Von den etwa 21.000 koptischen Schriftstücken der Papyrussammlung ist der Großteil noch unveröffentlicht. In einem jüngst erschienenen Band der Reihe Corpus Papyrorum Raineri sind 83 Texte mit Übersetzung und Kommentar erschlossen.
Autorin: Monika Hasitzka
Die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek beherbergt ca. 21.000 koptische Schriftstücke. Es sind dies Texte des täglichen Lebens, aber auch theologische bzw. literarische Schriften. Nur ein Bruchteil davon ist bisher ediert. In Monika R. M. Hasitzkas jüngst erschienenem Band Koptische dokumentarische Texte aus der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek (De Gruyter 2018 (Corpus Papyrorum Raineri, Bd. 34)) werden weitere 83 Stück veröffentlicht.
Als Beschreibmaterial dienten Papyrus, Pergament und Papier. 74 Texte wurden auf Papyrus geschrieben, sechs auf Papier und einer auf Pergament. Pergament war sehr teuer und wurde vor allem für theologische Bücher verwendet, aber in der neuen Edition wurde es bemerkenswerterweise für einen Brief (Nr. 70) benutzt.
Die Stücke müssen oftmals anhand der Schrift datiert werden, weil nur wenige mit Datum versehen sind. Ebenso häufig fehlen Herkunftsangaben in den Texten. Wenn in den Inventarbüchern kein Vermerk über den Herkunftsort vorhanden ist, wird die Herkunft anhand des Dialekts bestimmt. Die Sprache ist Koptisch: Der überwiegende Teil ist im Sahidischen Dialekt, der im Süden Ägyptens gesprochen wurde, geschrieben, der andere Teil im Faijumischen Dialekt, der in der mittelägyptischen Region vorherrschend war.
In der Schachtel von Pergament Nr. 70 – die Objekte sind zum überwiegenden Teil in Schachteln zwischen säurefreiem Papier aufbewahrt – befand sich auch ein Brief des englischen Koptologen Walter Crum an Walter Till aus dem Jahr 1933. Till war ein österreichischer Koptologe, der dem älteren und viel erfahreneren Fachkollegen eine Textabschrift von Nr. 70 zukommen ließ und um dessen Hilfe bei der Bearbeitung bat. Diese Textabschrift Tills und eine von Crum in den Sahidischen Dialekt gebrachte Version des koptischen Briefes lagen ebenfalls in der Schachtel – sie wurden im Anhang (S. 186–191) ediert.
Crums Meinung zu diesem Brief und die Probleme, welche die beiden hervorragenden Koptologen mit dem Text hatten, zeigen auch, wie schwierig es oft ist, die Texte richtig zu übersetzen, zu verstehen und zu interpretieren. So schreibt Crum: „Lieber Professor Till. Vor mehreren Wochen waren Sie so gut und schickten mir Ihre Abschrift von K 7033. Diesen sehr schwierigen Brief habe ich mehrmals zu lesen und zu deuten versucht, doch noch nie mit Erfolg ...“.
Die Briefe, Urkunden und Listen geben Auskunft über das alltägliche Leben der Menschen und die Wirtschaft Ägyptens im 6.–11. Jh. n. Chr. Es sind z.B. Aufzeichnungen über Wein (Nr. 44), Getreide (Nr. 49, Nr. 50) oder Bezahlung für Arbeiten (Nr. 46). Die Objekte zeigen aber auch, welche Sorgen und Bedürfnisse die Menschen in der früharabischen Zeit hatten. So schreibt ein gewisser Phoibammon (Nr. 70) an den Meister Theodose einen Brief auf Pergament. Er bittet ihn, ein Schreiben des Herrschers zum Vertrauensmann zu bringen, weil der Vertrauensmann ihm selbst kein Gehör geschenkt habe. Er berichtet weiters, dass kein Goldholokottinos (= ein Goldgeldstück) bei ihm eingetroffen sei und er eine richterliche Erkenntnis benötige, damit er wisse, ob und wie viel zu zahlen ist. Wofür zu zahlen ist, erfahren wir aus dem Brief nicht, es könnte sich aber um Steuern handeln.
Ein anderer Brief (Nr. 72), der auf Papyrus geschrieben wurde, stammt ebenfalls von einem Mann namens Phoibammon, der an seinen Herrn Kale schreibt. Phoibammon nennt sich „Diener“ und schreibt an eine offenbar höherrangige Person.
Er war vermutlich nicht wirklich ein Diener, sondern bezeichnet sich bloß aus Respekt gegenüber einer höhergestellten Person so. Phoibammon lässt alle, die bei Kale sind, schön grüßen. Er bedauert, dass er Kale noch nicht besucht hat, da er noch keine Gelegenheit zu kommen gefunden hat – was bedeuten kann, dass er noch keine Zeit hatte oder dass er noch keine Reisemöglichkeit (z.B. ein geeignetes Schiff, um auf dem Nil zu reisen) gefunden hat. So Gott will, wird Phoibammon zu Kale reisen und die Grüße seiner Familie überbringen. Er informiert Kale weiters, dass er ihm einige Flaschen Essig, ein Maß Oliven, etwas Fleisch und Käse — gemäß Kales Wunsch — geschickt habe. Falls Kale eine Rechnung braucht, möge er es mitteilen.
Die Liste Nr. 1, wo die Schiffe eines bestimmten Ortes verzeichnet sind, ist ebenfalls sehr interessant. Die Überschrift dieses Schriftstücks lautet lapidar „Die Liste der Schiffe: Ma-n-pindrat“. Es werden drei verschiedene Bootstypen erwähnt: a) Schiffe, mit denen Güter wie Getreide, Wein oder Öl transportiert werden konnten, b) leichte Ruderboote für Handelsfahrten und als Hilfsschiffe für die Kriegsflotte und c) Schnellsegler, die ebenfalls als Handelsschiff verwendet wurden. Der erste Bootstyp ist 12 x erwähnt, der zweite nur 4 x und der dritte nur 2 x. In dieser Liste sind der Monat, der Bootseigentümer und die Bootstype verzeichnet. Es wird kein genaues Datum, sondern nur der Monat erwähnt. Meistens ist pro Monat nur ein Schiff verzeichnet, selten sind es zwei. Jeder Bootseigentümer kommt auf der Liste nur einmal vor. Die Eintragungen der vorgesehenen Boote beginnen mit dem ersten Monat des Jahres, dem Thoth (August/September) und enden mit dem letzten Monat, dem Mesore (Juli/August). Zuerst war kein Boot für den Hathyr (Oktober/November), Phamenoth (Februar/März) und Pharmouthi (März/April) vorgesehen. Später folgte dann eines auch für diese Zeiträume, nur im Phamenoth (Februar/März) ist kein Boot notiert. In den Monaten Thoth (August/September), Phaophi (September/Oktober), Choiak (November/Dezember) und Tybi (Dezember/Jänner) sind jeweils zwei Boote eingetragen, obwohl zuerst nur eines verzeichnet war. Es sind aber immer zwei unterschiedliche Schiffstypen. Nur für den Pauni (Mai/Juni) waren ursprünglich zwei Boote vorgesehen, beide vom gleichen Bootstyp.
Ein aus dem 8. Jh. n. Chr. stammender Papyrus (Nr. 2) aus dem Bezirk Hermopolis verzeichnet trockene und bewässerte Felder. So liest man z.B. „Die zwei Felder des Gemüsehändlers Liley sind trocken“ und „Das Feld des Diakon Athanase wurde bewässert“.
Ein Listenersteller (Nr. 5) aus dem 8. Jh. n. Chr. notiert, was er alles gebracht hat: einen Korb Brot, gesponnenes Leinen, zwei Gewänder mit Kapuze, ein Bündel unbearbeiteten Flachs, fünf Flaschen Wein, 18 Flaschen Öl, ein Gefäß aus Eisen, drei Löffel, einen bronzenen Kübel mit Henkel, Weizen und vier Oipe (Maß) Datteln. Bei einer Zeile fehlt der Anfang des Produkts/Gegenstands – es könnte Zucker oder ein Messer sein. Zucker ist allerdings selten auf Papyri bezeugt.
Eine andere Liste (Nr. 53) aus dem 9. Jh. n. Chr. trägt den Titel „Die Liste der Nahrung für die Verstorbenen“ und gibt die Namen von Personen an, die für bestimmte Verstorbene und deren Totenopfer bezahlen.
Das Opfer zugunsten eines Verstorbenen spielt in Ägypten seit jeher eine große Rolle, und Opfergaben für die Toten waren üblich. Die Sicherung von Begräbnis und Totenkult erfolgt in christlicher Zeit durch das Errichten von Testamenten und Erbverträgen. Den Erben oblag es, für die Bestattung der Toten und die Totenopfer zu sorgen. Die Last des Totenopfers, das nach ägyptischer Sitte am dritten, siebenten, dreißigsten und am Jahrestag des Todes darzubringen war, erstreckte sich auf mehrere Jahre, manchmal sogar auf zwölf Jahre. Wein, Brot, Süßigkeiten und Früchte dienten als Opfergaben für die Toten. In den Dörfern wurden Palmwedel und Zitronenbaumzweige auf die Gräber gelegt und mit Wasser besprengt, um den Durst der Toten zu löschen. In Nr. 57 in der Zeile 54 sind Ausgaben für das Totenmahl verzeichnet. In einer anderen Edition (CPR IV, 178) bestätigt jemand die Vermögensübernahme für das Totenopfer und verpflichtet sich, die ganze Habe restlos dem Kloster/der Kirche als Opfergabe für den ehemaligen Eigentümer zu übergeben.
Die christliche Kirche stand dem Totenkult an den Grabanlagen ablehnend gegenüber, so verbat z.B. der Bischof Ambrosius von Mailand (374–397) seiner Mutter, Brei, Brot und Wein auf die Gräber zu tragen. Das Ziel der Kirche war keineswegs die völlige Ausrottung des Totenkults. Sie hat ihn nur umgestaltet, indem sie die materialistischen Totenspeisungen zur Seelenpflege und Seelenmesse vergeistigte. Gleichzeitig verwandelte sie die Opfer für die Toten in Gaben für die Kirche und die Armen.
Hasitzka, Monika R.M. (2018): Koptische dokumentarische Texte aus der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek, Berlin, München, Boston: De Gruyter (Corpus Papyrorum Raineri, Bd. 34)
Über die Autorin: Dr. Monika Hasitzka ist Koptologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek.
Aufgrund einer Veranstaltung wird der Prunksaal am Donnerstag, 14. November bereits um 18 Uhr geschlossen.