Autoren: Christiane Fritze und Christoph Steindl
Abbildung 1: Stylesheet zur Transformation von kodiertem Quellmaterial zur Ansicht im Internetbrowser
Wissenschaftliche Editionen sind wesentliche Grundlage der Forschung in verschiedenen geisteswissenschaftlichen Disziplinen, sind sie doch „erschließende Wiedergabe historischer Quellen” (Sahle 2013, 138). Diese allgemein gehaltene Definition trifft sowohl auf traditionell im Druck hergestellte als auch auf digital erarbeitete wissenschaftliche Editionen zu. Jedoch ist Edition nicht gleich Edition – sie unterscheiden sich nach Art der Quellen, die der Edition zugrunde liegen, z.B. Briefe, Urkunden, Inschriften, Werke, sowie der Zeit, aus der die Quelle stammt oder auch des Zieles der herausgebenden EditorInnen. Es kann sich z.B. um eine historisch-kritische Quellenedition handeln, deren Fokus die Rekonstruktion eines nicht mehr vorhandenen Urtextes ist, oder um eine genetische Textedition, die die schrittweise Entstehung eines Werkes ans Licht bringt. [1]
Der reiche und auf vielen Gebieten herausragende Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek ist eine Fundgrube für EditionswissenschaftlerInnen und wartet regelrecht darauf, wissenschaftlich ediert zu werden. Wissenschaftliche Editionen sind Arbeitsmittel, deren Nutzen und Funktion sich erst im digitalen Medium recht entfalten kann. Daher verwundert es wenig, wenn inzwischen mehrere hundert wissenschaftliche Editionen digital vorliegen [2]. Es ist daher für eine Institution wie die Österreichische Nationalbibliothek, die vielfältige Quellen für Editionen aufbewahrt und langfristigen Zugang dazu gewährt naheliegend, selbst eine Infrastruktur für digitale Editionen aufzubauen und zu betreuen.
Eine digitale Edition ist immer eine gemeinschaftliche Unternehmung von FachwissenschaflerInnen, InformatikerInnen und Digital Humanities-ExpertInnen. Die Infrastruktur der Österreichischen Nationalbibliothek trägt diesem kooperativen Charakter Rechnung. Die editorische Arbeit der FachwissenschaftlerInnen technisch zu unterstützen ist nur eines der Ziele. Hauptziel ist es, alle auf Quellenmaterial der Österreichischen Nationalbibliothek basierenden digitalen Editionen auf eine gemeinsame technische Basis zu stellen. So können Funktionalitäten, die für eine Edition entwickelt wurden, für alle weiteren wiederverwendet werden. Wo es sich anbietet, werden bereits realisierte digitale Editionen mit den neu zur Verfügung stehenden Features (z.B. einem Zeitstrahl) aufgewertet. Dies zeigt auch, dass digitale Editionen keine unveränderlichen Werke wie ihre gedruckten Vorfahren sind und auch weit mehr als einfach ins elektronische Medium übertragene Pendants dazu. Sie sind interaktiv, teilweise auch multimedial.
Die Infrastruktur für digitale Editionen an der Österreichischen Nationalbibliothek besteht aus einer personellen, einer konzeptuellen und einer technischen Komponente.
Wissenschaftliche Editionen werden in der Regel im Rahmen eines zeitlich begrenzten Projekts realisiert, das von einem externen Fördergeber finanziert wird. Für die Beantragung eines solchen Editionsprojekts leisten wir Beratung und Unterstützung in Hinblick auf die technische Umsetzung und die Digital-Humanities-relevanten Fragestellungen. Die Beratungen umfassen auch konzeptuelle Überlegungen zum Datenmodell, das wesentlich für die erfolgreiche Realisierung und unkomplizierte Nutzung der digitalen Edition ist. Hier stehen wir mit unserer Erfahrung den FachwissenschaftlerInnen bereits in der Antragsphase zur Seite.
Jede im Rahmen unserer Infrastruktur veröffentlichte digitale Edition baut auf einem für alle Projekte verbindlichen Basisdatenmodell auf, denn nur so können wir eine einheitliche BenutzerInnenführung und ein schnelles Zurechtfinden am Bildschirm garantieren. Dies klingt vielleicht selbstverständlich, doch gibt es noch längst keinen einheitlichen Standard für grundlegende Anzeige- und Navigationselemente für digitale Editionen. Der Kriterienkatalog für die Besprechung digitaler Editionen (Sahle 2014) gibt zumindest Anhaltspunkte, was NutzerInnen von digitalen Editionen erwarten und was daher für die Online-Anzeige umgesetzt sein sollte. Das „Wie“ der einzelnen Bestandteile – vergleichbar etwa mit den Konventionen zur Darstellung von Variantenapparaten einer gedruckten Edition – ist jedoch nicht kodifiziert, der wissenschaftliche Diskurs dazu jedoch im Gange (Bleier et al. 2018).
Ist ein eingereichtes Projekt schließlich bewilligt, kann die editorische Arbeit beginnen. Dabei wird das Editionsteam in die Nutzung der technischen Infrastruktur eingeschult. Die Einschulung beinhaltet die projektspezifische Anpassung der Arbeitsumgebung (u.a. XML-Editor), Einführungen zur Erstellung der Transkriptionen, Register und weiterer Quelldateien ebenso wie die Handhabung des Projekt-Repositoriums, in dem alle Dateien gespeichert und dabei gleichzeitig versioniert werden.
Das der Edition zugrundeliegende Quellmaterial wird strukturiert erfasst und im XML-Datenformat gespeichert. Hierbei wird auf den weitläufig verbreiteten XML-Standard der Text Encoding Initiative (TEI) [3] zurückgegriffen. Gemeinsam mit dem Editionsteam wird, ausgehend von dem erwähnten Basisdatenmodell, für das jeweilige Projekt ein spezifisches Schema für editorische und redaktionelle Inhalte erstellt. Im engen Austausch zwischen EditorInnen und dem für die technische Umsetzung verantwortlichen Team werden die XML-Dokumente erstellt und im Projekt-Repositorium an der Österreichischen Nationalbibliothek abgelegt. Dies ermöglicht es allen Beteiligten, gleichzeitig von verschiedenen Standorten an den Daten zu arbeiten und bietet eine Versionierung für die Projektinhalte. Fertig bearbeitete Dokumente, die zur Veröffentlichung freigegeben sind, werden sukzessive in das Publikations-Repositorium für digitale Editionen an der Österreichische Nationalbibliothek eingespielt.
Abbildung 2: Vereinfachte schematische Darstellung des Produktionsprozesses.
Als Kerntechnologie für dieses Publikations-Repositorium wird das „Geisteswissenschaftliche Asset Management System“ (GAMS) [4] nachgenutzt, das am Zentrum für Informationsmodellierung der Universität in Graz entwickelt wurde. Dieses Repositorium ist speziell für die Bereitstellung von digitalen Objekten aus einem geisteswissenschaftlichen Kontext konzipiert worden. Es basiert auf einem Fedora-Repositorium [5] mit speziellen Adaptionen (z.B. Metadatenhandling) für die digitalen Geisteswissenschaften. Die Anzeige der digitalen Edition wird mit Transformationen (XSLT) gesteuert, die das XML-Basismaterial in HTML-Code überführen, der wiederum vom Internetbrowser interpretiert wird. Digitale Faksimile-Abbildungen des Quellmaterials werden über IIIF (International Image Interoperability Framework) [6] in die Anzeige dynamisch eingebunden.
Was NutzerInnen am Bildschirm sehen, ist letztlich nur ein Ausschnitt der digitalen Edition. Es gibt digitale Editionen mit voreingestellten Ansichten und solche, bei denen man zwischen verschiedenen Ansichten wechseln oder sich die Ausgabe je nach Bedarf selbst zusammenstellen kann. Ein Mehrwert von digitalen gegenüber gedruckten Editionen ist die Möglichkeit zum Einbinden externer digitaler Quellen wie z.B. bibliothekarischer Normdaten (GND), die ergänzende Informationen (z.B. zu Personen) liefern können. Nach Möglichkeit werden die XML-Dateien den NutzerInnen zur weiteren computergestützten Analyse zur Verfügung gestellt.
Zur Online-Anzeige der digital edierten Projekte wurde ein generisches Design entwickelt, das sich wie ein roter Faden durch alle digitalen Editionen in unserer Infrastruktur zieht. Dies dient zum einen dazu, eine einheitliche Benutzerführung der verschiedenen digitalen Editionen zu gewährleisten und zum anderen, um Ressourcen eines Projekts bestmöglich den inhaltlichen Belangen zuweisen zu können. Aus diesem Grund wird neben einer einheitlichen Navigation auch ein wiederverwendbares Logo-Design angeboten. Weiters stellt das Design Templates für eine Startseite, redaktionelle Texte und eine synoptische Darstellung der Inhalte sowie der Register zur Verfügung. Das Basisdesign wurde unter Rücksichtnahme von mobilen Endgeräten (responsive) mit Hilfe der Frontend-Bibliothek » Bootstrap umgesetzt. Ebenfalls wurden die User-Interface-Komponenten (UI, z.B. Bilderkarussell, Infoboxen etc.), wenn möglich, von Bootstrap übernommen und dem Design der Infrastruktur für digitale Editionen angepasst. Bei der Auswahl weiterer Softwarekomponenten sowie Schrifttypen oder Icons wurde außerdem darauf geachtet, dass Open Source Software zum Einsatz kommt. Dies gewährleistet eine problemlose Nachnutzung. Wie oben besprochen, divergieren die einzelnen Editionen bezüglich des edierten Ausgangsmaterials und der Ziele der Editionsprojekte sehr. Aus diesem Grund werden zusätzlich zu den generischen wiederverwertbaren Features projektspezifische UI-Komponenten mit dem jeweiligen Editionsteam entwickelt, um eine bestmögliche Präsentation des edierten Inhalts gewährleisten zu können.
Abbildung 3: Okopenko, Andreas: Tagebuch 01.01.1951–30.11.1951. Digitale Edition, hrsg. von Roland Innerhofer, Bernhard Fetz, Christian Zolles, Laura Tezarek, Arno Herberth, Desiree Hebenstreit, Holger Englerth, Österreichische Nationalbibliothek und Universität Wien. Wien: Version 1.1, 15.1.2019.
» edition.onb.ac.at/okopenko/o:oko.tb-19510101-19511130/methods/sdef:TEI/get?mode=p_109
Die im Beitrag von Hebenstreith (2019) [7] beschriebene digitale Edition der Tagebücher von Andreas Okopenko (2018) [8] ist die erste in der Infrastruktur realisierte digitale Edition. Ihr fehlen noch grundsätzliche Funktionen wie z.B. eine Volltextsuche. Diese wird in einer späteren Version der Edition hinzugeschaltet werden. Derzeit wird die digitale Edition des Inventarii bibliothecae (Cod. 13525) erarbeitet, das der erste Hofbibliothekar – » Hugo Blotius – erstellt hat. Dies ist ein Pilotprojekt zur digitalen Präsentation und Verknüpfung bibliothekshistorischer Ressourcen. Weiters befindet sich eine digitale Musil-Edition in der Konzeptionsphase.
Abbildung 4: Digitale Editionen an der Österreichischen Nationalbibliothek.
Seit Mai 2019 sind die digitalen Editionen über den Reiter “Forschung” auf der Startseite der Österreichischen Nationalbibliothek zu erreichen. Die Einstiegsseite informiert über bestehende sowie zukünftige digitale Editionen und vermittelt Informationen über die zugrundeliegenden Technologien.
Möchten Sie Quelldokumente der Österreichischen Nationalbibliothek digital edieren? Dann nehmen Sie bitte Kontakt zu uns auf, wir beraten Sie gern zur Infrastruktur für digitale Editionen an der Österreichischen Nationalbibliothek: edition@onb.ac.at.
Zu den Autoren: Mag. Christiane Fritze und Dipl. Ing. Christoph Steindl sind wissenschaftliche MitarbeiterInnen in der Abteilung Forschung und Entwicklung der Österreichischen Nationalbibliothek
[1] Mehr zu Kategorisierung Editionstypen siehe Plachta (2013).
[2] Siehe Franzini, Greta: Catalogue of Digital Editions, 2012- https://dig-ed-cat.acdh.oeaw.ac.at/ und Sahle, Patrick: A catalog of digital scholary editions, version 3.0, 2008- http://www.digitale-edition.de/.
[3] https://tei-c.org/guidelines/
[4] https://gams.uni-graz.at/context:gams
[5] https://duraspace.org/fedora/
[6] http://iiif.io/
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