Die Ausstellung „Des Kaisers schönste Tiere. Bilder aus den habsburgischen Sammlungen“ (im Prunksaal, noch zu sehen bis 26. Juni 2022) präsentiert erstmals die beachtliche Sammlung von Tieraquarellen, die für Kaiser Ferdinand I. von naturhistorischen Zeichnern im Hof-Naturalienkabinett angefertigt wurde.
Autor: Patrick Poch
Der Schriftsteller Franz Heinrich Böckh berichtet 1823 erstmals über eine „ausgezeichnete Sammlung“ des damals 30-jährigen Kronprinzen Ferdinand, bestehend aus rund dreihundert Abbildungen von Tieren, getreu nach der Natur dargestellt.1 Die Kollektion gliedert sich laut Böckh in drei Abteilungen, deren Blätter jeweils von unterschiedlichen Künstlern stammen: Säugetiere von Leopold Stoll, Vögel von Leopold Brunner, Amphibien, Fische und Insekten von Joseph Zehner. Die Sammlung werde „eifrigst fortgesetzt“.
Böckhs knappe Schilderung steht am Beginn eines mehr als ein halbes Jahrhundert währenden Engagements von Tiermalern im Auftrag des späteren Kaisers Ferdinand I. Als dieser 1835 den Thron besteigt, stehen bereits sechs Maler in seinen Diensten, die sich auf das Tierfach spezialisiert haben. Als Ferdinand 1848 abdankt und wenig später nach Prag zieht, wird er fortan aus Wien mit jährlich 50 bis 60 Blättern pro Künstler beliefert. Nach seinem Tod im Juni 1875 wird die Sammlung auf Veranlassung seines Neffen und Erben Kaiser Franz Joseph (1830–1916) gemeinsam mit der Kunstsammlung und der Privatbibliothek Ferdinands wieder nach Wien überführt. Sie umfasst nun annähernd 10.000 Tieraquarelle der herausragendsten naturhistorischen Zeichner des 19. Jahrhunderts.2
Die Digitalisierung und Neuinventarisierung dieser umfangreichen Sammlung fördert nun neue Erkenntnisse zu den spezifischen Fachgebieten der Tiermaler in kaiserlichen Diensten und zu deren Anstellungsverhältnissen zu Tage. Bis auf wenige Ausnahmen zeigen die Blätter Exponate aus dem ehemaligen Hof-Naturalienkabinett, dem Vorgänger des heutigen Naturhistorischen Museums, das sich im Augustinertrakt am Josefsplatz befand. Noch heute kann man im Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek Reste der freigelegten Wandmalereien sehen, vor denen die Tiere ursprünglich gruppiert waren.
Im Erdgeschoß, im ersten und im zweiten Stockwerk befanden sich die Säle mit den großen und kleineren Säugetieren wie einem Elefanten, Tigern, Löwen, Kamelen oder Affen, die der junge Maler Leopold Stoll im Auftrag Kaiser Franz‘ II./I. (1768–1835) für die Sammlung des Kronprinzen abbilden sollte. In weiteren Zimmern des zweiten Stockwerkes war die imposante Vogelsammlung untergebracht, bestehend aus Raubvögeln, Singvögeln, Papageien und Wasservögeln, deren präzise wie detailreiche Darstellungen von Leopold Brunner stammen. Daneben befanden sich weitere Räume mit Amphibien, Fischen und Insekten in Glasschränken und Schubladen, die vom fachkundigen naturwissenschaftlichen Zeichner Joseph Zehner zu Papier gebracht wurden.
Wie gelangten die Abbildungen in den Besitz des Kronprinzen? Der Verbindungsmann zwischen den Malern und dem späteren Kaiser war Carl von Schreibers, seit 1806 Direktor des „Vereinigten Naturalien-Cabinets“ und zugleich Privatlehrer des Erzherzogs und dessen jüngerer Schwester Leopoldine im Fach Naturkunde. Jede Woche, an einem festgelegten Tag, besuchte Schreibers den Kronprinzen in dessen Privatgemächern, um mit ihm Präparate unter dem Mikroskop zu betrachten und naturhistorische Gegenstände zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit übergab Schreibers seinem Schüler jeweils eine Auswahl an Tierdarstellungen, die er eigens für den Unterricht anfertigen hatte lassen. Als die Gesellschaft der Deutschen Naturforscher und Ärzte im September 1832 in Wien tagte, konnte Direktor Schreibers den anwesenden Zoologen dort bereits 1800 Blätter der kostbaren Kollektion präsentieren.3 Sechzehn Jahre später, bei den Oktoberaufständen von 1848, brannte der Dachstuhl des Naturalienkabinetts durch den Treffer einer Brandrakete komplett aus und ein großer Teil der zoologischen Sammlungen, wissenschaftlichen Schriften und Archivalien wurde für immer vernichtet. Die Sammlung Ferdinands hingegen überlebte in dessen Privatbibliothek und ist bis heute vollständig erhalten.
Das Ziel der Bildersammlung war ursprünglich eine möglichst vollständige Darstellung der Tierwelt der österreichischen Monarchie. Dieses Vorhaben änderte sich jedoch, als Ferdinands jüngere Schwester Leopoldine im Jahr 1817 mit dem portugiesischen Thronfolger und späteren Kaiser von Brasilien, Dom Pedro, vermählt werden sollte. Der naturwissenschaftlich interessierte Kaiser Franz II./I. nahm die Brautfahrt seiner Tochter nach Brasilien zum Anlass, eine wissenschaftliche Sammelexpedition in das noch weitgehend unerforschte Land auszustatten. Die bis dahin größte Expedition im Auftrag des Kaiserhauses brach im April 1817 auf zwei Schiffen der k. k. Kriegsmarine nach Rio de Janeiro auf. An Bord befand sich eine Gruppe von 14 Zoologen, Botanikern, Mineralogen, Präparatoren und Malern, die die Flora und Fauna des Landes erkunden und gesammelte Objekte nach Wien schicken sollten.
Als im November 1818 der Expeditionsleiter Johann Christian Mikan mit der ersten von elf großen Lieferungen an lebenden und ausgestopften Tieren von der Brasilien-Expedition heimkehrte, engagierte er den Wiener Maler Leopold Brunner (1788–1866) als einen der Zeichner für sein vielbeachtetes Prachtwerk zur brasilianischen Flora und Fauna.4 Brunner, der ursprünglich Blumenmaler war, widmete sich fortan der Darstellung von exotischen und einheimischen Vögeln für die Sammlung des Kronprinzen. Seine präzisen und naturnahen Darstellungen der unterschiedlichen Federkleider, die er mit feinstem Pinselstrich erzielte, zählen zu den Höhepunkten der Sammlung. Ab den 1840er Jahren widmete sich Brunner der Sammlung von Weichtieren, die zu diesem Zeitpunkt eine der umfangreichsten in Europa war. Deren kontrastreich reflektierenden Haut- und Schalenoberflächen setzte er aus zahllosen kleinen Strichen, Punkten und Lasuren zusammen. Mehr als 2.700 Tierzeichnungen schuf Brunner in den rund 40 Jahren, die er für Ferdinand tätig war.
Wesentlich kürzer – insgesamt nur fünf Jahre – stand der Wiener Maler Leopold Stoll (1803–1889) im Dienste des Kronprinzen. Wie Brunner erlernte auch Stoll zunächst die Pflanzenmalerei und trat bereits als 17-jähriger in den Dienst des Kaiserhauses.5 Er war in erster Linie auf Säugetiere spezialisiert und schuf im Gegensatz zum weitaus produktiveren Leopold Brunner nur etwa fünf bis zehn Blätter pro Jahr, wofür er monatlich 50 Gulden erhielt.6 Stolls Bewerbung für die Stelle eines Hofpflanzenmalers 1824 blieb erfolglos, Kaiser Franz II./I. zog dessen erfahreneren Kollegen Johann Jebmayer vor. Der Kaiser war jedoch gesinnt, „die Thierstücke durch den Stoll fortsetzen zu lassen“.7
Der vielseitigste und produktivste der drei bei Franz Heinrich Böckh erwähnten Maler war zweifelsohne Joseph Zehner (1790–1867). Über vier Jahrzehnte hinweg belieferte er Ferdinand I. mit Aquarellen von Reptilien, Fischen, Krebsen, Würmern und Spinnen und war darüber hinaus als gefragter Zeichner für diverse medizinische und biologische Fachpublikationen tätig.
Joseph Zehner wurde unter der Leitung des „Wurmdoktors“ Johann Gottfried Bremser im Naturalienkabinett ausgebildet, der dort als Kustos eine beachtliche Sammlung von Eingeweidewürmern aufgebaut hatte. Zehners mikroskopisch-wissenschaftliche Darstellungen der farblosen Würmer, die in mehreren Publikationen veröffentlicht wurden, wurden von der Fachpresse in den allerhöchsten Tönen gelobt. Er hätte sich selbst damit ein „Denkmal“ seiner Kunst und Liebe zur Sache errichtet, urteilte etwa die Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste.8 Seine Erfahrungen im mikroskopischen Fach bescherten ihm in der Folge Aufträge für vergrößerte Darstellungen jeglicher Art von Organismen. Ende der 1830er Jahre begann Zehner schließlich mit der Aufnahme der Reptilien- und Fischsammlung und fertigte noch bis ins hohe Alter von 75 Jahren mehr als hundert Zeichnungen jährlich für Kaiser Ferdinand an. 1867 starb Joseph Zehner an „Entkräftung“ in Wien.9
Zu den Tiermalern in Diensten Ferdinands gesellten sich später auch bekanntere Künstler wie Eduard Gurk (von 1829 bis 1834) oder der Porträtmaler Bernhard von Schrötter (von 1832 bis 1842). Nach der raschen Überführung der Sammlung nach Wien auf Anweisung Kaiser Franz Josephs lagerten die Kassetten eineinhalb Jahrhunderte beinahe unbenutzt inmitten der ehemaligen Familien-Fideikommissbibliothek. Ein Umstand, der dazu führte, dass die Strahlkraft der verwendeten Aquarell- und Deckfarben bis heute ungebrochen ist. Durch den offenkundig wissenschaftlichen Anspruch der Zeichnungen und ihre ganz spezielle Ästhetik zählen die Tierbilder Kaiser Ferdinands I. unbestritten zu den Höhepunkten dieses Genres.
Über den Autor: Dr. Patrick Poch ist Leiter der Abteilung Grafik in Bildarchiv und Grafiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
1 Franz Heinrich Böckh (Hg.): Merkwürdigkeiten der Haupt- und Residenz-Stadt Wien und ihrer nächsten Umgebungen, Zweyter Theil, Wien 1823, S. 66.
2 Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), Bildarchiv und Grafiksammlung (BAG), Pk 509
3 Isis. Encyclopädische Zeitschrift, vorzügl. für Naturgeschichte, vergleichende Anatomie u. Physiologie, Heft IV, Leipzig 1833, S. 379–380.
4 Johann Christian Mikan: Delectus florae et faunae Brasiliensis, Wien 1820, Tf. 20.
5 Stoll war Schüler des Kammermalers Johann Knapp (1778–1833), der wie die Familie Stoll in Schönbrunn wohnte
6 ÖNB, BAG, FKBA07082, fol. 19r.
7 Aus den Bewerbungsunterlagen Stolls, ÖNB, BAG, FKBA07082, fol. 20r.
8 Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und herausgegeben von J. S. Ersch u. J. G. Gruber, Zweyte Section H–N, Leipzig 1829, S. 382.
9 Matriken der Pfarre Hernals (Wien), Sterbebuch 1867–1868, fol. 68.
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