Das Ziel dieser Arbeit war es keineswegs, im Verborgenen zu bleiben

Einer der größten Komponistinnennachlässe in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbilbiothek ist jener von Petronella Göring. Er umfasst über 350 Musikhandschriften. Ihr Werk gleicht einem Rundumschlag durch die Gattungen des klassischen Kanons: Messen, ein Requiem, Streichquartette, diverse Orchesterwerke, eine Oper und ein Singspiel und nicht zuletzt neun Symphonien. Es wird das Streben nach einem vollwertigen Oeuvre spürbar, das sich über die Hauptgattungen der Musikgeschichte in diese einschreibt.

Gleichzeitig ist Göring praktisch unbekannt. Zwar kam es während ihres Lebens immer wieder zu Aufführungen ihrer Werke, unter anderem im Musikverein in Wien, aber keines davon wurde je gedruckt. Die erste Einspielung eines Werks von Göring, der Petrarca-Sonate für Klavier, op. 37, entstand erst im Sommer 2023.

Petronella Göring mit einem Musikdruck im Garten. Undatiert. (F141.Göring.370/1)

Studium

Die 1906 geborene Petronella Göring hatte ab dem sechsten Lebensjahr Klavierunterricht und setzte ihre Ausbildung zur Pianistin mit elf Jahren an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Wien fort. Diese musste sie allerdings aufgrund „renitenten Benehmens“ mit 20 Jahren verlassen. Schon hier zeichnet sich ab, was sich im Laufe ihres Lebens intensivieren sollte: eine Tendenz zu sozialer Vereinzelung.

Durch ihr privates Studium bei Hans Gál von 1926 bis 1929 und ab 1930 bei Josef Lechthaler, der als einer der wichtigsten Vertreter der Kirchenmusik der Moderne gilt, war sie sowohl als Pianistin als auch als Komponistin akademisch gebildet. Persönliche Notizen Petronella Görings stellen dar, wie leidenschaftlich und rückhaltlos sie ihre Fertigkeiten als Komponistin weiterentwickelte, wie obsessiv ihre Studien waren. Nach ihrem Abschluss 1934 konnte sie aber selbst als Klavierlehrerin schwer dauerhaft Fuß fassen. Anpassung und Opportunismus lagen ihr nicht. Das galt selbst unter dem Druck der NS-Zeit: 1941 verlor sie eine Stelle an der Wiener Musikschule wegen politischer Unzuverlässigkeit, wie sie in einem verzeichnisartigen Tagebuch festhielt. Parallel dazu entfaltete sich ihre intensivierende Hinwendung zum katholischen Glauben, zu dem sie, geborene Mennonitin, 1941 konvertierte.

Selbstauskunft

Das Verzeichnis ihrer „gemachten Wege, um bei künstlerischen Darbietungen mitzuwirken“ zeigt, wie schwer es ihr fiel, mit ihrer Arbeit durchzudringen. Fast 400 Einträge professioneller Kontaktaufnahmen sind darin aufgelistet. Die meisten von ihnen sind gescheitert.

Ihre Arbeit wurde oft pauschal abgetan, sie sei „zu schlecht zum Aufführen“ und sie „schreibe wie Josef Haydn“. Die erste Einspielung eines Werkes von Petronella Göring, der „Petrarca-Sonate“, op. 37 aus dem Jahr 1946, spricht eine andere Sprache. Sie greift die Umwälzungen in der Tonsprache, die sich seit der Jahrhundertwende ereignet hatten, nicht auf. Ihre kraftvolle und expressive, teils auch impressionistisch anmutende Musik lässt sich jedoch mit dem abschätzigen Urteil der Zeitgenoss*innen schwer in Einklang bringen.

Das Verzeichnis lässt aber auch erkennen, dass Göring der Umgang mit den vorhandenen Strukturen und Netzwerken schwer fiel. Ihr großes Orchesterwerk „Der Staatsvertrag im Belvedere“ ist ein Beispiel dafür. Es entstand 1965 anlässlich der Zehn-Jahres-Feier der Unterzeichnung. Offenbar gab es keinen Auftrag zu diesem groß besetzten Werk. Mit der schon fertigen Komposition war für sie dann keine Aufführung zu erreichen.

Göring zog sich nach und nach aus ihrer Umwelt zurück, die sie als feindlich wahrnahm, und entwickelte psychotische Züge. Im Jahr 1968 starb sie nach längerem Leiden in Wien.

Erbe

Der Nachlass von Petronella Göring kam auf ihre eigene Initiative in die Musiksammlung. Sie hatte ihr Lebenswerk der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek vererbt. Ihr Testament aus dem Jahr 1957 lässt an der Bewusstheit der Entscheidung keinen Zweifel. Sie wollte damit erreichen, dass ihre Werke nicht nur aufbewahrt, sondern irgendwann wieder musiziert werden.

Göring wollte ihr Erbe sowohl gesichert als auch wieder aufgeführt wissen und hat es deswegen einer öffentlich zugänglichen Einrichtung anvertraut. (Inv.II/Göring Ü)

Werke

Göring hat im Stillen ein umfassendes, in immer größere Dimensionen vorstoßendes Gesamtwerk geschaffen. Stilistisch hatte sie sich dabei stets in neoklassizistischem und neoromantischem Terrain bewegt, jede Form von Avantgarde lehnte sie ab.

In den ersten Lebensjahrzehnten war sie auf kleinere Gattungen konzentriert, die oft mit ihrem Instrument, dem Klavier, in Beziehung standen. Diese hatten eine größere Chance auf Aufführungen. Das gleiche galt für Kirchenmusik, zu der im weiteren Sinn auch ihre Oper „Die Sonne der Herzen“, op. 69 und ihr Singspiel „Christkindleins Einzug“, op. 70 zählen, für die der Theologe Josef Gorbach das Libretto verfasst hatte.

In den letzten Lebensjahrzehnten, in denen psychische Belastungen, körperliche Beschwerden, die Hinwendung ins Religiöse und sich manifestierende Misserfolge immer mehr zusammenfielen, wandte sie sich der großen Form zu. War die 1. Symphonie noch in den 30er Jahren entstanden, komponierte sie die Symphonien 2 bis 9 in nur drei Jahren, 1952 bis 1955. Es folgten noch zahlreiche weitere Werke, vor allem Lieder, und, im Jahr 1966, „Der Staatsvertrag im Belvedere“.

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Vielleicht nicht zufällig ist die 9. Symphonie die letzte, die sie geschrieben hat. Ihre Niederschrift stammt aus dem Jahr 1955. (F141.Göring.284/1)
Wie viele Werke der letzten Jahrzehnte ist sie von ihrem christlichen Hintergrund geprägt.
Görings starke Hinwendung zur Gattung der Symphonie war in Zeiten der sich neu etablierenden Avantgarde aus der Zeit gefallen.

Nachlass F141.Göring: http://data.onb.ac.at/rec/AC13827181

Artikel „Göring, Petronella“ in: Eva Marx und Gerlinde Haas: 210 österreichische Komponistinnen: vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Biographie, Werk und Bibliographie. Ein Lexikon, 2001. http://data.onb.ac.at/rec/AC03234438.

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