Im siebten Jahrhundert n. Chr. wird Ägypten von arabischen Armeen erobert. In den folgenden Jahrzehnten dehnen die Kalifen ihren Machtbereich bis Persien und Südspanien aus. Die arabische Besetzung des Landes am Nil und die Ausbreitung des Islam stellen einen entscheidenden Wendepunkt in der Weltgeschichte dar. Die Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek beherbergt die umfangreichste und bedeutendste Sammlung von Originaltexten in Griechisch, Koptisch und Arabisch aus dieser Zeit. Unter dem Titel „Halbmond über dem Nil“ präsentiert das Papyrusmuseum 110 bis zu 1.400 Jahre alte, faszinierende Papyri zu diesem tiefgreifenden Wandel, von denen die meisten das erste Mal öffentlich gezeigt werden; darunter etwa den ältesten, datierten Papyrus mit arabischem Text weltweit.
Politische Erlässe und Anweisungen, repräsentative Schreiben mit kunstvollem Dekor, Quittungen mit original erhaltenen Siegeln, Verträge sowie ein Papyrus über Baumaterialien für die Stadt, die als Vorläufer für die heutige Hauptstadt Kairo gebaut wurde, gewähren einen einzigartigen Einblick in die neue politische und gesellschaftliche Ordnung sowie in die Versorgung der arabischen Armeen. Besonders bemerkenswert ist eine Abbildung eines arabischen Reiterkriegers, die belegt, dass figurative Darstellungen im frühen Islam nicht verpönt waren.
30 v. Chr. besiegte der spätere Kaiser Augustus seinen Rivalen Marcus Antonius und Kleopatra und verleibte das Land am Nil dem Imperium Romanum ein. In den darauffolgenden nahezu 700 Jahren erlebte Ägypten eine lange Periode fast ungestörten Friedens, unterbrochen von einem Bürgerkrieg 608–610 n. Chr. und einer 10-jährigen Besetzung des persischen Sassaniden-Reiches. 629 n. Chr. wurde die kaiserliche, römische Herrschaft für kurze Zeit wiederhergestellt.
Zwischen 639 und 642 n. Chr. eroberte der arabische General ʿAmr ibn al-ʿĀs das Delta, Alexandria und schließlich das ganze Reich. Damit war die lange Phase, in der das Land am Nil den Kaisern in Rom und später in Konstantinopel unterstand, zu Ende. Die Herrschaft über Ägypten ging vom Kaiser auf den Kalifen, den „Nachfolger des Gesandten Gottes“, über. In Ägypten, das in wirtschaftlicher, kultureller und religiöser Hinsicht bis dahin eines der Kernländer des byzantinischen Reiches war, lässt sich dieser Wechsel der Herrscher und politischen Eliten, die Etablierung des Islam und der arabischen Sprache anhand zehntausender Schriftstücke auf Papyrus, Pergament und Papier genauer und detailreicher nachvollziehen als irgendwo sonst.
Mehrere wissenschaftliche Projekte, unterstützt von der US-amerikanischen Andrew W. Mellon Foundation und dem österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) haben die Erschließung dieser Dokumente, die sich im Bestand der Papyrussammlung der Österreichischen Nationalbibliothek befinden, ermöglicht bzw. gefördert. Verfasst in Griechisch, Koptisch und Arabisch, sind sie wertvolle Zeitzeugen für den Übergang vom christlich-byzantinischen zum islamisch-arabischen Ägypten.
In diesen dokumentarischen Texten des Alltags, der Verwaltung, des Rechtswesens, der privaten und offiziellen Korrespondenz eröffnen sich höchst spannende Perspektiven auf die Jahrzehnte vor und nach diesem historischen Wechsel vom Kaiser zum Kalifen. Das Gesamtbild, das sich aus hunderten Dokumenten ergibt, lässt erkennen, dass es sich bei dem Übergang vom byzantinischen zum arabischen Ägypten nicht um einen abrupten Bruch gehandelt hat, sondern um einen langsamen, viele Generationen andauernden Prozess der Transformation, der viele Elemente der antiken Welt in das arabische Mittelalter überführte.
Empfangsbestätigung über 65 Schafe für die arabische Armee
Griechisch und Arabisch – Herakleopolis, 25. April 643 n. Chr., Papyrus
Dies ist der älteste arabisch geschriebene, exakt datierte Papyrus, der bislang identifiziert werden konnte und zugleich das älteste erhaltene griechisch-arabische Schriftstück. Nur wenige Monate nach der arabischen Eroberung Ägyptens verfasst, ist das amtliche Schriftstück ein wichtiges Dokument für den Übergang von der byzantinischen zur arabischen Herrschaft. Der Emir ‘Abd-Allâh ibn Jâbir, Kommandant der arabischen Truppen in Oberägypten, bestätigt den Distriktvorstehern (pagarchoi) Christophoros und Theodorakios den Erhalt von 65 Schafen für die Versorgung seiner Soldaten (Matrosen, Kavalleristen und schwerbewaffnete Infanteristen) im Herakleopolites. Die Abgabe soll zugleich als Steuerleistung für das laufende Jahr gelten. Der griechische Teil des Textes wurde von dem Notar und Diakon Johannes verfasst, der arabische von Ibn Hadid. Auf der Rückseite findet sich in griechischer Sprache der Vermerk, dass die Schafe an den moagarites (Araber) übergeben worden sind. Obwohl die griechische und die arabische Version dieselbe Information enthalten, handelt es sich nicht um eine wörtliche Übersetzung.
Arabisch - Ägypten, 10. Jh. n. Chr., Papier
Die Zeichnung eines leichten, arabischen Kavalleristen im gestreckten Galopp, mit Lanze und Rundschild, ist ein außergewöhnliches Dokument auf Papier. Unter dem Bild steht die Unterschrift: „das Pferd mit dem heftig Angreifenden“. Die Darstellung besticht durch die gleichermaßen sichere wie energische Strichführung mit der Rohrfeder. Auf der Rückseite befindet sich die Künstlersignatur („von Abū Tamīm Haydara“) und ein kurzer Lobpreis Gottes. Kulturgeschichtliche Bedeutung erhält die unvollständig erhaltene Zeichnung vor allem als Hinweis darauf, dass figürliche Darstellungen im frühen Islam durchaus nicht verpönt waren. Der Koran enthält – entgegen weit verbreiteter Ansicht – keine Andeutung eines Bilderverbotes.
Arabisch - Arsinoiton Polis, Mai–Juni 812 n. Chr., Papyrus, Tonsiegel
Dem christlichen Bäcker Abba Kire wird auf diesem vollständig erhaltenen Papyrusblatt bestätigt, die Kopfsteuer des Jahres 811 bezahlt zu haben. Um sicher zu gehen, dass der Steuerzahler nicht von einem anderen Erhebungsbeamten noch einmal zur Kassa gebeten wird, enthält die Quittung auch seine Personalbeschreibung. Außergewöhnlich ist, dass auch das Siegel erhalten ist, denn fast immer gingen die aus Ton gefertigten Siegel verloren. Dieses gibt zu erkennen, dass es dem Steuerverwalter des Bezirkes Fayum, Yūnus ibn ‘Abd ar-Raḥmān, gehörte.
Griechisch – Arsinoites, 20. Aug. 698 n. Chr., Papyrus
Zu den herausragenden Quellen des späten 7. Jh. gehört das Dossier eines Mannes, der in den griechischen Texten Flavius Atias genannt wird, in den arabischen ‘Aṭiyya ibn Ju’ayd. Er ist der erste Distriktsvorsteher, der nachweislich arabischer Herkunft war und später zum Provinzgouverneur (dux Arcadiae et Thebaidis) aufstieg. Im vorliegenden Schreiben übermittelt Atias den Dorfbewohnern von Dikaiu im Arsinoites eine Order des Statthalters ʿAbd al-ʿAzīz, wonach diese eine größere Menge Weizen direkt an arabische Truppen abzuliefern haben: „† Mit Gott! Flavius Atias, der hochberühmte Dux, an Euch, die Bewohner des Dorfes Dikaiu der arsinoitischen Pagarchie, vertreten durch Epimachos. Liefert den Männern des 3. Zweigs der Muḍar, der Einheit von al-ʿAfīf, des Banū Taim ibn al-Ḥārit, der Männer des ʿUmāra ibn ʿAbd-Allāh als Anteil der Roga für 643 Leute, 8 Monate, von den 1264 Artaben Weizen 150 Artaben Weizen, hundertfünfzig genau, gemäß einem Befehl des Statthalters ʿAbd al-ʿAzīz, überbracht durch Kosmas, Diener des Rabia, aus dem Restbetrag der Embole (Getreidesteuer) der vergangenen 11. Indiktion. Und wenn Ihr keinen Weizen habt, zahlt ihnen je 20 Artaben 1 gerechneten Solidus, einen genau. Am 27. Mesore der 12. Indiktion †.“
Die rechnerischen Angaben in diesem Text sind sehr genau: zu bezahlen sind vom Dorf 150 Artaben (ca. 4.500 kg) Weizen aus einer Gesamtmenge von 1264 Artaben (ca. 37.920 kg). Diese jetzt unmittelbar abzuliefernde Getreidemenge sei für 643 Männer und für den Zeitraum von 8 Monaten bestimmt. Damit käme jeder der Männer auf eine Ration von etwas unter ¼ Araben (ca. 7,5 kg) pro Monat. Der beschlagnahmteWeizen war direkt an die Männer der Truppe abzugeben.
Von außerordentlicher historischer Bedeutung ist das mehrere hundert Schriftstücke umfassende Dossier des Amtsträgers Senuthios. Die vorwiegend aus Amtskorrespondenz bestehenden Schreiben sind ein bis zwei Jahre nach der Machtübernahme durch die Araber entstanden und geben wesentliche Aufschlüsse über die Etablierung der arabischen Herrschaft. Die Korrespondenz bezeugt einerseits, dass vorerst die byzantinischen Verwaltungsstrukturen bestehen blieben, andererseits ist die Unsicherheit der griechisch-sprachigen Amtsträger bezüglich der Vorgangsweisen der arabischen Militärs spürbar. In diesem Brief teilt der Distriktvorsteher Athanasios seinem Untergebenen Senuthios mit, dass auf Anordnung eines Emirs die Kopfsteuer eingeführt wurde. Diese neue Steuer, die alle Männer über 14 Jahren belastete, lässt den Distriktvorsteher befürchten, dass die Steuerzahler aus Angst vor der neuen Steuerlast ihren Wohnsitz aufgeben. Athanasios bittet daraufhin Senuthios, den Dorfvorstehern Befehle zu erteilen, die Grenzen und die Häfen seines Distrikts zu kontrollieren, damit niemand der neuen Steuer entkommen kann. Die Kontrollmaßnahmen betreffen ausdrücklich nicht nur die einfache, ländliche Bevölkerung, sondern auch die Kauf- und Geschäftsleute der Hauptstadt des Distrikts, Hermupolis. Freilassungsbefehl für einen Winzer Griechisch – Hermopolites, ca. 643/644 n. Chr., Papyrus Auch dieses Schriftstück gehört dem Dossier des Senuthios an. Die Araber benötigten regelmäßig Arbeitskräfte für verschiedene Bauarbeiten, in den ersten Jahren nach der Eroberung insbesondere für den Bau der neuen ägyptischen Hauptstadt al-Fusṭāṭ (Alt-Kairo). Diejenigen, die konnten, versuchten, diesen Zwangsarbeitsleistungen zu entkommen, indem sie auf die Intervention einflussreicher Personen innerhalb oder außerhalb der Verwaltung zurückgriffen. Im vorliegenden Fall muss ein Rechtsanwalt namens Kolluthos bei der Zentralverwaltung des Hermopolites für die Freilassung eines bei ihm beschäftigten Winzers eingeschritten sein. Das hier vorgestellte Dokument ist eine Anordnung, in der Taurinos, ein hochrangiger Amtsträger des Distriktvorsteher-Büros in Hermupolis, den Senuthios beauftragt, die Freilassung des Winzers zu veranlassen.
Der Ort, an dem das heutige Kairo steht, war schon immer ein Knotenpunkt von großer strategischer Bedeutung: Hier teilt sich der Nil in mehrere Arme und das Niltal weitet sich zum ägyptischen Delta. Von hier aus begann ein schiffbarer Kanal zum Roten Meer. Zur Zeit der arabischen Eroberung Ägyptens befand sich hier die wichtige Festungsstadt Babylon, die nicht nur von einer starken Militärgarnison, sondern auch von koptischer und jüdischer Bevölkerung bewohnt wurde. In Babylon stießen die Araber mehr als anderswo auf erheblichen Widerstand, der sie zwang, nördlich der Festung ein großes Militärlager zu errichten und die Stadt lange zu belagern. Nach der Übergabe der Stadt und dem Abschluss der Eroberung des Landes im Jahre 642 n. Chr. wurde dieses Militärlager in eine echte Stadt umgewandelt: die neue Hauptstadt Ägyptens namens al-Fusṭāṭ. Erst später, im 10. Jahrhundert, wurde nördlich von al-Fusṭāṭ, das durch einen Brand zerstört worden war, die heutige Hauptstadt Kairo gegründet. Unter den Papyri des Senuthios-Archivs ist dieser der umfangreichste: eine lange Liste von Baustoffen — Ziegel, Kalk und Pferdemist — die systematisch von den Dörfern und Weilern des Hermopolites geliefert wurden. In der letzten Kolumne des Papyrus gibt ein Brief des Distriktvorstehers Athanasios Anweisung zum Verladen der erforderlichen Materialien auf Nil-Schiffe. Die überaus großen Mengen an Baumaterial lassen erkennen: Diese Materialien wurden für die Errichtung von al-Fusṭāṭ benötigt, dem einzigen Bauvorhaben dieser Größe in den Jahren unmittelbar nach der Machtübernahme durch die Araber.
Die arabische Verwaltung übernahm einige byzantinische Gepflogenheiten: so zum Beispiel jene, am Beginn einer Papyrusrolle ein Vorsatzblatt mit dem amtlichen Produktionsvermerk („Protokoll“) anzufügen. In diesem Fall kam nun zur Nennung des Herrschers oder Statthalters die Anrufung Gottes (basmala) und Koranverse hinzu. Als 695 n. Chr. Arabisch die offizielle Sprache wurde, gestaltete man die Protokolle zweisprachig — wie jenes in der Ausstellung zu sehende Exponat.
In diesem eindrucksvollen Beispiel eines nahezu unversehrt erhaltenen Schriftstücks geht es um ein amtliches Empfehlungsschreiben, das mit kunstvoller Schrift von einem speziellen Schreiber der Staatskanzlei, der sogar namentlich genannt wird – Wazi‘ - erstellt wurde. Der arabische Statthalter Qurra ibn Šarīk (709–714 n. Chr.) ersucht den Vorsteher eines mittelägyptischen Distrikts, dass dem christlichen Steuereinnehmer Constans die Arbeit mit den Behörden vor Ort erleichtert werden möge. Durch die hohe Qualität des verwendeten Papyrus sowie seine großzügige, auf optische Wirkung bedachte Gestaltung signalisierte der Brief alleine durch seine äußere Form, dass ein wichtiges Dokument aus der Kanzlei des Statthalters vorliegt.
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