Seit ihrer feierlichen Eröffnung am 1. Mai 1928 fährt die Liliputbahn durch den Wiener Prater und begeistert seit jeher die Herzen von Jung und Alt. Sie ist nicht nur eine Touristenattraktion, in der man ein nostalgisches Vergnügen erleben kann, sondern auch ein markantes Beispiel für technische Errungenschaften der damaligen Zeit.
Autorin: Daniela Köck
Im Jahr 1925 wurde der Praterunternehmer Ludwig Pretscher, ein Nachfahre einer berühmten Praterdynastie, durch die Deutsche Verkehrsausstellung in München dazu inspiriert, im Prater eine Liliputbahn zu errichten.1
Im Wiener Prater gab es bereits vor Eröffnung der Liliputbahn erste Versuche mit Kleinbahnen. So wurde für die Internationale Elektrische Ausstellung 1883 eine elektrische Kleinbahn errichtet, die zwischen Rotunde und Feuerwerkswiese hin- und herfuhr. Die sogenannte „Schnackerlbahn“ beförderte die Besucher der Allgemeinen Land- und Forstwirtschaftlichen Ausstellung 1890 vom Praterstern zur Rotunde.2
Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in England die ersten Vergnügungsbahnen entwickelt. Diese wurden meist von wohlhabenden Eisenbahnfreunden als Hobby betrieben.3
Es gab jedoch auch ernsthafte Bemühungen, um wirtschaftliche und tragfähige Schmalspurbahnen zu entwickeln, wobei allerdings nur wenige für industrielle oder gewerbliche Zwecke genutzt werden konnten. Für diese Spurweite etablierten sich Vergnügungsbahnen unter anderem in England, Japan, Frankreich und den USA.4
Eugen Hajnals „Reisebrief aus Liliput“, veröffentlicht in der Arbeiter-Zeitung am 5. Mai 1928, veranschaulicht, dass bei der Liliputbahn das Vergnügen im Vordergrund stand. Hajnal, der bei seinen Kritiker*innen bekannt war für seinen trockenen Humor, bemerkte pointiert:
Die Bau- und Genehmigungsphase der Liliputbahn war durch zahlreiche Schwierigkeiten geprägt, die zu erheblichen Verzögerungen führten. In der zeitgenössischen Berichterstattung wurde die Realisierung des Projekts infrage gestellt. Bereits am 7. März 1926 wurden in der Reichspost unter dem Titel „Die Liliput-Eisenbahn im Prater. Wie man ein hübsches Projekt zur Erreichung des Praters umzubringen versucht“ anfängliche Turbulenzen thematisiert.
Ein weiteres Beispiel hierfür findet sich im Zeitungsartikel „Wird die Liliputbahn im Prater gebaut?“ der Ausgabe des Neuigkeits-Welt-Blatt vom 16. März 1928.
Nicht nur die behördlichen und baulichen Maßnahmen stellten erhebliche Herausforderungen dar, sondern auch die Suche nach qualifiziertem Personal. Eine Annonce des Salzburger Volksblatt am 24. März 1928 verdeutlicht dies. In der Ausschreibung werden zahlreiche Fachkräfte für diverse Tätigkeitsfelder gesucht: Gewandter, Betriebsleiter, zwei qualifizierte Lokomotivführer und Heizer. Zukünftige Aspiranten sollten jedoch nur dann vorstellig werden, wenn sie der eindringlichen Bitte des Stellengesuchs entsprechen und sich folgendermaßen bewerben: „Nur absolut nüchterne, vollständig gesunde Bewerber mit allerbester Nachfrage wollen genaue Schilderung des Werdegangs, Zeugnisabschriften, Lichtbild etc. unter Angabe von Referenzen“.
Die ursprüngliche Fahrtstrecke der Liliputbahn sah eine Strecke bis zur Wallfahrtskirche Maria Grün jenseits der Aspernallee vor. Aufgrund der Forderungen der Grundstückseigentümer wurde jedoch eine alternative Streckenführung notwendig.5
Letztendlich wurde 1928 ein verkürzter Rundkurs von der Leipziger Firma Erich Brangsch gebaut. Die Strecke begann nun beim Riesenrad und endete am Südportal der Rotunde. Anfangs beförderten zwei Dampflokomotiven mit einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h jeweils 95 Personen.6
Nach Überwinden der anfänglichen Schwierigkeiten wurde die Liliputbahn am 1. Mai 1928 offiziell in Betrieb genommen. Eugen Hajal schildert in seinem Reisebrief eindrucksvoll den Charme der Bahn. Er beschreibt, dass die „Bahn dampft, rattert und schüttelt, die Schienen Wechsel haben, der Bahnwächter seine Fahne wehen lässt und selbst die Warnungstafel „Achtung auf den Zug“ nicht fehlt.
Kurz nach der Eröffnung wurde der Bahn eine erste wirtschaftliche Hochblüte anlässlich des 100. Todestags von Franz Schubert und der Herbstmesse in der Rotunde zuteil.7
Nach der beschwerlichen Gründung der populären Vergnügungsbahn, musste das Fahrgeschäft bald wiederholten Notlagen trotzen: Mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise stand die Liliputbahn des Öfteren vor dem endgültigen Aus.
Erst durch Jakob Passweg, einen ehemaligen Textilhändler, wurde die Liliputbahn zu einem fixen traditionellen Wahrzeichen im Wiener Prater. Er erwarb in den 1950er Jahren Anteile an der Liliputbahn, rüstete die Bahn auf Diesellokomotiven um und erweiterte die Strecke auf vier Kilometer. Diese Maßnahmen führten zum bis heute anhaltenden Erfolg der Prater-Attraktion.8
Es sollte nicht vergessen werden, dass die Liliputbahn trotz ihres Vergnügungscharakters im Sinne des Gesetzes rechtlich als Bahn gilt, wie durch einen Richterspruch aus dem Jahr 1928 festgehalten wurde.
Um die Liliputbahn ranken sich zahlreiche Anekdoten. Unter anderem berichtete das Neuigkeits-Welt-Blatt aus dem Jahr 1931, dass ein „einfallsreicher Kopf“ die Idee geäußert habe, Umsteigekarten der Straßenbahnen als Eintrittskarten für die Liliputbahn zu verwenden. Die Zeitung reagierte darauf mit der pointierten Bemerkung: „Warum nicht gleich aufs Ringelspiel?“.
Berichte über Unfälle und Vorfälle belegen, dass Fahrten mit der Liliputbahn nicht immer ungefährlich waren. So berichteten die Ostdeutsche Rundschau und die Illustrierte Kronen Zeitung 1930 von einem Todesfall, bei dem eine 77-jährige Frau von der Liliputbahn erfasst wurde.
Im Mai 1933 kam es zu einem Zusammenstoß der Liliputbahn mit einem Auto. In der Zeitung Der Montag vom 8. Mai 1933 wird gar von einem „Zweikampf zwischen Liliputbahn und Autotaxi“ berichtet.
In jüngster Zeit kam es ebenfalls zu einem Vorfall, als eine Lok der Liliputbahn durch einen Eisenwinkel beschädigt wurde. Mehrere österreichische Zeitungen berichteten über den Vorfall, darunter der Kurier vom 11. April 2024 und Der Standard vom 15. April 2024.
So konstatierte Eugen Hajnals in seinem „Reisebrief aus Liliput“ und brachte damit die Bedeutung der Liliputbahn als kulturelles Erbe für die Stadt Wien und die Wertschätzung gegenüber der Eisenbahn zum Ausdruck.
Die Fotografie von Lothar Rübelt zeigt erfreute Besucher*innen, die eine Fahrt mit der Liliputbahn wagen. Falls nun Ihr Interesse an der Geschichte dieser besonderen Vergnügungsbahn geweckt wurde und Sie eine Recherche in den Beständen der Österreichischen Nationalbibliothek durchführen möchten, zögern Sie nicht unsere Recherche-Expert*innen zu kontaktieren!
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Über die Autorin: Mag. Daniela Köck ist Mitarbeiterin der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement und Vortragende im Center für Informations- und Medienkompetenz der Österreichischen Nationalbibliothek.
Stockklausner, Johann. Liliputbahn Wien-Prater, Wien: Slezak, 1978.
Storch, Ursula: Im Reich der Illusionen: der Wiener Prater, [Wien]: Metroverlag, 2016.
1 Vgl. Liliputbahn im Wiener Prater, S.6, Vgl. Eine Runde zum Vergnügen, S.19 und Im Reich der Illusionen, S.35.
2 Vgl. Das Pratermuseum, S.45.
3 Vgl. Im Reich der Illusionen, S.36.
4 Vgl. Eine Bahn feiert ihren 70er, S. 5.
5 Vgl. Im Reich der Illusionen, S.35.
6 Vgl. Liliputbahn Wien-Prater, S, 1-2.
7 Vgl. Im Reich der Illusionen, S.36.
8 Vgl. Im Reich der Illusionen, S.37.
Teaserbild:Die Liliputbahn eine Fotografie von Cermak, Alfred, 1970
Abb. 1: Das interessante Blatt, 1. Dezember 1927: ANNO, Das interessante Blatt, 1927-12-01, Seite 6
Abb. 2: Salzburger Volkszeitung, 30. Oktober 1948: ANNO, Salzburger Volkszeitung, 1948-10-30, Seite 3
Abb. 3: Arbeiter-Zeitung, 5. Mai 1928: ANNO, Arbeiter-Zeitung, 1928-05-05, Seite 7
Abb. 4: Reichspost, 7. März 1926: ANNO, Reichspost, 1926-3-7, Seite 12
Abb. 5: Neuigkeits-Welt-Blatt, 16. März 1928: ANNO, Neuigkeits-Welt-Blatt, 1928-3-16, Seite 6
Abb. 6: Salzburger Volksblatt, 24. März 1928: ANNO, Salzburger Volksblatt, 1928-03-24, Seite 15
Abb. 7: Fotografie der Liliputbahn, 1928
Abb. 8.: Die Stunde, 19. Juli 1928: ANNO, Die Stunde, 1928-7-19, Seite 16
Abb. 9: Arbeiter-Zeitung, 17. Juni 1928: ANNO, Arbeiter-Zeitung, 1928-6-17, Seite 14
Abb. 10: Neuigkeits-Welt-Blatt, 27. März 1931: ANNO, Neuigkeits-Welt-Blatt, 1931-3-27, Seite 4
Abb. 11: Ostdeutsche Rundschau, 8. Juni 1930: ANNO, Ostdeutsche Rundschau, 1930-06-08, Seite 6
Abb. 12: Der Montag, 8. Mai 1933: ANNO, Der Montag, 1933-05-08, Seite 3
Abb. 13: Rübelt, Lothar: Eine Fahrt mit der Liliputbahn, 1926
Aufgrund einer Veranstaltung wird der Prunksaal am Donnerstag, 14. November bereits um 18 Uhr geschlossen.