Kaugummis, Kondome, kleines Glücksspiel, uvm. – die stummen Diener des Alltags.
Autor: Martin Forster
Die industrielle Revolution und die damit einhergehende fortschreitende Mechanisierung und Automation brachte nicht nur Neuerungen für die Fabriken und Fertigungsstraßen – gerade die dort hergestellten Produkte änderten auch die Gesellschaft und ihr Privatleben, sei es durch die diversen Anwendungen im Haushalt oder auch die vielfältigen Angebote zur Zerstreuung in der Freizeit. Manchmal gingen die Änderungen auch gefühlt viel zu schnell von statten – so erging es z.B. Charlie Chaplin als überforderten Tramp in „Moderne Zeiten“ (siehe ANNO und ÖNB-Digital), der nicht nur sprichwörtlich zwischen die Räder der Moderne gerät.
Bei den Themen Automation, Digitalisierung, etc. schweifen unsere Gedanken mitunter ganz gerne in Richtung Zukunft - aber was ist eigentlich skurriler: dass die Menschheit gerade anfängt mit künstlichen Intelligenzen zu korrespondieren und Essensbestellungen o.ä. einem – eher nicht so stummen – Diener aus Plastik und Silizium diktiert, oder dass es einmal einen „Gedankenautomaten“, einen „Märchenautomaten“ oder gar einen „Bettlerautomaten“ gab? Dieser warf auf Knopfdruck ein kleines Almosen aus und sollte die „Belästigung“ durch Bettler an gewissen Plätzen einschränken – ein Phänomen der Hungersnot zu der Zeit der Ersten Republik.
Generell waren in der Öffentlichkeit aufgestellte Automaten aber natürlich vor allem für den Verkauf gedacht – und daran hat sich auch bis jetzt nichts daran geändert. Von Bücherautomaten (siehe Teaserbild), Briefmarkenautomaten, Fahrscheinautomaten, Getränkeautomaten bis hin zu Regenmantelautomaten (Wien, 1961) und anderen nicht ganz alltäglichen Automaten findet man in ÖNB Digital auch viele Bilder aus vergangenen Tagen.
Der Ursprung solcher Automaten geht bis auf die Antike zurück – die Tempeltüren zu Alexandria öffneten sich selbstständigi – die flächendeckende Verbreitung solcher Automaten hängt aber natürlich mit der Industrialisierung, der Münzprägung und den Produktionsbedingungen von Gebrauchsgegenständen zusammen. Im deutschsprachigen Raum setzte der Kölner Süßwaren-Produzent Stollwerck 1888 einen ersten Meilenstein, in dem er bei Wirten Schokolade-Automaten aufstellte, in Amerika begann der Automaten-Boom zeitgleich mit den Tutti-Frutti-Kaugummi-Automaten.ii Die „Vending Machine“ war geboren.
Die Verkaufsautomaten boten dabei vor allem den Vorteil, dass sie auch außerhalb der Geschäftsöffnungszeiten zur Verfügung standen – und somit für die Käufer*innen einen bequemen und stressfreien Einkauf ermöglichen. Im Verkaufsmarketing kennt man dieses Entscheidungskriterium als „Convenience-Prinzip“, wie zum Beispiel die Convenience jederzeit einen heißen Kaffee trinken zu können.
Auch entstanden im Betrieb der Automaten keine allzu hohen Personalkosten, aber trotzdem: die Maschinen mussten einerseits natürlich regelmäßig wiederbefüllt und gereinigt werden, nach Akten des Vandalismus vielleicht sogar repariert oder ausgetauscht werden. Philosophisch betrachtet bedienen sich die Menschen also an den Automaten – müssen aber gleichsam auch den Automaten bedienen.iii Besonders auffällig ist diese Ambiguität bei den sogenannten Automaten-Buffets (hier zu sehen: das „Automatenbuffet-Vindobona“, Kärntnerstraße 9, 1912), die man heute wohl einfach Selbstbedienungslokale nennen würde.
Die flächendeckende Verbreitung der Verkaufsautomaten in Österreich ab den 1960er Jahren bis Ende der 1990er ist untrennbar mit einem Namen verbunden: Ferry Ebert. In seiner besten Zeit betrieb sein Unternehmen über 150.000 Automaten in ganz Österreich. Auch die anfänglich erwähnten Gedanken- u. Märchenautomaten gingen auf seine Kappe, wenngleich die meisten seiner Automaten eher dem Verkauf von Kaugummi und Kondomen dienten.
Besonderes Detail: die erste Lieferung Kondomautomaten erhielt der damalige Vertreter Ebert an die Adresse seiner Mutter geliefert und kam dadurch – die Zeiten waren noch wesentlich katholischer – in Erklärungsnot. Artikel über Ferry Eberts bemerkenswerte Lebensgeschichte finden Sie z.B. in von uns lizensierten Pressedatenbanken in DBIS (Zugang ist inkludiert beim Kauf einer Tages- oder Jahreskarte).
Die Euroumstellung wollte Ebert nicht mehr mitgestalten und schickte seine Automaten und sich selbst in Pension. Aber auch als Autor hat er sich betätigt und u.a. mehrere Kinderbücher verfasst – man findet diese natürlich in unserem Online-Katalog! Einige seiner Automaten kann außerdem noch in seinem Automaten-Museum begutachten.
Gerade in Anbetracht des eingangs erwähnten Misstrauens den Maschinen gegenüber, ist es ja besonders verwunderlich, dass auch im Glücksspielgewerbe das hart erarbeitete Geld nur allzu gerne in diverse Glücksspielautomaten (hier: Werbung für Spiel-Automaten im Casino Baden, 1981) gesteckt wird – in der Hoffnung, dass das Schicksal einem Hold sei.
Manchmal trachteten die vom Schicksal beraubten danach ihren Einsatz wieder zurückzuholen – das Grazer Volkblatt vom 11. November 1912 berichtet von einem besonderen Fall von Vandalismus: Beim Wirten „Hänselbauer“ wurde innerhalb eines Jahres fünfmal eingebrochen – und dabei jedes Mal der Glücksspiel-Automat aufgebrochen. Einmal wurde ein vermeintlich Verdächtiger festgenommen, es dürfte sich aber nur um einen Trunkenbold gehandelt haben, der in der Stube seinen Rausch ausschlief.
Das Verhältnis der Menschheit zu den von ihnen selbst geschaffenen Maschinen ist allgemein ein durchaus ambivalentes: Automaten und Maschinen waren schon immer auch eine Projektionsfläche für die menschliche Urangst vor dem eigentlich Unbelebten, das wie durch Zauberhand künstlich belebt wird.
Kunst, Literatur und Wissenschaft widmen sich diesem Thema immer wieder. Schon Freud behandelte „Das Unheimliche“ der seelenlosen Maschinen und stellte fest, dass es die Menschen verängstigt, wenn „das Leblose die Ähnlichkeit mit dem Lebenden zu weit treibt“.iv
Andererseits greifen wir selbstverständlich – geradezu gedankenlos – hunderte Male am Tag zum Smartphone und anderen Devices. Und nun fangen wir auch noch an mit der KI zu flirten! Wohin soll das führen? Schwer abzusehen … aber (noch) kein Grund in Panik zu verfallen! Frei nach Freud ist es nicht selten unsere eigene Phantasie, die die leblosen Objekte mit Leben erfüllt - und so ist auch die KI derzeit ohne menschlichen Input nicht denkbar: sie spiegelt nur wieder, womit sie gefüttert wurde – und das vorerst nur, wenn sie danach gefragt wird.
Und die klassischen „Vending-Machines“ erleben seit der Corona-Pandemie einen neuen Boom mit immer umfangreicherem Angebot. Man darf gespannt sein!
Zum Autor: Mag. Martin Forster ist Mitarbeiter der Abteilung Kundenservices, Leserberatung und Schulungsmanagement und Trainer im Center für Informations- und Medienkompetenz der ÖNB
i Automatisierungstechnik: Einführung u. Überblick. Wagner, Bodo u. Schwarze, Gunter [Hg]. 35. Berlin: Verl. Technik, 1965.
http://data.onb.ac.at/rec/AC12021735
ii Hehle, Friederike, „Die Anwendung des Convenience-Konzepts auf den Betriebstyp Vending“. Dissertation. Wien, 2010.
http://data.onb.ac.at/rec/AC08027703
iii Self-Service : Selbstbedienung zwischen Automatisierung und algorithmischen Praktiken
Herwig, Jana [Hg]. Monochrom, Wien 2022.
http://data.onb.ac.at/rec/AC16415058
iv „Das Unheimliche“. In: Freud, Sigmund [Hg].: Imago. Zeitschrift für Anwendung
der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften V. 1919, S. 297-324.
http://data.onb.ac.at/rec/AC09989145
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