Yoichi Okamoto. Ikone der Nachkriegsfotografie

Forschung

23.01.2024
Ausstellungen, Bilder und Grafiken
Wiener Riesenrad mit schweren Brandschäden nach dem Krieg

Über das fotografische Lebenswerk eines amerikanischen Besatzungsoffiziers in Österreich, der als Fotograf im Weißen Haus Berühmtheit erlangte.

Autorin: Marlies Dornig

2019 erwarb die Österreichische Nationalbibliothek den historisch und künstlerisch wertvollen privaten Nachlass des japanisch-amerikanischen Fotografen Yoichi Okamoto (1915–1985), der sich nun in Bildarchiv und Grafiksammlung befindet.1 Die Sammlung Okamoto enthält über 22.000 Negative und 900 Originalprints, die das Leben nach dem Krieg, den Wiederaufbau sowie Kunst und Kultur in Österreich bis in die 1980er Jahre dokumentieren. Faszinierende Einblicke in das außergewöhnliche fotografische Lebenswerk gibt von 23. November 2023 bis 25. Februar 2024 eine Ausstellung im Prunksaal.2

Yoichi Okamoto wurde 1915 als Sohn japanischer Einwanderer*innen in Yonkers, New York, geboren. Nach seinem Studium erhielt er eine Ausbildung als Fotooffizier in der US-Armee, die ihn 1942 als ersten Japano-Amerikaner aus der New Yorker Gegend aufnahm. Im Frühjahr 1945 kam er als Militärfotograf nach Österreich und avancierte bald darauf zum persönlichen Fotografen von General Mark W. Clark, der ihn 1946 nach Wien holte.  

Abb. 1: Yoichi Okamoto: Selbstporträt, Schwarz-Weiß-Negativ, Ca. 1946, BAG OKA 770B

Im September 1948 begann Yoichi Okamoto seine wichtigste berufliche Tätigkeit in Österreich: Er wurde Leiter der Fotoabteilung des amerikanischen Informationsdienstes in Österreich (United States Information Service, kurz USIS) eine Position, die er bis 1954 innehatte.3 Dadurch erhielt er wie kaum ein anderer die Möglichkeit, das Österreich der Nachkriegszeit mit der Kamera unmittelbar festzuhalten und einzigartige Zeitdokumente zu schaffen.

Abb. 2: Yoichi Okamoto: Die Vier im Jeep bei einer Zigarettenpause, um 1950, BAG OKA 8B

Yoichi Okamoto stellte junge österreichische Fotograf*innen ein und bildete sie in der Dokumentarfotografie im amerikanischen Stil aus. Neben Gottfried „Jeff“ Rainer, Robert Halmi, Franz Kraus und weiteren männlichen Angestellten, war Barbara Pflaum die einzige weibliche Fotografin, die zumindest einen Auftrag von Okamoto erhielt. Und zwar für eine Fotostory über die österreichischen Teilnehmer*innen an der Biennale in Venedig 1954 für die Bildbeilage des „Wiener Kurier“.4 Der junge, laut Okamoto „hoffnungsvollste Berufsfotograf“5 Ernst Haas, damals Lehrer für Fotografie für amerikanische Soldaten, präsentierte seine Fotografien in einer ersten Ausstellung in Okamotos Büro, gehörte jedoch nicht zu den USIS Staff Fotografen.6

Abb. 3: USIS Staff Fotograf: Yoichi Okamoto mit Mitarbeitern in der Fotoredaktion, Juli 1952, BAG US 10.087/9

Von 1948 an dokumentierte Okamotos Bildabteilung das „European Recovery Program“ (den Marshallplan) in Österreich mit außerordentlicher Tiefe und großer künstlerischer Innovation. Die Fotos wurden lizenzfrei an österreichische und internationale Medien verteilt und die Fotoabteilung zum mit Abstand wichtigsten Distributor für Pressefotografie in Österreich.7 Okamoto sorgte dafür, dass die von ihm betreute Bildbeilage des „Wiener Kurier“ seiner Vorstellung von Fotojournalismus folgte. Das Ziel seiner Arbeit bestand darin, die Wahrheit in Bildern zu erzählen und die Tradition des fortschrittlichen amerikanischen Bildjournalismus – in der Manier des „Life“-Magazins – in Österreich einzuführen. Damit revolutionierte er die österreichische Medienlandschaft und inspirierte mit seiner Bildsprache eine ganze Generation von Fotograf*innen in Österreich und international.  

Abb. 4 Bildreportage zum Wiederaufbau des Wiener Stephansdoms, Fotografien von Yoichi Okamoto, Wiener Kurier, 20. November 1948, Bildbeilage S. 2–3, NEU PER 440.352-E.1948

Yoichi Okamoto und das Wiener Kunstleben

Ab 1952 porträtierte Okamoto zeitgenössische österreichische Künstler*innen und präsentierte diese unter dem Titel „Schöpferisches Österreich“ in einem Schaufenster im Amerika-Haus in der Kärntner Straße. Als Ersten fotografierte er den Bildhauer Fritz Wotruba, durch den er in Kontakt mit der avantgardistischen Vereinigung „Art Club“ kam. Hier lernte er Künstler*innen wie Maria Biljan-Bilger, Wolfgang Hutter, Johanna Schidlo und viele andere kennen, die er ebenfalls mit seiner Kamera festhielt und im August 1954 in der Galerie Würthle präsentierte.8

Abb. 5: Yoichi Okamoto: Johanna Schidlo mit Bildteppich, 1952, BAG OKA11_078_08

Wenige Wochen vor seinem Abschied aus Österreich stellte Okamoto – als erster Fotograf in der Geschichte der Galerie Würthle – einen Querschnitt seiner Arbeiten, entstanden zwischen 1945 und 1954, aus. Ein großer Teil der Fotos wurde in Wien aufgenommen, einige stammten von Reisen nach Venedig, Paris oder innerhalb Österreichs. Neben wichtigen Ereignissen jener Zeit wurden private Fotos seiner Familie und künstlerische Aufnahmen zur Schau gestellt sowie Fotos aus dem Kunst- und Kulturbereich.

Szenen aus der 1952 in Wien aufgeführten Oper „Porgy and Bess“ waren ebenso vertreten wie das Porträt des Choreographen und Tänzers Harald Kreutzberg, das Edward Steichen 1955 für die Ausstellung „The Family of Man“ im Museum of Modern Art (MOMA) in New York auswählte. Eine große Ehre, da Okamoto den Leiter der dortigen Fotoabteilung als Vorbild ansah.

Abb. 6: Yoichi Okamoto: Nonnen beim Katholikentag am Wiener Heldenplatz, 14. September 1952, BAG OKA07_005_02

Zu sehen waren insgesamt 503 Aufnahmen von 273 Fotograf*innen aus 68 Ländern. Als Leiter der Abteilung für Visuelle Medien der United States Information Agency (USIA) von 1957 bis 1964 unterstützte Okamoto schließlich die Übernahme der Fotoausstellung („Die Menschheit eine Familie“) ins Künstlerhaus in Wien. Während dieser Zeit beteiligte er sich an zahlreichen Ausstellungen9 in den USA und reiste als Vortragender rund um den Globus.10

Abb. 7: Yoichi Okamoto: Harald Kreutzberg. Porträt während der „Jedermann“-Probe bei den Salzburger Festspielen, August 1950, BAG OKA1, 17, 2 vp
Abb. 8: Yoichi Okamoto: Präsident Lyndon B. Johnson im Oval Office des Weißen Hauses, 29. November 1963, LBJ Library A2327-4

Ab August 1961 begleitete Okamoto den Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson auf Auslandsreisen. Nach der Ermordung John F. Kennedys im November 1963 holte ihn Präsident Johnson – mit Unterbrechungen – als Fotograf ins Weiße Haus. Okamoto war ein Meister der „candid photography“, der ungestellten, unbeobachteten Aufnahmen. So entstanden Fotografien eines Präsidenten, wie man sie weder vor noch nach Okamotos Tätigkeit zu sehen bekam. Dank seines außergewöhnlichen Arbeitsstils und mehr als 370.000 Fotos (heute in der Lyndon B. Johnson Presidential Library in Austin, Texas) wurde die Präsidentschaft Johnsons zur wohl am besten visuell dokumentierten Amtszeit aller amerikanischen Präsidenten.

Nach der Beendigung seiner Tätigkeit im Weißen Haus gründete Okamoto das Fotolabor „Image“ und arbeitete für renommierte amerikanische Magazine wie „Time“ oder „Life“. Ab 1971 schuf er zahlreiche Coverfotos für die Programme des „John F. Kennedy Center for the Performing Arts“ sowie Arbeiten für das Smithsonian Magazine, beide in Washington, D.C.11

Abb. 9: Yoichi Okamoto: Präsident Lyndon B. Johnson bespricht sich mit seinen Beratern im Schlafzimmer, 27. April 1966, LBJ Library A2327-4

Zeit seines Lebens blieb Okamoto eng mit Wien verbunden. Gemeinsam mit seiner Frau Paula arbeitete er an dem Bildband „Okamoto sieht Wien. Die Stadt seit den fünfziger Jahren“, der posthum 1987 herausgegeben wurde. Damit wollte er eine Hommage an die Stadt Wien schaffen und „die Seele und das Gesicht Wiens“12 zeigen. Auch wenn er der Schwarz-Weiß-Fotografie den Vorzug gab, fotografierte er in Farbe, etwa für das Projekt „Documerica“ im Auftrag der amerikanischen Umweltschutzbehörde.

Abb. 10: Yoichi Okamoto: Schanigarten am Graben, Juli 1973, BAG OKA09dia27

Publikation zur Ausstellung: Marlies Dornig und Hans Petschar (Hg.), BILD MACHT POLITIK. Yoichi Okamoto. Ikone der Nachkriegsfotografie, Wien 2023, Residenz Verlag 

Events rund um die Ausstellung:  

Am 29. Februar 2024 findet in der Diplomatischen Akademie in Wien das Symposium „THE POWER OF IMAGES. Austria and the USA since 1945“ statt.  

Am 4. März 2024 wird die Ausstellung „From Vienna to the White House. Yoichi Okamoto. Life and Career of a Presidential Photographer“ in der österreichischen Botschaft in Washington, D.C. eröffnet und am 6. März 2024 von einem Symposium begleitet.

Wir danken der WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG Vienna Insurance Group, der Austrian Marshallplan Foundation, dem Zukunftsfonds der Republik Österreich, der US-Botschaft in Österreich und der Lyndon B. Johnson Presidential Library in Austin, Texas für die großzügige Unterstützung der Ausstellung.

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Über die Autorin: Frau Dr. Marlies Dornig, MA, ist Kunsthistorikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin in Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

Fußnoten

1 https://arc.onb.ac.at/ueber-uns/presse/pressemeldungen/internationaler-star-fotograf-oesterreichische-nationalbibliothek-erwirbt-aussergewoehnlichen-nachlass-von-yoichi-okamoto (abgerufen am 8.1.2024)

2 https://www.onb.ac.at/museen/prunksaal/programm/bild-macht-politik-yoichi-okamoto-ikone-der-nachkriegsfotografie (abgerufen am 8.1.2024)

3 Eine detaillierte Biografie findet sich hier: Hans Petschar, Der Mann, der Geschichte in Bildern schrieb. Wer war Yoichi R. Okamoto?, in: Marlies Dornig und Hans Petschar (Hg.), BILD MACHT POLITIK. Yoichi Okamoto. Ikone der Nachkriegsfotografie, Wien 2023, S. 25–84.

4 Österreich auf der Biennale di Venezia, Wiener Kurier, 11. Juli 1954, Bildbeilage S. 4.

5 Interview von Fred Oliver mit Yoichi Okamoto zur Ausstellung „The Family of Man. Die Menschheit eine Familie“ im Wiener Künstlerhaus, März 1957, Mp3 Audiodatei, Österreichische Mediathek, 9-04568_k02

6 Interview mit Yoichi R. Okamoto, geführt 1982 mit Michael Mauracher, in: Camera Austria, 18, 1985, S. 82.

7 Mehr dazu: Marion Krammer und Margarethe Szeless, Fotograf, Bildredakteur, Besatzungsbeamter. Yoichi Okamotos Einfluss auf die österreichische Pressebildkultur, in: Dornig/Petschar 2023, S. 85–95.

8 Marlies Dornig, Schöpferisches Österreich. Yoichi Okamoto und das Wiener Kunstleben 1949-1954, in: Dornig/Petschar 2023, S. 143f.

9 Z.B. https://jeffersonplacegallery.com/timeline/ und https://www.moma.org/artists/4389#exhibitions (abgerufen am 11.1.2024)

10 Wochenpresse, 20. Jänner 1962, S. 16.

11 Marlies Dornig, Okamoto sieht…Sein fotografisches Werk aus dem privaten Nachlass, in: Dornig/Petschar 2023, S. 110.

12 Interview mit Yoichi R. Okamoto, geführt 1982 mit Michael Mauracher, in: Camera Austria, 1985, S. 83.

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