Autorin: Lydia Jammernegg
Aus Anlass des 100-jährigen Jubiläums der Einführung des Frauenwahlrechts in Österreich 2018 zeigt Ariadne in einer » Online-Ausstellung anhand von Texten und Objekten die historische Entwicklung des Frauenwahlrechts im österreichischen Teil der Habsburgermonarchie. Nachfolgend geht es im ersten Teil eines zweiteiligen Blogs um die Agitation der Frauenwahlrechtsbewegung(en) bis zur Zuerkennung des Wahlrechts an Frauen im November 1918.
2018 ist ein wichtiges Gedenkjahr für die Aneignung von politischen Partizipationsmöglichkeiten für Frauen in Österreich. Die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten, geheimen Wahlrechts für alle StaatsbürgerInnen in Österreich ohne Unterschied des Geschlechts jährt sich zum hundertsten Mal. Am 12. November 1918 wurde den Frauen – neben vielen anderen denkwürdigen Umbrüchen – das Frauenstimmrecht zuerkannt. Die Frage, ob sie es erkämpften, wird von Historikerinnen so nicht bejaht. Gruppierungen von Frauen reklamierten jedenfalls politische Partizipationsrechte für sich, lange Zeit jedoch wenig erfolgreich.
Vor den 1880er-Jahren war das Frauenwahlrecht auch innerhalb der entstehenden Frauenbewegungen in der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie kein zentrales Anliegen. Eine Minderheit an Frauen besaß zu dieser Zeit eingeschränkte Wahlrechte. Die Frauenbewegungen standen der Forderung nach dem Stimmrecht ambivalent gegenüber. Trotzdem kam im späten 19. Jahrhundert Bewegung in die Frage nach der politischen Teilhabe für alle Frauen.
Nach dem Ende der Revolution von 1848 erlangten Frauen, die über Besitz, einen Verdienst oder ein Gewerbe verfügten, in vielen Gemeinden, ab 1861 auch für die Landtage ein Wahlrecht. Für die wichtigste politische Körperschaft, den Reichsrat, waren Frauen bis auf eine sehr geringe Zahl von Großgrundbesitzerinnen jedoch nicht wahlberechtigt. Zwischen 1884 und 1904 wurden im Zuge von Wahlreformen diesen steuerzahlenden Frauen ihre Gemeinde- und Landtagswahlrechte in mehreren Bundesländern wieder entzogen. Dies war in Niederösterreich auslösendes Moment, dass sich Frauen organisierten. Eine Anzahl von Lehrerinnen gründete ein „Comité in Angelegenheiten des Frauenstimmrechts“. Strategie war es, Abgeordnete des Reichsrats zur Unterstützung zu gewinnen, damit diese sich für das Frauenstimmrecht einsetzten und Petitionen der Frauenbewegung im Abgeordnetenhaus einbrachten.[1]
Mit dem Entstehen der Frauenstimmrechtsbewegung gegen Ende des 19. Jahrhunderts war die Durchsetzung des Wahlrechts ohne jegliche Beschränkungen zuerst nur für einige Gruppierungen innerhalb der historischen Frauenbewegung das Ziel. Die Idee eines individuellen Wahlrechts unabhängig von Besitz und Bildungsgrad setzte sich erst allmählich durch.
Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs nahm 1892 die Forderung nach dem allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrecht ohne Unterschied des Geschlechts in ihr Parteiprogramm auf. Trotzdem fand diese Forderung oft wenig Unterstützung bei den männlichen Parteimitgliedern. Auch die Sozialdemokratie stand dem Frauenwahlrecht ambivalent gegenüber. Es war keines ihrer vorrangigen politischen Ziele. Wie bedeutsam diese Forderung war, darüber waren sich zeitweise nicht einmal die Frauen einig.
Abb. 1: Adelheid Dworak hält eine Rede, in: Das Interessante Blatt, 22. Dezember 1892, Nr. 51, S. 4
Bereits 1893 demonstrierten Sozialdemokratinnen in der Penzinger Au für das Frauenwahlrecht. 1905 kam es jedoch zu einem Umschwung der Mehrheit der Sozialdemokratinnen auf die offizielle Parteilinie, die zuerst die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts forderte. Das Frauenstimmrecht sei hintanzustellen, forderte Viktor Adler schon 1903. Die sozialdemokratische Frauenbewegung verzichtete zu dieser Zeit auf ihren Anspruch auf das Frauenwahlrecht – entsprechend der Direktive der Partei, um nicht die Erlangung des Männerwahlrechts zu gefährden. Die Frage der Priorität des Männerwahlrechts oder des Wahlrechts für beide Geschlechter blieb unter den Sozialdemokratinnen bis 1907 umstritten. Begründet wird dies in der Arbeiter-Zeitung folgendermaßen: „Auch unter den Frauen herrscht der Klassenkampf. Das Frauenwahlrecht kann nicht erkämpft werden von allen Frauen ohne Unterschied der Klasse gegenüber dem männlichen Geschlecht, sondern die proletarischen Frauen können ihre politische Befreiung nur siegreich durchführen im Bunde mit allen Ausgebeuteten ohne Unterschied des Geschlecht gegen alle Ausbeuter ebenfalls ohne Unterschied des Geschlechts.“[2]
Diese Hintanstellung der Forderungen nach dem Frauenwahlrecht führte zu einer Distanzierung und Differenzierung zur bürgerlich-liberalen Frauenbewegung. Bürgerlich-liberale Frauen, die jeden Anschluss an eine politische Partei ablehnten, stellten zu dieser Zeit verstärkt die Forderung nach dem Frauenstimmrecht. Mitglieder des » Bundes österreichischer Frauenvereine gründeten 1905 zu diesem Zweck ein » Frauenstimmrechtskomitee, da die Konstituierung eines explizit politischen Vereins Frauen auf Grund des Vereinsgesetzes von 1867 untersagt war. Dieses Gesetz beeinträchtigte die organisatorischen Möglichkeiten der Frauen, speziell der Bürgerlich-liberalen. Der Wunsch nach einer Vereinsgründung – und damit die Durchbrechung des Vereinsverbotes nach § 30 – wird 1907 in mehreren Instanzen abgelehnt.
Die bürgerlich-liberale Frauenstimmrechtsbewegung führte ihre Agitation für das Frauenwahlrecht mittels Petitionen und Publizistik fort. Ab 1911 erschien dazu als wesentliches Instrument die Zeitschrift für Frauenstimmrecht im Rahmen des Komitees. Im Geleitwort der ersten Ausgabe schreibt » Marianne Hainisch: „… [Es] gehört auch heute noch fast Mut dazu, sich als eine Anhängerin des Frauen-Stimmrechtes zu bekennen. Wer vermöchte daher die ablehnende Haltung vieler Frauen besser zu verstehen, als eine alte Frau, da sie sich ihrer Jugendtage erinnert? …. Gewiß ist, daß die Selbstbeschränkung, die mir 1870 geboten schien, nach den Erfahrungen der verflossenen vier Jahrzehnte einer Selbstvernichtung gliche. Der Stimmzettel ist für mich noch immer keine Herzenssache, aber ich habe mich überzeugt, daß er das Alpha und Omega zur Erlangung der Gleichberechtigung der Frau ist.“[3] Die Position, dass nur das Wahlrecht den Frauen die Macht gibt, dass ihre Forderungen Gehör finden, war vielen Frauen auch in der Frauenbewegung lange zu radikal. Sie sprachen sich für eine langsame, schrittweise Ausweitung der Rechte für Frauen aus – in der Bildung, in der Wirtschaft, der Gesetzgebung – und schlussendlich sollte ihnen das Wahlrecht zuerkannt werden – so auch Marianne Hainisch. Nur eine Minderheit innerhalb der Frauenbewegung – wie Aktivistinnen des » Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins – waren schon früh, ab den 1890er-Jahren, für das allgemeine Frauenstimmrecht aktiv.[4]
Abb. 2: Versammlung des Allgemeinen Österreichischen Frauenvereins im großen Saal des Türkenschanzparks, in: Wiener Bilder, 13. Juli 1904, Nr. 28, S. 10
Am 26. Jänner 1907 kam es zur Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts für Männer für den Reichsrat – ein Erfolg der Sozialdemokraten. Damit erreichte der Ausschluss der Frauen von jeglicher politischer Mitbestimmung seinen Höhepunkt. Auch den wenigen Großgrundbesitzerinnen wurde wieder das Stimmrecht entzogen. Danach rückte die sozialdemokratische Frauenbewegung das Frauenstimmrecht ins Zentrum ihrer Aktivitäten. Auf der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen wurde 1910 auf Vorschlag der deutschen Sozialistin Clara Zetkin beschlossen, alljährlich einen Internationalen Frauentag abzuhalten, „…. [als] eine neue Waffe im Kampfe um das Frauenwahlrecht“[5], so » Adelheid Popp. Dieser Agitationstag für das Frauenwahlrecht wurde in Wien erstmals für den 19. März 1911 organisiert.[6] Die Arbeiter-Zeitung spricht von etwa 20.000 Frauen, aber auch Männern, die über die Ringstraße mit Bannern wie „Heraus das Frauenwahlrecht“ oder „Hoch das Frauenwahlrecht“ zogen und schließlich am Rathausplatz aus allen Wiener Bezirken zusammentrafen. Dort trafen sie auf die erstaunten promenierenden BürgerInnen.[7]
Abb. 3: Frauentag 1911, in: Arbeiter-Zeitung, 20. März 1911, Nr. 79, S. 1
Im Ersten Weltkrieg unterstützten die Frauenbewegungen mit wenigen Ausnahmen die Kriegsführung und verkündeten einen politischen "Burgfrieden", im Rahmen dessen sie ihr internationales Engagement und politische Forderungen – etwa nach dem Frauenwahlrecht – hintanstellten: „Der Kampf der Frau um ihre Rechte [müsse] zurücktreten“.[8] Öffentliche Versammlungen waren während des Krieges verboten. Die Frauentage fanden jedoch auch im Krieg statt – wie die Arbeiterinnen-Zeitung berichtet.[9] Ab Mai 1917 und der Wiederaufnahme der Tätigkeit des Reichsrats brachten Frauenorganisationen gemeinsame Anträge für das Frauenwahlrecht ein. Kundgebungen für den Frieden und das Frauenwahlrecht, zuerst von sozialdemokratischer Seite, aber dann auch von bürgerlich-liberaler, waren jetzt auf der Tagesordnung. Auch die politischen Umwälzungen durch die Russische Revolution hatten Einfluss auf die weitere Entwicklung.
Am 12. November 1918 wurde nach dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie die Republik Deutschösterreich ausgerufen und die Provisorische Nationalversammlung beschloss die Zuerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts an alle volljährigen StaatsbürgerInnen ohne Unterschied des Geschlechts. Durch die Einführung des Frauenwahlrechts wurde die Geschlechterdifferenz hinsichtlich der politischen Partizipationsrechte aufgehoben. Historisch ist die Einführung des Frauenwahlrechts Folge der politischen und gesellschaftlichen Umbruchsituation zu Ende des Ersten Weltkrieges. Ausschlaggebende Faktoren waren die veränderten politischen Kräfteverhältnisse und die starke Position der Sozialdemokratie. Einer weiteren Verweigerung des Wahlrechts für Frauen fehlte zunehmend die Legitimation.
Siehe dazu auch:
» Teil 3: Frauen als Wählerinnen und Politikerinnen in Österreich 1918/1919
Über die Autorin: Mag. Lydia Jammernegg ist Historikerin und wissenschaftliche Bibliothekarin in der Ariadne – frauen/genderspezifische Information und Dokumentation an der Österreichischen Nationalbibliothek.
[1] Vgl. Petition für das Frauenwahlrecht an das Abgeordnetenhaus, Sitzung am 25. Mai 1891, S. 479.
[2] Frauenstimmrechte, in: Arbeiter-Zeitung, 24. August 1907, Nr. 231, S. 3–4.
[3] Hainisch, Marianne: Geleitwort, in: Zeitschrift für Frauenstimmrecht, Januar 1911, Nr. 1, S. 1–2.
[4] Vgl. Zum Frauenstimmrecht in Österreich. Bericht über die am 9. Dezember 1893 im alten Rathaussaale stattgehabte allgemeine freie Frauenversammlung, Wien: Verl. des Allg. österr. Frauenverein, 1894.
[5] Popp, Adelheid: Der Weg zum Frauenwahlrecht, in: Arbeiter-Zeitung, 15. März 1911, Nr. 74, S. 1.
[6] Schon 1892 sprach Ottilie Turnau in der Arbeiterinnen-Zeitung erstmals von der „Notwendigkeit eines österreichischen Frauentages.“ Siehe dazu: Eine Frauenversammlung, in: Arbeiterinnen-Zeitung, 5. Februar 1892, Nr. 3, S. 3.
[7] Die Internationalen Frauentage hatten einen wichtigen Stellenwert vor allem in den 1920er-Jahren und wurden von Beginn an auch öffentlichkeitswirksam publizistisch mit Flugblättern, Plakaten, Broschüren, usw. beworben. Siehe dazu: Der Frauentag, Wien: "Vorwärts" 1911.
[8] Touaillon, Christine: Ein Brief, in: Neues Frauenleben, 15. Dezember 1914, Nr. 14, S. 286.
[9] Vgl. Der Frauentag im Kriegsjahr, in: Arbeiterinnen-Zeitung, 7. März 1916, Nr. 5, S. 1.
Literatur
Bader-Zaar, Birgitta (2006): Frauenbewegungen und Frauenwahlrecht, in: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Vereine, Parteien und Interessenverbände als Träger der politischen Partizipation, VIII/1, Wien: Verl. der Österr. Akad. der Wiss, S. 1005–1027.
Gehmacher, Johanna (2009): Wenn Frauenrechtlerinnen wählen können ... Frauenbewegung, Partei/Politik und politische Partizipation von Frauen – begriffliche und forschungsstrategische Überlegungen, in: Johanna Gehmacher, Natascha Vittorelli (Hg.): Wie Frauenbewegung geschrieben wird. Historiographie, Dokumentation, Stellungnahmen, Bibliographien, Wien: Löcker, S. 135–180.
Niederkofler, Heidi, Maria Mesner, Johanna Zechner (Hg.) (2011): Frauentag! Erfindung und Karriere einer Tradition (Begleitbuch zur Ausstellung "Feste.Kämpfe. 100 Jahre Frauentag", vom 4. März bis 30. Juni 2011 im Österreichischen Museum für Volkskunde, Wien), Wien: Löcker.
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