Lieber Herrgott, schenke mir eine Rolle Klopapier!

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23.03.2020
Geschichte in Geschichten
Mann auf einem Motorrad, an ihm sind viele Rollen Klopapier befestigt, hinten steht eine hölzerne Klokabine, schwarz-weiß
Lieber Herrgott, schenke mir eine Rolle Klopapier!

Autorin: Margot Werner


Abb.1: » Verkaufsstand auf dem Wochenmarkt, 1961

Wer am Samstag vor einer Woche im Supermarkt eine Packung Klopapier ham…, ähhm, kaufen wollte, musste den Eindruck gewinnen, dass um das Alltagsprodukt ein Hype losgebrochen war. Aber woher kommt der Run auf ein so gewöhnliches Produkt? Eine kleine Recherche in unserem digitalen Lesesaal historischer Zeitungen und Zeitschriften » ANNO fördert dazu Erhellendes zu Tage: Klopapier (oder nobler „Toilettenpapier“ – nachdem aber auch die durchwegs honorigen ModeratorInnen des ORF den umgangssprachlichen Begriff verwenden, bleiben auch wir dabei) scheint schon in vergangenen Krisenzeiten das Zeug zu einem veritablen Renner gehabt zu haben.

Geschichte des Klopapiers

» Wikipedia lehrt uns, dass die erste Erwähnung von Klopapier sich bereits im 6. Jahrhundert in China nachweisen lässt. Europa war da noch deutlich rustikaler, die Verwendung von Moos, Blättern, Heu und dergleichen für die Intimhygiene ist aus der Analyse von Abfallgruben belegt.

Der Einsatz von Papier für die Reinigung etablierte sich mit dem Einsetzen der industriellen Papierherstellung und stand in Verbindung mit dem „englischen Wasserklosett“, das in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts seinen Siegeszug antrat.

Das erste tatsächlich eigens für diesen Zweck produzierte Klopapier entwickelte die Firma Joseph Gayetty 1857 in den USA – das innovative Produkt schwappte aber bald auf den alten Kontinent über und schon 1890 wurde von der „Scott Paper Company“ in den USA die Klorolle erfunden. Bereits fünf Jahre später boten findige Firmen auch in Europa die moderne Rolle samt passendem Halter an:


Abb. 2: » Prager Tagblatt, 7, Juli 1895

Und wie so oft waren es die Deutschen, die – aktuell neben uns ÖsterreicherInnen WeltmeisterInnen im Hamstern von Klopapier – das Potenzial eines Produkts erkannten, es verbesserten und zu Weltruhm brachten. Erwähnenswert an dieser Stelle ist das 1928 von Hans Klenk in Ludwigsburg gegründete Unternehmen. Sie erraten es? (Der Firmenname funktioniert nach dem Haribo-Prinzip, gegründet von Hans Riegel aus Bonn).


Abb. 3: » Geschäftsführer Erich Chladek, 1995, © APA

Krisenwährung Klopapier

Sollte das Hamstern von ganzen Jahresvorräten also gar nicht dem Nachahmungseffekt, sondern beinharten Spekulationen geschuldet sein? Das legen nicht nur » aktuelle Kommentare, sondern auch bemerkenswerte historische Fundstücke nahe:

Im letzten Kriegsjahr des Ersten Weltkriegs, so berichten uns die „Innsbrucker Nachrichten“ und das „Montagsblatt aus Böhmen“, hatte sich vor dem Wiener Landesgericht die Papierhändlerin Amalie Bernauer zu verantworten, wegen Preistreiberei mit dem Handel von Klopapier der Sorten „Diskret Weiß“ und „Diskret Braun“! In der Verhandlung wurde die Frage erörtert, ob es sich bei „Klosettpapier“ um einen „unentbehrlichen Bedarfsartikel“ oder einen „Luxusartikel“ handle: Ersteres, wurde vom Richter beschieden und die Angeklagte wegen Preistreiberei zu einer, immerhin milden, Geldstrafe verurteilt:


Abb. 4: » Innsbrucker Nachrichten, 11. April 1918; auch in » Montagsblatt aus Böhmen, 15. April 1918

Und ein wirklich boshafter Beitrag zur Klopapier-Krise ist dem Satirenblatt „Wiener Karikaturen“ von 1916 zu entnehmen:


Abb. 5: » Wiener Karikaturen, 27. Februar 1916

Die Versorgung von Soldaten im Feld mit dem Lebensnotwendigsten – und Klopapier – ist in den Zeitungen der Hungerjahre 1917/18 ein Dauerthema, ebenso wie Aufrufe zur Spende von Gütern, oft „Liebesgaben“ genannt. Es versteht sich fast von selbst, dass auch dabei Hygienebedürfnisse im Fokus standen und Klopapier ein Fixstarter in den Empfehlungen zur Zusammenstellung solcher Pakete war:


Abb. 6: » Tiroler Soldatenzeitung, 10. Dezember 1916

Im Zweiten Weltkrieg gibt die » Drogisten-Zeitung Tipps, wie der Verkauf von Mangelgütern am besten zu kommunizieren sei: mittels einer Schiefertafel in der Auslage, geteilt in „lagernd“ und „nicht lagernd“. Als Beispiel wird natürlich auch hier Klopapier angeführt; dazu der Hinweis, dass man beim Kauf dieser Mangelwaren „auch an die Berufstätigen denken soll“, verbunden mit der Hoffnung, dass dieser Aufruf seine „moralische Wirkung“ nicht verfehlen werde… Eine fürwahr tagesaktuelle Empfehlung!

Ein Artikel der Obersteirischen Zeitung vom 29. November 1947, könnte nahezu 1:1 von heutigen Journalisten abgeschrieben werden: Kaufleute geben an, von Kunden gestürmt worden zu sein: „Als Beispiel wird angeführt, daß die Kunden wahllos alles kauften, was zu haben war (…) von Klosettpapier wurden ganze Rollen in großen Mengen erstanden, so daß die Käufer auf Jahrzehnte hinaus damit versorgt sein müßten.“


Abb.7: » Obersteirische Zeitung, 29. November 1947

Das » Linzer Volksblatt vom 2. Februar 1948 fühlte sich wiederum zu Beginn des Jahres 1948, als die Mangelerscheinungen des vorangegangenen Zweiten Weltkriegs noch überall spürbar waren, zu einer Gegendarstellung in einer Beleidigungssache bemüßigt. Worum ging es? Klar: um Klopapier. Der Beleidigte, welcher die doch enorme Menge von 1.000 Rollen Klopapier in Zeiten der Umstellung vom alten Schilling auf den neuen Schilling 1947 ankaufte (am 10. Dezember 1947 startete eine zweiwöchige Umtauschfrist des alten in den neuen Schilling, wobei der alte Schilling auf Grund der Wirtschaftsschwäche um zwei Drittel abgewertet wurde) rechnet uns in seiner Gegendarstellung vor, dass er sich damit finanziell saniert hätte:

„Im November kostete eine Rolle Klopapier bereits 1,20 alte Schilling. Die 1000 Rollen kosteten mich 1200 alte Schilling = 400 neue Schilling. Heute kostet eine Rolle Klopapier im gleichen Geschäft schon 2.10 (neue!) Schilling. 1000 Rollen würden mich heute demnach 2100 neue Schilling kosten. Es ist eine sehr einfache Rechnung, dass ich durch meine Käufe allein bei Klopapier 1700 neue Schilling gewonnen habe.“

Ein respektabler Gewinn und wohl Wasser auf den Mühlen aller „Hamster“!

Das » Prager Tagblatt vom 13. Juli 1923 berichtet von einem Leserbriefschreiber und Rechenkünstler, der in Zeiten des Währungsverfalls deutlich weniger Fortüne hatte:

„Gestern kaufte ich eine Rolle Klopapier. Sie kostet 1500 Mark und enthielt 50 Blatt, das einzelne Blatt also 30 Mark! Seitdem weiß ich, wie ich 20 Markscheine mit erheblichem Nutzen verwenden kann. Besitzern von 20-Markscheinen bin ich bereit, mein Geheimnis zu verraten, es ermöglicht eine Aufwertung des Papiergeldes um 50 Prozent!“.

Doch auch hier könnte man argumentieren, der Vorratskauf hätte sich gewinnbringend wieder veräußern lassen.

In eine ganz ähnliche Bredouille kam laut „Volksstimme“ aus dem Jahr 1949 ein Flüchtling aus dem Osten, ihm wurde seine Geldschein-Zweitverwertung beinahe zum Verhängnis:


Abb. 8: » Volksstimme, 29. Mail 1949

In diesem Fall ist allerdings ein Irrtum anzunehmen, es wird sich wohl nicht um US-Dollarscheine gehandelt haben, sondern um das wertlos gewordene amerikanische Besatzungsgeld, welches in Russland in Unmengen gedruckt wurde.

Doch Hilfe war schon im Anmarsch um der bitteren Klopapiernot ein Ende zu bereiten: Sowohl bei den Hilfsgütern des Marshallplans als auch in Einzelhilfsaktionen der USA spielte Klopapier offenbar eine zentrale Rolle: so findet sich denn in der „Neue Zeit“ von August 1948 die Headline » Marshall liefert 2 Waggon Klosettpapier und im von den USA gelieferten » Pazifikrationspaket für Arbeiter, das den gleichen Inhalt wie jenes für im Pazifik eingesetzte US-Marines hatte, war neben drei Mahlzeiten, Kaugummi und Zigaretten selbstverständlich auch Klopapier enthalten.


Abb. 9: » Toilette im amerikanischen Flüchtlingsempfangsbüro, 1953. (Spannend die Gegenüberstellung von Zeitung und Klopapierrolle. Zur freien Wahl oder war die Zeitung doch zum Lesen gedacht?)

Klopapier gegen das Virus

Frappierend aktuell muten hingegen die Empfehlungen zur Seuchenbekämpfung im Ersten Weltkrieg an, in der Klopapier eine wesentliche Rolle spielte, damals ging es allerdings um die Ruhr.

„Diese leichten Fälle sind die gefährlichsten, weil die Krankheit sie nicht ans Bett bindet: sie sind es welche den Keim der Krankheit überall aussäen (…). Ihre Notdurft verrichtend, wischt sich sehr oft die Mannschaft in Ermangelung von Klosettpapier mit bloßen Fingern ab, reicht die Hand dem Kameraden, greift die Türklinke oder das gemeinsame Wassergefäß an (…). (» Der Militärarzt 1913).

In die gleiche Kerbe schlägt die Zeitung „Der Tiroler“, nebst dem wohlbekannten Hinweis auf das gründliche Händewaschen und dem immer noch im Kindergarten gelehrten Spruch aus unserer Kindheit:

„Der wirksamste Schutz gegen die Ruhr ist daher die Sauberkeit der Hände. Dringend zu empfehlen ist deshalb der Gebrauch von gutem Klosettpapier. Außerdem aber beherzige jeder „Nach der Notdurft vor dem Essen, Händewaschen nicht vergessen“.


Abb. 10: » Der Tiroler, 23. Oktober 1917

Den Hygienefaktor unterstrich in der Werbung zu Seuchenzeiten gerne der Zusatz „» Gesundheitsclosetpapier“ oder auch „antiseptisches Klosettpapier“. (In einem Artikel der Allgemeinen Sportzeitung aus dem Jahr 1891 ganz wunderbar als „» Gentleman’s Reisebegleiter“ gepriesen, ergänzend zu Toilettensitzauflagen). Schön auch die medizinisch verbrämte Werbung der Firma Aesculap:


Abb. 11: » Drogistenzeitung, 19. April 1912

Doch jede Krise hat ein Ende und so sehen wir zuversichtlich in die Zukunft, denn: die schlechten Zeiten sind vorbei, es gibt wieder Klopapier!


Abb. 12: » Vorarlberger Nachrichten, 9. April 1948


Abb. 13: » Ein Bediensteter der Straßenverwaltung beliefert eine öffentliches Toilette, 1961

Über die Autorin: Mag. Margot Werner ist Leiterin der Hauptabteilung Benützung und Information der Österreichischen Nationalbibliothek

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