Die neue Sonderausstellung im Literaturmuseum führt mit Stefan Zweig einmal rund um die Welt.
AutorInnen: Bernhard Fetz, Arnhilt Inguglia-Höfle und Arturo Larcati
Anhand von Notiz- und Tagebüchern, Briefen, Fotografien, Filmausschnitten und Tonaufnahmen, aber auch großflächigen Inszenierungen und interaktiven Stationen führt die neue Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek einmal rund um den Globus. Zu entdecken ist Zweigs vielseitiges literarisches Schaffen ebenso wie seine außergewöhnliche Wirkungsgeschichte.
Stefan Zweig (1881–1942) zählt bis heute zu den meistgelesenen deutschsprachigen AutorInnen. Thomas Mann notierte 1952 zum zehnten Todestag seines weltbekannten Schriftstellerkollegen:
Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde […]. Vielleicht ist seit den Tagen des Erasmus […] kein Schriftsteller mehr so berühmt gewesen wie Stefan Zweig. […] Sein literarischer Ruhm wird zur Sage werden […]. (Mann 1981, 187f.)
Bereits zu Lebzeiten war Zweigs Werken, insbesondere den Novellen und historischen Biographien, ein herausragender Erfolg auf dem Buchmarkt beschieden, wofür er von seinen ZeitgenossInnen Anerkennung und heftige Kritik erntete. Als „Erwerbszweig“ (Hofmannsthal), „Literaturindustrieller“ (Eisler) und „Musterorganisation eines Versandgeschäftes“ (Neumann) beschimpft, wurde die „Seichtheit“ (Kraus) und „Zweitklassigkeit“ (Klaus Mann) seiner Werke bemängelt. (Vgl. Weinzierl 1992) Auf der anderen Seite faszinierte Zweigs Sprachkunst und sein psychologisches Einfühlungsvermögen Generationen von Leser*innen. So schrieben etwa Erika und Klaus Mann:
Er gewinnt die breiten internationalen Lesermassen zunächst durch die Brillanz, die Verve seines Stils, außerdem durch seine außerordentliche Gabe, jedes Material, mit dem er sich beschäftigt, sei es in Form der psychologischen Novelle, des analytischen Essays oder der Biographie, dramatisch zu pointieren, das spannende, erregende Moment herauszuarbeiten. (Mann 2001, 164f.)
Erika und Klaus Mann lobten auch das typisch Wienerische „geheimnisvolle[] erotische[] Fluidum“ beziehungsweise die sinnliche Atmosphäre seiner Werke im Kielwasser Arthur Schnitzlers. (Ebd., 164f.) Kein Zufall, dass gerade Sigmund Freud die Zweig‘schen Novellen mit enthusiastischem Lob bedachte. Bis heute reißen die teils sehr polarisiert geführten Debatten um die literaturhistorische Bedeutung des Bestsellerautors und die literarische Qualität seiner Werke nicht ab. (Vgl. Zweig-Handbuch 2018)
Zu Zweigs Weltruhm und zur Legendenbildung um seine Person trug sicher auch sein Freitod in Brasilien bei. Zweigs Suizid wurde einerseits zum Symbol für das tragische Schicksal der Opfer des Nationalsozialismus stilisiert, zum anderen sorgten die bis heute nicht endgültig gelösten Fragen nach dessen genauen Ursachen und den Begleitumständen für ein steigendes Interesse an seinem Leben und Werk. Der Doppelselbstmord mit seiner zweiten Frau Lotte Altmann wurde mit dem gemeinsamen Freitod Heinrich von Kleists und Henriette Vogels parallelisiert und mit der romantischen Aura der fragilen Künstlerexistenz oder des Tragisch-Heroischen nobilitiert.
Aber woher rührt die anhaltende Strahlkraft der Texte Zweigs, die aktuelle Verfilmungen, Bearbeitungen und Übersetzungen von Europa bis China belegen? So versetzte die chinesische Regisseurin Xu Jinglei 2005 in ihrer Verfilmung von Brief einer Unbekannten die Handlung der Novelle ins Beijing der 1930er und 1940er Jahre und löste so ein neues „Stefan Zweig-Fieber“ im Land aus. Wes Andersons Oscar-prämierter Spielfilm The Grand Budapest Hotel (2014) ist von Motiven in Zweigs Novellen und Romanen inspiriert; verschiedene seiner Figuren sind Zweig nachempfunden. Der Film spielt im fiktiven Land Zubrowka, einer Art nostalgischem Fantasieösterreich der Zwischen- und Nachkriegszeit. 2020 kam es zu einer Neuverfilmung der Schachnovelle in der Regie von Philipp Stölzl.
Historisch betrachtet liegt ein Teil der Antwort auf die Frage nach den Gründen für dieses Interesse an den Zweig‘schen Stoffen im Verweis auf das weltumspannende Netzwerk an Verlagen, Medien, ÜbersetzerInnen und Intellektuellen, das dieser global agierende Schriftsteller aufbaute und pflegte. Zweigs Produktivität war enorm. Als zugleich geschickter Agent des eigenen Werkes und international hoch angesehener Repräsentant einer seit dem Ersten Weltkrieg fundamental erschütterten europäischen Geisteskultur vertrat er ein übernationales Humanitäts-Ideal auf der Basis herausragender kultureller Leistungen. Neben beruflich veranlassten Lese- und Recherchereisen spannte Zweig als begnadeter Vermittler ein ebenso weltweites Netzwerk an Freundschaften.
Im heutigen Europa-Diskurs sind Zweigs Positionen und Aktivitäten wieder aktuell. Zur Stärkung einer europäischen Identität wäre es – so Zweig – einerseits sinnvoll, einen europäischen literarischen Kanon zu definieren. Andererseits propagiert dieses Konzept womöglich einen überkommenen kulturellen Eurozentrismus. Zweigs europäisch-abendländisch ausgerichtetes Projekt einer „Bibliothek der Weltliteratur“ repräsentiert genau dieses Dilemma. In der Ausstellung kommen aktuelle europäische AutorInnen zu Wort und die BesucherInnen sind in interaktiven Elementen eingeladen, sich an diesem Gespräch zu beteiligen.
Die oben gestellte Frage kann jedoch nicht ohne einen genauen Blick auf die Themen, die Motive, die Poetik der Zweig‘schen Texte beantwortet werden. Offensichtlich fordert zum Beispiel die Grundstruktur der Novelle Brief einer Unbekannten zur Neuinterpretation, zur Übersetzung in andere kulturelle Kontexte, zur kritischen Reflexion des Verhaltens und der Position jener Frauenfigur heraus, die einen langen Abschiedsbrief an einen unerwidert geliebten Schriftsteller schreibt.
Der Weltautor Stefan Zweig verstand sich als Weltbürger, der mit großer Neugier unzählige Reisen in viele Weltgegenden unternahm, bevor er zum Exilanten und Getriebenen wurde. Zweig unternahm bereits als junger Mann ausgedehnte Reisen quer durch Europa bis nach Algerien (1905), Indien, Sri Lanka und Myanmar (1908/1909) sowie in die USA, nach Kanada, Kuba, Puerto Rico, Haiti, Jamaica und Panama (1911). Im Auftrag des Kriegsarchivs absolvierte er während des Ersten Weltkriegs eine zweiwöchige Dienstreise nach Galizien (1915). 1928 wurde er als österreichischer Vertreter zu den Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Leo Tolstois in die Sowjetunion eingeladen.
Die Reiserouten seiner letzten Lebensjahre sind hingegen durch die Vertreibung und Flucht vor den NationalsozialistInnen geprägt. Nach der Verlegung seines Wohnsitzes nach London und Bath hielt er sich jeweils länger an verschiedenen Orten in den USA und Lateinamerika auf, bevor er sich schließlich im brasilianischen Petrópolis außerhalb Rio de Janeiros niederließ.
Ohne den Rhythmus des Reisens ist Zweigs Schreiben nicht vorstellbar. Auch die Figuren und Schauplätze seiner Erzählliteratur führen einmal rund um den Globus. In Magellan. Der Mann und seine Tat (1938) nimmt der Autor seine LeserInnen mit auf die entbehrungsreiche Fahrt des portugiesischen Weltumseglers. Die Suche nach der Passage in den Pazifischen Ozean gestaltet sich wie in vielen der Zweig‘schen Entdecker- und Abenteurererzählungen als welthistorisches Drama.
Die Novelle Der Amokläufer (1922) spielt in der ehemaligen Kolonie Niederländisch-Indien (heute Indonesien). In einem der berühmtesten Texte, der posthum erschienenen Schachnovelle, entfaltet sich die Geschichte auf der Überfahrt von New York nach Südamerika.
Die historischen Miniaturen der – mittlerweile zur geflügelten Wendung gewordenen – Sternstunden der Menschheit führen in verschiedene Epochen wie auch Kontinente: von Cicero im antiken Rom zur Eroberung von Konstantinopel (1453) und der (europäischen) Entdeckung des Pazifiks (1513), von den Napoleonischen Kriegen, dem kalifornischen Goldrausch und der Verlegung des ersten Transatlantikkabels im 19. Jahrhundert zu Robert F. Scotts Expedition zum Südpol und weiteren Episoden um Dostojewski, Lenin, Tolstoi und Woodrow Wilson im frühen 20. Jahrhundert. Die Begegnung mit dem Fremden und Reisen vom Bekannten ins Unbekannte – auch im übertragenen Sinn als psychische Passagen aus der Welt des Bewussten in dunkle Gefilde der Psyche – gehören zu den wichtigsten Antriebskräften des Zweig‘schen Schreibens.
Die Welt hatte für Zweig auch in einem ideellen Sinne Bedeutung. In Essays, Vorträgen und Briefen setzte er sich ausführlich mit den großen Weltideen auseinander. Nach einer patriotischen Phase zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde er zum überzeugten Pazifisten, der sich von jeglicher Politik fernhalten wollte. Für manche wie die politische Theoretikerin und Emigrantin Hannah Arendt hingegen gehörte der aktive Widerstand jüdischer Intellektueller und KünstlerInnen, gerade dann, wenn sie in so hohem Maße zur Weltöffentlichkeit zählten wie Stefan Zweig, zur unbedingten Verpflichtung. (Vgl. Arendts Rezension der Welt von Gestern in Arendt 1948).
Zweig, der ein ambivalentes Verhältnis zu seinem Weltruhm hatte, setzte seine Hoffnungen hingegen in eine Weltliteratur als universal wirksames Medium der Völkerverständigung, die über die Grenzen der einzelnen Nationen hinausgeht. Ab 1919 versuchte er seine Vision in die Praxis umzusetzen und begründete das großangelegte und schlussendlich nicht besonders erfolgreiche Projekt der Bibliotheca Mundi, einer Edition von repräsentativen Werken der Weltliteratur in den jeweiligen Originalsprachen beim Insel Verlag.
Das Verhältnis Zweigs zu seiner jüdischen Identität, die er als übernationale Haltung verstand, ist komplex; sein Weltbürgertum mündete schließlich in die Emigration. Ebenso bedürfen seine teilweise widersprüchlichen Aussagen zum Internationalismus und Kommunismus einer genauen zeithistorischen Verortung. Zweig war ein Vordenker eines vereinten Europas. Das Modell eines friedlichen Zusammenlebens verschiedener Völker findet sich im Spätwerk als Projektion eines idealisierten multikulturellen Staates am anderen Ende der Welt (Brasilien. Ein Land der Zukunft, 1941) wie als teilweise verklärende Darstellung des Habsburgerreichs in der Welt von Gestern (1942).
Über die AutorInnen: Univ.Doz. Dr. Bernhard Fetz ist Direktor des Literaturarchivs, des Literaturmuseums und der Sammlung für Plansprachen und des Esperantomuseums der Österreichischen Nationalbibliothek. Dr. Arnhilt Inguglia-Höfle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Literaturarchiv und Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek. Prof. Dr. Arturo Larcati ist Leiter des Stefan Zweig Zentrums der Universität Salzburg und Professor für Neuere deutsche Literatur an der Universität Verona.
Wir bedanken uns sehr herzlich bei der Wiener Städtischen Versicherung / Team s Versicherung für die finanzielle Unterstützung der Ausstellung.
Die Sonderausstellung „Stefan Zweig: Weltautor“ ist bis 27. Februar 2022 im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek, Johannesgasse 6, 1010 Wien zu sehen. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Stefan Zweig Zentrum Salzburg und dem Literaturarchiv Salzburg.
Zur Ausstellung ist ein umfangreiches Begleitbuch mit zahlreichen Texten, Abbildungen und neuen Forschungsperspektiven erschienen: Stefan Zweig. Weltautor. Hg. v. Bernhard Fetz, Arnhilt Inguglia-Höfle u. Arturo Larcati. Wien: Zsolnay Verlag 2021.
Arendt 1948 = Hannah Arendt: Juden in der Welt von gestern. In: Dies.: Sechs Essays. Heidelberg: Lambert Schneider 1948, S. 112–127.
Mann 1992 = Thomas Mann: Stefan Zweig. Zum zehnten Todestag 1952. In: Der große Europäer Stefan Zweig. Hg. v. Hanns Arens. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1981, S. 187–188.
Mann 2001= Erika Mann/Klaus Mann: Escape to life. Deutsche Kultur im Exil [1939]. Hg. von Heribert Hoven. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 2001.
Weinzierl 1992 = Ulrich Weinzierl (Hg.): Stefan Zweig – Triumph und Tragik. Aufsätze, Tagebuchnotizen, Briefe. Frankfurt a. M.: S. Fischer 1992.
Zweig-Handbuch 2018 = Stefan-Zweig-Handbuch. Hg. v. Arturo Larcati, Klemens Renoldner u. Martina Wörgötter. Berlin, Boston: De Gruyter 2018.
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