Ein unerkannter Pionier? Fritz Heinrich Klein und die Wiener Schule

Forschung

03.02.2022
Musik
Porträtfoto von einem Mann mit hellen Haaren und Brille mit dunklem Rahmen, schwarz-weiß

Zu seinem 130. Geburtstag erinnert der Beitrag an den heute fast völlig vergessenen Komponisten und Schönberg-Schüler Fritz Heinrich Klein, dessen Nachlass in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek kürzlich erschlossen wurde.

Autor: Jakob Uhlig

Das Schaffen des österreichisch-ungarischen Komponisten Fritz Heinrich Klein ist heute fast vollständig in Vergessenheit geraten – und das hat einen sehr naheliegenden Grund: Schon zu Lebzeiten kämpfte Klein vergeblich um die Anerkennung durch sein Umfeld. In seinem jahrzehntelangen Dasein als Musikschaffender wurde er häufig  mit Absagen von Verlagen und anderen musikalischen Institutionen konfrontiert. Insofern sind bis heute nur zwei seiner Kompositionen überhaupt im Druck erschienen. Die Maschine – Eine extonale Selbstsatire für Klavier zu vier Händen (op. 1) erschien 1923 im Verlag Carl Haslinger, im Linzer Verlag Richard Pirngruber publizierte Klein zum 100. Todestag Beethovens außerdem Drei Metamorphosen von Beethoventhemen für Klavier. Das restliche Schaffen des Komponisten, das sich über mehr als hundert weitere Opera erstreckt, ist der Öffentlichkeit somit bisher verborgen geblieben. Kleins Nachlass, der sich seit einigen Jahren im Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek befindet und im Frühjahr 2021 komplett erschlossen wurde, kann nun erstmals Auskunft über die vielen bisher unbekannten Seiten des Künstlers geben.

Klein, am 2. Februar 1892 als Sohn des Musikfeldwebels Friedrich Ladislaus Klein in Budapest geboren, wurde 1917 Schüler Arnold Schönbergs in Wien. Er konnte seinen Lehrer nicht leiden und verließ seinen Unterricht bereits nach einem Jahr. Er suchte dennoch auch in den folgenden Jahren Anschluss an das Musikleben Wiens und war zum Beispiel Mitglied in Schönbergs Verein für musikalische Privataufführungen. 1921 wurde er Schüler Alban Bergs, mit dem er über viele Jahre eng in Kontakt blieb. Auch noch, als Klein schließlich nach Linz übersiedelte, weil er sich den Aufenthalt in Wien aufgrund seines ausbleibenden Erfolgs als Komponist nicht mehr leisten konnte. Ziemlich genau zehn Jahre lang korrespondierten Klein und Berg brieflich miteinander. Ein Großteil von Kleins Briefen ist nach wie vor im Nachlass Alban Bergs erhalten, der ebenso in der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek verwahrt wird. Bergs Briefe sind hingegen nicht mehr aufzufinden. Oft berichtet Klein in seinen Schreiben von neuen Werken, immer wieder mischen sich aber auch Wut und Frustration in seine Zeilen. Sein stetes Anklopfen bei der Wiener Universal-Edition sollte zum Beispiel trotz zahlreicher Versuche ohne Erfolg bleiben, und auch die vielen Niederlagen bei kompositorischen Preisausschreiben, an denen Klein sehr regelmäßig teilnahm, trugen zu seiner Frustration bei. Im Wiener Kreis um Schönberg wurde er nie wirklich akzeptiert und selbst von Berg erfuhr er nie die Förderung, die er sich gewünscht hatte. Schließlich beendete Klein die Freundschaft mit seinem Lehrer nach zehn Jahren mit einem Brief, in dem seine Traurigkeit über die ausbleibende Anerkennung sehr deutlich wird:

Fritz Heinrich Klein, Foto Begsteiger-Bachl, Linz

„Zehn Jahre sind vorüber! Ich blättere am Anfang meines Tagebuches, in dem ich jede kleinste Phase unserer Beziehung fixiert habe, und das mir bei der künstlerischen Gestaltung unserer Freundschaft so gute Dienste leistet. Meine Augen gleiten wehmütig über die Stelle, wo ich die erste große Hoffnung verzeichnet habe: Deinen Zuspruch, mit mir zusammen einen Klavierstücke-Briefwechsel zu schreiben. Wie begeistert schildere ich da das Glück über deinen Zuspruch…
Zehn Jahre sind seither vergangen. Viele Hoffnungen haben sich an jene erste angereiht – das Tagebuch hat einige 100 Seiten – nun reiht sich keine Hoffnung mehr an, nur hin und wieder der Vermerk, daß ein Brief gekommen und gegangen ist.“

Fritz Heinrich Klein, Brief an Alban Berg, Linz 14. 11. 1931, F21.Berg.935/152, Bl. 1r.

Kurz nach diesem Bruch wurde Klein Theorielehrer am Brucknerkonservatorium im Linz – eine Stelle, die er vor allem der Tatsache verdankte, dass er für Alban Berg einst den Klavierauszug zur Oper Wozzeck angefertigt hatte. Klein blieb dort bis zu seiner Emeritierung. Einer seiner Schüler war Igo Hofstetter, der später als Operetten-Komponist bekannt wurde. Klein vertraute Hofstetter seinen Nachlass an, der ihn wiederum an seinen Sohn Günther Hofstetter weitervererbte. Über diesen gelangte das Quellenkonvolut schließlich in die Österreichische Nationalbibliothek, wodurch die vielen Kompositionen und Werke, die Klein in seinen Briefen an Berg bespricht, erstmals auch musikalisch nachvollziehbar werden. Das ist wichtig, weil die Betrachtung Kleins in der Forschung bisher auf ein spezifisches Narrativ abzielte, das der Komponist auch selbst vorantrug: Klein habe bereits sogenannte „Zwölftonmusik“ geschrieben, bevor Arnold Schönberg diese erfunden habe. Bezug nimmt der Komponist dabei auf sein Opus 1, Die Maschine, das er 1921 schrieb und das in der Tat mit einem zwölftönigen Thema arbeitet – wenngleich doch auf gänzlich andere Art und Weise als Schönberg.

Klein wird aufgrund dieser Umstände oftmals der Status eines unentdeckten Pioniers zuerkannt, der vom Wiener Kreis ignoriert wurde. Analytisch lässt sich dies nicht halten und von dem fraglichen Stück sind heute auch nur noch überarbeitete Fassungen und nicht mehr die Ursprungsversion aus dem so wichtigen Jahr 1921 erhalten. Wichtiger noch gibt der Nachlass Kleins Aufschluss darüber, wie der Komponist tatsächlich arbeitete. Bei einem Großteil der Stücke handelt es sich um tonale Kompositionen, also einen eher konservativen Stil, der dem Schaffen des Wiener Kreises um Schönberg in höchstem Maße widersprach. Dies prägt sich besonders in den Jahren nach dem Bruch mit Alban Berg aus, wird aber auch schon in den Stücken deutlich, in denen Klein noch in Kontakt mit den Wiener Komponisten stand. Interessanterweise versuchte er aber teilweise, seine tonalen Züge zu verschleiern – zum Beispiel, indem er konsequent das Vorzeichnen von Tonarten vermied, obwohl diese in den Stücken eigentlich vorherrschten. Teilweise hat Klein diese Arbeitsweise in seinem späteren Leben offenbar wieder zu korrigieren versucht. Im dritten seiner Vermischten Lieder op. 2 hat der Komponist die Tonart zum Beispiel noch nachträglich an den Rand geschrieben.

Fritz Heinrich Klein, vermischte Lieder op. 2, Nr. 3 Die Mutter, F219.Klein,F.H.3, S. 1

Aus seinem Nachlass wird auch deutlich, dass Klein unter Ausschluss der Öffentlichkeit anders komponierte, als in den Stücken, die er Berg präsentierte. Das Klaviertagebuch op. 3 zum Beispiel war ursprünglich wohl ein privates Vergnügen des Komponisten, da es in den früheren Werkverzeichnissen nicht auftaucht. In den über 150 Miniaturen des Tagebuchs verwendet Klein eine sehr viel einfachere Tonsprache, die Stücke sind schlicht und kurz gehalten und im Gegensatz zu fast allen anderen seiner Werke aus dieser Zeit verfügen sie über vorgezeichnete Tonarten.

Fritz Heinrich Klein, Salonstück, in: Klaviertagebuch op. 3, Heft III, Bl. 11r., F219.Klein,F.H.8

Einen gänzlich anderen Charakter haben die Zehn extonale[n] Stücke op. 4, bei denen Klein mit seiner Widmung „Dem Schönbergkreis“ deutlich macht, an welches Publikum er sich richtet. Die Werke vermeiden auf verschiedene Weisen tonale Stile und gleichen so deutlich dem Ideal, das die Wiener Schule propagierte. Dennoch zeigen die Kompositionen auch, mit welchem kompositorischen Hintergrund Klein ursprünglich schrieb, denn immer wieder blitzt die Tonalität in seinem Stil auf – teilweise finden sich in den Stücken sogar Kadenzen.

Fritz Heinrich Klein, Zehn extonale Stücke für Klavier zu zwei Händen op. 4, Titelblatt, F219.Klein,F.H.9/1-2

Trotz dieser also eigentlich diskrepanten Stilistik, hat sich in den späten Jahren von Kleins Leben und  auch nach seinem Tod ein Bild des Komponisten entwickelt, in dem dieser als Angehöriger oder sogar als Vorreiter der Wiener Schule gehandelt wurde. Klein selbst schätzte diese Auffassung sehr, wie auch einige Zeitungsausschnitte belegen, die der Komponist in seinem Archiv gesammelt hatte, in denen er zu seinem 80. Geburtstag für seine Rolle auf dem Gebiet der Zwölftonmusik gefeiert wird. „Die erste Zwölftonkomposition schrieb ein Linzer“, titelte zum Beispiel die Tiroler Tageszeitung vom 2. Februar 1972.

Tiroler Tageszeitung 2. 2. 1972, F219.Klein,F.H.196, Bl. 3r.

Gerade deswegen ist der erschlossene Nachlass ein so entscheidendes Quellenkonvolut, denn erst über die vielen Werke des Komponisten lässt sich angemessen nachvollziehen, wer Fritz Heinrich Klein eigentlich wirklich war. Der erst kürzlich katalogisierte Bestand an der Österreichischen Nationalbibliothek bietet so noch enorm viel Spielraum für weitere Forschungen über Klein und sein berühmtes Wiener Umfeld.

Über den Autor: Jakob Uhlig schloss seine Masterarbeit über Fritz Heinrich Klein an der Universität Hamburg ab. Aktuell bereitet er seine Promotion in Musikwissenschaft vor.

 

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