In den letzten Jahren sind das Zuhause und die damit verbundene Haus- und Sorgearbeit wieder verstärkt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt worden. Corona-Pandemie, Krieg und Klimakrise führen zu einem Rückzug ins Private und geben Anlass, die Aufteilung und Bewertung von Arbeit neu zu verhandeln. In dem 2023 auf Deutsch erschienen Bändchen Der Haushalt als Versuchslabor. Feministische Kämpfe um Mieten, Haus und Heimarbeit analysieren die argentinischen Soziologinnen Luci Cavallero und Verónica Gago die Zusammenhänge von Wohnraum, Geschlecht, Arbeit und Geld und fragen nach dem Verhältnis von Schulden und unbezahlter, mehrheitlich feminisierter Arbeit.
Rezension von Susanne Teutsch
In dem 2023 auf Deutsch erschienen Bändchen Der Haushalt als Versuchslabor. Feministische Kämpfe um Mieten, Haus und Heimarbeit analysieren die argentinischen Soziologinnen Luci Cavallero und Verónica Gago die Zusammenhänge von Wohnraum, Geschlecht und Geld und fragen nach dem Verhältnis von Schulden und unbezahlter, mehrheitlich feminisierter Arbeit.
Was passiert, wenn die Öffentlichkeit zur Gefahr wird und man hinter verschlossenen Türen bleiben muss, aber dieser als „sicher“ ausgerufene Raum nicht sicher, sondern von Schulden und Gewalt geprägt ist? Wenn das Zuhause zu einem Raum eines ununterbrochenen Kontinuums verpflichtender und gratis getaner Arbeit wird? Mit der Beschränkung auf das Private, schreiben die Autorinnen, hat das Häusliche für Frauen im Kapitalismus historisch und bis heute eine begrenzende Funktion, die ihnen die Fähigkeit zur gesellschaftlichen und politischen Teilnahme nimmt und sie isoliert. Durch die Pandemie, so argumentieren sie, wird der Haushalt zum Schauplatz politischer Auseinandersetzung, an dem verschiedene Formen der Verwertung aufeinandertreffen und sich verdichten. Der Haushalt wird damit zu einem „Raum der finanziellen Rekolonialisierung für das Kapital“.
Ausgehend von der Corona-Pandemie und ihren Auswirkungen sehen Cavallero und Gago mehrere Dynamiken, welche die gesellschaftlichen Zusammenhänge bis heute wesentlich prägen und sich zunehmend radikalisieren: Durch Einkommenseinschränkungen, Prekarisierung und Inflation erhöhen sich Haushalts- sowie Mietschulden, was zu einem steigenden Risiko von Zwangsräumungen und einer Intensivierung von Immobilienspekulationen führt. Reproduktive und produktive Arbeit werden mehr und müssen reorganisiert werden, Stichwort Home-Office. Durch die Reduktion von Öffentlichkeit besonders während der Pandemie, die Auslagerung von Dienstleistungen und die zunehmende Digitalisierung dringt das Finanzwesen sukzessive ins Innere der Haushalte vor und etabliert dort neue Kreisläufe der Wertschöpfung.
Das Spannungsfeld ist bekannt: Die Belastung durch unentgeltliche Sorgearbeit beeinträchtigt die Teilhabemöglichkeiten am Arbeitsmarkt derjenigen, die diese leisten – vor allem Frauen. Mehr unbezahlte Arbeit geht daher mit einem höheren Verschuldungsrisiko einher. Die Auswirkungen der Überschuldung auf das tägliche Leben verankern sich im konkreten Körper, entziehen ihm Wert und beuten ihn aus. Eine Abwärtsspirale entsteht, in der „die Knappheit des Geldes die Knappheit der Zeit jagt“. Damit verknüpft stehen bei Cavallero und Gago grundsätzliche Überlegungen: Wie berechnet man den Wert der Arbeit und warum ist es notwendig, zu erzwingen, dass sie kostenlos geleistet wird? Bringt die Idee der systemrelevanten Arbeit in Bezug auf diese Transformation etwas Neues?
Antworten suchen die Autorinnen in ihrer aktivistischen Arbeit. Seit längerem beschäftigen sie sich mit dem Stadtviertel Villa 31 y 31 Bis, einer der größten informellen Siedlungen im Stadtzentrum von Buenos Aires, das seit Jahrzehnten als Spielball von Politik und Immobilienspekulation fungiert. Durch informelle Mieten und Eigentumsverhältnisse stiegen die Schulden und Zwangsräumungen innerhalb des Viertels besonders während der Pandemie stark an. Verankert in einem feministischen Umfeld und vernetzt mit Bewegungen und Organisationen wie Ni Una Menos („Nicht eine weniger“) und Inquilinos Agrupados („Mietervereinigung“) erzählen die Autorinnen von ihrem Aktivismus gegen die ökonomische und geschlechtsspezifische Gewalt, die sie seit der Pandemie noch verstärkt wahrnehmen.
Diese Verknüpfung von Theorie und praktischem Handeln macht den Text zugänglich und spannend zu lesen. Der Tonfall und Ausdrücke wie Reproduktionsarbeit oder Hausfrauisierung positionieren die Autorinnen im feministischen Diskurs, auf den sie an einigen Stellen genauer eingehen und Bezug nehmen. Spezifische Kontexte wie Informationen zu Gesetzen oder nationale politische Entwicklungen werden in Fußnoten erklärt und sind mit Quellenverzeichnissen versehen. In den meisten Fällen reicht für das weitere Verständnis jedoch der Kontext aus. Die Autorinnen nehmen unterschiedliche Perspektiven auf und bündeln sie zu einem ganzheitlichen Bild, zeigen aber auch den Graben zwischen Denken und Tun. Die Schmalheit des Bändchens nimmt dem Inhalt nichts von seiner profunden Gültigkeit und trotzdem ist man zu schnell auf der letzten Seite angelangt. Am Ende des Textes fühlt man sich ein bisschen wie erst am Anfang der Arbeit.
Die Autorinnen machen deutlich, dass das Schlachtfeld kein abstraktes ist. Fruchtbar lesen sich ihre Lösungsansätze und Anreize, wie unsere Gesellschaften mit diesen andauernden Veränderungen kollektiv umgehen könnten. Dabei greifen sie auf ihre Erfahrungen als Aktivistinnen zurück, wenn sie dafür plädieren, die politischen Instrumente der Straße zu nutzen, um den Haushalt zum Thema zu machen, sich zusammenzuschließen und Synergien herzustellen, um den transnationalen Prozess der feministischen Mobilisierung zu stärken.
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