Bücherkäufe gehören zu den zentralen Aufgaben einer Bibliothek. Aber wie war das im 18. Jahrhundert organisiert? Eine unscheinbare, niederländische geführte Handschrift gibt dazu wertvolle Einblicke, denn sie stammt aus der Hand des damaligen Präfekten der Hofbibliothek, Gerard van Swieten.
Autor: Stefan Benz
BibliothekarInnen werden selten Denkmäler gesetzt. Eine Ausnahme ist Gerard van Swieten, von 1745 bis zu seinem Tod am 18. Juni 1772 Präfekt der Wiener Hofbibliothek, Vorgängerin der Österreichischen Nationalbibliothek. Er steht als einer der Berater Kaiserin-Königin Maria Theresias unter ihrem Thron am Wiener Burgring, wo zwischen den beiden Hofmuseen das monumentale Denkmal der Monarchin errichtet wurde, heute fast in Sichtweite der Institution, der er 27 Jahre vorstand. Erinnert wird van Swieten als Mediziner und Berater der Kaiserin-Königin, die ihn nach einer Zeit der Eingewöhnung sehr geschätzt haben soll, auch als er gelegentlich den Wiener Volkszorn auf sich zog, beispielsweise während der schweren Pockenerkrankung der beliebten Regentin.
Van Swieten stammte aus Leiden in den Niederlanden, war aber Katholik, was seine Karrierechancen in der Heimat minimierte. So fiel es ihm leicht, dem Ruf als Leibarzt an den Wiener Hof zu folgen. Die Präfektur der Bibliothek war eher als Zugabe zur Gehaltsaufbesserung gedacht, wie dies schon bei seinem Vorgänger in beiden Ämtern gewesen war. Doch das Prestige der Institution in ihrem prachtvollen, damals noch neuen Bauwerk am Josephsplatz, quasi einer säkularen Hofkirche, darf nicht unterschätzt werden. Ihre Bücherschätze zogen europaweit Gelehrte an, denen van Swieten nach seiner eigenen Aussage selbstlos und unparteiisch dienen wollte.
Wie kam van Swieten neben seinem Hauptamt als Mediziner und den zahlreichen Beratertätigkeiten etwa in der Universitätsreform nun seiner bibliothekarischen Aufgabe nach? Dies war die Frage eines kleinen Forschungsprojekts, das durch das vor einigen Jahren gefeierte 650 Jahre-Jubiläum der Bibliothek angeregt wurde. Die Quellenlage erwies sich als glücklich – sie würde auch große Forschungsvorhaben erlauben: Es gibt nicht nur einen Katalog der privaten Bibliothek des Gelehrten, einen umfangreichen Zugangskatalog der Bibliothek allerdings unklarer Tiefe, ein Verzeichnis aller von van Swieten zensierten Bücher (heute teilweise unlesbar, da in einer speziellen Kurzschrift verfasst), sondern auch ein Kassabuch. Es handelt sich dabei um ein unscheinbares Geheft von 75 Blättern, das spaltenweise und nach Jahrgängen geordnet die Ausgaben des Präfekten notiert und von van Swieten persönlich geführt wurde. Dies ermöglicht Beobachtungen zum Finanzgebaren, Aussagen zum Bestandsaufbau, zu Geschäftskontakten und zu Erwerbungsverfahren, ohne die übliche Zuflucht in das Aufzählen neu und teuer erworbener Einzeltitel nehmen zu müssen. Diese Handschrift, die die penible Sorgfalt des Niederländers belegt, wurde bislang kaum benutzt. Die Ausgaben umfassen den ganzen Bedarf einer Bibliothek im vordigitalen Zeitalter, also neben den Buchkäufen auch Handwerkerrechnungen, Reparaturen, Trinkgelder, Fracht- und Portokosten für die Buchsendungen, die aus ganz Europa in Wien eintrafen. Die Genauigkeit der Buchhaltung wird deutlich, wenn van Swieten aus den Frachtkosten einer Sendung niederländischer Bücher den Anteil herausrechnet, der auf ein Fass Butter kam, das er persönlich von dort bezogen hatte.
Demnach hatte der Präfekt für den Sachaufwand seiner Bibliothek jährlich 3100 fl (Gulden) zur Verfügung. Dazu kamen Ausgabereste seines Vorgängers, aber auch die Verpflichtung, zahlreiche neue Bücher erst einmal binden zu lassen, was verabsäumt worden war. Die Summe lässt sich in heutigen Geldwert schlecht umrechnen, zu unterschiedlich war das Preisgefüge, auch bei Büchern. Kostbare, mit Kupferstichen ausgestattete Werke konnten damals leicht einen satten zweistelligen Betrag verschlingen. Legt man die Schätzung des Werts von van Swietens Privatbibliothek zu Grunde, galten ein Foliant 2 fl, ein Buch in quarto 1 fl und das lesefreundliche Oktavformat 1/2 fl. Über die ganze Zeit hinweg betrachtet, so ein erstes Ergebnis, ist es dem Präfekten gelungen, mit der konstant bleibenden Summe auszukommen, wobei er nicht nur Beschäftigten gelegentlich Kredite gewährte, deren Zinsen den Etat mehrten, sondern aus der Privatschatulle besondere Ausgaben vorfinanzierte. Van Swieten erwies sich als getreuer Haushalter, der mit privatem Engagement und steter Übersicht die Institution auch durch schwierige Zeiten wie den Siebenjährigen Krieg erfolgreich navigierte.
Das Kassabuch enthält zwar nur summarische Angaben, erlaubt jedoch Antworten auf Fragen, die bislang kaum gestellt wurden. Meist fokussierte sich die Bibliotheksgeschichte auf einzelne kostbare Zugänge oder den Kauf ganzer Bibliotheken wie die des Prinzen Eugens, vermutlich die wichtigste Erwerbung überhaupt im Verlauf der vielhundertjährigen Geschichte. Gelegenheitskäufe blieben unter van Swieten weiterhin eine Erwerbungsart. So erwarb er eine persische Handschrift, türkische Bücher oder ein Manuskript mit einem Text Vergils. Auffällig ist eine Reihe Käufe kostbarer naturwissenschaftlicher Bücher, was gut zu van Swietens Profil als Naturforscher passt. Neben antiquarischen Käufen beteiligte sich die Hofbibliothek auch an Subskriptionen, um botanischen Werken, denen das besondere Augenmerk vieler der Heilpflanzen kundigen Ärzte galt, oder Zeitschriften das Erscheinen überhaupt erst zu ermöglichen.
Eine wichtigere Erwerbsquelle waren natürlich die Buchhändler. Hier ergaben sich deutliche Veränderungen in den Jahrzehnten seiner Amtszeit. Anfänglich hatte man noch bis zu zwei Drittel des Etats für Käufe bei Emerich Felix Bader aufgewendet, einem Regensburger Händler mit Niederlassung in Wien, der wahrscheinlich Bücher aus dem Reich lieferte, sicher französische und hebräische Werke, bündelten sich doch die Postwege am Sitz des Immerwährenden Reichstags, bevor sie donauabwärts nach Wien führten. Dies veränderte sich massiv zu Gunsten vor allem des Leidener Hauses Verbeek, das auch die medizinischen Bücher van Swietens, einen Kommentar zu seinem akademischen Lehrer, verlegte. Das gute Geschäft mit den Niederländern überrascht angesichts einer gewissen intellektuellen Dominanz des französisch-hugenottischen Diskurses in Westeuropa nicht. Warum die Geschäftsbeziehungen 1767 ziemlich plötzlich abbrachen und wie Ersatz gefunden wurde, bleibt unklar. Italienische Bücher kamen zumeist über Pasquali in Venedig, von wo nicht nur venezianische Bücher bezogen werden konnten. Häufige Erwähnungen von Büchern aus westeuropäischen Ländern belegen die internationale Ausrichtung der Hofbibliothek, während erwartbare deutsche Zentren des Buchdrucks wie Leipzig oder die Metropole des katholischen Verlagswesens Augsburg im Kassabuch so gut wie nicht auftauchen.
Hinweise auf Pflichtexemplare als kostenfreien Ersatz aus dem Reich gibt es nur indirekt über die Abrechnung von Portokosten und wären nach Ausweis des heutigen Bestands auch nur für kaiserlich privilegierte Bücher zu erwarten. Dies beobachten wir für österreichische Bücher ebenfalls: Wiener Buchhändler sind als Lieferanten kaum vertreten, so dass immer Sondereffekte vermutet werden müssen, sofern sie doch einmal mit nennenswerten Beträgen genannt sind, und solche aus der Provinz wie Graz mit seiner eifrig druckenden, jesuitisch geprägten Universität finden sich praktisch nicht. Nur 1747 taucht ausnahmsweise ein Linzer Drucker als Lieferant auf.
Dafür rückt mit Blick auf Wien ein Marktsegment des Buchhandels in den Blick, das bislang komplett übersehen wurde: Die Bibliothek kaufte regelmäßig auf Wiener Buchauktionen, wenn auch mit meist noch überschaubaren Beträgen, die selten zehn Prozent des Etats überstiegen. Was man nicht wusste: In Wien fanden im 18. Jahrhundert zahlreiche Auktionen aufzulösender Bibliotheken statt, wovon sich allerdings in den wenigsten Fällen die gedruckten Kataloge erhalten haben und die wir daher nur aus ihrer Erwähnung in der Tagespresse, dem Wienerischen Diarium, kennen. Daher können wir nur vermuten, dass van Swieten dort relativ aktuelle Literatur besorgte: Die Bibliotheken von Wissenschaftern, Reichsbeamten, Diplomaten, dem Hochadel, Juristen im österreichischen Dienst und einigen wenigen Geistlichen ermöglichten einen relativ preiswerten Bestandsaufbau mit bereits gebundenen Büchern. Auch Auktionen in Olmütz, Berlin und Altdorf bei Nürnberg ließen van Swieten die Kassa öffnen. Was dort genau erworben wurde, lässt sich kaum mehr rekonstruieren; vermutlich waren es nicht zuletzt naturwissenschaftliche und medizinische Bücher, die im Wien der 1750er und 60er offenbar recht begehrt waren.
An der Masse der reichhaltigen einheimischen Produktion scheint van Swieten kein besonderes Interesse gehabt zu haben. Der Gedanke einer Archivbibliothek war noch nicht präsent, und wissenschaftlich im engeren Sinne war die Masse der Produktion damals wie heute nicht. Auf dem Käufermarkt dominierte Literatur für religiöse Zwecke. Außerdem hatte die Bibliothek eine Bezugsquelle, die nicht im Kassabuch auftaucht. Die Hofbibliothek als Institution war für die Buchzensur in Wien zuständig; dabei oblagen van Swieten und seinen Mitarbeitern nicht alle Bereiche, aber zum Beispiel die schöne Literatur – während die Zensur der theologischen Schriften weiterhin der Kirche vorbehalten blieb. Die zensierten, erlaubten oder verbotenen Bücher scheinen dann in die Bibliothek übernommen worden zu sein, wie Abfragen des heutigen Katalogs nahelegen. Nur abergläubischer Schund und Schamloses, so van Swieten, werde vernichtet, was später Anlass der Legende gewesen sein mag, unter ihm seien Bücher verbrannt worden. Die Aufteilung der zu zensierenden Fachgebiete und der Verzicht auf Archivierung erklären so manche Lücke des heutigen Bestands. Das lateinische Buch und damit die europäisch ausgerichtete wissenschaftliche Literatur scheint der damalige Bestandsaufbau gut erfasst zu haben, so dass die Modesprache Französisch in deren Windschatten nun den zweiten Platz in der Rangfolge der Sprachen einnahm – selbst Maria Theresia und van Swieten korrespondierten auf Französisch, wobei es sogar um bibliothekarische Details gehen konnte. Erst auf dem dritten Rang folgte Deutsch – jedenfalls nach den heutigen Zahlen, die das Ergebnis einer retrospektiven Erwerbspolitik des 19. und 20. Jahrhunderts sind, wie sich an vielen heute digitalisierten Exemplaren von Büchern nachweisen lässt, die auch aus der Ära van Swietens stammen könnten.
Maria Theresia war ihrem uneigennützigen Ratgeber und Arzt sehr verpflichtet. Daher sorgte sie schon zu dessen Lebzeiten für seine Denkmäler. Unter anderem ließ sie 1756 eine Medaille auf seinen Namen und zu seinen Ehren prägen. Die Münze Österreich AG, ein Tochterunternehmen der Österreichischen Nationalbank, griff die Idee auf und prägte eine 50 Euro-Goldmünze mit dem Konterfei des Gelehrten und Bibliothekars. Seiner Sorgfalt und Buchführung verdanken wir tiefe Einblicke in den bibliothekarischen Alltag des 18. Jahrhunderts.
Über den Autor: Prof. Dr. Stefan Benz ist Universitätsprofessor für Didaktik der Geschichte an der Universität Bayreuth.
Stefan Benz, Bibliothekarisches Alltagsgeschäft zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia. Gerard van Swieten als Präfekt und Organisator der Buchakquise der Wiener Hofbibliothek, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens (AGB) 2022, Berlin / Boston 2023 (https://doi.org/10.1515/9783110766844), S. 71-91.
Zu Wiener Buchauktionen: Stefan Benz, Wiener Buchauktionen – Wiener Privatbibliotheken 1743–1772, in: Stefan Seitschek, Elisabeth Lobenwein, Josef Löffler (Hg.), Herrschaftspraktiken und Lebensweisen im Wandel. Die Habsburgermonarchie im 18. Jahrhundert (Das Achtzehnte Jahrhundert und Österreich. Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des Achtzehnten Jahrhunderts 35), Wien 2020, S. 137-160.
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