Der Beitrag gibt am Beispiel einer Inkunabel Einblicke in die komplexe Restaurierung älterer Druckwerke. Der vorliegende Kommentar zu den Paulusbriefen wurde 1478 in Mantua gedruckt. Das Hauptaugenmerk bei der Restaurierung lag auf dem stark beschädigten Pergamenteinband.
Autorin: Birgit Speta
Die „Postilla super Epistolas Pauli“ , ein Kommentar zu den Briefen des Apostel Paulus, wurde von Nicolaus de Lyra verfasst und 1478 von Paul von Butzbach in Mantua gedruckt. Der Autor wurde zwischen 1270 und 1275 in der Normandie geboren und starb 1349 in Paris. Er war einer der führenden franziskanischen Theologen und einflussreichsten christlichen Exegeten seiner Zeit. Nicolaus de Lyra erwarb sich einen herausragenden Ruf als Lehrer an der Pariser Universität und hatte geleichzeitig hohe Ämter im Franziskanerorden inne. 1330 trat er jedoch von diesen Ämtern zurück, um sich ganz dem Schreiben widmen zu können. Sein Hauptwerk ist der überhaupt erste gedruckte (Inkunabel-) Bibelkommentar. (Ruh 1987) Das Wort „Inkunabel“ leitet sich vom lateinischen “in cuna” ab und bedeutet so viel wie “in der Wiege liegend“. Damit werden in übertragenem Sinn die ersten Drucke bezeichnet, die seit der Erfindung des Buchdruckes durch Gutenberg in den 1450er-Jahren bis 1500 entstanden.
Von der vorliegenden Ausgabe der „Postilla super Epistolas Pauli“ sind derzeit nur 57 Exemplare in öffentlichen Einrichtungen bekannt (vgl. GW).
Viele der frühen gedruckten theologischen Kommentare sind – wie auch der vorliegende Band – nicht für Repräsentationszwecke ausgestattet, sondern in der Wissenschaftssprache Latein an ein theologisch gebildetes Fachpublikum gerichtet. Die Textseiten bestehen aus zwei lesefreundlich eingerichteten Spalten, die Gliederung in Kapitel ist in der Kopfzeile angeführt. Es gibt noch keine gedruckte Zählung der 183 Blätter und kein Titelblatt. Im Druck freigelassene Stellen am Beginn einzelner Textabschnitte zeigen, dass später ein Buchschmuck mit Initialen individuell oder von der Hand eines Buchmalers eingesetzt werden sollte. Auch die Einbände der einzelnen Exemplare einer Ausgabe wurden üblicherweise erst von den Käufern veranlasst.
Das Exemplar aus der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek weist einen Pergamenteinband auf. Als Überzugsmaterial diente die Doppelseite einer nicht mehr benötigten Handschrift. Die Lagen aus Papier wurden auf drei lederne Doppelbünde und zwei Kapitalbünde geheftet. Die Kapitale sind aus Hanfkordeln gefertigt, die mit Lederstreifen umwickelt sind.
Der Pergamenteinband war stark beschädigt. Das Pergament hatte mehrere Fehlstellen am Rücken und es war in diesen Bereichen zum Teil eingerissen und stark geknickt. Bei jeder Benutzung des Bandes bestand die Gefahr von weiterer Beschädigung und Materialverlust. Auch an den Buchdeckeln gab es einige kleinere Fehlstellen im Pergament.
Das untere Kapital war vollständig verloren gegangen. Bei dem oberen Kapital waren die Fäden mehrfach gerissen und die Fadenumwicklung hatte sich zum Teil stark gelockert.
Die ersten und letzten Seiten des Buchblockes waren stark verschmutzt und zum Teil leicht eingerissen. Ansonsten war der Buchblock in gutem Zustand.
Bei der Restaurierung von Einbänden steht der Restaurator immer wieder vor der Frage, ob Fehlstellen mit demselben Material oder mit einem andern, für den funktionalen Anspruch aber besser geeigneten, natürlichen Material ergänzt werden sollen. Diese Frage stellte sich auch in diesem Fall. Pergament ist unter den richtigen klimatischen Bedingungen zwar ein sehr haltbares Material, jedoch ist es durch seine weitgehend fehlende Flexibilität nicht immer das geeignete Material für Ergänzungen im Bereich der Gelenke, wo es der größten mechanischen Beanspruchung ausgesetzt ist.
Aus diesem Grund wurde in diesem Fall entschieden, die Fehlstellen mit Japanpapier zu ergänzen. Dies ist ein aus Naturfasern hergestelltes Papier, das auf Grund seiner langen Fasern im Verhältnis zu seiner Stärke eine sehr hohe Reißfestigkeit aufweist.
Die Fäden des oberen Kapitals wurden wieder straff gewickelt und lose Enden mit Weizenstärkekleister fixiert. Das fehlende Kapital wurde nachgestochen. Dafür wurde eine Hanfkordel mit einem Streifen Kalbsleder umwickelt, welcher mit Weizenstärkekleister verklebt wurde. Mit einem Flachsgarn wurde darüber ein Grundkapital gestochen, das in jede dritte Lage tiefgestochen wurde. Die am Rücken noch vorhandenen Fadenfragmente des Originalkapitals wurden belassen.
Die ersten und letzten Seiten im Buchblock wurden trocken gereinigt und Risse mit dünnem Japanpapier und Weizenstärkekleister verklebt. Da der Buchrücken hohl – nicht mit dem Buchblock verklebt - gearbeitet ist, wurden die Fehlstellen zwischen den Bünden zunächst mit einer Hülse aus Japanpapier unterlegt. Darauf wurden leicht überlappend zwei Schichten Japanpapier in der Größe der Fehlstellen verklebt. Danach wurde das Originalpergament niedergeklebt. Zum Schutz der Fehlstellenkanten und um eine ähnliche Materialstärke zu erzielen, wurden leicht überlappend über die Fehlstellenränder noch zwei Schichten Japanpapier gesetzt. Für die zweite Schicht wurde dabei ein auf den mittleren Farbton des Pergaments eingefärbtes Japanpapier verwendet.
Nach der Restaurierung kann die Inkunabel bei sorgfältiger Handhabung wieder unbeschadet geöffnet und benützt werden.
Die hier geschilderte Arbeit war Teil eines laufenden Projektes der Restaurierung stark beschädigter Inkunabeln der Sammlung von Handschriften und alten Drucken.
Zur Autorin: Mag. Birgit Speta ist Mitarbeiterin am Institut für Restaurierung der Österreichischen Nationalbibliothek
Ruh, Kurt (1987) : Die deutsche Literatur des Mittelalters: Verfasserlexikon. Stammler, Wolfgang (Begr.), Ruh, Kurt (Hrsg.); Langosch, Karl (Bearb.); Bd. 6, 2. Auflage, Berlin: de Gruyter
Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) : M26553 Nicolaus de Lyra: Postilla super epistolas Pauli. Mantua: Paul von Butzbach, 28.IV.1478. 2°
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