Gothic aus Österreich: Joseph Alois Gleich

Forschung

05.05.2017
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Schwarz-weiß Darstellung: Gothic aus Österreich

1764 erschien in London The Castle of Otranto, A Story. Translated by William Marshal, Gent. – laut Vorwort die Übersetzung einer ursprünglich 1529 in Neapel gedruckten Erzählung, verfasst von einem Kleriker aus Otranto. Diese „Entdeckung“ wurde von den Zeitgenossen begeistert aufgenommen. Schon in der zweiten Auflage 1765 gab sich der angebliche Übersetzer aber als eigentlicher Autor des Romans zu erkennen. Es war Horace Walpole, Sohn des früheren Premierministers Robert. Obwohl das Buch nach dieser Enthüllung viel scharfe Kritik erntete – allzu absurd erschien den aufgeklärten Kritikern das Walten übersinnlicher Mächte und das Hin-und-Her-Irren der Protagonisten in den unterirdischen Gängen der Burg –, Walpole hatte mit seinem Buch ein neues Genre geschaffen, dem er bald selbst den Namen gab. The Castle of Otranto, A Gothic Story lautete der Titel der dritten Auflage. Damit waren die unverzichtbaren Ingredienzien der früheren „Gothic novel“, des Schauerromans, festgelegt: Die historische Szenerie (Walpoles Roman spielt zur Zeit der Kreuzzüge), die romantisch-düsteren Schauplätze (Burgen, Klöster, finstere Wälder), rächende oder hilfreiche Geister sowie reale Bösewichte. Einige Autoren, wie etwa Ann Radcliffe (Udolpho, The Italian), verzichteten auch auf den Einsatz übernatürlicher Kräfte und lieferten realistische Erklärungen für die auf den ersten Blick übersinnlichen Phänomene; andere versuchten der Handlung eine solidere Basis von historischen Ereignissen zu schaffen. 

Die spannungsreichen Erzählungen wurden nicht nur bald (auch in Übersetzung) auf dem Kontinent gerne gelesen und nachgeahmt. Der vielleicht fruchtbarste Autor von Schauerromanen im deutschsprachigen Raum war der Wiener Joseph Alois Gleich (1772-1841). Aber: Sein Name ist heute nur wenigen ein Begriff. Manchmal wird er als Vater der Soubrette Luise Gleich erwähnt, der die Scheidung ihrer kurzen und stürmischen Ehe mit Ferdinand Raimund veranlasst hatte. Doch hatte Raimund seinem Kurzzeit-Schwiegervater einiges zu verdanken: Mit einer Rolle in der Posse Die Musikanten am Hohen Markt (1815), die  ihm Gleich gewissermaßen auf den Leib geschrieben hatte, gelang ihm der Durchbruch als Schauspieler in Wien. Und die Zeitgenossen kannten Gleich als erfolgreichen Bühnenautor, der weit über 200 Stücke für das Theater in der Josefstadt und für das Leopoldstädter Theater, die beiden bekanntesten Volksbühnen Wiens, verfasste. Dass die Qualität seiner Possen und Zauberspiele bei dieser Quantität schwanken musste, versteht sich von selbst. Dennoch: Zusammen mit Carl Meisl und Adolf Bäuerle definierte Gleich die Alt-Wiener Volkskomödie neu und ebnete so den Weg für Raimund (nun als Autor) und natürlich auch für Johann Nestroy.

» Dagobert von Greifenstein, oder das Todtengericht um Mitternacht in den unterirdischen Schauerklüften der Burgfeste Theben in Ungarn

Bei der Menge von Bühnenstücken, die er neben seiner Arbeit als Verwaltungsbeamter (!) schrieb, scheint es fast unglaublich, dass Gleich auch eine große Zahl von Romanen verfasste; es dürften tatsächlich über 100 sein. Die genaue Anzahl lässt sich schwer ermitteln, da sein bevorzugtes Pseudonym „Ludwig Dellarosa“ (er schrieb auch unter den Namen „Heinrich Walden“ und „Adolph Blum“) offenbar auch von anderen Autoren benutzt wurde bzw. weitere anonym erschienene Schauer- oder Ritterromane ihm zugeschrieben wurden; so sehr stand sein Name für das Genre. Natürlich trafen ihn auch die verschiedenen Vorwürfe der Kritiker gegenüber dieser Art von Trivialliteratur: „Über die Schädlichkeit dieser von Aberglauben und feudalem Servilismus stinkenden Bücher kann wohl kein Zweifel sein“, urteilte ein Zeitgenosse[i]. Doch darf man nicht aus den Augen verlieren, dass diese leichte Unterhaltungsliteratur in Zeiten der strengen Zensur geboren worden war und auch von jenen gelesen wurde, die sonst vielleicht gar nicht zu Büchern gegriffen hätten. Und ihr Gepräge war anheimelnd österreichisch, da Gleich gerne lokale Sagenstoffe und populäre historische Persönlichkeiten in die Handlung mit einbezog. Doch mangelt es auch nicht an exotischen Schauplätzen wie etwa Palästina zur Zeit der Kreuzzüge.

Wenn heute im englischsprachigen Raum die eigene frühe Schauerliteratur der „German Gothic novel“ gegenübergestellt wird, wird Joseph Alois Gleich als wichtiger Vertreter des Genres begriffen. Wer sich selbst ein Bild von dieser „Gothic aus Österreich“ machen möchte, kann in » QuickSearch nach „Joseph Alois Gleich“ suchen und viele seiner Romane aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek im Volltext nachlesen und sich an den Kupferstich-Frontispizen ergötzen.

» Die eiserne Jungfrau im rothen Thurme zu Wien, oder: das Racheopfer der geheimen Richter

 

[i] Franz Tuvora, Briefe aus Wien von einem Eingeborenen, Hamburg 1844. 

 

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