Autor: Bernhard Tuider
Ludwik Zamenhof begann bereits als Gymnasiast in Warschau eine Plansprache auszuarbeiten und beendete den ersten Entwurf seiner „lingwe uniwersala“ – des Ur-Esperanto – im Dezember 1878 (vgl. Tuider 13.04.2017). Bis zur Veröffentlichung seines Sprachprojekts war es indes noch ein weiter Weg: Sein Vater Markus Zamenhof (1837–1907), ein Lehrer für jüdische Religion, Russisch und Deutsch, der ab 1883 auch als Zensor im Warschauer Zensurkomitee arbeitete, missbilligte das Engagement seines Sohnes für Plansprachen, weshalb Ludwik versprechen musste, sich bis zum Abschluss seines Studiums nicht mehr damit zu befassen (vgl. Künzli 2010: 119 und 152). Nachdem er sein Sprachprojekt in den darauffolgenden Jahren im Geheimen korrigiert bzw. modifiziert und sein Medizinstudium abgeschlossen hatte, wollte er die neue Sprache bereits 1885 publizieren, konnte aber keinen Verleger dafür finden. Die Publikation, zunächst in Russisch, erfolgte deshalb erst – nachdem sie von der Zensurstelle geprüft und genehmigt wurde – am 26. Juli 1887 im Eigenverlag, durch die finanzielle Unterstützung bzw. die Mitgift seiner Frau Klara Zilbernik (1863–1924), die er im gleichen Jahr heiratete (vgl. Korĵenkov 2011: 87).
Aufgrund gewisser Bedenken, u.a. dass die Publikation seinem Ruf als noch junger Arzt schaden könnte, veröffentlichte Ludwik Zamenhof die „Internationale Sprache“ nicht unter seinem eigenen Namen, sondern wählte das Pseudonym „Doktoro Esperanto“, das auf Esperanto „Doktor Hoffender“ bedeutet. Noch im selben Jahr (1887) erschien das Lehrbuch in Polnisch (6. September), Französisch (24. November) und Deutsch (24. November). Die deutschsprachige Ausgabe umfasst 48 Seiten und gliedert sich in vier Kapitel:
In der „Vorrede“ erklärt Ludwik Zamenhof „was für eine große Bedeutung eine internationale Sprache für die Wissenschaft, den Handel und den allgemeinen Verkehr überhaupt haben würde.“ (Zamenhof 1887d: 5) Drei „Hauptaufgaben“ solle sie erfüllen:
„I. Die Sprache muss sehr leicht sein, so dass sie jeder, sozusagen spielend, erlernen kann. II. Jeder, der diese Sprache erlernt hat, muss sie sofort zum Verkehr mit anderen Nationalitäten benutzen können,“ und sie sollte „III. Ein Mittel [sein,] die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden, und dieselbe zu ermuntern sofort und en masse von dieser Sprache, als von einer lebenden Sprache, Gebrauch zu machen, […]“ (Zamenhof 1887d: 8f.).
Dem Vorwort folgt eine Sammlung von sechs Beispieltexten in Esperanto, darunter das „Vater unser“, das Gedicht „Mir träumte“ von Heinrich Heine (1797–1856) und zwei von Ludwik Zamenhof original in Esperanto verfasste Gedichte – „Mia penso“ und „Ho, mia kor‘“.
Im dritten Kapitel erklärt Ludwik Zamenhof die 16 grammatischen Grundregeln, den vierten Teil bildet ein Faltblatt mit 917 Wortstämmen in Esperanto und deren Übersetzung ins Deutsche.
Auf der Grundlage dieses „Unua Libro“ sind in den 1890er-Jahren Esperanto-Lehrbücher in weiteren Sprachen entstanden. Sie förderten eine » kontinuierliche Literaturproduktion und bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es Esperanto-SprecherInnen in Europa, Asien, Australien, Nord- und Südamerika. Diese relativ rasche Verbreitung war kaum vorhersehbar, dennoch können retrospektiv einige Gründe für die breite Rezeption genannt werden: Neben dem Phoneminventar und der phonetischen Orthographie erwies sich die einprägsame Grammatik des Esperanto als vorteilhaft. Förderlich war auch, dass viele Volapük-SprecherInnen ab 1887 begannen Esperanto zu lernen, wie z.B. die Mitglieder des Volapükvereins von Nürnberg. (vgl. Schor 2016: 72)
Als besonders progressiv erwies sich das grundlegende Konzept von Ludwik Zamenhof, wonach er sich nicht als „Erfinder“ des Esperanto betrachtete, sondern als „Initiator“ einer Sprache, die von der Sprachgemeinschaft weiterentwickelt wird. Dem entsprechend konzipierte er Esperanto und notierte im ersten Lehrbuch: „Die internationale Sprache soll, gleich jeder nationalen, ein allgemeines Eigenthum sein, weshalb der Verfasser für immer auf seine persönlichen Rechte darüber verzichtet.“ (Zamenhof 1887d: 2) Diese und weitere „participative strategies“ Zamenhofs bezeichnete der Soziologe Roberto Garvía (2015: 66 und 68) als „the masterwork of a brilliant tactician.“
Zum Autor: Mag. Bernhard Tuider ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Sammlung für Plansprachen der Österreichischen Nationalbibliothek
Digitale Quellen zu plansprachlichen Büchern und Periodika an der Österreichischen Nationalbibliothek:
Literatur:
Garvía, Roberto (2015): Esperanto and Its Rivals. The Struggle for an International Language. Philadelphia: University of Pennsylvania Press.
Korĵenkov, Aleksander (2011): Homarano. La vivo, verkoj kaj ideoj de d-ro L.L. Zamenhof. Kaliningrado: Sezonoj.
Künzli, Andreas (2010): L. L. Zamenhof (1859–1917). Esperanto, Hillelismus (Homaranismus) und die „jüdische Frage“ in Ost- und Westeuropa (= Jüdische Kultur. Studien zur Geistesgeschichte, Religion und Literatur Bd. 23). Wiesbaden: Harrassowitz.
Okrent, Arika (2009): In the Land of Invented Languages. Esperanto Rock Stars, Klingon Poets, Loglan Lovers, and the Mad Dreamers Who Tried to Build a Perfect Language. New York: Spiegel & Grau.
Schor, Esther (2016): Bridge of Words. Esperanto and the Dream of a Universal Language. New York: Metropolitan Books, Henry Holt and Company.
Tuider, Bernhard (13.04.2017): Zum 100. Todestag des Esperanto-Erfinders Ludwik Zamenhof
Zamenhof, Ludwik (1887a): Meždunarodnyj jazyk. Predislovie i polnyj učebnik. Varšava: Kelter.
Zamenhof, Ludwik (1887b): Język międzynarodowy. Przedmowa i podręcznik kompletny. Warszawa: Kelter.
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