Autor: Thomas Leibnitz
Abb. 1: Karl VI., römisch-deutscher Kaiser (1685–1740)
Karl VI. (1685–1740), dessen Regierungszeit 1711 begann, ist – nach Ferdinand III., Leopold I. und Joseph I. – der letzte der musizierenden Barockkaiser. Nach profunder musikalischer Ausbildung galt er als versierter Cembalist und leitete zahlreiche Aufführungen von Opern und Oratorien persönlich. Dieses vielfältige Musikleben fand seinen Niederschlag in ca. 2000 einheitlich braun und rot gebundenen handschriftlichen Partiturbänden, wobei im Falle von Opern und Oratorien meist mehrbändige Werke vorliegen. Sie repräsentieren – weniger als Einzelwerke denn als künstlerisches Gesamtwerk – das österreichische Opern- und Oratorienschaffen des Spätbarock, das gleichermaßen durch deutsche wie auch durch italienische Einflüsse bestimmt war. Im Rahmen eines Erschließungsprojektes werden zur Zeit ca. 750 Bände dieser Sammlung digitalisiert und online zugänglich gemacht, wobei insbesondere den Österreichischen Lotterien für ihre großzügige Förderung zu danken ist.
Abb. 2: Detailaufnahme des Bestandes „Carolina“ aus dem Handschriftenmagazin der Musiksammlung
Karl VI. kündigte nach dem Tod seines Bruders Joseph I. zunächst rigorose Einsparungsmaßnahmen im Musik- und Theaterwesen an, brachte jedoch im Laufe seiner Regierungsjahre die Hofmusik selbst auf den höchsten jemals erreichten Personalstand (134 Personen im Jahre 1723). Ebenfalls noch vor seiner Ankunft in Wien, während seines Aufenthaltes in Frankfurt zu den Krönungsfeierlichkeiten, ersetzte er den bisherigen „Musik-Oberdirektor“ Santa Croce, der sich der Gunst Josephs I. erfreut hatte, durch Graf Ferdinand Ernst Mollart, und berief Marc’Antonio Ziani auf die vakante Kapellmeisterstelle. In der Folge widmete er sich der Musik mit großer Aufmerksamkeit, die mitunter mit kritischer Reserve gesehen wurde; so wurde kolportiert, er habe bei seinem Zusammentreffen mit Antonio Vivaldi mit diesem mehr gesprochen als mit seinen Ministern in zwei Jahren.
Ziani konnte nur kurze Zeit sein Amt bekleiden; er starb 1715, und das feierliche Totenamt, das die Musiker aus Zianis venezianischer Heimat aufführten, zeigt, dass dieser heute kaum noch bekannte Komponist als Persönlichkeit von internationalem Rang angesehen wurde. Sein Nachfolger wurde Johann Joseph Fux, der von seinem kaiserlichen Dienstherren viel Anerkennung erfuhr. Die Mischung von Selbstbewusstsein und Bescheidenheit, die für Fux charakteristisch war, kommt in dem Ausspruch zum Ausdruck, mit dem er biographische Auskünfte über seine Person ablehnte: Es sei genug, dass er „würdig geschätzt werde, Caroli VI. erster Capellmeister zu sein“. Dieser Standpunkt führte allerdings dazu, dass über Fux‘ Leben und Persönlichkeit wenige Fakten überliefert sind. Der Ruhm Fux‘ beruht vor allem auf seinem musiktheoretischen Hauptwerk „Gradus ad Parnassum“ (1725 mit Widmung an Karl VI. erschienen). In einem Lehrdialog bemühen sich der Lehrer Aloysius (eine Anspielung auf Pierluigi da Palestrina) und der Schüler Josephus (Johann Joseph Fux) um die Geheimnisse des Kontrapunkts; das Lehrwerk hatte bis weit in das 19. Jahrhundert hinein große Bedeutung. Die damit verbundene Konzentration auf das Althergebrachte trug Fux seitens der Nachwelt den Ruf eines Konservativen ein. Dies ist jedoch differenziert zu sehen, denn so sehr Fux im Bereich der Sakralmusik den Prinzipien des strengen Kontrapunkts folgte, so sehr war er im Bereich der Oper neuen Strömungen gegenüber aufgeschlossen. Wie in der musikalischen Theorie und Praxis war Fux auch in seiner Amtsführung eine Autorität, die sich, wie ein Streit mit dem Musikoberdirektor Principe Luigi Pio di Savoia zeigte, energisch durchzusetzen wusste; sicherlich verlieh ihm die enge und vertrauensvolle Beziehung zum Monarchen starken Rückhalt.
Abb. 3: Antonio Caldara: La Clemenza di Tito. [Drama in 3 atti]. Partitur, Handschrift, 1734. Band 1. Brauner Ledereinband mit Doppeladler
Fux‘ Amt als Vizehofkapellmeister übernahm Antonio Caldara, ein Schüler Marc’Antonio Zianis, der von diesem auch empfohlen wurde. Karl kannte ihn noch aus seiner Zeit in Spanien, wo Caldara 1708 bei der Hochzeit des damaligen Thronprätendenten als Komponist hervortrat. Offensichtlich machte er sich bereits bei Karls Thronbesteigung Hoffnung auf ein höfisches Amt, das er jedoch erst 1716 mit der Ernennung zum Vizehofkapellmeister erhielt. In dieser Stellung blieb er bis an sein Lebensende. Bereits die Zeitgenossen empfanden die Werk Fux‘ und Caldaras als die zwei Pole der Musik der Zeit. Wie Fux war auch Caldara in sämtlichen Bereichen der Musik tätig, und auch er wurde von seinem kaiserlichen Dienstgeber hoch geschätzt.
Abb: 4: Antonio Caldara: La Clemenza di Tito. [Drama in 3 atti]. Partitur, Handschrift, 1734. Band 1. Titelblatt
Ebenfalls als Komponist und Musiker von internationaler Geltung ist Francesco Conti anzusehen. Er wurde zunächst als Virtuose auf der Theorbe bekannt, und sicherlich trug die Ernennung zum kaiserlichen Hofkomponisten dazu bei, dass er sich dem kompositorischen Schaffen stärker zuwandte. Mit der Oper „Don Chisciotte in Sierra Morena“ gelang ihm ein zeitgenössisches Erfolgswerk, mit zahlreichen Kantaten lieferte er Beiträge für den intimeren Bereich des höfischen Musizierens.
Unter der großen Anzahl bedeutender Angehöriger der kaiserlichen Hofmusik (die sowohl Komponisten wie Interpreten umfasste) seien genannt: die Hofkomponisten Giuseppe Porsile, Matteo Palotta, Georg Christoph Wagenseil und Giuseppe Bonno, der Hoforganist Gottlieb Muffat, dessen Klaviersuiten und Fugen als die bedeutendsten seiner Zeit neben jenen Bachs angesehen wurden, und die beiden Georg Reutter, von denen der jüngere später die Stellung des Hofkapellmeisters erreichte.
Dem Hof gehörten außer der kaiserlichen Hofmusikkapelle im engeren Sinne noch weitere Musikensembles an. Neben den Hoftrompetern, die einen eigenen Status hatten, sind hier vor allem die Hofkapellen der verwitweten Kaiserinnen Eleonora Magdalena Theresia (nach Leopold I.) und Amalie Wilhelmine (nach Joseph I.) zu nennen. In ihnen bekleideten Johann Joseph Fux und Gottlieb Muffat Nebenstellungen.
Die größte Aufmerksamkeit nach außen, auch den größten finanziellen Aufwand, beanspruchten zweifellos die prunkvollen Opernaufführungen, die aus Anlass wichtiger Staatsereignisse stattfanden. Hier kamen Johann Joseph Fux und der Hofdichter Pietro Pariati zum Zug: mit der Oper „Angelica vincitrice d’Alcina“ (aufgeführt 1716 aus Anlass der Geburt des Thronfolgers, der allerdings kurze Zeit darauf starb), mit „Elisa“ (1719 zum Geburtstag der Kaiserin) und – als Höhepunkt des barocken Operngeschehens – mit „Costanza e fortezza“, die 1723 während der böhmischen Krönungsfeierlichkeiten in Prag ihre glanzvolle Aufführung erlebte.
Bis in das frühe 19. Jahrhundert wurde das Archiv der kaiserlichen Hofmusikkapelle, in dem sich auch die Partituren der Musikaliensammlung aus der Ära Karls VI. befanden, als musikalisch-praktisches Gebrauchsarchiv angesehen und befand sich zuletzt in stark vernachlässigtem Zustand, bis Moritz Graf Dietrichstein 1826, nach seinem Amtsantritt als Präfekt der k.k.Hofbibliothek, die Überstellung des Archivs in die Hofbibliothek verfügte und damit diesen überaus wertvollen Bestand für die Nachwelt sicherte.
Wir danken den Österreichischen Lotterien sehr herzlich für die Unterstützung des Digitalisierungsprojekts.
Über den Autor: Dr. Thomas Leibnitz ist Direktor der Musiksammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
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