Die Digitalisierung der Musikbibliothek Kaiser Karls VI.

Forschung

13.11.2024
Musik
Abbildung eines, in Leder eingebundenen, alten Musikbuches.

Ein Blick hinter die Kulissen.

Autor: Marc Strümper

Ein auf sechs Jahre angelegtes Projekt zur Digitalisierung der Musikhandschriften der Hofmusikkapelle aus der Zeit Kaiser Karls VI., die in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt werden, nähert sich seinem Abschluss. Den Fragen Was? – Warum? – Wie? wird sich der folgende Text widmen.

Die Sammlung umfasst hunderte, überwiegend in braunes Leder gebundene Partitur- und Stimmenbände, die meist für die private Bibliothek des Kaisers bestimmt waren und kein direkt für Aufführungen benutztes Material darstellen. Hauptsächlich finden sich in dieser Sammlung Opern und Oratorien, kammermusikalische Werke sind historisch bedingt selten. Neben den Kompositionen der Hofkomponisten, die zu den Besten ihrer Zeit gehörten, sind auch Werke von Komponisten, die nicht am Hof angestellt waren, ihre Werke aber dem Kaiser gewidmet haben, in der Musikbibliothek Kaiser Karls VI. enthalten. 

Abb. 1: Karl VI., hier schon zu Lebzeiten um 1737 dargestellt im Prunksaal der von ihm errichteten Kaiserlichen Hofbibliothek (heute Österreichische Nationalbibliothek).
Abb. 2: Teile des Bestandes der Musikbibliothek Kaiser Karls VI. und typischer Ledereinband.

Hintergrund und Bedeutung der Sammlung

Die höfische barocke Prunkoper erlebte am Wiener Hof in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts ihren letzten großen Aufschwung, unter der Herrschaft Kaiser Karls VI. (reg. 1711–1740) erreichte sie dann ihren Höhepunkt und zugleich ihr Ende. An barocken Fürstenhöfen diente die Oper stets als panegyrisches Repräsentationsmittel, ein Propagandainstrument zur Darstellung des dynastischen Selbstverständnisses. Die besondere Affinität zur Musik, die in Wien mit diesen Repräsentationspflichten einherging, ist ein einzigartiges Merkmal des Hauses Habsburg. Karl VI., ebenso musikbegeistert wie sein Vater Leopold I. (reg. 1658-1705) und sein Bruder Joseph I. (reg. 1705-1711), war durchaus in der Lage, eine Opernaufführung auch selbst vom Cembalo aus zu leiten. Es war ihm ein Herzensanliegen, die besten Künstler*innen an seinen Hof zu holen und sie fürstlich zu entlohnen. Seine Regentschaft war geprägt von einer florierenden musikalischen Kultur, die sowohl weltliche als auch geistliche Musik umfasste, der Personalstand der Hofmusikkapelle betrug bis zu 250 Personen.

Die Titelblätter sind überwiegend sehr einheitlich gestaltet und nennen neben dem Titel des Werkes auch den Anlass der Aufführung, den Autor der Textvorlage und den Komponisten. 

Abb. 3: Titelblatt der Oper „La Clemenza di Tito“ von Antonio Caldara, 1734 (Mus.Hs.17109)

Oft werden auch die Rollen und ihre Darsteller angeführt, die zum Teil berühmte Sänger*innen des Hofes, aber auch Angehörige von Familien des Hochadels waren. 

Abb. 4: Liste der Mitwirkenden für die erste Aufführung

Die Hofmusikkapelle, bestehend aus hervorragenden Musikern und Komponisten, produzierte eine Fülle von Opern, Oratorien, Messen und anderen musikalischen Werken. Diese Kompositionen spiegeln die musikalischen Trends und Entwicklungen der Zeit wider und zeigen die enge Verbindung zwischen Musik, Politik und Religion im Habsburgerreich. Fixtermine waren dabei jedes Jahr unter anderem die Karnevalsfeierlichkeiten mit besonders prächtigen Opern sowie die Geburts- und Namenstage der Angehörigen der kaiserlichen Familie. Aber auch festliche Hochzeiten, Taufen und natürlich auch die religiösen Feiertage oder jeweils aktuellen politischen Ereignisse dienten als Anlass für die Produktion und Aufführung groß besetzter Werke. 

Abb. 5: Krönung Karls VI. zum Böhmischen König, 1723

Die Krönungsfeierlichkeiten von Kaiser Karl VI. zum böhmischen König in Prag im Jahr 1723 beispielsweise boten den Rahmen für eine der prächtigsten Produktionen jener Zeit. So wurde in einem eigens dafür errichteten Freilufttheater bei der Prager Burg die Festoper "Costanza e Fortezza" von Johann Joseph Fux (1660–1741) aufgeführt. Der Titel dieser Oper, deren Libretto von Pietro Pariati verfasst wurde, bezog sich auf den Wahlspruch des Kaisers: "constantia et fortitudine" – „Beständigkeit und Stärke“.

Abb. 6: Aufführung der Krönungsoper “Costanza e fortezza” von Johann Joseph Fux, Prag 1723

Zu den herausragenden Persönlichkeiten, die unter der Schirmherrschaft von Kaiser Karl VI. wirkten, zählen neben dem schon genannten Johann Joseph Fux Komponisten wie Antonio Caldara (1670–1736) und Francesco Bartolomeo Conti (1682–1732). Ihre Kompositionen prägen bis heute das Bild der barocken Musik am Wiener Kaiserhof, sie belegen das hohe künstlerische Niveau der Hofmusik. Die Manuskripte dieser Werke sind wertvolle Zeugnisse der barocken Musikkultur und bieten Einblicke in die kompositorischen Techniken und ästhetischen Vorstellungen der Zeit. Die italienische Opernkultur diente schon seit Jahrzehnten als direktes Vorbild für die Wiener Hofoper. Die in Wien engagierten Sänger*innen, Komponisten, Bühnenbildner und Librettisten stammten größtenteils aus Italien und die politische und geografische Nähe zu Wien begünstigte einen wechselseitigen Einfluss auf das Opernleben. 

Den mit Abstand größten Anteil in den Beständen der Musikbibliothek Karls VI. nehmen dabei die Werke Antonio Caldaras ein – darunter mehr als 80 Opern und 43 Oratorien. Caldara stand schon in den Diensten Karls, als dieser noch als spanischer König in Barcelona residierte. Karl schätzte ihn sehr und holte ihn nach seiner Krönung zum Kaiser an den Wiener Hof, wo er die Nachfolge von Johann Joseph Fux als Hofkapellmeister antrat. 

Abb. 7: Antonio Caldara

Die Digitalisierung

Die Musikbibliothek Kaiser Karls VI. war schon komplett im Katalogsystem der Österreichischen Nationalbibliothek erfasst. Für die Digitalisierung wurden Barcodes auf Bandebene vergeben sowie eine Paginierung (Durchzählung) der Einzelseiten durchgeführt, um eine eindeutige Verbindung zwischen Digitalisat und physischem Objekt herstellen zu können. Die Digitalisierung selbst ist mit Hilfe modernster Scantechnologie an einem berührungslosen V-Scanner erfolgt, welcher die zwei gegenüberliegenden Seiten eines Bandes gleichzeitig erfassen kann. Somit war auch eine die Einbände und das alte Papier besonders schonende Verarbeitung möglich. Die Bilder wurden mit 600 ppi gescannt und in einem verlustfrei komprimierten Dateiformat gespeichert.
 

Abb. 8: Auflicht-Scanner in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

Die Digitalisierung dieses umfangreichen Bestandes von Musikhandschriften stellt einen bedeutenden Schritt zur Erhaltung und Zugänglichmachung dieses kulturellen Erbes dar. Durch die kostenfreie Bereitstellung der digitalisierten Manuskripte im Internet können Forschende, Studierende und Musikinteressierte weltweit auf diese wertvollen Quellen zugreifen und einzelne Seiten als Bild oder ganze Manuskripte als PDF herunterladen. Dies eröffnet neue Möglichkeiten für die wissenschaftliche Forschung und die Musikpraxis, da viele der Werke auch nur in der Österreichischen Nationalbibliothek überliefert sind. Im Rahmen des Projektes wurden mehr als 750 Werke mit ca. 180.000 Seiten erfasst. Diese werden gemeinsam mit technischen Metadaten nach einer manuellen Vollständigkeitskontrolle in das digitale Repository für die Langzeitarchivierung verschoben. In die Katalogisate werden Links zu weniger speicherplatzintensiven Versionen eingespielt und diese können von dort direkt im Webbrowser aufgerufen werden. 

Die Präsentation

Da dieser Bestand inhaltlich besonders relevant ist, wurde ein eigenes Portal unter der Adresse https://www.onb.ac.at/carolina/ eingerichtet. Dieses bietet eigene Suchfunktionen wie zum Beispiel “Welche Werke von verschiedenen Komponisten wurden in einem bestimmten Jahr komponiert?” oder “Welche Werke eines einzelnen Komponisten sind in diesem Bestand enthalten?”. Nach der Recherche führen Links in der Ergebnisliste direkt zu den weiterführenden inhaltlichen Informationen in den Katalog oder zu den Scans in die Digitale Bibliothek. 
 

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Abb. 9: Portal für die Bestände der Biblioteca Carolina
Abb. 10: Portal für die Bestände der Biblioteca Carolina

Moritz von Dietrichstein, der seit 1819 die Verwaltung des Hofmusikarchivs übernommen hatte, welches er damals in einem sehr verwahrlosten Zustand vorfand, setzte sich zum Ziel, dass „diese reichen, seltenen Vorräthe […] für talentvolle angehende Tonsetzer nützlich, und für Gelehrte im musikalischen Fache zugänglich” gemacht werden sollen (siehe hierzu auch den Beitrag Moritz von Dietrichstein und die Musikschätze Kaiser Karls VI. auf ihrem Weg ins Internet). Dieses Ziel ist nun endgültig erreicht.

Für die großzügige Unterstützung des Digitalisierungsprojektes danken wir sehr herzlich den Österreichischen Lotterien.

Über den Autor: Dr. Marc Strümper ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.

Abbildungen

Abb. 1: Minerva und Urania huldigen der Statue Kaiser Karls VI. in der Wiener Hofbibliothek. Bertoli, Antonio Daniele, 1678-1743 [ZeichnerIn] ; Sedelmayr, Jeremias Jakob, 1706-1761 [StecherIn] ; Wien ; um 1737 http://data.onb.ac.at/rec/baa20076977 

Abb. 2-4: Fotos des Bestandes der Musiksammlung Kaiser Karls VI, ÖNB

Abb. 5: Krönung Karls VI. zum König Karel von Böhmen am 5. September 1723 im St. Veitsdom in Prag. Kupferstich, 1727 - Foto: Rijksmuseum, Amsterdam - Wikimedia Commons – Gemeinfrei

Abb. 6: Grafik aus dem Klebeband Nr. 15 der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen; “Costanza e fortezza”, Oper von Johann Joseph Fux (Musik), Pietro Pariati (Libretto), uraufgeführt 28. August 1723 in Prag zur Krönung Karl VI. zum König von Böhmen. Theaterarchitektur und Bühnenbilder von Giuseppe Galli da Bibiena. Motiv:
Das eigens errichtete Theater in der Reitschule, Blick zur Bühne - Gemeinfrei https://doi.org/10.11588/diglit.4349#0033

Abb. 7: Antonio Caldara, unbekannter Künstler, Österreichische Nationalbibliothek http://data.onb.ac.at/rec/baa9245826

Abb. 8: Auflicht-Scanner in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek

Abb. 9-10: Screenshots des Portals der Biblioteca Carolina der Österreichischen Nationalbibliothek

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