Die Werke des Historikers Flavius Josephus (1. Jh.) und deren frühe Übersetzungen bilden eine wichtige Grundlage für die Geschichtsforschung.
Autorin: Sandra Hodecek
Flavius Josephus war ein vielgelesener und häufig zitierter Historiker des ersten Jahrhunderts n. Chr. Eine frühe deutsche Übersetzung seiner Werke findet sich im Bestand der Sammlung von Handschriften und alten Drucken der Österreichischen Nationalbibliothek (ÖNB) unter der Signatur 688877-D ALT MAG1. Es handelt sich dabei um ein schweres, ledergebundenes Exemplar aus dem Jahr 1561, gedruckt von Samuel Emmel in Straßburg.
Flavius Josephus2 war ein jüdisch-hellenistischer Historiker, der seine Werke im ersten Jahrhundert n. Chr. in griechischer Sprache verfasste. Er gehört zu den antiken Autoren, an denen das frühe und mittelalterliche Christentum besonderes Interesse zeigten, da er eine der Hauptquellen der neutestamentlichen Zeitgeschichte darstellt.
Er wurde 37/38 n. Chr. in Jerusalem geboren und wuchs zweisprachig (aramäisch-hebräisch) auf, seine Familie entstammte der Jerusalemer Oberschicht. Ins Licht der Geschichte trat er durch seine aktive Rolle im Jüdischen Krieg, in dem er Galiläa 67 n. Chr. gegen die römische Armee unter dem Feldherrn Vespasian (dem späteren Kaiser) verteidigte. Er geriet in Gefangenschaft, wurde aber bald darauf von Vespasian freigelassen und in dessen Begleitung Augenzeuge der Belagerung Jerusalems3, das 70 n. Chr. durch die Römer erobert wurde. Mit Titus, Vespasians Sohn, kam er nach Rom, wo er bis zu seinem Lebensende verweilte. Er starb um das Jahr 100 n. Chr.
Während seiner Zeit in Rom schrieb er mehrere Werke in griechischer Sprache, die in Übersetzung ins vorliegende Werk Eingang gefunden haben. Das Bekannteste ist die Geschichte des Jüdischen Krieges (Bellum Judaicum) in sieben Büchern, das auch auf dem Titelblatt des Druckes angeführt wird: „Flauÿ Josephi vom krieg der Juden / unnd Zerstoerung Hierusalem / syben buecher / nach den Griechischen Exemplaren restituiert unnd gebessert“.
Der glückliche Umstand, dass alle Werke von Flavius heute erhalten sind, ist von umso größerer Bedeutung, da er der einzige zeitgenössische Autor war, der über Galiläa schrieb und dessen Schaffen die Jahrhunderte überdauert hat. Seine Werke wurden bereits in der Antike, verstärkt seit dem Mittelalter, vielfach gelesen und rezipiert. Übersetzungen in andere Sprachen spielten ab der Neuzeit eine wichtige Rolle bei der Verbreitung seiner Schriften.
Der Druck, bei dem es sich nicht um eine Prachtausgabe handelt, sondern um eine Publikation für ein (humanistisch) gebildetes und interessiertes Publikum, enthält in über 1100 Seiten eine spätere Ausgabe der ersten deutschen Übersetzung der Werke des jüdisch-hellenistischen Historikers Flavius Josephus (* ca. 37/38, † ca. 100) durch den Straßburger Reformator Kaspar Hedio. Die Ausgabe stammt aus dem Jahr 1561, wie das Titelblatt erkennen lässt: „Gedruckt zu Strassbourg bey Samuel Emmel. M. D. LXI.“ Die (wahrscheinlich) erste deutsche Übersetzung wurde bereits 1535 abgeschlossen (siehe unten). Das vorliegende Werk entstand demnach während der Regierungszeit Kaiser Ferdinands I. (römisch-deutscher Kaiser: 1558–1564). Der Kaiser spielt für den Druck insofern eine Rolle, da er einen Schutz für zehn Jahre erteilt hat – wie auf dem Titelblatt vermerkt ist: „Mit Roem. Keys. Mayestat Freyheyt auf zehen Jar.“ – um den Nachdruck einer gesetzlichen Regelung zu unterwerfen.
Der umfangreiche Druck weist eine Blattzählung in römischen Zahlzeichen auf, die einzelnen Lagen des Druckes sind mit Majuskeln (A, B, C etc.), Majuskeln in Fraktur, Minuskeln in Fraktur bzw. einer Kombination aus Majuskel und Minuskel in Fraktur gekennzeichnet und damit auch durchgezählt.
Begleitende Illustrationen, Bordüren oder sonstiges dekoratives Beiwerk fehlen, der Text der Übersetzung steht im Vordergrund. Wie eine Recherche im Verzeichnis der Drucke des 16. Jahrhunderts (VD 16)4 ergibt, ist der Druck kein unikales Werk. Nichtsdestotrotz stellt er aufgrund handschriftlicher Vermerke und wegen enthaltener Stempel eine wichtige historische Quelle dar. Auf einem Blatt im Inneren des Buches findet sich der Stempel „P 38“ (Abkürzung für „Polizei 38“), der dieses Exemplar als ehemaliges Raubgut der NS-Zeit markiert. Mit diesem Kürzel wurden in der ÖNB Druckschriften gekennzeichnet, die in dieser Zeit beschlagnahmt wurden. Auf welchen Wegen das Exemplar in die Bibliothek gekommen ist, kann bedauerlicherweise nicht mehr nachvollzogen werden. Gemäß BGBl. I 181/1998 wurde es als NS-Raubgut restituiert und von der Österreichischen Nationalbibliothek wieder erworben.
Samuel Emmel findet in Druckervermerken auf zwei im Buch enthaltenen Titelblättern Erwähnung (Lage A, Lage Fraktur AA). Von etwa 1551/1553 bis 1571/1573 war er als Drucker in Straßburg und Köln5 tätig. Straßburg war seit der Entwicklung des Buchdrucks ein wichtiges Zentrum dieses Handwerks mit zahlreichen Druckerwerkstätten, sog. Offizinen.6 Der Schwerpunkt von Emmels Druckerarbeit lag vorwiegend auf theologischen (reformatorischen) Schriften, doch auch historische Schriften finden sich unter seinen Druckwerken. Sein (bis dato) erster nachgewiesener Druck stammt aus dem Jahr 1551.
Dr. Caspar Hedio (auch: Kaspar Hedio, 1494–1552) wird bereits auf dem Titelblatt und u. a. in der „Vorred“ nachgewiesen: „Alles Durch D. Caspar Hedion verteütscht“. Die Übersetzung der Werke des Flavius Josephus muss, wie die Jahresangabe 1535 in der „Vorred“ erahnen lässt, schon einige Jahre vor der Drucklegung erfolgt sein, denn zum Zeitpunkt der Drucklegung war Caspar Hedio bereits verstorben. Hedio war nicht nur Übersetzer, sondern auch als Reformator und Theologe tätig. Besonderes Interesse zeigte er dabei für historische Themen.7 Neben den Werken des Flavius Josephus übersetzte er auch zahlreiche Traktate der Kirchenväter.8
Nicht unerwähnt bleiben soll eine weitere beteiligte Person. Paul Volz war ein Humanist und Theologe (1480–1544)9, der vor dem Bellum Judaicum (zum Werk siehe nachfolgend), einen Bericht mit dem Titel „Herodis des grossen. Bericht vnd wolmeynung des Ehrwürdigen vnd frommen Herren Pauli Voltzii erwann Abts zu Haugshofen von den Heroden nutzlich zulesen.“ (Lage Fraktur Verso) als Vorabinformation verfasste.
Der braun gefärbte (stark nachgedunkelte) Schweinsledereinband (siehe Abb. 1) mit deutlichen Gebrauchsspuren über einem Holzdeckel ist vermutlich zur gleichen Zeit wie der Druck entstanden, wie Vergleiche mit Einbänden dieser Zeit nahelegen. Markant sind die Plattenstempel und der braune Farbschnitt, der Einband entspricht den für das 16. Jahrhundert typischen deutschen Buchbinderarbeiten.10 Wie der vorliegende Druck zeigt, wurden schweinslederne Folianten oft mit figuralen Rollen und Platten geschmückt. Eine Suche nach dem gut erkennbaren Motiv „Palmette“ in der Einbanddatenbank11 der Staatsbibliothek zu Berlin liefert ähnliche, jedoch nicht idente Treffer.12
Auffällig ist die Ähnlichkeit des Einbandes und der Gestaltungselemente mit dem Exemplar aus der Mary Baker Library, Boston (siehe Endnote 4). Die vier Bünde, d. h. die Bänder oder Schnüre, die zur Befestigung des Buchblocks am Buchrücken dienen, sind erhaben auf dem Buchrücken angebracht. Auf dem Buchdeckel sind keine Buckel/Standnägel fixiert, von den Messingschließen sind nur mehr Teile erhalten. Abriebspuren am Leder bei den Buchdeckelecken lassen Eckenschoner aus Messing, wie im bereits erwähnten Exemplar der Mary Baker Library, vermuten, die heute jedoch nicht mehr erhalten sind. Auf dem Einband selbst gibt es keine Hinweise auf die Anbringung von Signaturen bzw. Besitzervermerken. Lediglich auf dem Vorsatz sind handschriftliche Notizen auszumachen, die auf einen der Vorbesitzer schließen lassen (siehe unten).
Im Jahr 2005 wurde der Buchblock (inkl. Einband) einer konservatorischen Bearbeitung unterzogen. Beim Papier handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um Hadernpapier, das aus Alttextilien hergestellt wurde. Das Papier für den Druck wurde möglicherweise in der Umgebung der Offizin von Samuel Emmel in Straßburg hergestellt, da die erste Papiermühle in Straßburg bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts belegt ist.13
Der überwiegende Teil der Seiten wurde in einem Block gedruckt, eine Gliederung ist durch die Einteilung in Absätze gegeben. Für den Haupttext der Übersetzung liegt keine Unterteilung in Spalten vor, allerdings werden einige wenige Seiten (Auflistungen, Register etc.) in zwei Spalten angeordnet. Über den gesamten Druck verteilt finden sich entlang des linken bzw. rechten Randes neben dem Schriftblock gedruckte Marginalien, die meist eine kurze Zusammenfassung des Haupttextes wiedergeben, z. B. „Josephus nimpt die statt ein“ (Folio ccclij – siehe Abb. 6). Die Überschriften werden mittels Änderung der Schriftgröße deutlich hervorgehoben, wobei sich Überschriften für Werke, Zwischenüberschriften für einzelne Bücher und Überschriften für Register, Listen etc. unterscheiden lassen. Markant stechen die gedruckten Initialen hervor.
Auf fast jeder Seite sind sogenannte Kustoden in der rechten unteren Ecke zu finden, d.h. das erste Wort oder die Anfangssilbe des Wortes der Folgeseite wird hier abgedruckt. Primär war dies als Hilfestellung gedacht, um als Vorbereitung für die Buchbindearbeiten die Seiten in der richtigen Reihenfolge anzuordnen. Mit der Entstehung des industriellen Buchdrucks verschwindet diese Art der Ordnungshilfe.
Bücher vor dem 15. Jh. enthielten keine Titelblätter in heutigem Sinne, Angaben über Autor*innen (sofern vorhanden) wurden meist am Ende des Werks im Kolophon angeführt. Erst durch das Wachstum des Buchmarktes und Buchdruckes entstanden Titelblätter, die neben dem Titel z. B. Jahreszahlen und Angaben über Autor*innen und Drucker*innen aufweisen.14 Der Entwicklungsprozess des Titelblattes in seiner heutigen Form, das auch alle vom modernen Titelblatt bekannten text- und buchkennzeichnenden Elemente enthält, ist um ca. 1530 abgeschlossen.15 Der vorliegende Druck enthält ein ansprechend gestaltetes und besonders informatives Titelblatt. Auffallend sind hier die beiden bereits erwähnten Titelblätter im Rot-Schwarz-Druck in einer gut lesbaren Fraktur: eines zu Beginn des Buches für das Werk Antiquitates Judaicae, ein weiteres im hinteren Bereich des Buches für das Werk Bellum Judaicum.
Sowohl auf dem vorderen als auch auf dem hinteren Vorsatz bieten handschriftliche Vermerke aus dem Zeitraum von 1694 bis 1714 Hinweise auf einen Vorbesitzer des Buches (z. B. Z. 1–2: Johannes Janhsen zu Elbersfelldts). Johannes Jan(h)sen stammte möglicherweise aus Elberfeld, heute ein Stadtteil von Wuppertal (D). Er führte auf dem Vorsatz des Buches als Besitzer eine Art Familienchronik.
Auch wenn nach einer genaueren Durchsicht festzustellen ist, dass beim vorliegenden Exemplar einige Blätter fehlen (Beschädigung durch Abriss, Fehlseiten am Ende des Buches), ist der Druck der deutschen Übersetzung der Werke des Flavius Josephus ein nicht nur historisch sehr interessantes Objekt, das einer eingehenderen Beschäftigung bedarf. So kann beispielsweise die Auswertung der handschriftlichen Anmerkungen und Stempel neue Erkenntnisse zur Benützung und zu Vorbesitzer*innen bringen und Antworten auf noch offene Fragestellungen bieten.
Über die Autorin: Mag. Sandra Hodeček ist Leiterin des Teams Katalogisierung der Hauptabteilung Bestandsaufbau und Bearbeitung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Der vorliegende Beitrag entstand im Rahmen des ULG Library and Information Studies 2022/23. Frau Mag. Monika Kiegler-Griensteidl, stv. Direktorin der Sammlung von Handschriften und alten Drucken, sei herzlich gedankt für die umfassende Betreuung der Arbeit und für die fachliche Unterstützung.
1 Link zum Katalogisat: http://data.onb.ac.at/rec/AC08553033. Der Druck wurde im Rahmen des ABO-Projekts digitalisiert, die Digitalisate sind unter folgendem Link abrufbar: http://data.onb.ac.at/rep/102CDC23 (abgerufen am: 29.02.2024).
2 Zu Flavius Josephus vgl. u. a. Ziegler, Konrat, Sontheimer, Walther, Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, Bd. 2, Stuttgart 1967, s. v. Iosephos 2., 1440–1444, Link: https://archive.org/details/DerKleinePaulyLexikonDerAntike (abgerufen am: 29.02.2024).
3 Siehe: Zimmermann, Bernhard (Hrsg.), Metzler Lexikon Antiker Literatur, Stuttgart / Weimar 2004, s. v. Josephus, S. 98, Sp. 2–S. 99, Sp. 1.
4 https://www.bsb-muenchen.de/kompetenzzentren-und-landesweite-dienste/kompetenzzentren/vd-16/ (abgerufen am: 29.02.2024). Interessanterweise hat auch die Mary-Baker-Eddy-Library in Boston, USA, ein Exemplar mit originalem Ledereinband und Schließen in ihren Beständen, siehe https://www.marybakereddylibrary.org/research/collection-item/flavii-josephi-des-hochberuempten-histori-beschreibers-alle-buecher-nemlich-zwentzig-van-den-alten-geschichten-der-juden-1561-030/ (abgerufen am: 29.02.2024).
5 https://westfalen.museum-digital.de/people/168658 (abgerufen am: 29.02.2024).
6 Zur Entwicklung des Buchdrucks ab dem 15. Jahrhundert, der zahlreichen Druckerwerkstätten und zur Erfindung des Typendrucks in Straßburg gibt es eine Vielzahl an Abhandlungen. Einen kurzen Überblick bietet: Jungfer, Anja, Geschichte des Buchdruckes in Straßburg (Hausarbeit Universität Straßburg), 2001: https://www.grin.com/document/104460 (kostenpflichtig; abgerufen am: 29.02.2024). Ausführlicher: Funke, Fritz, Buchkunde. Ein Überblick über die Geschichte des Buches, München, 6. Auflage, 1999, v. a. S. 133 ff.
7 Zu seiner Ausbildung, seinem Leben und seinen Werken vgl. u. a. Stupperich, Robert, Neue Deutsche Biographie (NDB) 8, Berlin 1969, s. v. Hedio, Kaspar, S. 188–189.
8 Deutsche Biographie, s. v. Hedio, Kaspar, https://www.deutsche-biographie.de/sfz53162.html (abgerufen am: 29.02.2024).
9 Deutsche Biographie, s. v. Volz, Paul, https://www.deutsche-biographie.de/sfz84062.html (abgerufen am: 29.02.2024).
10 Vgl. Zotter, Hans, Einbandkunde. Eine kleine stilgeschichtliche Einführung. Skriptum für den Ausbildungskurs, 1999, S. 9, Link: https://unipub.uni-graz.at/download/pdf/8072732 (abgerufen am: 29.02.2024).
11 https://staatsbibliothek-berlin.de/die-staatsbibliothek/abteilungen/handschriften-und-historische-drucke/sammlungen/historische-drucke-ab-1501/projekte/einbanddatenbank (abgerufen am: 29.02.2024).
12 So z. B. ein Einband aus der Werkstatt I. M. II, Augsburg (Zitiernummer w004296, https://www.hist-einband.de/de/werkstattdetails.html?entityID=w004296, abgerufen am: 29.02.2024) oder der Einband München 2° Eur. 66 a * (Zitiernummer w004404, https://www.hist-einband.de/werkstattdetails.html?entityID=503086m&L=1, abgerufen am: 29.02.2024).
13 Vgl. die kurze Zusammenfassung: https://de.wikipedia.org/wiki/Papier#Verbreitung_der_Papierherstellung_in_Europa (abgerufen am: 29.02.2024).
14 Höfler, Gabriele Eva Maria, Nachdruck im 16. und 18. Jahrhundert. Zur Vorgeschichte der Debatte um die digitale Raubkopie (Diplomarbeit Universität Wien), Wien 2011, v. a. S. 15, https://doi.org/10.25365/thesis.16325 (abgerufen am 29.02.2024).
15 Diese wertvolle Ergänzung verdanke ich Mag. Monika Kiegler-Griensteidl.
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