Auf ein zänkisches Ehepaar
Wie lob‘ ich dieß Eh’paar voll Einheitsgefühl,
Das „Hammer und Glocke“ ist immer ihr Spiel;
So spielen sie zärtlich in häuslicher Kammer:
Die Glocke ist er, und sie ist der Hammer.[i]
(Humoristische Entremets von August Schilling)
So wie in den an den Beginn gestellten Versen finden sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts zahlreiche Anspielungen in literarischen und anderen Texten, sogar in den Beispielsammlungen von mathematischen Lehrbüchern – auf dieses einstmals sehr beliebte und heute vergessene Gesellschaftsspiel. Das Spiel war derart populär, dass sich sogar Mathematiker mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen zu diesem Versteigerungsspiel befassten, wie das im Jahre 1820 in Kaschau (heute Košice, Slowakei) publizierte Werk über die „Berechnung des Möglichen und Wahrscheinlichen“.
Die ersten Glocken und Hammer-Spiele dürften um 1800 entstanden sein. Der aus Hannover stammende Wiener Kunsthändler Heinrich Friedrich Müller hatte wahrscheinlich den größten Anteil an dessen Verbreitung, ist aber sicher nicht, wie oft angenommen wird, der Erfinder.
Klaus Reisinger schreibt in seinem Buch „Glocke & Hammer“: „Der Hasardcharakter und die hohe Anzahl an Personen, die mitspielen können, haben zum Erfolg sehr beigetragen. ,Hammer und Glocke‘ wurde von Jung und Alt gleichermaßen in ganz Europa gespielt.“[ii]
Das Spiel war in allen gesellschaftlichen Schichten beliebt. So berichtet die „Wiener Stadt- und Vorstadt-Zeitung“ von 1855 in Zusammenhang mit einer Gerichtsverhandlung: „In der Wohnung der Commissionärsgattin Barbara W. fanden oftmals Abendgesellschaften statt, wobei Hammer und Glocke gespielt und etwas lustigen Dienstmädchen Gelegenheit geboten wurde, sich mit ihren Liebhabern ungenirt, bei einer Schale Kaffee zu unterhalten. Barbara W. pflegte die sich einfindenden Gäste zu öfterem Besuche aufzumuntern, wobei sie auch manchmal hinzusetzte: ,Seid’s nur gescheid Mädchen und bringt’s was mit.“ Dieser Aufforderung entsprachen auch die heute des Diebstahls Angeklagten Anna L . . . und Pauline Sch . . .“[iii]
Der deutsche Schriftsteller August Graf von Platten-Hallermünde (1796-1835) vermerkt in einem Eintrag der nach seinem Tod publizierten Tagebücher: „Desto besser gieng’s am 13. Mai, wo ich für den Abend bei der Marquise eingeladen war und mich sehr gut unterhielt. Die älteren Fräuleins v. Weichs, General Colonge, der Vicomte und eine mir nicht bekannte Dame waren da. Es wurde Hammer und Glocke gespielt.“[iv]
Das von der Sammlung von Handschriften und alten Drucken vor einiger Zeit erworbene Hammer- und Glockenspiel aus dem Verlag von Heinrich Friedrich Müller um 1822 ist ein besonders schönes Beispiel aus dem Verlagssortiment.
Die fünf Karten (handkolorierte Radierungen) Hammer, Glocke, Hammer & Glocke, Schimmel und Kaufhaus (in anderen Varianten auch Wirtshaus), welche den wichtigsten Teil des Spieles bilden, sind sehr dekorativ und liebevoll gestaltet. Hammer und Glocke sind von freiem Raum umgeben und mit Bändern und Blattwerk geschmückt, die Glocke ist außerdem mit einem Fries von tanzenden und musizierenden Putten verziert. Der Schimmel wird von einem elegant gekleideten Mann in einer Arena geritten. Die Kaufhaus-Karte zeigt einen Platz auf dem Waren gestapelt, gewogen und transportiert werden. Im Vordergrund verhandeln einheimische und orientalische Händler miteinander.
Die Motive Hammer, Glocke und Schimmel haben zu verschiedenen Überlegungen über deren symbolische Bedeutung angeregt, z.B. als Auseinandersetzung mit dem Christentum (Glocke) und dem germanischen Heidentum (Thors Hammer). Ulrich Schädler meint in seinem Beitrag „Hammer & Glocke. Ein vergessenes Spiel“, dass die Symbole eher „eine unterschwellige erotische Konnotation zu besitzen“ scheinen. „Demnach repräsentieren Hammer und Glocke das männliche und das weibliche Geschlecht. Hammer & Glocke also die Verbindung von Mann und Frau, der Schimmel die Unschuld und das Wirtshaus das Erwachsenwerden.“[v]
Das Spiel funktioniert in groben Zügen folgendermaßen: zu Beginn des Spiels werden die fünf Karten versteigert. Anschließend wird reihum gewürfelt, dafür gibt es acht spezielle Würfel, die nur auf einer Seite ein Symbol zeigen (sechs Würfel zeigen je eine der Augenzahlen 1 bis 6, ein Würfel den Hammer, der andere die Glocke). Abhängig vom Ergebnis muss der Würfler an die Kartenbesitzer Spielgeld zahlen oder erhält Münzen aus der Kassa. Es gewinnt der Spieler, der als letzter noch Geld besitzt.
Das Spiel verbreitete sich rasch über den deutschsprachigen Raum nach Holland, Frankreich, England, Spanien etc. (engl.: Bell and Hammer oder White Horse; niederl.: Klok en hamer; franz.: Jeu du cheval blanc, Cloche et Marteau ; span.: El juego del caballo blanco). Zahlreiche Versionen wurden herausgegeben, mehrsprachige Ausgaben, Varianten wie das „Totenkopf- und Kanonenspiel“ und andere, die zwar allesamt wieder verschwanden, aber doch die große Beliebtheit des Spiels zeigen. Die bedeutendsten Spieleverlage stellen bis zum Zweiten Weltkrieg viele schöne Ausgaben von „Hammer und Glocke“ her, danach verschwand das Spiel aus den Sortiments, die letzten Spiele wurden in den 1970er-Jahren produziert (Ravensburger Spieleverlag 1974).
In der Novelle „Die Magnetnadel. Ein Mährchen“ des österreichischen Dichters Franz Xaver Told (1792-1849) begegnet der verzweifelte, dem Spiel und der Trunkensucht verfallene Schneider Casimier einem „windigen Wesen“, als er gerade beabsichtigt , sich unter dem Kegelfeld sein eigenes Grab auszuheben.
„Nunmehr wurde aber dem guten Meister Casimir doch ein wenig sonderbar zu Muthe; allein, noch sonderbarer wurde ihm, als aus dem Dampfe sich die sonderbarste Gestalt entwickelte, welche er jemals gesehen hatte. … Sein Mantel war ein großes grünes Billardtuch; an den Schultern, an den Hüften, und an den Knöcheln seiner Füße bemerkte man die 6 Billardlöcher … die zwey weißen Ballen bildeten seine Augen, der gelbe, der blaue, und der rothe seine Nase … seine Augen sahen nichts, als rouge et noir: seine Nase schnupperte nach à tout; sein Mund sprach immer: ,Das ist ein vermaledeytes Blatt!‘ … Ein Spiel Tarock-Karten stellte seine Weste vor … aus seinen Ohrgehängen hing Hammer und Glocke … Auf dem Kopfe trug er ein Schachbrett … sein Kopf war die Bibliothek der Spielraison, und sein Leib ein durchsichtiges Chaos aller übrigen Spiele.“[vi]
[i] August Schilling. Humoristische Entremets von August Schilling. Auf ein zänkisches Ehepaar. In: Der Sammler (Wien), 10.12.1836, S. 591.
[ii] Klaus Reisinger: Glocke & Hammer. Wien 2005, S. 5.
[iii] Gerichtsverhandlung. Wien 8. August, in: Wiener Stadt- und Vorstadt-Zeitung, 9. 8. 1855, S. [2]
[iv] August Graf von Platen: Tagebuch 1796 – 1825. Stuttgart; Augsburg 1860, S. 36.
[v] Ulrich Schädler: Hammer & Glocke. Ein vergessenes Spiel, in: Ernst Strouhal ; Manfred Zollinger ; Brigitte Felderer (Hrsg.): Spiele der Stadt. Glück, Gewinn und Zeitvertreib ; [Wien-Museum Karlsplatz, 25. Oktober 2012 bis 2. April 2013] . Wien [u.a.] 2012 . (Passagen des Spiels ; 4 )(Sonderausstellung des Wien-Museums ; 384 ) (Edition Angewandte ), S. 290.
[vi] Franz Xaver Told: Die Magnetnadel. Ein Mährchen. In: Fortuna. Taschenbuch des kais. könig. priv. Josephstädter Theaters Jg. 1 (Wien) 1824, S. 14.
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