Grete von Zieritz wurde 1899 in Österreich geboren, verlegte aber mit achtzehn Jahren ihren Wohnsitz nach Deutschland. Dort erarbeitete sie sich über viele Jahrzehnte einen Status als anerkannte Komponistin. Sie erlangte sowohl in Deutschland als auch international Bekanntheit – unter anderem unterstützt durch den aufkommenden Hörfunk. Ihre Beziehung zu Österreich war nicht unbelastet. Innerlich immer auf ihre ursprüngliche Heimat bezogen, fand sie dort erst spät etwas von der gewünschten Anerkennung.
Der Lebensweg Grete von Zieritz‘ folgte zunächst den zahlreichen beruflichen Stationen des Vaters, der Berufsoffizier war. Sie begann schon früh eine pianistische Ausbildung und hatte Unterricht in Wien, Innsbruck, Lemberg und als Jugendliche schließlich in Graz. Dort studierte sie an der Schule des Steiermärkischen Musikvereins (heute: Universität für Musik und darstellende Kunst Graz) bei Hugo Kroemer. Mit 13 Jahren komponierte sie ohne Vorkenntnisse eine Romanze für Violine und Klavier. Roderich von Mojsisovics, damals Direktor der Schule, war von diesem Erstling so beeindruckt, dass er sie zum Kompositionsstudium bei sich einlud.
Sich komponierend auszudrücken war von den ersten Versuchen an von größter Bedeutung für Zieritz – „die Aufgabe, immer fremde Musik studieren und aufführen zu müssen, stand in absolutem Kontrast zu meinem tönenden Innenleben“.
Im Jahr 1917 ging Grete von Zieritz nach Berlin, um ihr Klavierspiel bei Martin Krause zu perfektionieren. Dieser Besuch, angetreten auf Empfehlung Mojsisovics, war für drei Monate geplant. Sie entschied sich jedoch, sich unabhängig zu machen und in Berlin zu bleiben. Die Stadt wurde ihr Lebensmittelpunkt.
Die „Japanischen Lieder“ waren Zieritz’ erster durchschlagender Erfolg. Das Werk für Sopran und Klavier ordnete sich in eine Strömung von exotisch inspirierter Literatur und Musik ein, die in den 20er Jahren populär war. Der Zuspruch motivierte sie, ihre Stelle als Klavierlehrerin am Stern’schen Konservatorium aufzugeben. Von da an strebte sie ein Leben als freischaffende Komponistin und Pianistin an.
Die Eheschließung im Jahr 1922 und die folgende Geburt der Tochter bedeuteten eine Unterbrechung ihrer künstlerischen Aktivitäten als Komponistin – allerdings nur für einige Jahre. Nach der Trennung von ihrem Mann 1926 griff sie die Einladung Franz Schrekers auf, in seiner Klasse Komposition zu studieren. Bis 1931 blieb sie dessen Schülerin.
Franz Schreker galt als Meister der Orchestrierung, eine Kunst, mit der sich auch Zieritz intensiv auseinandersetzte. Schrekers fordernder Anspruch hat sich laut Zieritz nie den individuellen Ausdrucksweisen seiner Schüler*innen in den Weg gestellt. „Passion im Urwald“ gilt als erstes größeres von diesem Unterricht geprägtes Werk. Es war individueller und damit auch umstrittener als Zieritz’ früher Erfolg der japanischen Lieder, fand aber auch Zuspruch von Musikern ersten Ranges wie Erich Kleiber.
Grete von Zieritz bemühte sich intensiv um Präsenz in deutschen Konzertsälen. So gelangen ihr Höhepunkte wie die Aufführung der „Vogellieder“ unter Karl Böhm in Dresden. Eine Auswahl der „Japanischen Lieder“ für das Internationale Musikfest Frankfurt am Main 1939 war das einzige Werk einer Frau unter Komponisten aus 18 Nationen. Die mediale Wahrnehmung ging über Deutschland teils weit hinaus.
In vielen ihrer Kompositionen der Zeit trat das Klavier prominent auf, was für sie, selbst exzellente Pianistin, die eigene Mitwirkung sicherstellte. Die Arbeit als Pianistin unterstütze jene als Komponistin finanziell. Erst im Pensionsalter gab sie das professionelle Musizieren auf.
Obwohl die Nationalsozialisten an der Förderung von Komponistinnen keinerlei Interesse hatten und ihre Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen teilweise unterdrückten, war Grete von Zieritz auch im Dritten Reich wohlgelitten. Sie hatte verschiedene Möglichkeiten, sich zu präsentieren. Das noch junge Medium Rundfunk spielte dabei eine besondere Rolle.
Zieritz hatte viel Sinn für dramatische Musik, aber weder Zugang zum Musiktheater noch zum aufkommenden Tonfilm. Das Radiohörspiel stand ihr als Betätigungsfeld jedoch offen und sie komponierte in den Jahren 1936 und 1937 fünf Hörspielmusiken für verschiedene Instrumente. Die Inhalte waren im Dritten Reich stark ideologisch ausgerichtet. Über den international empfangbaren Kurzwellensender erreichten sie Deutsche in aller Welt. Ihre Musik trug kongenial zur Vermittlung der erwünschten Botschaften bei.
Die Möglichkeit von Musik, innere politische Haltungen nicht durch das Wort, sondern emotional zu vermitteln, sah Grete von Zieritz schon früh: Schon die 1917 uraufgeführte und heute verschollene Violinsonate „1914“ nahm auf politische Ereignisse Bezug. Als „Musikpolitik“ bezeichnete sie dieses zentrale Anliegen, das in vielen nach dem 2. Weltkrieg komponierten Werken Ausdruck fand.
Sie verarbeitete auf Basis dieses Konzepts mehrere Werke, die das Schicksal von Roma und Sinti thematisierten. Im Chorwerk „Kosmische Wanderung“ (1968) und den „Kassandra-Rufen“ für 8 Soli und Nonett (1986) nahm sie die Bedrohungen des Atomzeitalters auf. Das Werk „Der Waldspaziergang. Szene für Klarinette solo“ (1984) entstand in der Zeit der Abrüstungsverhandlungen zwischen den USA und der Sowjetunion. Es wurde im Rahmen der Initiative „Künstler für den Frieden“ 1984 in Minsk uraufgeführt.
Grete von Zieritz starb 2001, sie wurde 102 Jahre alt. Ab ihrem 80. Geburtstag begannen sich die Würdigungen des offiziellen Deutschland und Österreich zu mehren. Ihr künstlerisches Leben bezeichnete sie im Rückblick als entbehrungsreich. Die Vielzahl an Ehrungen und Aufführungen ließ sie nicht übersehen, dass sie nie für Oper oder Ballett komponieren konnte. Nur notgedrungen brachte sie ihre dramatische Veranlagung in kleineren Formen zum Ausdruck, weil für größere trotz ihres beharrlichen Bemühens der Auftrag fehlte.
Obwohl Grete von Zieritz die Entbehrungen einer Karriere als Komponistin bewusst waren, stellte sie sich stets gegen ihre Förderung „als Frau“ im Kulturleben. Sie lehnte die Teilnahme an Konzerten ab, die ausschließlich Komponistinnen brachten, da sie nicht als Vertreterin eines Geschlechts, sondern als schaffendes Individuum in Erscheinung treten wollte.
Grete von Zieritz schuf über 160 Werke. Der Wille zum unmittelbaren Ausdruck ihres Innenlebens und ihrer Wahrnehmungen von der Welt ist eine prägende Eigenheit. Diese Unmittelbarkeit wurde durch die Ausbildung bei Mojsisovics und Schreker formal streng gebunden und war keineswegs Beliebigkeit.
Die Klavier- und Kammermusik bilden im Werk Zieritz’ ein Zentrum, wobei sie regelmäßig nach seltenen, reizvollen Besetzungen, oftmals unter Beteiligung von Holzbläsern, sucht. Schwerpunkte sind zudem Orchestermusik, darunter viele Konzerte wie „Das Gifthorner Konzert“ für Flöte, Harfe und Streichorchester, op. 68 (1940), die Serenata für 4 konzertierende Solobläser, Harfe, Schlagzeug und Streichorchester, op. 89 (1950) und „Le Violon de la mort“ für Violine, Klavier und Orchester, op. 103 (1956/57), sowie Vokalmusik, darunter zahlreiche Lieder.
Teilnachlass Grete von Zieritz: data.onb.ac.at/rec/AC13827108
Rita Aigner: Grete von Zieritz. Leben und Werk, 1991. http://data.onb.ac.at/rec/AC01365403
Beate Philipp: Grete von Zieritz und der Schreker-Kreis. Die Kunst des unbedingten Ausdrucks, 1993. data.onb.ac.at/rec/AC01012524
Anna-Christine Rhode-Jüchtern: Schrekers ungleiche Töchter. Grete von Zieritz und Charlotte Schlesinger in NS-Zeit und Exil, 2008. http://data.onb.ac.at/rec/AC07540403
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