Autor: Franz Halas
Sta(d)tt Mauern
Mit dem Abriss der Stadtbefestigung ab 1858 wurde in Wien Platz geschaffen, um die Stadt neu zu gestalten. Auch für die Gesellschaft der Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates eröffnete sich so eine Gelegenheit, um das zu klein gewordene Vereinsgebäude unter den Tuchlauben durch einen Neubau abzulösen. Im zweiten Anlauf und nach einer kaiserlichen Entschließung 1863 zur Überlassung von Baugrund am linken Ufer der Wien war das Vorhaben erfolgreich. Nach mehrjähriger Vorbereitung und Änderungen in der Planung konnte im März 1867 mit dem Architekten Theophil Hansen ein Vertrag zur Errichtung eines neuen Vereinsgebäudes geschlossen werden. Die Finanzierung des Baus erfolgte mittels zweier Wohltätigkeitslotterien, eines Darlehens und einer frühen Art des Kultur-Sponsorings – „eine der kuriosesten Geschichten der Ringstrasse“ (» Otto Schwarz, Hinter den Fassaden der Ringstrasse, Wien 2014, S. 142). Personen konnten abhängig vom einbezahlten Betrag zu Stiftern, Gründern und unterstützenden Mitgliedern werden, was nach der Eröffnung Priviliegien versprach, d.h. Sperrsitze für vier Konzerte pro Jahr, das Stimmrecht in der Generalversammlung und die Nutzung der Bibliothek und des Archivs.
Abb. 1: » Musikvereinsgebäude unter d. Tuchlauben, um 1830
Stadtplan
Abb. 2: » Das neue Musikvereinsgebäude in Wien. Farbdruck nach einem Originalentwurf (Aquarell) von Theophil Hansen
Abb. 3: » Blick über das Bett der Wien auf das Künstlerhaus (noch ohne Seitenflügel) und das in Vollendung begriffene Gebäude des Musikvereines, 1868
Am 17. Juni 1867 wurde der erste Spatenstich gesetzt und bereits am 31. Dezember 1869 das neue Gebäude fertiggestellt. Die feierliche Schlusssteinlegung fand in Anwesenheit des Kaisers am 5. Jänner 1870 statt. Für die Neue Freie Presse war „die Eröffnung des neuen Musikvereins-Gebäudes nächst der Ringstraße das bedeutendste musikalische Ereignis — nicht bloß des Tages oder der Woche […]. Der Tag wird jedem der Anwesenden unvergeßlich bleiben, und es schadet dieser Erinnerung nicht, daß man sich diesmal mehr dem Schauen hingab, als dem Hören. Die wundervolle Harmonie der Architektur übte an dem Tage noch größere Macht über die Versammlung, als die Harmonie der Musik“ (» Neue Freie Presse, 11.01.1870, S. 1). Die architektonische Partitur hierfür lieferte Theophil Hansen, den man aufgrund seines vielseitigen Schaffens durchaus auch als einen der Komponisten der Ringstraße bezeichnen kann.
Abb. 4: » Feierliche Schlusssteinlegung des neuen Musikvereinsgebäudes in Wien am 5. Januar 1870
Abb. 5: » Allgemeine Bauzeitung 1870, Musikvereinsgebäude Vordere Ansicht, Pläne, S. 7
Abb. 6: » Musikvereinsgebäude, Front Dumbastraße aus der Bösendorferstraße (damals Giselastraße), nach 1870
Phönix aus der Asche
Schon kurz nach der Eröffnung und nachdem die ersten Konzerte die Räume mit Wohlklang erfüllten, wurde die anfängliche Harmonie aber durch einen Brand gestört. In der Nacht von 19. auf 20. Jänner 1870 brach nach einem Ball in der Garderobe im Vestibül ein Feuer aus. Dieses blieb zwar lokal begrenzt, doch durch die Rauchentwicklung wurden große Teile des Gebäudes in Mitleidenschaft gezogen. Es kursierten unterschiedliche Erklärungen zur Brandursache, unter anderem, dass der Brand durch die Heizung der Garderobe oder durch rauchende BallbesucherInnen verursacht wurde. Der tatsächliche Grund konnte allerdings trotz eingehender Prüfung nicht abschließend geklärt werden. Unabhängig davon gab das humoristische Volksblatt Kikeriki für künftige BallbesucherInnen im neuen Musikvereinsgebäude eine Kostümempfehlung als Rauchfangkehrer ab.
Abb. 7: » Kikeriki 31. Jänner 1870, S. 1
Die Instandsetzungsarbeiten wurden zügig in Angriff genommen und nach „Verlauf von 27 Tagen stand am 19. Februar 1870 das Werk, wie ein Phönix der Asche entstiegen, wieder fertig da, wie wir es am 5. Jänner 1870 sahen und bewunderten“ (» Blätter der Erinnerung an den Bau und die Eröffnung des neuen Hauses der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien 1870. Festrede des Präsidenten Dr. Franz Egger, S. 33). So konnte das Musikvereinsgebäude zum zweiten Mal in einem Jahr mit einem Ball eröffnet werden. Ob auch Gäste im Rauchfangkehrerkostüm erschienen, ist leider nicht dokumentiert. Der Hinweis auf die gesonderten Raucherräume sowie die beheizten Garderoben durfte auf den Bekanntmachungen jedenfalls nicht fehlen.
Abb. 8: » Fremden-Blatt, 19. Februar 1870, S.13
[Neben]-Schauplatz der Geschichte?
Im Laufe der Zeit diente das neue Musikvereinsgebäude neben Konzerten und Festbällen aber immer wieder auch Zwecken, die keinen rein musikalischen Hintergrund hatten. Zum einen war die Vermietung der neu geschaffenen Räumlichkeiten natürlich ein probates Mittel zur Lukrierung von Geldmitteln, um das Gebäude zu finanzieren und zu erhalten, zum anderen etablierte man sich als Veranstaltungsort in der Kongressstadt Wien. Das Vereinsgebäude wurde so zur Bühne und zum Schauplatz von Versammlungen, Kongressen und andern Feierlichkeiten von teilweise historischer Bedeutung.
So tagte 1913 der XI. Zionistenkongress im Musikvereinsgebäude, zu dessen ca. 9.000 BesucherInnen und TeilnehmerInnen unter anderem auch Franz Kafka gehörte. Dieser Kongress beschloss nach einer lebhaften Debatte, „eine Kommission einzusetzen zum Zwecke der vorbereitenden Arbeiten für die Gründung einer hebräischen Universität in Jerusalem“ (zit. nach » Evelyn Andunka, Zionistenkongresse in Wien, S. 25), die 1925 eröffnet wurde. Der Kauf des Grundstückes auf dem die Universität heute noch steht, erfolgte in direkter Folge des Kongresses in Wien. Die weitere Umsetzung des Projekts verzögerte sich jedoch durch den Beginn des Ersten Weltkrieges.
Auch die Sozialistische Internationale plante, ihren Kongress im August 1914 im Musikvereinsgebäude abzuhalten, sagte diesen aber aufgrund der weltpolitischen Ereignisse und des Kriegsbeginns letzendlich ab. Eine kommunistische Revolution und einen weiteren Weltkrieg später, wurde am 11. April 1946 im Großen Saal die Befreiung Wiens durch die Rote Armee feierlich begangen. Bundespräsident Dr. Karl Renner – dessen Geburtstag sich dieses Jahr ebenfalls zum 150igsten Mal jährt – hielt eine Festrede, von „einer Bedeutung, die weit über den aktuellen Anlaß hinausging, […] die in menschlich einfacher Weise, aber mit dem Gewicht des Historikers, seine ersten Verhandlungen mit den eben einmarschierenden russischen Truppen erzählten. […] Der positive Staatsaufbau sei das Werk der demokratischen Parteien und ihrer leitenden Persönlichkeiten gewesen. Aber dieses Werk in der kurzen Spanne Zeit von 30 Tagen zu vollbringen, habe ihnen in erster Linie die siegreiche Rote Armee durch die Niederwerfung der faschistischen Heere, dann aber durch die verständnisvolle Duldung und Förderung der staatlichen Wiederaufbauarbeit ermöglicht.“ (» Wiener Kurier, 12. April 1946, S. 4). Aus musikalischer Perspektive war diese Feier zudem bedeutsam, da in diesem Rahmen die IX. Symphonie von Dimitri Schostakowitsch zum ersten Mal in Österreich zu hören war, ebenso wie die Uraufführung eines Hymnus des Komponisten Franz Salmhofer, „ein Stück, das in brausenden Orchesterklängen ein symbolisches Bild von der Befreiung Wiens gibt (ebd.).“ „Ein ungemein wirkungsvolles Stück, bei dem der Komponist seine reiche Erfahrung an illustrativer Musik glänzend verwertet. […] Salmhofer besitzt, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, ein kunstgewerbliches musikalisches Talent, das in Kompositionen ‚zu bestimmten Gelegenheiten‘ das Beste leistet.“ (» Die Weltpresse, 12. April 1946, S. 4)
Abb. 9: » Befreiungsfeier der Sowjetunion 1946
Wie sich die Zusammenhänge von Musik, Raum und Zeit in der Geschichte verändern und verändert haben, ist eine interessante Frage, die sich im Zeitalter der digitalen Reproduktion ganz neu stellen lässt. Fraglos ist aber, dass mit dem Musikvereinsgebäude der musischen Kunst ein Tempel errichtet wurde, der in der Geschichte seinen Platz behauptet und dieser selbst auch Raum gegeben hat. Wir gratulieren zum 150-jährigen Bestehen und schließen mit der letzten Strophe des Gedichts, das bei der Schlusssteinlegung 1870 vorgetragen wurde:
[…]
Ein Weckruf sei der edelsten Gefühle
Die Harmonie, die diesen Saal durchklingt,
In der Partei‘n verwirrendem Gewühle
Ein Zufluchtsort, der ein'gend uns umschlingt.
Und wie, wenn felsenabwärts schießt die Fluth,
Auf diesen Wogen, welche niederrollen,
Als Bleibendes im ewig Wechselvollen
Der Sonne Glanz in bunten Farben ruht:
So glänz', verwebt mit unsrem ganzen Sein,
Als bester Lebensschmuck und Sonnenschein,
Wie auch des Schicksals Wogen wechselnd gleiten,
Begeist'rung für die Kunst durch alle Zeiten!!
(» Neues Fremden-Blatt, 05. Jänner 1870, S. 24)
Abb. 10: » Blick von der Kuppel der Karlskirche über Künstlerhaus und Musikverein gegen den Stephansdom
Über den Autor: Mag. Franz Halas ist Mitarbeiter der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement der Österreichischen Nationalbibliothek.
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Zum Thema digital:
» Neue Freie Presse, 11.01.1870
» Illustrirte Zeitung, 05.03.1870
» Fremden-Blatt, 19.02.1870
» Kikeriki 31.01.1870
» Wiener Kurier, 12.04.1946
» Die Weltpresse, 12.04.1946
» Neues Fremden-Blatt, 05.01.1870
Otto Biba,Art. „Gesellschaft der Musikfreunde in Wien‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, Zugriff: 17.12.2019 (» https://www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_G/GDM.xml)
Uwe Harten, Art. „Salmhofer, Franz‟, in: Oesterreichisches Musiklexikon online, Zugriff: 16.12.2019 (» //www.musiklexikon.ac.at/ml/musik_S/Salmhofer_Franz.xml)
Die umfangreichen Bestände von und zu Franz Salmhofer finden Sie über unseren Bestandskatalog QuickSearch: » https://search.onb.ac.at/
Reiber, et al. Der Musikverein in Wien : Ein Haus Für Die Musik. Styria Verlag, 2019. Signatur: » 2153715-C Neu Mag
Lessing, et al. Der Wiener Musikverein. 2.Aufl.. ed., Ed. Wien Verl. Ges., 1988. Signatur: » 1281900-C Mus
100 Jahre Musikvereinsgebäude. Österr. Staatsdruckerei, 1970. Signatur: » 1018700-C.1970 Neu Per
Wagner-Rieger, et al. Theophil Von Hansen. Steiner, 1980. Signatur: » 1046235-B.8,4 Neu Mag
Schwarz, Otto. Hinter Den Fassaden Der Ringstraße : Geschichte - Menschen - Geheimnisse. Amalthea, 2014. Signatur: » 2038995-C Neu Mag
Adunka, Evelyn. Zionistenkongresse in Wien : Der XI. Zionistenkongress 1913 Im Musikverein Mit Der Gründung Der Hebräischen Universität Und Der XIV. Zionistenkongress 1925 Im Konzerthaus. Edition INW, 2018. Signatur: » 2153138-B Neu Mag
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