu können!"3
Aber auch eine der wenigen Torchancen der Wiener Mannschaft wurde gewürdigt: „Plötzlich ungeheurer Jubel! Die Rothweißen machten einen unvermutheten Vorstoß, bei welchem sich Shires besonders auszeichnete: er brachte den Ball bis zur Eckfahne und sandte ihn mit einem schönen Schuß ins Goal der Oxonians. Die Freude des Publicums, welches sich in einen wahren Beifallssturm äußerte, was aber zu voreilig, denn der Ball war früher, was die meisten Zuschauer übersehen hatten, out gegangen und so mußte leider das erzielte Goal annulirt werden“.4
Erstmals nahm auch ein Fotograf des Ateliers Lechner/Müller von diesem zweiten legendären Spiel im Wiener Prater Notiz. Dieses renommierte, seit 1889 bestehende Fotostudio fotografierte hauptsächlich Tagesgeschehen: wichtige Wiener Ereignisse, wie Eröffnungen oder Grundsteinlegungen, Aufmärsche und Feierlichkeiten, oft auch unter prominenter Beteiligung, allen voran Kaiser Franz Joseph. Damit stieß das Atelier Lechner/Müller in die damals illustrierte Presse vor, die seit kurzem technisch in der Lage war, Fotografien zu reproduzieren. Man belieferte Zeitungen wie „Das Interessante Blatt“ oder die „Wiener Bilder“ mit aktuellem Bildmaterial von berichtenswerten Wiener Ereignissen.
Im Falle dieses Fußballspieles versuchte man neben statischen Mannschaftsfotos auch - mit gebührendem Abstand vom Geschehen - die Dynamik des Spiels einzufangen und so den ZeitungsleserInnen einen realistischen und hautnahen Eindruck des Geschehens zu übermitteln. Zwei Fotos des legendären Matches wurden großformatig im „Interessanten Blatt" abgedruckt.5
Damit wurde der zunehmenden Sportbegeisterung Rechnung getragen. So fotografierte Lechner/Müller auch Radrennen im Prater oder Eisläufer*innen am Wiener Heumarkt.
Über die Autorin: Mag. Michaela Pfundner ist stellvertretende Leiterin von Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Titel: Neue Freie Presse, 4.4.1899, S 4.
2 Neue Freie Presse, 4.4.1899, S.4
3 Allgemeine Sport-Zeitung, 9.4.1899, S. 386
4 Deutsches Volksblatt, 4.4.1899; S.7
5 Das Interessante Blatt, 13.4.1899, S.6
Eppel, Peter (Hg.), Wo die Wuchtel fliegt, Wien 2008
Marschik, Matthias, Vom Herrenspiel zum Männersport, Wien 1997
Österreichischer Fußballbund (Hg.), Geschichte des österreichischen Fußballsports, Wien 1964
Schidrowitz, Lothar, Geschichte des Fußballsports in Österreich, Wien 1951
Schmieger, Willy, Der Fußball in Österreich. Wien, 1925
Schwind, Karl Heinz, Geschichten aus einem Fußball-Jahrhundert, Wien 1994
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