Die Geographia aus dem Besitz des Johannes Schöner

Forschung

06.07.2018
Geschichte der ÖNB, Karten
Generale Ptholomei aus der Geographia

Das 1513 veröffentlichte Werk gehört zu den bedeutendsten Ausgaben der ptolemäischen Geografie. Die antike Weltkarte Generale Ptholomei ist daraus ein besonderes Highlight – unser Objekt des Monats Juli!

Autor: Jan Mokre

Abb. 1: Weltkarte: Generale Ptholomei 

Die Weltkarte Generale Ptholomei befindet sich in der vom berühmten Geographen und Kartographen Martin Waldseemüller (um 1475–1520) bearbeiteten und ergänzten, bei Johannes Schott (1477–1548) 1513 in Straßburg gedruckten Ausgabe der Geographia des griechischen Naturwissenschaftlers und Philosophen Claudius Ptolemäus (um 100–um 170). Bei diesem, aus dem zweiten Jahrhundert stammenden, geographischen Handbuch, das über handschriftliche Kopien und ab 1475 auch als Druckwerk verbreitet wurde, handelt es sich um eine der wirkmächtigsten naturwissenschaftlich-geographischen Abhandlungen in der Zeit der Renaissance.

In dem einheitlich konzipierten, übersichtlich gegliederten Werk, das ursprünglich den Titel Geographikè Hyphégesis trug, beschrieb Ptolemäus die gesamte, zu seiner Zeit bekannte Welt – die Ökumene – mit ihren Ländern, Völkern, Orten, Gebirgen und Gewässern. Die von ihm vermittelten Informationen entstammten einer kritischen Bearbeitung bereits vorliegender geographischer Fachliteratur, insbesondere des Marinus von Tyros (Anfang 2. Jh n.Chr.), sowie Berichten und Aufzeichnungen von Militärpersonen, Kolonisten, Handelsreisenden und auch aus Logbüchern von Seefahrern. Einen besonders wichtigen Teil des Werkes bildete ein Verzeichnis von etwa 8.000 bekannten Örtlichkeiten mit Angabe ihrer geographischen Koordinaten. Ptolemäus stellte zusätzlich drei kartographische Projektionen zur Visualisierung der Erdoberfläche vor. Daher handelt es sich bei der Geographikè Hyphégesis eigentlich um eine Anleitung zum Verfertigen von Landkarten. Es sind jedoch keine von Ptolemäus gezeichneten Karten überliefert, sondern es gilt als wissenschaftlicher Konsens, dass es sich bei allen sogenannten ptolemäischen Karten um Rekonstruktionen späterer Kartographen und Bearbeiter handelt.

Mehrere Abschriften der Geographikè Hyphégesis gelangten Ende des 14. Jahrhunderts vom griechischen Osten in den lateinischen Westen, nach Florenz, Venedig und Rom, und stießen dort auf großes Interesse. Der byzantinische Gelehrte Manuel Chrysoloras (um 1350–1415) begann mit einer Übersetzung ins Lateinische, die sein Schüler Jacobus Angelus (um 1360–um 1410) 1406 im Rom vollendete. Diese lateinische Version mit dem Titel Cosmographia wurde letztlich wesentlich einflussreicher als ihre griechischen Vorlagen.

Die früheste gedruckte Ausgabe der Cosmographia stammt aus dem Jahr 1475 und wurde in Vicenza veröffentlicht. Ihr folgten zahlreiche weitere, allein bis zum Ende des 16. Jahrhunderts etwa 30 Editionen – die in Anlehnung an das griechische Original ab dem Ende des 15. Jahrhunderts auch unter dem Titel Geographia erschienen. Abgesehen von der editio princeps wurde in allen gedruckten Ausgaben der klassische, auf Ptolemäus zurückgehende Text von den jeweiligen Herausgebern mit in Holzschnitt oder Kupferstich reproduzierten Karten, die auf den Vorlagen aus den griechischen Handschriften basierten, versehen.

Die Österreichische Nationalbibliothek verwahrt fast alle gedruckten Ausgaben der Geographia. Unter diesen ist die von Martin Waldseemüller bearbeitete, 1513 in Straßburg herausgegebene Edition in mehreren Aspekten bemerkenswert. Erstens wurde der Text des Ptolemäus kritisch bearbeitet und unter Verwendung zeitgenössischer geographischer Informationen aktualisiert. Zweitens enthält sie neben den 27 ptolemäischen Karten, den tabulae antiquae, 20 neu erarbeitete tabulae modernae – eine Weltkarte und 19 Regionalkarten –, die zu einem Supplementum mit eigenem Titelblatt zusammengefasst wurden. Aufgrund dieser eindeutigen Trennung kann der auf Ptolemäus zurückgehende Teil als historischer Atlas und das Waldseemüller zugeschriebene Supplementum als erster moderner Atlas betrachtet werden. Drittens ist die Karte des Herzogtums Lothringen hervorzuheben, wie weiter unten ausgeführt werden wird.

Abb. 2: Titelblatt Straßburger Ptolemäus

Der Name Waldseemüller wird im Band nicht erwähnt. Die ihm zugeschriebene Bearbeitung – Konzept, Zusammenstellung, Konstruktion der Karten und Überwachung des Drucks – erfolgte aufgrund historischer Untersuchungen und gilt als wissenschaftlicher Konsens.

Das heute in der Kartensammlung aufbewahrte Exemplar befand sich einst im Besitz des Nürnberger Mathematikers, Astronomen und Kosmographen Johannes Schöner (1477–1547) und gelangte als Teil der sogenannten Fugger-Bibliothek nach Wien. Dieser Band weist gegenüber anderen, 1513 in Straßburg veröffentlichten Ausgaben der Geographia, einige spezifische Eigenheiten auf: Im Ortsverzeichnis korrigierte Schöner mehrere fehlerhafte geographische Koordinaten mit schwarzer Tinte. Alle klassischen ptolemäischen Regionalkarten und auch die zeitgenössischen, auf Waldseemüller zurückgehenden Karten, sind mit einem Linienraster überzogen, der von Hand mit roter Tinte aufgebracht wurde. Derartige Raster erleichtern Ortsbestimmungen auf einer Karte und auch deren Kopieren. Viele der Karten weisen handschriftliche Hervorhebungen von Städtesignaturen mit roter Tinte auf und einige wenige enthalten zusätzlich handschriftliche Korrekturen und Ergänzungen.

Abb. 3: Titelblatt Straßburger Ptolemäus, Supplementum
Abb. 4: Kartenausschnitt mit handschriftlichen Korrekturen Schöners

Annotationen ehemaliger, identifizierbarer Besitzer bieten wichtige Hinweise für die Rezeptionsgeschichte bedeutender historischer wissenschaftlicher Werke und werden immer wieder im Rahmen von Untersuchungen zur Geschichte der Wissenschaften als Quellen herangezogen und ausgewertet.

Es ist offensichtlich, dass Schöner sein (zunächst noch ungebundenes) Exemplar der Geographia als Arbeitsbehelf für seine wissenschaftlichen Forschungen und seine kartographischen Arbeiten betrachtete und verwendete. Erst etwa 1520, hat er, wie der ehemalige Direktor der Kartensammlung, Dr. Franz Wawrik, in einem 1981 veröffentlichten Artikel feststellte, die Texte und Karten zu einem Band zusammengefügt und selbst gebunden.

Von den insgesamt 47 Karten sind drei hervorzuheben: Aus den tabulae antiquae die ptolemäische Weltkarte, eine Bearbeitung aus der Zeit um 1520, sowie zwei tabulae modernae: die Waldseemüller zugeschriebene Weltkarte und die Karte des Herzogtums Lothringen.

Die vom Augsburger Georg Erlinger (um 1485–1541) gedruckte ptolemäische Weltkarte Generale Ptholomei zeigt den in der Antike bekannten Teil der Erdoberfläche, also Europa, Nordafrika und Asien. Sie ist ein Unikum; in anderen Ausgaben des Straßburger Ptolemäus findet sich eine ähnliche, aber doch deutlich unterschiedliche Karte. Die zweite im Band enthaltene, auf Waldseemüller zurückgehende Weltkarte Orbis Typus Universalis … repräsentiert den Anfang des 16. Jahrhunderts bekannten, im Vergleich zum ptolemäischen Wissensstand wesentlich umfassenderen Ausschnitt der Erdoberfläche. Sie zeigt bereits einen Teil des amerikanischen Kontinents.

Abb. 5: Weltkarte: Orbis Typus Universalis …

Diese unterschiedlichen kartographischen Inhalte veranschaulichen, dass die 1513 veröffentlichte Edition der Geographia ein bedeutendes Dokument des Übergangs von der antiken zur neuzeitlichen Geographie darstellt.

Bei der dritten, besonders bemerkenswerten Karte Lothringie Ducatus, handelt es sich um die erste, mit drei Holzstöcken (für Schwarz, Rot und Grün) mehrfarbig gedruckte Karte.

Zum Autor: Mag. Jan Mokre ist Direktor der Kartensammlung und des Globenmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek.

Abb. 6: Karte: Lothringie Ducatus

Literatur:

Claudius Ptolemaeus, Geographia, Argentorate 1513 (Facsimile) with an introduction by R[aleight] A[shlin] Skelton (Amsterdam 1966) (= Theatrum Orbis Terrarum, Ser. 2, vol. 4)

Monika Maruska (2008): Johannes Schöner – ‚Homo est nescio qualis‘. Leben und Werk eines fränkischen Wissenschaftlers an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, Wien (nicht veröffentlichte Dissertation, Universität Wien)

Ruthardt Oehme (1951): Martin Waldseemüller und der Straßburger Ptolemäus von 1513. In: Beiträge zur Sprachwissenschaft und Volkskunde. Festschrift für Ernst Ochs zum 60. Geburtstag, hrsg. von Karl Friedrich Müller (Lahr) S. 155-167

Christoph Reske (2007): Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet , Wiesbaden

Paul Schnabel (1938): Text und Karten des Ptolemäus, Leipzig (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Geographie und Völkerkunde 2)

Alfred Stückelberger, Gerd Graßhoff (Hgg.)( 2006-2009): Klaudios Ptolemaios Handbuch der Geographie. Griechisch-Deutsch. 3 Bände, Basel

Josef Stummvoll (Hg.) (1968): Geschichte der Österreichischen Nationalbibliothek, Teil 1 , Wien (= Museion, Veröffentlichungen der Österreichischen Nationalbibliothek N.F. 2,3,1), speziell S. 156-160

Franz Wawrik: Kartographische Werke an der Österreichischen Nationalbibliothek aus dem Besitz Johannes Schöners. In: Internationales Jahrbuch für Kartographie 21 (Bonn-Bad Godesberg 1981), S. 195-202

[Eanes Wilberforce]: (1896): List of Editions of Ptolemy’s Geography 1475-1730, New York

Angelika Wingen-Trennhaus (1991): „Geographia“ von Ptolemaeus zu Pirkheimer. Die Editionsgeschichte eines „geographischen“ Werkes. In: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums und Berichte aus dem Forschungsinstitut für Realienkunde 1991, S. 61-70

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