„Der Menschen ältere Brüder sind die Tiere.” Johann Gottfried Herder (1744–1803) erinnert mit dem Satz daran, dass Tiere diesen Planeten schon lange vor dem Menschen bewohnten und somit die Beziehung zwischen Mensch und Tier eine der ältesten und tiefsten ist. Und was wäre das alte Ägypten ohne die Darstellung seiner tiergestaltigen Gottheiten, Hieroglyphen oder Tiermumien? Stets standen Tiere in unterschiedlichen Rollen an der Seite des Menschen und prägten nachhaltig das Verständnis der alten Ägypter*innen für ihre Umwelt. Dabei wurden Tiere – damals wie heute – gejagt, gefürchtet, genutzt, domestiziert, geliebt, verehrt, als Ausdruck göttlicher Kraft gesehen oder waren als Opfertiere bzw. Votivgaben ein Bindeglied zwischen den Menschen und ihren Göttinnen und Göttern. Die vielfältigen und facettenreichen Aspekte dieser Beziehung beleuchtet eine neue Sonderausstellung im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek ab 13. Juni 2024, in der jahrhunderte- bis jahrtausendealte Dokumente auf Papyrus, Pergament und Papier von göttlichen Wesen, gefürchteten Kreaturen und dem ganz alltäglichen Miteinander von Mensch und Tier erzählen.
In den Beständen der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek finden sich hunderte von Objekten, die explizite oder indirekte Aussagen zum Thema „Tier und Mensch” enthalten. Eine repräsentative Auswahl an Exponaten aus dem pharaonischen Ägypten und die umfangreiche schriftliche Überlieferung der hellenistischen und römischen, byzantinischen und früharabischen Epoche gewähren nun in der aktuellen Sonderausstellung vielfältige Einblicke in dieses komplexe Mit- und Gegeneinander von Mensch und Tier über einen Zeitraum von über 2000 Jahren. Göttlich und gegessen – zwei Zugänge zum Thema Tier, die auf den ersten Blick gegensätzlicher nicht sein könnten.
Die Schau beleuchtet im Spannungsfeld dieser beiden Pole die Grundhaltung antiker Menschen gegenüber dem Tier im Rahmen einer Auswahl an Exponaten, die über den langen, von politischen, religiösen und sozialen Umbrüchen geprägten Zeitraum vom 6. Jh. v. Chr. bis zum 14. Jh. n. Chr. manche, kontinuierliche Traditionen, aber auch signifikante Neuerungen zeigen, die sich etwa aus der Ankunft neuer, zuvor in Ägypten nicht heimischer Tiere ergaben.
Unter den Besonderheiten Ägyptens, die schon reisende Griech*innen und Römer*innen bestaunten, übte die Verehrung von tiergestaltigen Göttinnen und Göttern eine exotische Faszination aus. „Alle dort lebenden Tiere gelten bei ihnen als heilig, nicht nur die Haustiere, sondern auch die anderen”, so der griechische Geschichtsschreiber Herodot (490–430 v. Chr.) über das Verhältnis der Ägypter*innen zu ihren Tieren. Wenngleich man heute berechtige Zweifel an Herodots zitierter Aussage hegt, dass die Ägypter*innen alle Tiere verehrten, so erwähnen griechische und lateinische Autor*innen doch ausdrücklich über 30 Tiere, die in Ägypten für heilig gehalten wurden, darunter die Kuh (Hathor), die Katze (Bastet), den Schakal (Anubis), den Ibis (Thoth) den Falken (Horus) oder den Stier (Apis).
Die Darstellung altägyptischer Göttinnen und Götter in Tiergestalt basiert auf der Vorstellung, dass sich das Göttliche – also jene höheren Kräfte, die über den Fähigkeiten der Menschen anzusetzen sind – in den Tieren manifestiert und zeigt. Die wahre Natur der Göttinnen und Götter bleibt nach altägyptischem Verständnis jedoch weiterhin eine verborgene und unbekannte – und so sind die Abbilder der Gottheiten keine Wiedergabe ihres vermuteten Aussehens, sondern vielmehr werden die ihnen zugewiesenen Aspekte durch Analogien mit der Tierwelt in eine Form gebracht. Daneben gab es auch heilige Tiere, die einer bestimmten Gottheit zugeordnet waren und Opfertiere. Tiere sind immer Repräsentant*innen von Göttinnen oder Göttern bzw. göttlichen Aspekten: in ihnen konnte eine Gottheit dauerhaft oder vorübergehend wohnen. Heilige Tiere wurden nach ihrem Ableben einbalsamiert und bestattet, wie etwa der Apis-Stier in Memphis. Daneben wurden aber auch Tiere als Votivgaben (symbolische Opfer) mumifiziert, wie etwa Katzen, Falken, Ibisse oder Krokodile. Diese haben sich heute in zum Teil sehr groß angelegten Tier-Nekropolen erhalten.
Manche Tiere wie beispielsweise Nilpferde, Geparden oder Löwen verschwanden im Laufe der Jahrhunderte durch die intensivere Besiedelung des Menschen und der damit einhergehenden, sich ausbreitenden Landwirtschaft, durch die gezielte Ausrottung aufgrund ihrer Gefährlichkeit oder den Tieren wurde der Lebensraum durch die Veränderung des Klimas (Austrocknung des Nildeltas) entzogen. Krokodile, giftige Schlangen und Skorpione konnten den Menschen im antiken Ägypten insbesondere bei der Arbeit auf den Feldern, unter Umständen aber sogar in den Häusern gefährlich werden. Vor den überall gegenwärtigen Skorpionen versuchte man sich durch magische Amulette auf Papyrus und Papier zu schützen, von denen sich zahlreiche erhalten haben. In weitaus größerem Maße war jedoch umgekehrt der Mensch den Tieren eine Gefahr: Wildtiere waren Ziel von Großwildjagden des Pharaos, sie wurden aber auch mit Pfeil, Bogen oder Speeren zum Nahrungserwerb von einfachen Menschen erjagt.
Die in der Ausstellung präsentierten Quellen dokumentieren eindrucksvoll die zentrale Bedeutung der Nutztiere wie Rinder, Schweine, Schafe, Ziegen, Kamele für die Ernährung, für die Leder- und Textilproduktion, aber auch für den Tiertransport und für die Landwirtschaft. Die Viehbestände, großteils Rinder-, Schaf- und Ziegenherden, wurden penibel dokumentiert und mussten in römischer Zeit gegenüber den Steuerbehörden deklariert werden. Im privaten Geschäftsbereich waren z.B. Schweine ein beliebtes Handelsgut, das ähnlich wie Wein oftmals als Natural-Zahlungsmittel gehandhabt wurde. Ein geschätztes Nutztier war in allen Zeiten die Biene, denn Honig war nicht nur ein wichtiger Süßstoff, sondern kam auch in der Heilkunde zum Einsatz. Rinder, insbesondere Ochsen, wurden zum Pflügen und ab der späteren Kaiserzeit auch zum Betreiben von leistungsfähigen Bewässerungsmaschinen für die Felder eingesetzt. Im antiken Ägypten war der Esel das universell genutzte Reit- und Lasttier – unter anderem wurden Eseln zum Transport von vielen Tonnen Steuergetreide zu den staatlichen Speicheranlagen eingesetzt. Papyrustexte informieren über zunftmäßig organisierte Eselzüchter, Eseltreiber und Transportunternehmer, die zum Einsatz kamen. Kamele und Dromedare, die ursprünglich aus Asien stammten, kamen erst ab der Frühen Kaiserzeit (1. Jh. v. Chr.) über Arabien nach Ägypten. Auch das Pferd war ursprünglich nicht in Ägypten heimisch, sondern kam über den Nahen Osten erst ca. 1650–1550 v. Chr. an den Nil und wurde vor allem für militärische Zwecke genutzt – auch für riesige Flotten an Streitwägen, mit denen die angrenzenden Gebiete bis nach Syrien erobert und beherrscht wurden.
Die Menschen der Antike sahen in den Tieren vorwiegend Nutztiere, deren Milch, Fleisch, Fell oder Haut man verwertete und auf deren artgerechte Haltung man nur so weit achtete, als es deren Einsatzfähigkeit erhielt. Andererseits sind seit der frühen Pharaonenzeit auch Darstellungen erhalten, die einen ganz anderen Umgang mit Tieren, die als Haustiere gehalten und – wohl nicht anders als heute – geschätzte, geliebte und verwöhnte Begleiter der Menschen waren. Hunde, Katzen und Affen erscheinen als Haus- und Schoßtiere, deren man Namen gab und die man nach deren Ableben sorgfältig bestattete.
Die neue Schau im Papyrusmuseum zeigt eine facettenreiche und abwechslungsreiche Auswahl von 72 Exponaten, die ein Tor in das komplexe Beziehungsgeflecht von Mensch und Tier aus unterschiedlichen und vielschichtigen Perspektiven öffnen.
Mit religiösen Sprüchen und Bildern versehene Leinenstreifen dienten als Mumienbinden. Dieses Fragment zeigt eine großformatige Darstellung einer Kuhgöttin mit Sonnenscheibe zwischen den Hörnern. Der zugehörige Spruch soll die Verstorbenen mit neuem Leben erfüllen, indem er „eine Flamme unter dem Kopf“ erzeugt. Der Text ist eine direkte Rede der Kuhgöttin Ichet, die sich darin als Himmelskuh und Mutter des Sonnengottes Re bezeichnet.
Der Konflikt der beiden gegensätzlichen Urmächte Schöpfung/Weltordnung und Chaos wird bildlich als Kampf eines großen Katers mit einer Schlange. Die zu Boden gedrückte Schlange heißt Apophis. Sie symbolisiert den Zustand der Welt vor der Schöpfung, der kein Leben zulässt. Mehrere Jenseitsbücher berichten davon, wie Apophis jede Nacht erneut versucht, den Sonnengott zu besiegen, wenn dieser das Jenseits durchquert. Ihn zu bändigen muss dem Sonnengott und seinen Begleitern gelingen, sonst gerät die gesamte Ordnung der Welt aus den Fugen und alles Leben erlischt. Für die Ägypter*innen wurde der Triumph des Katers im Sonnenaufgang sichtbar, wenn der Sonnengott Re erneut am Horizont erschien. Dieses Blatt aus dem Totenbuch von Nefer-Sobek zeigt noch weitere Erscheinungsformen des Sonnengottes. Er fährt als Chepri (Skarabäus) am Morgen und als Re-Harachte (Falke) zur Mittagszeit in seiner Barke über den Himmel.
Dieses Papyrusfragment überliefert eine Liste mit Geflügel, das an vier Tagen im Monat Mecheir (Jänner/Februar) eines nicht mehr erhaltenen Jahres geschlachtet wurde. Die Zahl selbst ist heute nur mehr in Zeile 3 erhalten. An diesem Tag mussten acht Hennen ihr Leben lassen. Von wem und zu welchem Zweck diese Liste erstellt wurde, ist nicht mehr festzustellen. Zu denken ist aber vor allem an einen größeren Haushalt oder an das Geschäft eines Geflügelhändlers.
Im Mittelpunkt eines Festes wird das Fleischgericht Harīsa stehen, wofür die folgenden Zutaten eingekauft werden mussten: ca. 20–40 kg Rindfleisch, Fett vom Schwanz des Fettsteißschafs und ca. 65–70 l Weizen. Der Empfänger soll auch einen Kessel und einen Arbeiter mieten, der die Harīsa zubereiten wird. Zuletzt wird er aufgefordert, Brennholz zu schicken, das sicherlich auch zum Kochen gedacht war.
Dieses Ostrakon (Tonscherbe) stammt wohl aus einem Kloster in Mittelägypten. Es überliefert eine Bestellung von 14 Krügen „Schweinefische“. So bezeichnete man in der Antike Fiederbartwelse, weil man dachte, dass diese Schweineschnauzen hätten. Fisch konnte – bedingt durch das Klima – in Ägypten eigentlich nur in konservierter Form aufbewahrt werden: gesalzen, getrocknet, geräuchert, als Fisch-Soße (garum) oder, wie bei diesen Bestellungen, gepökelt. Leider ist es bisher unbekannt, wie groß die Krüge waren, in denen der gepökelte Fisch aufbewahrt wurde.
Zur Beilegung eines Streites um Rinder empfiehlt ein Würdenträger brieflich, die Tiere dem rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben und die in Geiselhaft genommenen Männer freizulassen. Der Brief schließt mit der Bitte, dem gegebenen Ratschlag Folge zu leisten.
Esel, Maultier oder Pferd? Das Lasttier trägt auf seinem Rücken eine Satteldecke und einen kegelförmigen Gegenstand – vielleicht eine qubbah, also ein Zelt für einen heiligen Stein (Symbol der Macht).
Wieso nicht das Notwendige mit dem Schönen verbinden? Öllampen waren im ganzen Römischen Reich als Massenware weitverbreitet. Im Bildfeld dieser Lampe ist ein nach links springender Esel zu sehen. Über den Grund für die Wahl dieses Motivs kann bestenfalls spekuliert werden. Die Gestalt und das Wesen des Esels wurden ambivalent beurteilt. Einerseits war der Esel wegen seiner vermeintlichen Trägheit und seines als Dummheit gedeuteten Starrsinns ständiger Gegenstand von Verspottung und Parodie. Andererseits wurden ihm auch jede Menge positiver Attribute zugestanden.
Im hellenistischen Ägypten waren etliche Handwerks- und Handelsgewerbe unter staatliche Kontrolle gestellt, so auch das Handwerk der Gerberei. Dieser Papyrus liefert seltene Hinweise auf die Verwertung von Eselshäuten. Zwei der lokalen Vereinigung lederverarbeitender Betriebe vorstehende Funktionäre erstatten darin Anzeige wegen versuchten Schmuggels von neun Eselshäuten. Die Eselshäute wurden konfisziert und zwei Garnisonssoldaten übergeben. Der mutmaßliche Schmuggler den Behörden überstellt. Es soll nun in einem Schnellverfahren untersucht und der Beschuldigte mit einer Strafzahlung belegt werden.
Im Zentrum des fragmentarischen Blattes findet sich die Darstellung eines vornehm gekleideten Mannes. Es handelt sich al-Mutawakkil (847–861 n. Chr.), den zehnten Kalifen der Abbasiden-Dynastie. Links neben ihm sitzt ein Hund mit rotem Halsband – wohl in Anspielung auf seine Jagdleidenschaft. Oberhalb dieser Szene finden sich links zwei Papageien. Diese Vögel wurden als Exoten als Statussymbol am Kalifenhof gehalten.
Dieses kleine Papierfragment stammt aus einer illuminierten Handschrift. Die Illustration stammt von einem geübten Zeichner. Der Hund sitzt auf seinen Hinterbeinen, sein langhaariger Schwanz ist aufgerollt. Auffallend ist vor allem die lange Mähne des Tiers und das sehr große Auge. Der Hund hat seinen Blick auf eine vor ihm stehende schlanke, ebenfalls ockerfarbene Vase gerichtet.
Auf diesem kleinen Pergament hat sich die Zeichnung eines ägyptischen Wüstenhasen und eines Hundes erhalten. Der Hase ist ein beliebtes Beutetier, der Hund der Jäger oder Jagdbegleiter. Im Christentum symbolisiert der Hase den bekehrten Heiden. Der Hund steht hier hingegen für die Bedrohung durch den Teufel.
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