Autorin: Helga Hühnel
Am 26. Oktober jährt sich zum 200. Mal der Todestag Nikolaus Joseph Jacquins (1727-1817).
Der berühmte in Leiden geborene Naturwissenschaftler, der in den Niederlanden und in Frankreich einen Teil seiner Studien absolvierte, fand erst in Wien Anerkennung und Erfolg. Bis es ihm gelang, sein Ziel und seine Leidenschaft – die Botanik – auch beruflich einzusetzen, lag noch ein steiniger Weg vor ihm. Es erforderte ein großes Maß an Durchhaltevermögen, Fleiß und festem Willen sein Vorhaben durchzuführen.
Als Jacquin in Paris über keinerlei finanzielle Mitteln mehr verfügte und so auch sein Medizinstudium in der französischen Metropole nicht abschließen konnte, erinnerte er sich des langjährigen Familienfreundes, Gerhard van Swieten, ebenfalls aus Leiden gebürtig und bat diesen schriftlich um Hilfe. Van Swieten war inzwischen als Reformer des wissenschaftlichen Betriebes in Wien für das Kaiserpaar Franz Stephan und Maria Theresia unentbehrlich geworden. Das Bittgesuch tat seine Wirkung, Jacquin wurde eingeladen, nach Wien zu kommen, um hier sein Studium zu vollenden. Der grandios formulierte Dankesbrief an seinen Gönner, in wohlklingenden elegischen Distichen in lateinischer Sprache, befindet sich heute in der Handschriftensammlung der ÖNB[i], und ist ein Lehrbeispiel, wie Jacquin dem elitären Geschmack seines klassisch gebildeten Mäzens zu entsprechen versuchte. Für die Zukunft wollte er nachhaltige Leistungen vollbringen, um van Swietens Vertrauen zu rechtfertigen.
Bei seiner ersten Ankunft in Wien, 1752, wurde Jacquin in den Räumlichkeiten der neuen Hofbibliothek einquartiert, in der van Swieten als Präfekt über eine Wohnung für sich und seinen Diener Cornelius Schonenbosch verfügte. Sofort schrieb er an seinen Freund Theodor Gronovius nach Leiden, dass er „mit seinem Gönner in die Stadt in die geräumige Wohnung gefahren sei, die Van Swieten in der Hofbibliothek, die unvorstellbar prunkvoll und königlich sein, innehabe“.[ii]
Neben seinem Medizinstudium besuchte Jacquin öfters den Pflanzengarten in Schönbrunn, für den die holländischen Gärtner Adrian van Stekhoven und Richard van der Schot zuständig waren. Als der Kaiser – übereinstimmend mit van Swieten – an eine Expedition zur Aufwertung des Gartens und des Tiergeheges von Schönbrunn dachte, wurde Jacquin von seinem Mäzen als Expeditionsleiter vorgeschlagen. Für seine Bestellung sprachen u. a. folgende Kriterien: Jacquin beherrschte die französische Sprache, verfügte über botanische Kenntnisse, war in der höfischen Etikette bewandert und hatte, was sicher auch die personelle Entscheidung erleichterte, Verwandte auf Martinique. So kam Jacquin zu dieser einmaligen Chance, eine Expedition anzuführen, zu der der Kaiser selbst die Instruktionen verfasst hatte.
Von 1754 bis 1759 leitete unser Protagonist diese Übersee-Unternehmung – die sein zukünftiges Leben maßgebend beeinflussen sollte – umsichtig und erfolgreich. Er entpuppte sich als perfekter Organisator, knüpfte die wichtigen Kontakte mit der karibischen kolonialen Gesellschaft vor Ort, schickte die mit ihm reisenden beiden Vogelsteller und den Gärtnerburschen zum Sammeln quer über die Inseln, füllte die entsprechenden Listen mit den Sammelinhalten aus, managte die Zwischenlagerungen der Pflanzen, Tiere und Mineralien und arrangierte die zahlreichen Rücktransporte nach Wien. Als unerwartetes Glück für die Historiker präsentiert sich das komplette Reiserechnungskonvolut im Haus-Hof- und Staatsarchiv in Wien[iii]. Jacquin führte penibel Buch über alle Ausgaben dieser Reise, indem er alle Posten getrennt nach Unterkunft und Verpflegung, Transporte, Kleidung, etc. exakt auflistete.
Was infolge der Analyse der Reiserechnungen sehr erstaunt, ist der Befund, dass Jacquin in den Tropen als Höfling unterwegs war: 104 Paar Schuhe (zusammen mit den drei Mitreisenden) und die Rechnungen für Nachthauben, Nachttöpfe, vierundzwanzig Hemden, dazu Batist und Spitzen, Jacken, Weste, sieben bestickte Manschetten und zahlreiche Hosen, seidene und zwirnene Strümpfe, auch Tischtücher, Servietten, Handtücher, Seifen, Löffel und Gabeln, Kaffeekanne und ein kupfernes Gefäß zur Schokoladezubereitung, Trinkgläser, Laternen und Kerzen bezeugen, dass er auf einen gewissen Komfort nicht verzichtete und überall als Repräsentant des Kaisers auftrat. Hängematten, Strohhüte, Papier und Tinte, Wasserfarben, Bouteillen für die Pflanzensamen etc. finden sich ebenso verzeichnet, wie die monatliche Konsultierung des Barbiers und „Perruquiers“.
Diese Reise veränderte nachhaltig Jacquins Leben. Er entwickelte sich vom Pflanzenliebhaber zum fachkundigen Sammler und danach zum Beschreiber unzähliger Arten und Gattungen bis hin zum Taxonomen und Methodiker. Er hatte seinen Gönner van Swieten von seinen Fähigkeiten überzeugt und dieser suchte nun einen adäquaten Posten für seinen Schützling. Nach einem vierjährigen Intermezzo als Bergrat und Professor für Chemie und Mineralogie in Schemnitz wurde Jacquin 1768 als Professor für Chemie und Botanik an die Universität Wien berufen, eine Stellung die auch die Leitung des botanischen Gartens am Rennweg umfasste. Nun war Jacquin angekommen, er sollte Wien als Lebens- und Arbeitsmittelpunkt nie wieder verlassen. Gleich nach seiner Rückkehr aus der Karibik hatte er zu publizieren begonnen, nun aber explodierte die Herausgabe seiner botanischen Werke, deren wunderbare Zeichnungen nicht zuletzt seinen Ruf als Botaniker begründeten.
Es besteht kein Zweifel, dass Jacquin ein ungeheuer großes Arbeitspensum bewältigte und sich zu Recht durch seine zahlreichen Veröffentlichungen hohes Ansehen erwarb. Aber lag sein Ruhm alleine darin begründet? Verdient hatte er ihn, aber dass er ihm in so hohem Maße zu Teil wurde, war wohl nicht nur seiner wissenschaftlichen Leistung zuzuschreiben. Warum verfielen andere Botaniker der Vergessenheit, Jacquin jedoch wurde noch Jahrzehnte nach seinem Tode verehrt?
Es ist wohl ein Bündel von Faktoren, die dazu beitrugen: Zunächst seine Treue zum botanischen Ordnungssystem des Carl von Linné, dann Fleiß, Schaffensfreude, sicher auch Ehrgeiz, all diese Eigenschaften halfen ihm, unzählige amerikanische und später dann die heimischen Alpenpflanzen zu beschreiben und zu visualisieren. Als Botaniker, Chemiker, Mineraloge, Professor, Autor, Bergrat und Pharmazeut, Gartendirektor und Forschungsreisender war er vielseitig und erfolgreich tätig. Mit Botanikern aus aller Welt pflegte er intensiven Briefkontakt. Aber dazu kam noch etwas – Jacquin wusste sich zu inszenieren: Seine eloquente Beherrschung des Lateinischen, sein Ruf als dilettierender Dichter, seine Betonung der Bedeutung von Pflanzenillustrationen und die Liebe zur Musik kürten seinen Salon jeden Mittwochabend zu einem Mittelpunkt der Wiener Gesellschaft.
Alles, was bisher über den Werdegang Jacquins erzählt wurde, fußt weitgehend auf einer Selbstdarstellung, die er gegen Ende seines Lebens seinem Sohn diktiert hatte, die jedoch nicht immer mit der Realität übereinstimmt, wie die neuerschienene „Biographie“[iv] zu erhellen versucht.
Über die Autorin: Dr. Helga Hühnel ist stellvertretende Leiterin der Kartensammlung der Österreichischen Nationalbibliothek und Koautorin der neu erschienenen Jacquin Biographie.
[i] ÖNB, HAD, Autograph 13/77-1 vom 15. Mai 1752.
[ii] Zit. nach Marianne Klemun / Helga Hühnel (2017): Nikolaus Joseph Jacquin (1727 – 1817) – ein Naturforscher (er)findet sich, Göttingen: VUP, S. 532. » https://books.google.at/books?isbn=3847007106
[iii] Vgl. HHStA, Hausarchiv, Poschakten, JS, Karton 2; 2-16.
[iv] Klemun und Hühnel 2017.
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