Die Anfänge der kaiserlichen Hofbibliothek, der Vorgängerin der heutigen Nationalbibliothek, führen zurück ins europäische Mittelalter. In den Schatzkammern der weltlichen Regenten lagen neben Juwelen, Kleinodien und allerlei Kuriositäten auch wertvollste Bücher, die man ererbt oder eigens in Auftrag gegeben hatte. Diese Kostbarkeiten besaßen nicht nur einen hohen materiellen, sondern vor allem einen symbolischen und sakralen Wert. So ist es nicht verwunderlich, dass die Schatzkammern des Mittelalters sich zumeist an heiligen Orten befanden.
Auch in der Wiener Herzogsburg bargen zwei Sakristeien, die sich im südlichen Eckturm der Burgkapelle befanden, den Schatz Herzog Albrecht III. (1349 od. 50–1395). Der Herzog war ein großer Kunstkenner, er förderte die Wiener Universität, gründete eine Hofminiatorenwerkstätte und veranlasste die Übersetzung von lateinischen Werken in die Landessprache.
Ein besonderes Objekt aus seiner Sammlung ist das Evangeliar des Johannes von Troppau. Ganz in Gold geschrieben, mit aufwändigem Bildschmuck versehen und von einem Prachteinband umgeben, zählt es zu den wertvollsten Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek. Am Ende der Handschrift, die alle vier Evangelien des Neuen Testaments versammelt, führt der Schreiber und Buchmaler nicht nur seinen Namen und seine kirchlichen Ämter an, sondern auch das Jahr, in dem er das Werk vollendet hat: 1368. Vermutlich wurde das Evangeliar im Auftrag von Herzog Albrecht III. von Österreich geschaffen: Vier Wappen auf den Darstellungen von Szenen aus dem Leben der vier Evangelisten zeigen das Haus Österreich, die Steiermark, Tirol und Kärnten, die Länder in denen Albrecht III. zu dieser Zeit regierte. Die herausragende Bedeutung dieser Handschrift, die repräsentativ für die Anfänge der habsburgischen Büchersammlungen ist, begründet ihre Bezeichnung als "Gründungscodex" der kaiserlichen Hofbibliothek und damit auch der Österreichischen Nationalbibliothek. (ÖNB, Codex 1182)
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