11. Juni 2021 – 27. Februar 2022
Stefan Zweig (1881–1942) zählt bis heute zu den weltweit meistgelesenen deutschsprachigen AutorInnen. Thomas Mann notierte 1952, zum zehnten Todestag des berühmten Schriftstellerkollegen: „Sein literarischer Ruhm reichte bis in den letzten Winkel der Erde.“ Die neue Sonderausstellung im Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek widmet sich dem Phänomen Zweig: Sie zeigt einen Schriftsteller, dessen Werk bis heute in zahlreichen Bearbeitungen weltweit präsent ist und auf dessen Weltruhm ebenso bis heute viele mit Anerkennung, aber ebenso mit heftiger Ablehnung reagieren. Sie stellt außerdem den Weltreisenden vor, der von Neugier und Abenteuerlust getrieben quer durch Europa bis nach Nord- und Südamerika, Russland und Indien reiste. Sie erinnert an seine Vertreibung durch die Nationalsozialisten und sein Exil in Brasilien. Und sie präsentiert einen Autor, dessen Werk von der Faszination für Weltentdecker und die großen Weltideen geprägt ist.
Anhand von Notiz- und Tagebüchern, Briefen, Fotografien, Filmausschnitten und Tonaufnahmen, aber auch großflächigen Inszenierungen und interaktiven Stationen führt die Sonderausstellung einmal rund um den Globus. Zu entdecken ist Zweigs vielseitiges literarisches Schaffen ebenso wie seine Wirkung auf die Nachwelt. Mit seiner Fähigkeit, spannende Geschichten zu erzählen, gepaart mit seinem psychologischen Einfühlungsvermögen und dem Spürsinn für die Abgründe menschlicher Leidenschaften, schuf er Werke, die zum Kanon der Weltliteratur gehören. Als Vordenker eines vereinten Europas strebte er zeitlebens eine Literatur an, die über die Grenzen der einzelnen Nationen hinausgeht.
Die Sonderausstellung „Stefan Zweig. Weltautor“ entstand in Zusammenarbeit mit dem Stefan Zweig Zentrum Salzburg und dem Literaturarchiv Salzburg.
Weltautor aus Wien
Stefan Zweig wurde vor 140 Jahren, am 28. November 1881, in Wien geboren. Die großbürgerliche, jüdische Familie Zweig war nicht religiös, er selbst bezeichnete sich als „Jude aus Zufall“. Schon die Werke des erst 20-Jährigen fanden zu Beginn des 20. Jahrhunderts internationalen Anklang. Der Durchbruch gelang ihm in den 1920er Jahren mit seinen Novellen und den historischen Miniaturen in „Sternstunden der Menschheit“. Auch in dem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beliebten Genre der historischen Biografien etablierte sich Zweig. 1928 erschien mit einem Vorwort von Maxim Gorki die erste Gesamtausgabe seiner Werke in der Sowjetunion – ein weiterer Beleg für die internationale Strahlkraft des nicht einmal 50-jährigen Autors. Stefan Zweig selbst kommentierte seinen wachsenden Ruhm mit Ironie und Skepsis.
Im Unterschied zu den meisten anderen AutorInnen seiner Zeit übertrug er die Übersetzungs-, Theater- und Filmrechte seiner Werke nicht an Verlage – Zweig agierte als sein eigener Manager. Sein weltumspannendes Netzwerk an ÜbersetzerInnen, Verlagen und Intellektuellen war einer der Grundpfeiler seines Erfolgs. Ein anderer war seine enorme Produktivität.
Beides war ihm von Nutzen, als die politischen Verfolgungen begannen: 1934, wenige Tage nach den „Februarkämpfen“, durchsuchten Polizisten das Haus des erklärten Pazifisten Zweig in Salzburg. Er emigrierte unmittelbar danach nach London. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich 1938 konnten seine Werke zunächst nur noch in den beiden renommierten Exilverlagen Allert de Lange in Amsterdam und Bermann-Fischer in Stockholm publiziert werden. Sein internationales Netzwerk ermöglichte ihm jedoch weitere Bestsellererfolge mit englischen Übersetzungen. Seine heute bekanntesten Titel „Die Welt von Gestern“ und „Schachnovelle“ erschienen posthum.
Zweig in Film und Graphic Novel
Stefan Zweig selbst war ein begeisterter Leser, Büchersammler und Bibliotheksbesucher. Während er zahlreiche seiner Schriften und Reden internationalen SchriftstellerInnen widmete, inspirieren seine Werke nach wie vor KünstlerInnen aus aller Welt. Die Österreichische Nationalbibliothek zeigt in der Sonderausstellung die vielseitigen Bearbeitungen seiner Texte: Die Regisseurin Xu Jinglei etwa löste 2005 durch ihre Fassung von „Brief einer Unbekannten“ einen regelrechten Stefan-Zweig-Hype in China aus. Sie versetzte die Handlung der Novelle ins Beijing der 1930er und 1940er Jahre und eröffnete damit auch einen Diskurs über das Verhalten und die Position jener Frauenfigur, die einen langen Abschiedsbrief an einen unerwidert geliebten Schriftsteller schreibt. Auch Wes Andersons oscarprämierter Spielfilm „The Grand Budapest Hotel“ (2014) ist von Zweigs Novellen und Romanen inspiriert. Maria Schraders Biopic „Vor der Morgenröte“ (2016) hingegen widmet sich Stefan Zweigs letzten Jahren im Exil, so auch die Graphic Novel von Laurent Seksik und Guillaume Sorel „Les derniers jours de Stefan Zweig“ (2013).
Reisen und Schreiben
Bereits als junger Mann unternahm Zweig zahlreiche ausgedehnte Reisen quer durch Europa und rund um den Globus. Die Liste seiner Ziele reicht von Algerien, Indien, Ceylon (heutiges Sri Lanka) und Burma (heutiges Myanmar) über die USA und Kanada bis nach Kuba, Puerto Rico, Haiti, Jamaica und Panama. Der Rhythmus des Reisens spiegelt sich in seinen Werken wider – die Figuren und Schauplätze in Zweigs Erzählliteratur entführen in verschiedene Epochen und Kontinente: Die Novelle „Der Amokläufer“ etwa nach Indonesien und „Brasilien. Land der Zukunft“ nach Südamerika. In „Magellan. Der Mann und seine Tat“ nimmt der Schriftsteller seine LeserInnen mit auf die entbehrungsreiche Fahrt des portugiesischen Weltumseglers. „Die Welt von Gestern“ zeigt Stefan Zweigs Verständnis des untergegangenen Habsburgerreichs: Er betrachtete es als ein globales Modell für das Zusammenleben unterschiedlicher Völker.
Seine letzten Reiserouten sind von der Vertreibung und Flucht vor den Nationalsozialisten geprägt. 1934 emigrierte er über London und das südenglische Bath und nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in die USA und nach Lateinamerika. Im brasilianischen Petrópolis nahe Rio de Janeiro ließ er sich abschließend nieder – dort nahm er sich gemeinsam mit seiner zweiten Frau Lotte Altmann im Februar 1942 das Leben. Auch dieser Freitod trägt zur Legendenbildung um seine Person bei.
Die Entdeckung der Welt
Zweigs Interesse galt dem Fremden und Unbekannten: einerseits räumlich in der Entdeckung fremder Welten, andererseits als Vergegenwärtigung vergangener Epochen und weltentscheidender Momente. Das wird auch an den 14 historischen Miniaturen der „Sternstunden der Menschheit“ deutlich; sie erzählen wie die Biographien und Entdeckergeschichten von Menschen und Begebenheiten, die das Geschick der Welt verändert haben. Die Ausstellung zeigt Notizbücher zu den „Sternstunden“ und „Magellan“ aus dem Nachlass Zweigs, eine Karte der Magellanstraße aus dem 16. Jahrhundert und verschiedene illustrierte Ausgaben des Reiseberichts Antonio Pigafettas, dem Reisegefährten und Chronisten Magellans.
Die Verkettung von Historie und Dichtung ermöglichte Stefan Zweig allerdings nicht nur den Blick in die Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch in die Zukunft. In seinem 1938 in den USA gehaltenen Vortrag „Geschichtsschreibung von morgen“ erläuterte er seinen Blick auf die Geschichte und die Verantwortung des Schriftstellers. Die Geschichtsschreibung von morgen solle nicht von Schlachten und Kriegen geprägt sein, sondern von einer Kulturgeschichte aller Völker und Nationen.
Pazifismus, Humanismus und die Aufgabe der Weltliteratur
Das Tagebuch aus dem Kriegsjahr 1914, eine patriotische Feldpostkarte an den Autor Anton Wildgans und ein Bekenntnis zum Pazifismus in einem Brief an die Journalistin und Salonnière Berta Zuckerkandl zeigen den Wandel in Zweigs Einstellung zum Krieg: Während er zu Beginn des Ersten Weltkrieges noch patriotisch gesinnt war, wurde er erst später zum Pazifisten, der sich vom aktiven politischen Geschehen weitestgehend fernhalten wollte. Diese Dokumente sind in der Ausstellung zu sehen.
Mit den Ideen wie Pazifismus, Humanismus, Kommunismus oder mit Fragen zur völkerverbindenden Wirkung der Weltliteratur setzte sich Zweig in zahlreichen Essays, Vorträgen und Briefen auseinander. Er vertrat ein übernationales Humanitätsideal – seine Botschaft für die Nachwelt ist die Utopie einer Welt ohne Grenzen.
Auch in seinen literarischen Werken konfrontierte er sich mit den Ideologien und Weltanschauungen seiner Zeit. Diese fortwährende, literarische Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von Macht und Moral zeigt sich beispielsweise im in der Französischen Revolution angesiedelten Drama „Adam Lux“, das ebenfalls in der Ausstellung gezeigt wird.
Die Weltliteratur war in den Augen Stefan Zweigs das Medium, um Völkerverständigung zu ermöglichen. 1919 begründete er deshalb das groß angelegte Projekt einer Bibliotheca Mundi, um seiner Vision der Weltliteratur gerecht zu werden. An Romain Rolland schrieb Zweig, dass diese Edition von repräsentativen Werken in den jeweiligen Originalsprachen „ohne Reklame, ohne Politik unserem Ideal der weltweiten Brüderlichkeit dienen würde“.
Im heutigen Europa-Diskurs sind Zweigs Positionen und Aktivitäten wieder aktuell. Zur Stärkung einer europäischen Identität wäre es einerseits sinnvoll, einen europäischen literarischen Kanon zu definieren. Andererseits propagiert dieses Konzept womöglich einen überkommenen kulturellen Eurozentrismus. Zweigs europäisch-abendländisch ausgerichtetes Projekt einer „Bibliothek der Weltliteratur“ repräsentiert genau dieses Dilemma. In der neuen Sonderausstellung des Literaturmuseums kommen aktuelle europäische AutorInnen zu Wort und die BesucherInnen sind in interaktiven Elementen aufgefordert, sich an diesem Gespräch zu beteiligen.
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